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Peakoil Reloaded

Kapitel 18


  
Alice fühlte Tag für Tag, wie ihre Firma langsam starb. Es war ein Tod in vielen Etappen, eine frustrierender als die andere.

In einer Woche ließ das Essen in der Kantine schlagartig nach. Zum Frühstück gab es nur noch eine Sorte Brot, vermutlich eine billige, und zum Mittagessen gab es meistens Eintopf oder Spaghetti. Dann wurde die Kaffeesorte ersetzt. Alice fand die neue Billigsorte erträglich, aber viele der anderen jammerten ganztags darüber. Ende Juni wurden alle Mitarbeiter schließlich aufgefordert, sich finanziell am Firmenesssen zu beteiligen. Dabei war die Geschäftsleitung immer so stolz darauf gewesen, dass in ihrer Firma alle Mitarbeiter auf Firmenkosten verköstigt wurden - alles Vergangenheit.

So wie die Essensqualität ließ auch die Stimmung nach. Nur noch mürrische Gesichter sah man auf den Gängen. Die meisten Mitarbeiter hatten kaum noch was zu tun und verbrachten ihre Tage mit unproduktivem Gedümpel. Alice musste nach wie vor die wartenden Kunden vertrösten, aber selbst diese Anrufe wurden weniger. Als Alice in der Verkaufsabteilung nachfragte, woran das lag, gestand man ihr dort, dass die Verkäufer bei ihren Verkaufsgesprächen inzwischen die Lieferprobleme erwähnten. Das hatte einen drastischen Rückgang der Bestellungen zur Folge. Als Begründung für diese Änderung der Taktik erwähnte der Chefverkäufer, dass mehrere Klagen von Kunden eingereicht worden waren. Die Chancen für diese Prozesse sahen schlecht aus, was bedeutete, dass die Firma wahrscheinlich auch noch Entschädigungen würde zahlen müssen.

Mit einem Kloß im Hals verließ Alice die Verkaufsabteilung. Was sag ich den nächsten Kunden bloß? Es ist wichtiger denn je, dass ich sie bei Laune halte. Sie dürfen keinesfalls auch noch klagen. Wann gibt es nur endlich wieder eine Lieferung? Oh bitte, liefer uns Solarzellen!

Ihr Wunsch wurde erhört. Zumindest fühlte es sich für Alice so an. Denn kurz nach ihrem Besuch in der Verkaufsabteilung kam eine kleine Lieferung der organischen Solarzellen und eine Woche später sogar ein Schwung der traditionellen Photovoltaikzellen.

Die Firma war wie im Rausch. Zwar konnte nur ein Bruchteil der Bestellungen abgewickelt werden, aber die Lieferungen erschienen wie ein Hoffnungsstrahl. Der Silberstreif am Horizont. Zumindest hofften fast alle, dass dem so war und dass die Firma sich jetzt wieder erholen würde. Doch Alice spürte und fürchtete, dass diese Lieferungen nur das letzte Aufbäumen in einem aussichtslosen Kampf waren. Sie versuchte zwar tagelang, in die Euphorie ihrer Kollegen einzustimmen, doch sie blieb argwöhnisch. Die hoffnungsvolle Stimmung wollte sich bei Alice einfach nicht einstellen.
Ob es daran liegt, dass ich immer noch so viele Kunden vertrösten muss? Bei meinen Anrufen spüre ich nichts von den beiden Lieferungen. Die verpuffen nur so. Ach, was wäre das schön, wenn ich mich irren würde. Bestimmt irre ich mich. Irgendwann müssen die Produzenten der Solarzellen das doch mal in den Griff bekommen. Ganz bestimmt. Oder auch nicht? Nein, so darfst du gar nicht denken!

Mit ihrem Zweifel behielt Alice jedoch Recht. Die beiden Lieferungen blieben die letzten, die die Firma erhielt.

Eines sonnigen Tages im Juli bat die Firmenleitung zur Vollversammlung. Die Hausbank hatte den Überziehungskredit gekündigt, von einem Tag auf den anderen. Der Firmenvorstand hatte noch einige Tage lang versucht, einen Investor zu finden, aber keiner wollte die angeschlagene Firma haben. Also blieb nur der Weg, die Insolvenz einzugestehen.

In der Vollversammlung wurde allen Mitarbeitern mündlich gekündigt. Entsprechende Schreiben würden folgen.

Die Versammlung glich fortan einem Begräbnis. Viele der Frauen brachen in Tränen aus; den Männern konnte man ansehen, dass sie mit sich rangen, damit ihnen dies nicht passierte. Alice fühlte sich zwar auch nicht wohl in ihrer Haut, doch sie konnte dem Absturz der Gefühle widerstehen. Immerhin war sie keineswegs überrascht von der Wendung der Situation. Stattdessen tröstete sie Susanne und Frau Merkenthal, die schwer mitgenommen schienen.

Statt Verzweiflung erwachte ein Gefühl von Trotz in Alice. Sie würde ihren Weg schon gehen! Von dieser Firmenpleite würde sie sich nicht unterkriegen lassen. Ihren Kolleginnen versuchte sie auch das Gefühl zu vermitteln, dass alles gut werden würde, wenn sie nur aufrichtig wollen würden. Doch diese Mutmachungen versickerten in den allgemeinen Tränen.

Als Alice nach der Versammlung wieder alleine zu Hause war, holte sie die Verzweiflung jedoch hinterrücks ein. Ohne, dass sie sich dagegen wehren konnte, schossen ihr unvermittelt die Tränen aus den Augen. Sie saß an ihrem Schreibtisch und weinte um ihre Firma, um ihre beruflichen Zukunftsaussichten, um ihre Karriere, die bisher so geradlinig verlaufen war. Als Alice klar wurde, dass sie sich diesem Kummer nicht entziehen konnte, gönnte sie sich ein Glas Wein und zelebrierte den Abschied von ihrer Firma, ihrem Zukunftstraum.

Eine Email von Annette brachte sie auf andere Gedanken. Zwar stand nichts Neues in der Email aber Alice fühlte sich einfach weniger alleine. Ich werde mich genauso durchschlagen können wie Annette. Die hat auch keinen sicheren Job und wurschtelt sich trotzdem sehr erfolgreich durchs Leben. So wie sie schreibt, füttert sie sogar noch ein fremdes Kind mit durch - einfach so. Das finde ich echt beachtlich.

In ihrem Gefühlsdurcheinander erzählte Alice Annette von der Insolvenz ihrer Firma und dass sie zum Ende des Monats ihren Job verlieren würde. Allein schon das Schreiben half Alice bei der Bewältigung ihrer Gefühle.

Plötzlich wurde ihr klar, dass sie nicht in Stuttgart bleiben würde. Sie würde zurück zu ihren Eltern gehen. Denn dort hatte sie ein Zimmer und eine Aufgabe. Auch wenn sie dort kein Geld verdienen konnte, so wurde sie wenigstens gebraucht. Beim Anbau des Gemüses hatte sie sogar schon mitgeholfen, also hatte sie auch das Recht, einen Teil davon zu essen. Und viel mehr brauchte sie eigentlich gar nicht.

Das ist die Lösung für mich. Eigentlich habe ich mich hier ja schon länger nicht mehr wohl gefühlt. Fragt sich nur, wie ich mit meinen ganzen Möbeln nach Breisingen komme. Ob Mami und Vater sich wohl freuen werden?

Peakoil Reloaded

Peak Oil
von Jeremy Leggett

Jenseits des Ölgipfels
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Peakoil Reloaded
Peakoil Reloaded

136 Seiten
ISBN 3-938764-00-7

Preis: 14.80 Euro

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