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Peakoil Reloaded

Kapitel 33


  
Zwei Stunden später erwachte Alices Mutter. Vater und Tochter atmeten erleichtert auf, als sie sahen, wie die Lider von Alices Mutter zuerst zuckten und sich dann öffneten.

"Liebes, wie geht es dir? Wie gut, dass du wieder wach bist, Liebes", die Stimme von Alices Vater drohte zu versagen. Die Tränen liefen jetzt ungehindert über sein Gesicht. Als Antwort stieß Alices Mutter unartikulierte Töne aus.

Der Vater drückte die Hand seiner Frau und Alice konnte sehen, wie der Druck erwidert wurde. Nach kurzer Zeit drehte Alices Mutter ihren Kopf und sah ihrer Tochter direkt in die Augen. Doch ihre Hand drückte sie nicht. Ein entsetzlicher Gedanke durchfuhr Alice: Halbseitenlähmung. Dann erinnerte sie sich, dass solche eine Lähmung bei einem Schlaganfall wohl normal war. Und dass der Arzt gesagt hatte, es könnte wieder besser werden.

Eine Schwester kam herein und kontrollierte den Zustand ihrer Patientin und der Geräte. Etwas später traf der Arzt ein, leuchtete Alices Mutter in die Augen und klopfte an verschiedenen Stellen. Dabei nickte er fortwährend und brummelte in sich hinein.

"Noch können wir nichts Genaues sagen", wandte er sich nach der Untersuchung an Vater und Tochter. "Die Reflexe sind durchaus hoffnungsvoll. Wir müssen die nächsten Tage abwarten, um eine sichere Prognose treffen zu können."

Nach kurzer Zeit schlief Alices Mutter wieder ein. Die Schwester teilte ihnen mit, dass dies ganz normal sei und ein Zeichen dafür, dass der Heilungsprozess einsetzen würde. Dafür bräuchte die Mutter viel Ruhe. Sie schickte Vater und Tochter nach Hause und versprach, sich zu melden, sobald sich etwas Unerwartetes ereignen würde. Da es schon dunkel wurde, akzeptierten Alice und ihr Vater, weggeschickt zu werden und machten sich auf den Heimweg.

Zu Hause lasen sie zuerst den Brief, der das ganze Unheil über sie gebracht hatte. Er kam, wie erwartet, vom Landes-Vermögensamt und war ein Bescheid über eine Sonderabgabe. Der Betrag, den sie zahlen mussten, überstieg den Wert von Haus und Tankstelle um das Vielfache. Kein Wunder, dass Mami der Schlag getroffen hat, als sie das sah. Mir selbst läuft es auch eiskalt den Rücken runter. Und wenn ich die Bemerkung des Arztes richtig deute, sind wir nicht die einzigen, die so einen Bescheid bekommen haben. Das können wir ja niemals zahlen. Selbst nicht, wenn wir alles verkaufen würden. Wie kommen die nur auf die Idee? Von "Produktivwerten" schreiben die hier. Die wollen wohl alle Gewinne, die man lebenslang machen könnte, wenn die Geschäfte optimal laufen, vollständig abkassieren. Typisch Staat!

Der Vater schien auch entsetzt. Er ging in den Keller, holte eine Flasche billigen Rotwein und schenkte sich das erste Glas ein. Wortlos stürzte er es hinunter. Das zweite Glas trank er etwas langsamer.

Am nächsten Tag fuhr Alices Vater schon morgens in die Klinik. Alice hatte den Dienst im Laden übernommen und war fest entschlossen, eine Mahlzeit für den Mittagstisch zu kochen. Schließlich hatte ihre Mutter zusammen mit ihr die vielen Rezepte für Mais und Rindfleisch entwickelt, Alice kannte sich also aus - dachte sie.

Doch dann brannte die Maissuppe an, als Alice einen Moment lang in Gedanken versunken war und nicht aufpasste. Plötzlich brach der ganze Kummer über ihr zusammen und die Tränen schossen ihr aus den Augen. Schluchzend hing sie über der missratenen Suppe und konnte sich gar nicht wieder beruhigen.

Jemand strich über ihre Haar, drehte sie vom Topf weg und nahm sie in den Arm. Alice schmiegte sich an und schluchzte noch heftiger, bis sie sich allmählich wieder beruhigte. Dann erst fragte sie sich, wer sie da überhaupt im Arm hielt. Sie löste sich von ihrem Tröster, schaute nach oben und sah in das besorgte Gesicht von Achim.

"Oh, du bists."

"Nicht ok?"

"Doch, doch! Danke, das hat gut getan."

"Was ist denn Schreckliches geschehen? Die verbrannte Suppe ist ja bestimmt nicht die Hauptursache deines Kummers."

"Stimmt."

Alice erzählte Achim vom Schlaganfall ihrer Mutter und der extremen Geldforderung der Behörde.

"Das mit deiner Mutter ist ja wirklich schrecklich. So einen Bescheid haben wir aber auch bekommen. Wir zahlen den einfach nicht. Stattdessen haben wir uns mit anderen zusammengeschlossen, um uns gegen diese Behördenwillkür zur Wehr zu setzen."

"Da machen wir auch mit. Wir können das sowieso nicht zahlen. Und wenn ich so einen Behördenfuzzi jetzt vor mir sehen würde, würde ich ihm wohl ins Gesicht boxen bis er blutet, denn den Schlaganfall meiner Mutter kann ich denen nicht verzeihen."

"Wir treffen uns von jetzt ab regelmäßig im wilden Bären. Da könnte dein Vater auch kommen oder du, falls dein Vater jetzt zu sehr mit der Krankheit deiner Mutter beschäftigt ist."

"Einer von uns wird bestimmt kommen. Das lassen wir uns nicht bieten von Denen. Jetzt sollte ich aber noch eine Suppe kochen. Denn dieses verbrannte Zeug kann ich niemandem anbieten."

"Soll ich dir dabei helfen?"

"Wenn du Zeit und Lust hast, gerne."

Schweigend schnitten sie Zwiebeln für die neue Suppe. Achims Blick wanderte nach draußen, wo immer noch das unvollendete Gestell für den Scheffler-Spiegel stand.

"Was ist denn das dort draußen? Sieht interessant aus."

"Das soll mal ein Scheffler-Spiegel werden."

"Und was ist ein Scheffler-Spiegel?"

"Das ist ein Spiegel, der sich mit dem Lauf der Sonne dreht und einen fixen Brennpunkt hat. Diesen Brennpunkt kann man ins Innere einen Hauses verlegen und beispielsweise darauf kochen. Oder man lässt Wasser kochen und betreibt damit eine Turbine, quasi als Dampfmaschine, die Strom produziert. Um die Hitze zu speichern, kann man auch Zinn schmelzen, denn dann hält sich die Temperatur bis in die tiefe Nacht. Wenn man es ganz raffiniert treibt, kann man sogar Wasserstoff mit der Hitze erzeugen, ohne den Umweg über Strom. Wie du siehst, bietet so ein Scheffler-Spiegel eine Menge Möglichkeiten. Das Beste ist aber, dass man ihn mit einfachen Mitteln bauen kann. Man braucht keine aufwendige Fabrik, wie bei der Produktion von Photovoltaikzellen."

"Klingt ja faszinierend. So ein Spiegel würde mich auch reizen."

"Sehr gut! Ich wollte dich sowieso um Hilfe bitten, denn mit dem Bau des Gestells habe ich Schwierigkeiten."

"Weisst du eigentlich, dass du eine erstaunliche Frau bist? Wie du strickst, kochst und auch noch technische Geräte baust oder reparierst - echt klasse!"

"Ach, das ist noch gar nichts gegen Annette. Die hat sich so einen Scheffler-Spiegel ganz alleine gebaut, mitten in der Großstadt. Nur ein Technikbastler, der in Indien lebt, hat ihr mit Tipps zur Seite gestanden."

"Diese Annette kenne ich nicht, obwohl das natürlich sehr gut klingt, was du von ihr erzählst. Ich meinte dich und nicht unbekannte Fremde."

Alice spürte, wie sie rot wurde.

"Wenn du einen Moment hier auf den Laden aufpasst, dann hole ich geschwind meine Pläne für den Spiegel. Und dann muss ich dringend kochen, damit die Suppe bald fertig wird."

Achim nickte und Alice stürmte in ihr Zimmer, um die Ausdrucke der Pläne zu holen. Sie übergab den Packen Papiere an Achim, der sofort anfing, sie zu studieren. Dabei warf er immer wieder Blicke durchs Fenster auf Alices angefangenes Gestell.

"Du kannst gerne rausgehen und es dir vor Ort anschauen. Ich muss mich jetzt sowieso ums Essen kümmern."

"Ok", Achim schien kurz zu zögern, riss sich dann aber los und ging auf den Hof. Dort umrundete er mehrmals das Gestell, bevor er sich den Details widmete und sie mit den Plänen verglich.

Am liebsten hätte Alice weiter zugeschaut, aber dann erinnerte sie sich an ihre Suppe und setzte den frisch gescheuerten Topf auf die Herdplatte. Warum bin ich plötzlich so glücklich? Das ist ja richtig unanständig, wo Mami doch schwer krank darniederliegt.

Noch bevor die Suppe in ihrem riesigen Topf kochte, kam Achim wieder in den Laden. Er sah aus wie eine Katze, die gerade eine Schale mit Sahne ausgeschleckt hatte.

"Eine tolle Sache dieser Scheffler-Spiegel. Das Beste daran ist wohl, dass man ihn unabhängig von einem teuren Maschinenpark und massenhaft Produktionsenergie herstellen kann. Davon werde ich wohl auch mehrere für unseren Hof bauen und bei deinem helfe ich dir natürlich gerne. Viel Zeit habe ich heute leider nicht, aber wenn du mir zeigst, wo euer Werkzeug ist, baue ich ein Weilchen an deinem Gestell. Ich glaube zu wissen, wo dein Problem liegt."

"Prima. Einen Moment, dann zeig ich dir die Werkstatt."

Hastig zog Alice den Suppentopf von der Herdplatte, dann führte sie Achim zur Werkstatt. Sie erklärte ihm auch kurz, wo ihre Probleme gelegen hatten; genau da, wo Achim vermutet hatte. Während sie sich der Suppe widmete, erweiterte Achim das Spiegelgestell. Durchs Fenster konnte Alice ihm dabei zusehen. Konzentrier dich auf das Essen, Mädel! Gleich kommen die Gäste und sind hungrig.

Tatsächlich, kaum war die Suppe fertig, strömten die Kunden in den Laden. Das Hauptgesprächsthema war der Bescheid über die Sonderabgabe, den alle Hausbesitzer erhalten hatten. Erst nach einer Weile fiel dem Ersten auf, dass Alices Mutter fehlte, die sonst Tag für Tag das Essen ausgab. Als Alice von dem Schlaganfall berichtete, steigerte sich der Ärger der Gäste zur Kampfeswut. Wie gut, dass niemand aus diesem Vermögensamt hier ist. Die würden den glatt zu Hackfleisch verarbeiten, so wütend sind sie.

Erst als die meisten der Gäste schon weg waren, kam Achim wieder in den Laden. Er wirkte sehr zufrieden.

"So! Ein Stückchen bin ich weitergekommen. Leider muss ich wieder weg, denn wir bauen einen Landwirtschaftsroboter, der bald fertig werden soll."

"Ihr baut was?"

"Einen kleinen Roboter, der beim Gärtnern hilft. Mit so einem Gerät kann man viel mehr Gartenfläche bestellen als ohne. Und er ist energieautark: lebt von der Sonne und den Pflanzenresten, die er ausreißt."

"Ist ja toll! Sowas könnt ihr?"

"Jens kann das vor allem. Ich helfe bei der Mechanik, aber er kümmert sich um die Intelligenz. Er ist nämlich eigentlich Programmierer."

"Ihr überrascht mich immer wieder. Dagegen ist so ein Scheffler-Spiegel ja ein lahmer Zock."

"Sag das nicht. Das Besondere an deinem Spiegel ist ja, dass er ohne übermäßig viel technischen Schnickschnack auskommt. Wann würde es dir denn passen, dass ich wiederkomme, um weiter an dem Spiegel zu arbeiten?"

"Am besten wohl am frühen Vormittag, bevor ich kochen muss. Nachmittags will ich ins Krankenhaus, dann kümmert sich mein Vater um die Tankstelle. Du bist jetzt bestimmt hungrig. Darf ich dir eine Suppe anbieten - natürlich kostenlos."

"Gerne. Du hast recht, ich bin ganz hungrig geworden."

Alice füllte eine Suppenschale für Achim und freute sich, dass ihm die einfache Suppe zu schmecken schien.

Peakoil Reloaded

The Party's Over
von Richard Heinberg

Jenseits des Ölgipfels
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Peakoil Reloaded
Peakoil Reloaded

136 Seiten
ISBN 3-938764-00-7

Preis: 14.80 Euro

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