Home
Romane
Vita
Projekte
News
Impressum

Peakoil Reloaded

Kapitel 13


  
Alices Mutter hatte ausgiebig gekocht und der Vater holte zur Feier des Tages sogar einen Sekt aus dem Keller. Alice selbst war diese Aufregung eher suspekt, aber sie genoss es dennoch sehr, geborgen zu Hause zu sein und sich keine Sorgen mehr machen zu müssen. Das Essen war lecker, wie immer, wenn ihre Mutter gekocht hatte und der köstliche Sekt kam vom Weingut eines entfernten Verwandten.

Nebenbei lief die ganze Zeit der Fernseher. Auf mindestens einem der zahlreichen Kanäle kam immer eine Sondersendung oder Kurzbericht zum Zugunglück. Immer wieder wurde auch die kurze Aufnahme mit Alice gesendet. Gnädigerweise hatten sie ihr "Scheiße" gelöscht, sodass die Szene weniger peinlich war. Auf den meisten Sendern wurde sie aber rührselig aufgebauscht. Gegen Abend war auch der Verletzte gefilmt worden, der inzwischen wieder bei Bewusstsein war, Alices Strumpfhose hoch hielt und seiner Retterin dankte. Alice lief jedes Mal rot an, wenn diese Szenen gezeigt wurden. Sie beschloss, offiziell verschollen zu bleiben. Schließlich hatte sie nichts Verbotenes getan und musste sich daher auch nicht den Behörden stellen.

Immerhin half ihre öffentliche Heiligsprechung gegen das nagende Schuldgefühl, weil sie den Verletzten vor dem Unfall vom Sitz vertrieben hatte. Zwar war es ihr gutes Recht gewesen, aber das allein half nicht, um sich mit der Tatsache anzufreunden. Ihre vermeintlich engelsgleiche Heldentat setzte jedoch einen ausreichenden Kontrapunkt für ihre Gefühle.

Die Frage nach der Ursache des Unfalls gewann im Laufe des Abends immer mehr an Bedeutung. Sachlich klingende Experten mutmaßten Materialermüdung im Gleisbett oder eine Störung der Signalanlage. Andere munkelten von menschlichem Versagen oder gar einem Terroranschlag. Aber keine Terrorgruppe bekannte sich zu dieser Tat, also war diese Variante eher unwahrscheinlich. Alice fragte sich zur Idee mit dem menschlichen Versagen, wie ein Zugführer auf kerzengerader Strecke einen solchen Unfall bauen könnte. Für einen Schaden am Gleisbett sprach, dass der Zug ohne Vorwarnung entgleist war. Außerdem behaupteten einige Fachleute, dass die Gleise in den letzten Jahren zu selten gewartet worden seien - deutschlandweit. Das führte zu der bangen Frage, ob Zugfahren noch sicher genug war. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass die Chefs der Bahn immer wieder andere mögliche Gründe erwähnen. Sie grausen sich vor der Möglichkeit, dass auf allen Strecken solche Unfälle drohen.

Alice war zwar sehr interessiert an der Berichterstattung ihrer Erlebnisse und sie halfen ihr auch bei der Bewältigung, aber schon lange vor ihrer üblichen Bettgehzeit war sie so übervoll mit dem Thema Zugunglück, dass sie nichts mehr davon hören wollte. Sie ging kurz an die frische Luft, verabschiedete sich dann von ihren Eltern und legte sich ins Bett. Doch gelang es ihr nicht, bald einzuschlafen, obwohl sie sich wie gerädert fühlte. Zuviel war geschehen. Immer wenn sie langsam einnickte, schreckte sie wieder auf und dachte, sie würde gleich durch den Raum geschleudert werden. Später wurde sie von Alpträumen heimgesucht.

Am Morgen erwachte Alice schweißgebadet. Sie schlich in die Dusche, um zu vermeiden, dass ihre Eltern sie so sahen. Jeder Schritt brannte an ihren Fußsohlen. So fühlt man sich also als Unverletzter nach einem Zugunglück. Einer derjenigen, die Glück gehabt haben. Wie mag es da den Verletzten gehen? Die über hundert Toten fühlen ja wohl gar nichts mehr.

Siedendheiß fiel Alice ein, dass sie ganz vergessen hatte, in ihrer Firma anzurufen und bekannt zu geben, dass sie unverletzt geblieben war. Bestimmt hatten ihre Mitarbeiter sie erkannt und waren voller Sorge, weil sie als verschollen galt. Nach dem Frühstück, bei dem ihre Mutter sie mit Ei, selbstgemachter Erdbeermarmelade und frischem Brot verwöhnte, rief Alice gleich bei Susanne an, die tatsächlich voller Sorge war.

"Das ist ja mal wieder typisch für dich: marschierst einfach los, ohne dich zu erkundigen, ob ihr gefahren werdet. Die Zeiten sind zwar schlecht, aber wir leben immer noch nicht in der dritten Welt, wo man nach einem Zugunglück zu Fuß weiterkommen muss."

"Manchmal denke ich schon, dass wir inzwischen in einem Entwicklungsland leben. Aber in diesem Fall habe ich mich wohl geirrt. Die Wanderung war allerdings gar nicht so schlecht. Und wer weiß? Wahrscheinlich hätten sie mich am Unfallort noch stundenlang interviewt in ihrer Gier nach rührseligen Geschichten."

"Stimmt auch wieder. Ich muss jetzt dringend an die Arbeit. Erhol dich gut! Morgen fahre ich auch in Urlaub und freu mich schon darauf."

"Viel Spaß im Urlaub!"

So, das wäre erledigt. Was fange ich jetzt mit dem Rest des Tages an? Ich versuche es mal mit Umgraben. Da werden schließlich andere Körperteile strapaziert als die Fußsohlen. Alice Vater war skeptisch, ob sie in der Lage sein würde umzugraben, doch man konnte durchhören, dass er sich über Hilfe beim Kartoffelacker freuen würde. Auch im Gemüsegarten gab es viel zu tun. Die ersten Gemüse sprießten schon und warteten aufs Unkrautjäten.

Solange ihr Rücken mitmachte, half Alice also bei der Gartenarbeit und war froh darüber, etwas Sinnvolles zu tun zu haben. Das verdrängte die immer wieder hochkommenden Gedanken an den Zugunfall. Nach dem Mittagessen schaute sie eine Sondersendung im Fernsehen. Dort wurde berichtet, dass sich die Hinweise auf ein marodes Gleisbett verdichteten. Sie zeigten Filmausschnitte von anderen Stellen, wo der tragende Schotter teilweise weggespült war. Die Gleise hingen frei in der Luft. Außerdem konnte man viele leicht leicht gekrümmte Schienen bewundern. Offensichtlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, wann es zu einem schweren Zugunglück kommen würde. Weitere Unfälle dieser Art waren zu befürchten.

Die Verantwortlichen klagten über Stahlmangel, gekürzte Mittel, zu wenig Personal, Energiemangel und Überlastung der Gleise durch erhöhtes Güterverkehraufkommen. Für den Stahl fehlte anscheinend vor allem der Koks, den man selbst für teures Geld kaum noch importieren konnte, weil er weltweit knapp war. Das gab den Managern der Bahn eine passende Gelegenheit, den Politikern den schwarzen Peter zu zu schieben, die es in früheren Jahren versäumt hatten, sich rechtzeitig um die Energieversorgung des Landes zu kümmern.

Nach einer Weile war Alice die ewigen Litaneien leid und ging wieder in den Garten. Als ihr Rücken zu sehr schmerzte, ging sie in den Tankstellenladen, um dort ihre Mutter zu vertreten. Doch dort hatte sie so wenig zu tun, dass die Erinnerung an das Unglück sie heimsuchte. Also las sie Zeitschriften, die glücklicherweise noch nichts von dem Zugunglück wussten. Das half ein wenig.

So vergingen die nächsten Tage: nachts quälende Alpträume, tagsüber Gartenarbeit und Langeweile in der Tankstelle. Karfreitag war schlimm, denn an diesem Tag durfte man in dieser Gegend auf keinen Fall im Garten arbeiten, sonst wäre man als Ausgeburt Satans betrachtet worden. Die neuen Zeitschriften hatten durchweg Sonderberichte über den Unfall. Alice schwankte, ob sie diese Berichte überblättern oder lesen sollte. Sie entscheid sich dafür, sie zu lesen, denn sie erhoffte sich davon eine innere Verarbeitung der Ereignisse. Außerdem war sie neugierig, was anderen Reisenden geschehen war. Immerhin waren zwei Waggons richtig entgleist und umgefallen. In diesen Waggons hatte es auch die Toten gegeben. Ihr eigener Wagen und die nachfolgenden waren vergleichsweise harmlos davongekommen.

Ausnahmsweise ging Alice mit ihren Eltern in die Kirche und zündete sogar eine Kerze an, als sich Gelegenheit dazu bot. Im Gottesdienst sah sie hauptsächlich die üblichen alten Tanten, doch auch eine aufrecht wirkende unbekannte Frau in ihrem Alter.

Alices Mutter stieß ihre Tochter vorsichtig an und flüsterte ihr zu: "Das ist die Frau von dem jungen Mann, den du beim letzten Mal kennengelernt hast. Die aus dem Norden, die den Wagner-Hof übernommen haben. Anscheinend ist die junge Frau eine brave Christin."

"Aha!" flüsterte Alice zurück und schielte etwas ausgiebiger zu der Neuen rüber. Sieht eigentlich ganz nett aus. Als wüsste sie, was sie wollte. Aber ausgelaugt. Bestimmt haben die übelst viel Arbeit auf ihrem Hof. Wir haben ja schon mit unserem Garten genug zu tun. Vielleicht lerne ich sie ja mal kennen, wenn sich Gelegenheit dazu ergibt.

Am Ostersonntag hatten Alice und ihre Mutter alle Hände voll zu tun, denn sie wollten für den Verkauf in der Tankstelle Ostergebäck produzieren. Vor den Laden stellten sie ein großes Schild, das Alice beschriftet hatte. Die Idee erwies sich als gut, denn tatsächlich kamen Kunden und kauften die duftenden Kuchen, Kränze und Lämmer. Auch am Ostersonntag buken die beiden Frauen gleich nach dem Gottesdienst wieder große Mengen Gebäck, das ihnen förmlich aus den Händen gerissen wurde. Sie machten das Geschäft des bisherigen Jahres. Alices Mutter strahlte und bekam vor lauter Freude rote Wangen. Doch als das Mehl ausging, konnte man ihr das Entsetzen ansehen.

Alice lief kurzentschlossen zu den Nachbarn, brachte ihnen kleine Schokoladeneier und bat um Mehl, das sie selbstverständlich auch bezahlen wollte. Sie hatte Glück, denn die meisten Nachbarn hatten sie im Fernsehen gesehen, waren sich aber nicht sicher gewesen, wie sie damit umgehen sollten. So ergriffen sie die Gelegenheit und versorgten Alice nicht nur mit Mehl und anderen Backzutaten, sondern auch mit besonders leckeren Ostersüßigkeiten. Natürlich musste Alice auch kurz vom Zugunglück erzählen, aber sie durfte bald weiterziehen, denn jeder sah ein, dass sie jetzt viel zu tun hatte. Damit die Nachbarn auch etwas von ihren großzügigen Gaben hatten, lud Alice sie zum Kuchenessen am Nachmittag ein, was alle gerne annahmen.

Als Alice mit ihren schwer gefüllten Körben wieder nach Hause kam, kehrte das Strahlen in das Gesicht ihrer Mutter zurück. Gemeinsam buken sie weiter und der Vater verkaufte das Gebäck in der Tankstelle. Später kamen die eingeladenen Nachbarn und brachten Wein aus eigener Produktion und weitere Backzutaten mit. Sie saßen auf den schnell aufgebauten Bierbänken und es entwickelte sich zu einem richtigen kleinen Nachbarschaftsfest. Selbst Alices Vater lächelte breit, nicht nur wegen der guten Geschäfte, sondern auch, weil die Nachbarn ihren Groll wegen des fehlenden Treibstoffes wohl zur Seite gelegt hatten.

Peakoil Reloaded

Wenn der Wüste das Öl ausgeht. Der kommende Ölschock in Saudi-Arabien - Chancen und Risiken
von Matthew R. Simmons

Jenseits des Ölgipfels
< <   > >

1  2  3  4  5  6  7  8  9  10  11  12  13  14  15  16  17  18  19  20  21  22  23  24  25  26  27  28  29  30  31  32  33  34  35 

Peakoil Reloaded
Peakoil Reloaded

136 Seiten
ISBN 3-938764-00-7

Preis: 14.80 Euro

Bestellen...