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Peakoil Reloaded

Kapitel 19


  
Die nächsten Tage waren grässlich. Viele Mitarbeiter der Solarfirma hatten ihren Resturlaub genommen, sodass nur noch ein Teil der Mannschaft anzutreffen war. Die gesamte Verkaufsabteilung war verwaist. Alice hatte aber mehr zu tun als sonst. Diesmal ging es nicht nur darum, die wartenden Kunden zur Geduld zu überreden, sondern sie musste ihnen mitteilen, dass ihre Lieferung nie kommen würde.

Das nahmen viele der Kunden übel; manche beschimpften Alice so wild, dass sie kaum die Tränen zurückhalten konnte. Ab und zu war Alice auch kurz davor, die Kunden anzuschnauzen, wenn die zu unverschämt wurden. Doch das galt es um jeden Preis zu vermeiden. Um sich entspannt zu halten, kaufte sich Alice am zweiten Tag nach der Kündigung Baldriantabletten. Die halfen ein wenig. Dennoch waren es die härtesten Tage in Alices bisherigem Arbeitsleben.

Abends saß Alice erschöpft in ihrer Wohnung und grübelte, was sie mit ihren Möbeln und den tausend Kleinigkeiten anfangen sollte. Nach ein paar Tagen entschloss sie sich, nur das Allerwichtigste mitzunehmen, denn der Transport würde teurer werden als der Wiederbeschaffungswert der meisten Gegenstände.

Nach Feierabend kaufte sich Alice eine Handvoll stabile Umzugskartons, um ihre Lieblingsbücher und Klamotten einzupacken. Der Heimtransport der Kartons erwies sich als Alptraum, denn da diese auch zusammengeklappt sehr sperrig waren, konnte Alice sie nicht radelnd heimschaffen. Alle Kartons zusammen waren auch so schwer, dass Alice sie nicht mit einer Hand halten konnte. Nach vielen vergeblichen Versuchen, bat sie die Mitarbeiter des Umzugsunternehmens um eine Kordel, mit der sie die Kartons zusammenband. Dann stellte sie das Bündel auf das Rohr zwischen den Rädern ihres Fahrrads. Am Sattel fixierte sie die Kordel, damit das Kistenbündel dort blieb, wo es sein sollte.

So zog Alice schließlich zu Fuss durch Stuttgart und schob ihr bepacktes Rad. Sie konnte kaum lenken und auch nur zu einer Seite schauen. Daher war sie dankbar, dass auf den Straßen nicht mehr soviel Verkehr wie früher war. Als sie sich endlich ihrer Wohnung näherte, war es schon dunkel. Weil nur jede dritte Straßenlaterne leuchtete, fiel Alice der letzte Teil der Strecke besonders schwer. Die Kartons warfen riesige Schatten, sodass Alice teilweise völlig im Dunkel tappen musste.

Schließlich war Alice aber zu Hause und schleppte die Kartons in ihre Wohnung. Einen klappte sie gleich auseinander, um die Größe besser einschätzen zu können. Fix und fertig saß sie anschließend auf ihrem Sofa und begutachtete stolz ihre Beute. Sie kramte den Vertrag mit dem Umzugsunternehmen aus ihrer Tasche, und las ihn noch einmal gründlich durch. Am Tag vor ihrem Umzug würden die Kartons von der Spedition abgeholt und dann zum Güterbahnhof gebracht werden. Dort würden sie mit einem Zug nach Breisingen transportiert werden. Um Kosten zu sparen, hatte Alice nicht den Eiltarif gewählt; daher würde der Vorgang wahrscheinlich mehrere Wochen dauern.

Den Rest ihrer Habseligkeiten sollte eine Entrümplungsfirma abholen und verscherbeln. Die Leute der Umzugsfirma hatten ihr einen Tipp gegeben, welcher Entrümpler seine Sache gut und zuverlässig erledigte.

Blieb noch die Frage, wie Alice selbst nach Breisingen kommen würde.

Züge entgleisten jetzt regelmäßig. Zwar hatte es bei den letzten Unfällen keine Toten mehr gegeben und die Strecke Stuttgart-Karlsruhe galt inzwischen wieder als sicher, doch Alice hatte Angst. Nach ein paar Tagen des Grübelns wurde ihr klar, dass sie diese Angst wohl kaum überwinden können würde.

Immer wieder fiel ihr Achim ein, der mit dem Fahrrad sogar von Norddeutschland in den Süden gefahren war. Sie dachte gerne an Achim. Seine lange Radtour hatte ihr imponiert.

Ob ich das auch schaffen kann, einfach mit dem Fahrrad umzuziehen? Bestimmt schaffe ich die Strecke, aber ob ich sie an einem Tag schaffe? Mit dem Zelt in der Wildnis übernachten ist nichts für mich; da hätte ich Angst vor Überfällen. Und Hotels sind so teuer. Na ja, stimmt eigentlich nicht. So eine Hotelübernachtung könnte ich wohl schon noch finanzieren. Aber es fühlt sich einfach nicht gut an. Ob ich vielleicht vorher irgendwo auf halber Strecke einen Gasthof raussuchen sollte, um vorher zu reservieren? Das wäre wahrscheinlich das Vernünftigste. Aber ich will das nicht. Keine Ahnung warum. Also bleibt nur, die Strecke in einem Rutsch durchzufahren. Dann muss ich aber ganz schön früh losfahren. Ich bin schon ziemlich bescheuert. Mit Übernachtung zwischendrin wäre es so viel bequemer. Noch habe ich ein paar Tage, um es mir zu überlegen.

Die Firma glich von Tag zu Tag mehr einer Geisterstadt. Die Möbel der verwaisten Abteilungen wurden verkauft, ein Insolvenzverwalter kam und nahm die meisten Aktenordner mit. Alice musste sogar um ihre wichtigsten Unterlagen kämpfen, denn immer noch waren einige der Kunden nicht persönlich informiert. Einer der Mitarbeiter der Insolvenzfirma fragte Alice völlig verständnislos, warum sie sich der frustrierenden Mühe unterzog und den Kunden nicht einfach ein Standardschreiben schickte. Alice war versucht, genau dies zu tun, aber dann entschloss sie sich, den persönlichen Stil der Firma bis zum letzten Kunden durchzuhalten. Eine Woche vor Ablauf ihres Arbeitsverhältnisses waren endlich alle Kunden durchtelefoniert. Ein Standardschreiben wurde dennoch an alle verschickt, weil die Absage auch schriftlich vorliegen musste. Aber das erledigte Susanne im Rekordtempo und dann wurden beide nicht mehr gebraucht.

Zum Abschied gingen Susanne und Alice nach ihrem letzten Arbeitstag essen und anschließend in eine Kneipe. Susanne hatte eine kleine Sekretärinnenstelle bei Bekannten ihrer Eltern gefunden. Dort würde sie zwar deutlich weniger verdienen als vorher, stand aber wenigstens nicht auf der Straße. Die Freundschaft zwischen Alice und Susanne war nicht tief genug, um den Abschied besonders schmerzvoll sein zu lassen, doch eine gewisse Wehmut kam auf. Immerhin hatten sie ein paar Jahre lang eng zusammen gearbeitet und waren sich die jeweiligen Lieblingskolleginnen gewesen. In letzter Zeit fühlte sich Alice jedoch mehr mit Annette verbunden als mit Susanne, obwohl sie Annette noch nie gesehen hatte und sie außerdem fast ihre Mutter sein könnte. Aber ihre gegenseitigen Emails vermittelten ein vertrautes Gefühl.

Der Wein floss reichlich an diesem Abend, denn obwohl beide wussten, wo sie hingehen würden, beherrschte der Kummer über den Verlust der Firma die Gefühle. Alice schwankte, als sie sich schließlich auf den Heimweg machte. Daher schob sie ihr Fahrrad lieber und es dauerte Ewigkeiten, bis sie in ihrer Wohnung ankam.

Dort standen die gepackten Kisten vor dem Bücherregal und machten deutlich, dass sich die Zeiten für Alice ändern würden. In ihrer Weinseligkeit konnte Alice endlich die zurückgehaltene Traurigkeit über den Verlust ihrer Arbeit loslassen und so weinte sie bis in die frühen Morgenstunden.

In all den Tränen dachte sie immer wieder an ihre Heimat und nicht nur ihre Eltern erschienen vor ihren Augen, sondern überraschenderweise auch die Bewohner des ehemaligen Hippie-Hofs, vor allem Achim. Sowas Merkwürdiges. Was haben die denn bloß in meinen Gedanken verloren? Vor allem dieser Achim! Den habe ich ja nur einmal gesehen. Das liegt bestimmt daran, dass ich, wie der, mit dem Fahrrad umziehen will. Ganz bestimmt. Und die anderen zeigen mir vielleicht, dass dort, in meiner Heimat, die Hoffnung für die Zukunft liegt. Denn seltsamerweise trösten mich die Gedanken an diese fremden Leute. Eigentlich ist es ja egal, was mich tröstet, Hauptsache ich finde überhaupt Zuversicht. Trotz Traurigkeit freue ich mich auch schon auf die neue Zeit in der alten Heimat. Ich sollte ins Bett gehen. Draußen wird es schon heller.

Gegen Mittag wachte Alice mit einem schweren Kater auf. An diesem Tag schaffte sie fast gar nichts. Aber sie entschied sich, auf ihrer Fahrt nach Hause doch zu übernachten, denn ihr wurde klar, dass eine Fahrt an einem Stück eine höllische Strapaze sein würde. Und das vollkommen unnötig, denn Alice hatte ja keine Eile. Im Netz suchte sie nach einer geeigneten Übernachtungsmöglichkeit und rief dort an, um ein Zimmer zu reservieren. Damit war ihr Umzug vollständig geregelt. Die letzten Tage in Stuttgart verbrachte Alice in einem Zwischenzustand der Gefühle, aber am Schluss siegte die Vorfreude.

Dann war der letzte Tag gekommen. Der Spediteur der Umzugsfirma kam und holte die Kisten ab, der Entrümpler kam und nahm den ganzen Rest mit, außer einer Isomatte, einem Schlafsack und Alices Gepäck, das sie auf dem Fahrrad mitnehmen wollte. Der Vermieter kam und nahm die Wohnung ab, zu Alices Erleichterung ohne an ihrem Zustand rumzumäkeln. Sogar die Schlüssel nahm er mit, sodass Alice ihre Wohnung nur noch einmal verlassen konnte und dann nicht mehr rein kam. Aber das war genau das, was Alice wollte, denn sonst hätte sie am nächsten Tag noch mal beim Vermieter vorbeifahren müssen, um die Schlüssel abzuliefern.

Die Nacht in der leeren Wohnung fühlte sich seltsam an. Sie machte Alice endgültig klar, dass ein Lebensabschnitt zu Ende war.

Am nächsten Morgen war sie froh, die Wohnung vollbepackt zu verlassen und die Tür hinter sich zu schließen. Sie schnallte die Satteltaschen und ihre dicke Reisetasche auf den Gepäckträger ihres Fahrrads und machte sich auf den Weg in ihre Zukunft.

Peakoil Reloaded

Twilight in the Desert. The Coming Saudi Oil Shock and the World Economy
von Matthew R. Simmons

Jenseits des Ölgipfels
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Peakoil Reloaded
Peakoil Reloaded

136 Seiten
ISBN 3-938764-00-7

Preis: 14.80 Euro

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