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Peakoil Reloaded

Kapitel 7


  
So viele Mitarbeiter sind wir inzwischen! Beim letzten großen Meeting waren es noch deutlich weniger. Wir vermehren uns ja wie die Karnickel. Alice beobachtete, wie sich der Speisesaal nach und nach füllte, bis er zum Bersten voll war. Die letzten fanden keine Stühle mehr und lehnten sich an die Wände. Als Herr Wohlmuth, der Firmenchef, den Raum betrat, verstummte das allgegenwärtige Gemurmel.

"Sie alle haben wohl schon vom Tod des Leiters unserer Finanzabteilung Meyer gehört. Wir beginnen mit einer Schweigeminute, um Herrn Meyer zu gedenken."

Alle schwiegen. Zappelten. Blickten verstohlen von einem zum anderen. Dann war die Minute um, und Unruhe drohte auszubrechen. Doch vorher begann Herr Wohlmuth wieder zu sprechen.

"Wir haben uns hier zusammengefunden, um die Schwierigkeiten zu lösen, die Herrn Meyer so erschreckt haben. Zuerst die gute Nachricht: Unser Auftragseingang ist nicht nur ungebrochen gut, sondern hat letzten Monat einen erneuten Höhepunkt erreicht. Wenn wir all unsere Kunden zügig beliefern könnten, würden wir in Saus und Braus leben."

"Was für ein Unfug!", "Das können Sie Ihrer Grossmutter erzählen", "Das kann ich ja kaum glauben."

Unruhe ergriff den Raum. Herr Wohlmuth nickte dem Leiter der Verkaufsabteilung zu. Dieser erhob sein elektronisches Steuergerät und ließ eine Kurvengrafik auf der Stirnwand des Raumes erscheinen.

"Tatsächlich haben wir im letzten Monat einen Verkaufsrekord erlebt. Und dieser Monat sieht noch vielversprechender aus. Sehen Sie hier diese beiden Kurven. Die Blaue zeigt die Anzahl der Aufträge und weist steil nach oben. Und die Rote zeigt die Auftragsumsätze - noch steiler. Herr Wohlmuth liegt völlig richtig, wenn er sagt, dass wir in Saus und Braus leben könnten, wenn wir all unsere Kunden beliefern könnten."

Die gleichen Mitarbeiter, die vorher protestiert hatten, klatschten jetzt frenetisch. Sie müssen wohl ihre Emotionen austoben. Ist ja fast peinlich, wie sie ihr Fähnchen nach dem Wind hängen. Na ja, sie haben wohl schlichtweg Angst um ihren Job. Geht mir ja genauso.

"Leider", ergriff Herr Wohlmuth wieder das Wort, "können wir zur Zeit nicht in dem Maße liefern, wie wir und unsere Kunden wünschen. Das liegt daran, dass weltweit zu wenig Fotovoltaikzellen produziert werden. Daher haben wir einen gewissen Liquiditätsengpass, denn nicht belieferte Kunden zahlen natürlich auch nicht."

"Aber warum werden so wenig Zellen produziert? Das widerspricht doch allen Gesetzen der Marktwirtschaft", empörte sich einer der Mitarbeiter aus der Marketingabteilung.

Herr Wohlmuth forderte einen der Techniker auf, die Zusammenhänge zu erklären. Dieser ließ sich vom Verkaufsleiter das Steuergerät geben und projizierte eine neue Grafik an die Wand.

"Die Balken in der oberen Grafik stellen die Energie dar, die benötigt wird, um eine Fotovoltaik-Zelle zu produzieren. Wie Sie sehen, ist dieser Energiebedarf im Laufe der Jahre gesunken. Das ist sehr erfreulich für uns. Darunter die Grafik zeigt die Ausbeute der Fotovoltaik-Zellen. Wie Sie erkennen können, steigt die Ausbeute stetig an. Auch wieder sehr erfreulich. In der untersten Grafik sehen Sie die Zeitdauer, die eine Fotovoltaikzelle aktiv sein muss, um ihre Produktionsenergie wieder abzugeben. Glücklicherweise sinkt dieser Zeitraum immer weiter ab."

"Alles gut und schön, aber wie erklärt das unser Problem?" wollte ein besonders ungeduldiger Mitarbeiter wissen.

"Dazu wollte ich gerade eben kommen. Obwohl die erforderliche Produktionsenergie inzwischen sehr viel schneller wieder eingefahren wird als vorher, dauert es immer noch mehrere Jahre, bis sich eine Fotovoltaikzelle energetisch amortisiert hat. Da ist der Energieverbrauch unserer Firma noch gar nicht mit einkalkuliert, sondern nur die reine Herstellung. Ist das soweit verständlich?"

"Ja klar, aber warum erhöht man nicht einfach die Preise, dann amortisieren sich die Produktionskosten schneller?"

"Bei dieser Betrachtung geht es nicht um Geld, sondern um Energie. Teurer geworden sind die Zellen sowieso. Der Energiebedarf fragt aber nicht nach Geld. Es wird eifrig nach effektiveren Lösungen geforscht und wie Sie sehen, können wir uns auch schon über erhebliche Verbesserungen freuen. Aber all das führt nicht an der Tatsache vorbei, dass zuerst Energie gebraucht wird, um die Fotovoltaikzellen zu produzieren. Energie, die zur Zeit so knapp ist wie nie zuvor."

"Dann hätten wir vielleicht besser eine Windrad-Firma aufgemacht, oder?"

"Der Energiebedarf zur Windradproduktion ist, relativ gesehen, zwar geringer, aber im Prinzip besteht da genau das gleiche Problem. In Süddeutschland ist Windenergie zudem kaum von Interesse, weil hier zu wenig Wind weht. Dafür scheint hier die Sonne deutlich mehr als im Norden."

"Und wann wird das alles wieder besser?"

"Das wissen wir leider auch nicht. Die Grundsituation wird sich bis auf weiteres wohl nicht ändern. Sind die Zusammenhänge jetzt klar genug geworden?"

Viele Mitarbeiter nickten und es gab keine neuen Zwischenrufe. Die meisten starrten erwartungsvoll auf Herrn Wohlmuth, der dies als Signal nahm, wieder das Wort zu ergreifen.

"Sie fragen sich bestimmt, wie wir als Firma auf diese Situation reagieren wollen."

Zustimmenden Nicken im ganzen Raum.

"Eine Patenlösung mit Gelinggarantie kann ich Ihnen leider nicht anbieten, aber stattdessen mehrere vielversprechende Lösungsansätze. Manche von Ihnen haben bestimmt schon von organischen Solarzellen gehört, die nicht auf Silizium-Basis hergestellt werden. Der Vorteil dieser Zellen ist, dass ihre Produktion weniger Energie verschlingt. Sie produzieren pro Fläche zwar immer noch nicht soviel Strom wie Fotovoltaikzellen, aber dieser Nachteil scheint angesichts ihrer Vorteile immer unwichtiger. Auch bei diesen organischen Solarzellen gibt es Lieferprobleme, aber diese sind wohl geringer als bei der Fotovoltaik. Daher wollen wir sie in unser Programm mit aufnehmen. Wir stehen zudem mit unserer Hausbank in Verhandlungen über einen Kredit, um bei einer der Produktionsfirmen finanziell einzusteigen. Das würde für uns quasi eine Liefergarantie bedeuten."

Tobender Applaus brandete auf. Da sieht man mal, wie wichtig ein Hoffnungsschimmer ist. Nicht eine dieser organischen Solarzellen steht zur Ansicht zur Verfügung, aber alle jubeln. Wie leicht die Menschen doch zu besänftigen sind.

"Wie sieht es denn dann mit unseren Gehältern aus?"

"Gut, dass Sie es ansprechen", hob Herr Wohlmuth an, "darauf wollte ich sowieso noch zu sprechen kommen. Die Gehälter können diesen Monat nicht ganz pünktlich überwiesen werden. Zunächst werden wir nur die Hälfte überweisen. Die andere Hälfte folgt, sobald sich unsere Liquidität erholt hat. Außerdem machen wir Ihnen allen das Angebot, sich den Restbetrag nicht auszahlen zu lassen, sondern damit als stiller Teilhaber in die Firma einzusteigen. Sie würden dadurch Mitinhaber der Firma werden. Dieses Angebot gilt auch für die nächsten Monate. Wenn Sie mit höheren Beträgen als Ihrem Gehalt einsteigen wollen, können wir Ihnen Sonderkonditionen bieten."

Wieder klatschten die meisten Mitarbeiter. Wie leichtgläubig sie alle sind. Ok, das Angebot ist nicht ganz verkehrt. Wenn die Firma sich wieder erholt, könnte man sogar davon profitieren, dass man jetzt quasi auf Gehalt verzichtet, aber ich traue dem Ganzen nicht. Aber was bleibt dem Wohlmuth anderes übrig, als ein wenig Hoffnung zu verbreiten? Lassen wir sie mal alle brav klatschen und sich wieder freuen. Von dem Meyer-Selbstmord müssen wir uns ja auch erstmal erholen.

Peakoil Reloaded

Peak Oil
von Jeremy Leggett

Jenseits des Ölgipfels
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Peakoil Reloaded
Peakoil Reloaded

136 Seiten
ISBN 3-938764-00-7

Preis: 14.80 Euro

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