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Peakoil Reloaded

Kapitel 29


  
"Warum kommen hier wohl keine der gefürchteten Plünderer hin?" fragte Alice ihren Vater, als sie gerade an mit den letzten Mauerarbeiten beschäftigt waren.

"Bisher sind keine gekommen, aber ob das so bleibt, wissen wir noch nicht. Ich könnte mir aber vorstellen, dass die jungen Leute, die diese Banden bilden, einfach zu faul sind, sich weit von der Stadt weg zu bewegen."

"Leuchtet ein. Die Gruppen, von denen im Fernsehen berichtet wird, wenn es wieder so einen Überfall gab, bestehen fast immer nur aus Jungvolk. Städtischem Jungvolk, das vermutlich aus den Stadtteilen der Unterschicht kommt."

"Genau, Großstadtbanden, die aus Langeweile mal einen Ausflug aufs Land machen. Aber zu Fuß kommen sie nicht weit und für ihre Fahrzeuge fehlt der Kraftstoff. Aber sicher können wir hier trotzdem nicht sein, darum ist es gut, dass wir jetzt eine ordentliche Mauer haben."

Statt Plünderern kam wenige Tage später ein weiterer Behördenmensch. Er kam vom Landes-Vermögensamt, einem Amt, von dem weder Alice noch ihre Eltern bisher gehört hatten. Im Gegensatz zu dem schrecklichen Herrn Storzig war er jedoch höflich, schaute sich auf dem Grundstück um, notierte einiges und verschwand dann wieder.

Nicht lange danach drängten sich im Tankstellenladen plötzlich Kunden, die man dort seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Alice kannte einige der Leute von der Armenspeisung auf dem Trautmannhof, andere waren ihr völlig unbekannt. Sie kauften wie besessen. Schon nach wenigen Stunden war die Hälfte der Ladenregale leer. Alice erkundigte sich bei einer Bekannten, woher sie plötzlich soviel Geld hatte.

"Vom Bürgeramt. Arbeitslosenknete. Echt ne tolle Sache! Die haben wohl eingesehen, dass das mit ihren Lebensmittelzuteilungen nicht funktioniert. Und jetzt gibt's wieder Geld. Damit wollen die bestimmt die Wirtschaft ankurbeln."

"Sieht so aus."

Gegen Mittag waren sie fast ausverkauft und Alice fragte ihre Mutter, ob sie aus dem Keller Nachschub holen sollte.

"Mach mal langsam!" entschied Alices Mutter. "Wir haben ja nicht unbegrenzt viele Vorräte und bekommen sie auch nicht nach. Außerdem fühlt sich das hier irgendwie merkwürdig an."

"Finde ich auch, da stimmt was nicht. Die ganze Zeit schon frage ich mich, woher der Staat plötzlich soviel Geld hat."

"Die meisten der Kunden haben neue Scheine. Das ist zwar nichts besonderes, aber auch nicht normal."

"Sehr merkwürdig das alles. Aber wo wir schon soviel Bargeld in der Kasse haben, sollten wir vielleicht versuchen, ob wir endlich genug Stacheldraht im Baumarkt bekommen können. Ob ich Vater mal danach fragen soll?"

"Ja Mädchen, mach das mal. Aber komm dann bitte gleich wieder, damit wir hier dem Ansturm Herr werden. Einen Eintopf könnten wir ja auch nachkochen, damit die Kunden wenigstens irgendwas kaufen können. Und vielleicht noch ein oder zwei Kuchen, die sind besonders gut weggegangen."

"Alles klar."

Alice fand ihren Vater bei der Reinigung der ausverkauften Zapfanlage. Seit dem Wintereinbruch gab es nur noch selten Lieferungen aus der Biogasanlage, aber das war wohl normal, weil im Winter kaum Grünmasse wuchs. Daher wurde die Biogasanlage zur Zeit nur mit Kuhdung betrieben und das ergab keine großen Mengen.

Der Vater war auch sehr skeptisch angesichts des Käuferansturms, aber er hielt es für eine gute Idee, das eingenommene Geld im Baumarkt zu investieren. Der Baumarkt lag gleich um die Ecke, aber um die Einkäufe transportieren zu können, nahm Alices Vater seinen Kombi.

Sobald ihr Vater unterwegs war, eilte Alice wieder zurück in den Laden und half ihrer Mutter, die angewachsene Kundenschlange abzuarbeiten. Danach ebbte der Ansturm etwas ab, was aber nicht daran lag, dass weniger Kunden kaufen wollten, sondern weil die Regale sich zusehens leerten. Alices Mutter eiste sich von der Kasse los und begann, einen zusätzlichen Eintopf zu kochen.

Kaum war der Eintopf fertig, wurde er Alices Mutter förmlich aus den Händen gerissen, so schnell kauften die Kunden die Portionen. Dann kam auch Alices Vater zurück und machte ein sauertöpfisches Gesicht.

"Genau wie hier. Die Leute kaufen wie verrückt und haben den Laden schon fast leergekauft. Stacheldraht gab es natürlich nicht, aber ich habe ein paar Bretter und einige Eimer Farbe ergattert. Die kann man immer gebrauchen."

"Da ist was faul an der Sache", Alices Mutter wiegte ihren Kopf hin und her, als würde sie noch überlegen, ob sie ihn schütteln sollte.

"Gut erkannt!" der alte Herr Hirzler hatte den Laden betreten und die letzten Worte der Mutter gehört.

"Und was?" wollte Alice wissen, denn sie hatte Herrn Hirzler bei den Trautmanns kennen- und schätzen gelernt und war an seinem Urteil interessiert.

"Das verrate ich Ihnen erst, wenn Sie mir vorher die beiden letzten Stücke Kuchen verkaufen."

"Aber gerne doch! Wir backen sowieso gleich nochmal nach", die Mutter griff nach den Kuchenstücken, platzierte sie auf einem Pappteller und wickelte sie fachmännisch in Papier ein. Dann überreichte sie das Päckchen Herrn Hirzler.

"Gut, das hätten wir. Ich sag Ihnen: wir bekommen eine Inflation. Und zwar eine galoppierende."

"Wie kommen Sie denn darauf?"

"Schauen Sie sich doch um. Soviel Geld wie heute gab es schon lange nicht mehr. Bestimmt hat der Staat das einfach gedruckt. Und das bedeutet, dass das Geld nichts mehr wert ist, zumindest deutlich weniger als vorher. Spätestens morgen geht das los mit den Preissteigerungen, Sie werden sehen."

"Und was machen wir da am besten?" fragte Alices Mutter äußerst besorgt.

"Erstmal nur noch langsam verkaufen. Das Geld, das Sie heute einnehmen, ist morgen wahrscheinlich viel weniger wert. Wenn Sie Geld haben, am besten ausgeben, falls Sie noch etwas zu kaufen finden."

"Das habe ich gerade schon versucht, aber der Baumarkt ist auch fast ausverkauft."

"Sehen Sie! Das ist kein gutes Zeichen. Am besten steigen Sie vorerst auf Tauschhandel um, bis sich die Situation wieder beruhigt."

"Tauschhandel? Klingt eigentlich vernünftig. Betreiben wir teilweise sowieso schon. Sprit gegen Wein, Sie wissen schon."

"Sehr gut, so werden Sie bestimmt durchkommen. Ach wissen Sie, das letzte Baguette da in Ihrem Ständer, das hätte ich auch gerne."

Alices Mutter sah auf das Baguette, dann auf Herrn Hirzler und dann wieder auf das Baguette. Man sah, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Am liebsten hätte sie das Baguette wohl behalten, aber dann gab sie sich einen Ruck und steckte das Baguette in eine passende Langtüte. Immerhin hatte Herr Hirzler ihnen die drohende Gefahr erklärt.

Als Herr Hirzler bezahlt und den Laden verlassen hatte, beschlossen Alices Eltern mit einem kurzen geflüsterten Wortwechsel, den Laden vorerst zu schließen, um über die Situation nachdenken zu können. Alices Vater stellte sich an den Eingang und wies die Kunden ab mit dem Hinweis, dass sie ausverkauft seien.

Schließlich verließ der letzte Kunde den Laden. Alices Mutter öffnete die Kasse und starrte entgeistert auf die vielen Scheine, die ihr entgegenquollen.

"Und was machen wir jetzt? Mit diesem ganzen Geld, das morgen vielleicht schon wertlos ist?"

"Gute Frage. Einfach hier liegenlassen ist bestimmt nicht das Richtige", der Vater runzelte sorgenvoll die Stirn.

"Mir fallen zwei Möglichkeiten ein", meldete sich Alice zu Wort.

"Immer heraus damit!"

"Einerseits könnten wir mal bei der Mühle anrufen und fragen, ob die noch etwas liefern können. Denn mit Getreideprodukten liegen wir bestimmt nicht falsch und ich gehe mal davon aus, dass man Einkauf in Supermärkten heute vergessen kann."

"Gute Idee und das Andere?"

"Mit dem restlichen Geld könnte ich zur Bank gehen und versuchen, es so gut wie möglich anzulegen. Gold kaufen, Aktien von Fahrradherstellern oder Produzenten von Biogasanlagen. Sowas in der Art, Hauptsache kein Geld. Vielleicht auch in Schweizer Franken umtauschen. Das müsste ich sowieso mit meinem eigenen Restgeld machen, das noch auf der Bank liegt."

"Das klingt vernünftig. Dann könntest du bei der Gelegenheit auch noch das Geld von unserem Konto anlegen. Aber investier bloß nicht in unseriöse Firmen."

"Bewusst würde ich das natürlich nie machen, aber in der Eile kann ich natürlich nicht gründlich überprüfen, welche Zukunftsaussichten die Firmen habe, von denen ich Aktien kaufe. Am besten streue ich die Investitionen, dann tut es nicht so weh, wenn sich eine Wahl als schlecht herausstellt. Außerdem ist es ja sowieso kein großes Vermögen, sondern nur ein paar letzte Notgroschen."

"Alles klar, ich übernehme den Einkauf bei der Mühle. Gleich kann ich dir sagen, wieviel Geld ich mitnehme", Alices Vater eilte zum Telefon.

"Und ich halte hier die Stellung und bereite ein verspätetes Mittagessen vor, denn wenn ihr wiederkommt seid ihr bestimmt sehr hungrig."

"Au ja, Mami, du bist ein Schatz. So, ich ruf gleich mal bei der Bank an und versuche einen Eiltermin zu bekommen."

Nach kurzer Zeit kam Alices Vater wieder in den Laden und nahm mehrere Bündel Scheine aus der Kasse. "So, der Rest ist für dich", sagte er auffordernd zu Alice und bestieg sein Auto.

Alice nahm den größten Teil des Restgeldes aus der Kasse, küsste ihre Mutter zum Abschied und fuhr mit dem Fahrrad zur Bank. Ihr persönlicher Bankberater hatte ihr einen spontanen Termin gegeben. Als Alice die Bank betrat, staunte sie darüber, dass das möglich gewesen war, denn in der Bank herrschte Hochbetrieb. Ob es daran liegt, dass ich eine mittelgroße Summe anlegen will, wenn man in Kleinstadtmaßstäben denkt, oder daran, dass wir mal gemeinsam die Schulbank gedrückt haben? Hauptsache ich werde ich gleich mein Geld los.

"Willkommen Alice!" sagte der Banker und reichte Alice seine schweißtriefende Hand. Bestimmt hat der heute viel Stress und darum so feuchte Hände. "Leider haben wir heute nicht viel Ruhe, aber ich konnte einen kurzen Termin einschieben. Womit kann ich dir dienen?"

"Ich möchte Bargeld und das Geld von meinem Konto und den Konten meiner Eltern in Sachwerte anlegen."

"Merkwürdig, da bist du heute nicht die Erste. Hier kann ich dir unser Portefeuille vorstellen. Wir bieten einige hochinteressante Fonds an zu sehr günstigen Konditionen."

"Schnickschnack, an Fonds bin ich nicht interessiert. Ich will etwas Handfestes, etwas, das echte Zukunft hat."

Obwohl Alice fest vorgehabt hatte, die Angelegenheit schnell hinter sich zu bringen, zog sich das Gespräch doch etwas hin, bis sie mit ihren Investitionen zufrieden war. Nach geleisteten Unterschriften verabschiedete sie sich und wurde ihr zufriedenes Lächeln gar nicht wieder los, bis sie zuhause eintraf. Auch ihr Vater war schon zurück, den ganzen Kofferraum voller Getreideprodukte.

"Na, was hast du angeschafft? Bei welchen Firmen sind wir jetzt kleine Teilhaber geworden?"

"Ihr werdet staunen! Kommt mal mit raus! Seht ihr dort hinten, hinter unserem Kartoffelacker das übernächste Feld? Das habe ich uns gekauft. Zwei Hektar, spottbillig. Da können wir nächstes Jahr noch viel mehr Kartoffeln anbauen."

"Im Ernst? Keine Aktien? Hm, wenn ich es recht bedenke, dann ist das gar nicht so schlecht. Da wissen wir wenigstens, was wir haben. Nämlich viel Arbeit, aber auch genug zu essen, wenn wir die Arbeit bewältigen. Hast du gut gemacht, meine Tochter!" der Vater klopfte Alice stolz auf die Schulter.

"Ein paar Aktien waren auch noch drin. Die meisten bei einem Fahrradhersteller, wie schon angekündigt."

"Klingt alles sehr solide", fand auch Alices Mutter. "Jetzt gibt es aber erstmal was zum Mittagessen."

"Geld haben wir jetzt natürlich kaum noch. Alles ausgegeben", warnte Alice, aber das schien angesichts der kommenden Wertlosigkeit des Geldes niemanden zu stören.

Nach dem Essen legte sich Alices Mutter eine Weile hin, weil sie vor lauter Aufregung Kopfschmerzen bekommen hatte. Alice und ihr Vater setzen sich zusammen und überlegten, in welcher Form sie am nächsten Tag die Tankstelle wieder aufmachen wollten.

Am Abend konnte man es schon in den Nachrichten hören und am nächsten Morgen stand es in allen Zeitungen, dass in Deutschland die Inflation ausgebrochen war.

Peakoil Reloaded

Twilight in the Desert. The Coming Saudi Oil Shock and the World Economy
von Matthew R. Simmons

Jenseits des Ölgipfels
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Peakoil Reloaded
Peakoil Reloaded

136 Seiten
ISBN 3-938764-00-7

Preis: 14.80 Euro

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