Home
Romane
Vita
Projekte
News
Impressum

Peakoil Reloaded

Kapitel 25


  
Alice schlug vor, mit dem Fahrrad zu fahren, doch ihre Mutter hatte gar kein Fahrrad. Dann kam der Bus ins Gespräch, aber der brauchte doppelt so lange wie der Zug, war erheblich teurer und fuhr zudem nur zweimal am Tag. Schließlich willigte Alice zögernd ein, den Zug zu nehmen. Auf Dauer kann ich mich dem Zugfahren ja kaum verweigern; dem wichtigsten Verkehrsmittel für weitere Strecken. Und bis nach Freiburg ist es ja eine harmlose kleine Strecke.

Für die Mittagsgäste hatte Alices Mutter einen Eintopf vorbereitet, den Alices Vater an die Gäste ausgeben würde. Gleich nach dem Frühstück brachen die beiden Frauen auf nach Freiburg. Im Zug ergatterten sie Sitzplätze und schon nach kurzer Zeit erreichten sie den Freiburger Bahnhof. Als sie wieder auf festem Boden standen, atmete Alice tief durch und stellte fest, dass sie am ganzen Körper zitterte. Sie tastete nach der Hand ihrer Mutter, die sie sofort in den Arm nahm, als sie merkte, was mit ihrer Tochter los war.

"War es denn so schlimm, meine Kleine?"

"Ne, ach ne, eigentlich nicht. Oh je, jetzt ist mir aber arg seltsam zumute. Aber, .. aber das vergeht bestimmt gleich wieder."

"Lass uns mal hinsetzen. Und da hinten gibt es Kaffee. Soll ich dir einen besorgen?"

"Ja,... bitte. Aber komm gleich wieder."

Die Mutter führte Alice zu einer Bank und eilte dann zu dem Kaffeestand. Nach kurzer Zeit kam sie mit dampfenden Bechern und zwei Croissants zurück. Schon nach wenigen Schlucken kehrten die Lebensgeister zu Alice zurück.

"Das war jetzt aber merkwürdig. Bestimmt war das die Anspannung, die mir gar nicht bewusst war, als wir im Zug saßen."

"Ist schon gut meine kleine Alice. Immerhin bist du jetzt mal wieder mit dem Zug gefahren und alles ist gut gegangen."

"Stimmt. Beim nächsten Mal habe ich bestimmt weniger Angst."

Als Alice ihr Croissant verspeist und den Kaffee vollständig ausgetrunken hatte, fühlte sie sich wieder stabil genug, um in die nächste Straßenbahn zu steigen. Nach der Straßenbahnfahrt mussten sie noch zehn Minuten laufen und dann standen sie vor dem Gesundheitsamt. Das Gebäude sah heruntergekommen aus.

"Kein Wunder, dass sie uns immer soviel Geld abknöpfen. Bestimmt wollen die damit irgendwann ihr Haus renovieren, geben es dann aber immer aus, um all die Ärzte zu bezahlen."

"Wieviel Geld wollen die denn?"

"Ein kleines Vermögen: die Gewinne einer guten Woche. Aber vor Steuern! Das Finanzamt sahnt auch immer mehr ab. Wenn die so weiter machen, strangulieren die noch die ganzen Firmen."

"Das ist aber dumm von denen, denn wer soll den Laden denn dann am Laufen halten?"

"Sag das denen mal! Aber das hören die schon seit Jahren jeden Tag von allen Seiten. Und ignorieren es einfach. Bevor sie zehn neue Formulare und Abgaben erfinden, palavern sie immer viel von Bürokratieabbau. Und dann wird flugs eine neue Behörde für diesen Zweck gegründet. Ich schau mir schon kaum noch die Nachrichten an, weil ich mich sonst zu Tode ärgern würde."

Im ersten Stock mussten die beiden Frauen an einem wackeligen Tisch ein Formular ausfüllen und anschließend fünf Minuten warten. Dann wurden sie nacheinander in ein Untersuchungszimmer gerufen. Dort hörte ein Weißkittel kurz das Herz ab, gab ihnen eine Gebührennotiz mit und entließ sie wieder. Die Gebühren mussten sie an einer Kasse bezahlen. Nach der Zahlung erhielt Alices Mutter einen Stempel in ihren Gesundheitspass und Alice bekam einen frischen Pass mit Stempel. Anschließend fühlten sie sich kräftig ausgeplündert.

"Ich fasse es nicht, was die für einmal kurz Herz abhören und Stempel machen verlangen. Und das alle drei Monate?"

"Du sagst es! Jetzt brauche ich einen Kaffee, um mich wieder zu beruhigen. Hier fehlt ein kleines Bistro mit Kaffee, Schokoladenkuchen und Baldrian-Tabletten, damit man sich besser wieder abregen kann. Leider müssen wir bis in die Innenstadt marschieren, um sowas zu finden."

Am Nordrand der City fanden sie ein verschlafenes Café, in dem sie es sich bequem machten.

"Muss man denn eigentlich keine Stuhlprobe beim Gesundheitsamt abgeben? Ich dachte immer, das sei die wichtigste Untersuchung für Gastronomen."

"Früher, ja früher, da haben die ihre Sache noch ernst genommen und wollten Infektionen verhindern. Aber inzwischen ist das zur reinen Gebührenschneiderei verkommen. Lassen wir es lieber, sonst rege ich mich zu sehr auf und bekomme noch Kopfschmerzen vor lauter Ärger. Freuen wir uns lieber, dass wir es mal wieder hinter uns haben. Zur Zeit läuft das Geschäft auch so gut, dass uns die Kosten nicht allzu sehr wehtun."

"Stimmt, wir sollten uns freuen, Mami. Es ist so ein schöner Sommertag und nicht mal so schrecklich heiß. Haben wir in Freiburg eigentlich noch was anderes zu erledigen oder können wir gleich wieder nach Hause fahren?"

"Wenn du hier nichts unternehmen willst, können wir von mir aus direkt wieder nach Breisingen fahren."

"Ok, dann lieber gleich heimwärts. Im Garten gibts auch noch genug zu tun. Was mir gerade einfällt: Was ist eigentlich aus dem Solarmodul geworden, das ich euch mal besorgt habe."

"Oh, das! Das wurde beim letzten großen Sturm vom Dach geweht und ist seitdem kaputt. Wir haben es in den Schuppen gestellt."

"Wie schade! Ich glaube, ich schaue mir das mal an. Die Zellen arbeiten normalerweise auch noch, wenn ein Stückchen abgebrochen ist."

"Aber das Glas ist grossflächig zerbrochen."

"Das macht nicht soviel aus, denn das ist ja nur Glas. Teuer sind vor allem die Siliziumplatten. Das Glas dient nur dem Schutz. Zur Not können wir das mit ein paar alten Fensterglasscheiben ersetzen."

"Wenn du das wieder hinkriegst, wäre das ne tolle Sache, denn dann könnten wir bei den Stromkosten etwas sparen. Die haben ja so gewaltig aufgeschlagen, dabei wird der Strom gar nicht mit Erdöl produziert, habe ich gehört."

"Ne, hier in Baden-Württemberg wird er großteils immer noch mit Atom- und Wasserkraft erzeugt. Aber sie finden immer gute Argumente, warum alle Energien teurer geworden sind: erhöhte Rohstoffpreise, gestiegene Transportkosten und natürlich vermehrter Bedarf. Die Solarzellen sind im Preis ja auch enorm gestiegen und trotzdem kamen wir mit dem Liefern nicht hinterher."

"So, ich bin hier fertig und du anscheinend auch. Lass uns heimfahren."

Die Rückfahrt mit dem Zug fiel Alice erheblich leichter. Beim Einsteigen dachte sie zwar kurz mit mulmigem Gefühl an ihren Zitteranfall nach der letzten Fahrt, doch dann atmete sie tief durch und stieg ein. Während der Fahrt ertappte sie sich ein paar Mal dabei, dass sie die Luft anhielt und atmete dann ein paar Atemzüge bewusst ein und aus. Wahrscheinlich war es vorhin das Luftanhalten. Aber diesmal geht es einigermaßen. Das ist schon praktisch, wenn ich wieder Zug fahren kann.

Zuhause angekommen eilte Alice gleich in den Schuppen, um nach dem Solarmodul zu sehen. Wie angekündigt war das Glas zum großen Teil zerbrochen oder wenigstens angebrochen. Bei den Solarzellen waren teilweise die Ecken abgesplittert und die Verkabelung war abgerissen. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte wuchtete Alice das Modul auf den Hof, wo sie es auf zwei alten Ölfässern abstützte, damit es schräg in Richtung Sonne stand.

Stirnrunzelnd betrachtete sie die Kabel. Eigentlich müsste ich das doch hinkriegen, schließlich habe ich es oft genug gesehen in unserer Firma. Und es schien immer ganz einfach. Wenigstens um auszuprobieren, ob es überhaupt noch funktioniert. Mal im Keller schauen, ob die Technik noch an Ort und Stelle ist. Dann muss ich Vater nicht damit belämmern und kann ihn überraschen.

Alice ging in den Keller und fand den Wechselrichter und die Akkus so vor, wie sie am Tag der Installation aufgebaut worden waren. Ob die Akkus noch funktionieren? Nach so langer Zeit, ohne geladen zu werden? Wir werden sehen. Immerhin sind es teure Spezialakkus. Die sollten das aushalten.

Zurück auf dem Hof verband Alice die Zellen, die am besten erhalten waren, mithilfe der Steckverbindungen an die Kabel. Dann lief sie wieder in den Keller und siehe da: der Strom floss.

Vor lauter Freude führte Alice einen kleinen Indianertanz auf, dann eilte sie wieder nach oben, um noch mehr Zellen anzuschließen.

"Na, schöne Frau. Heute ganz die Technikerin?"

Alice schaute auf und sah Achim, der grinsend vor ihr stand und anerkennend nickte.

"Äh ja, ich versuche, das alte Solarmodul wieder zum Laufen zu bringen. Ist beim Sturm vom Dach geweht worden."

"Sieht man ihm auch an."

"Das Glas muss ich wohl ersetzen, aber im Prinzip funktioniert es und das ist schließlich das Wichtigste. Am schwierigsten wird es wohl, es wieder aufs Dach zu hieven. Das kann ich meinem Vater wohl kaum zumuten."

"Wenn wir mal die Biogasanlage am Laufen haben, könnte ich dabei vielleicht helfen. Aber zur Zeit bin ich voll eingespannt und komme zu nix anderem."

"Das wäre ja prima. Zur Zeit funktioniert es auch hier im Hof halbwegs gut. Außerdem muss ich erstmal das Glas erneuern."

"Jo, ich werd dann mal wieder. Bin nur grad vorbeigekommen und sah dich hier werkeln. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen."

"Gute Fahrt! Und viel Erfolg mit der Biogasanlage!"

"Danke! Gute Wünsche können wir dringend gebrauchen."

Jetzt zitter ich schon wieder. Aber diesmal liegt es nicht am Zugfahren. Bestimmt an der Aufregung über die Solaranlage, die ich selbst wieder hingekriegt habe. So, jetzt stell ich Vater meine Arbeit vor und dann gehts ab in den Garten. Der wartet bestimmt schon ganz sehnsüchtig auf mich.

Peakoil Reloaded

The Party's Over
von Richard Heinberg

Jenseits des Ölgipfels
< <   > >

1  2  3  4  5  6  7  8  9  10  11  12  13  14  15  16  17  18  19  20  21  22  23  24  25  26  27  28  29  30  31  32  33  34  35 

Peakoil Reloaded
Peakoil Reloaded

136 Seiten
ISBN 3-938764-00-7

Preis: 14.80 Euro

Bestellen...