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Peakoil Reloaded

Kapitel 14


  
Nach Ostern fühlte sich Alice wieder besser, denn die Alpträume ließen nach. Stundenweise konnte sie wieder schlafen, ohne ständig aufzuschrecken. Morgens erwachte sie zwar immer noch schweißgebadet aber deutlich erholter als zuvor.

Von Tag zu Tag wurde ihr Rücken stärker. Sie konnte inzwischen erstaunlich große Beetstücke umgraben, ohne dass er ihr weh tat. Doch sie und ihr Vater näherten sich dem Ende des ehemaligen Rasens, sodass Alice dachte, dass sie frisch erworbenen Kräfte gar nicht mehr so dringend brauchen würde. Alices Vater versprach ihr jedoch, dass es noch viel kräftezehrende Arbeit im Garten gab.

Im Gemüsegarten konnte man bereits die ersten Radieschen und jungen Salat ernten. So gut wie dieses Jahr hatten Alice die Radieschen noch nie geschmeckt. Sie konnte gar nicht genug davon bekommen und freute sich schon auf die dicken Rettiche, die heranwuchsen.

Viel zu schnell näherte sich der Mai und damit ihre Abreise nach Stuttgart. Zwei Tage vor der Abfahrt war es mit den erholsamen Nächten vorbei. Alice konnte keine fünf Minuten mehr schlafen, ohne von Zugunglücken heimgesucht zu werden. Nachts musste sie mehrmals das nassgeschwitzte T-Shirt wechseln, um überhaupt weiterschlafen zu können. Einmal kam ihre Mutter besorgt zu Alice ins Zimmer als sie im Schlaf geschrien hatte, so laut, dass die Mutter davon aufgewacht war.

"Mein armes Mädchen! Komm, ich beziehe dir das Bettzeug neu, das ist ja völlig durchweicht. Wie kommt es wohl, dass die Nächte jetzt wieder so schlimm sind? Ich dachte, du könntest wieder besser schlafen."

"Ja, konnte ich auch. Ich glaube, ich habe zuviel Angst vor der Rückfahrt. Der Gedanke an eine Fahrt mit dem Zug erscheint mir grauenvoll. Ich darf gar nicht daran denken, sonst könnte ich sofort losschreien."

"Ach meine Kleine! Das kann ich gut verstehen. Kannst du nicht noch eine Weile hier bleiben? Bis du dich wieder ganz erholt hast von dem Schrecken."

"Da habe ich auch schon dran gedacht. Ein bisschen Urlaub habe ich noch. Aber bestimmt brauchen die mich dringend in der Firma."

"Und wenn du von hier aus ab und zu mit deinen Kunden telefonierst? Das ging doch beim letzten Mal auch ganz prima."

"Stimmt. Das ist eine gute Idee. Ich glaube, ich rufe morgen gleich mal im Büro an, und versuche, was zu erreichen. Funktioniert eigentlich euer Computer noch?"

"Ja, der tut es bestimmt noch. Beim letzten Mal war der völlig in Ordnung. Willst du den dann zum Arbeiten benutzen?"

"Vielleicht für meine Emails, mal sehen. Jetzt gehe ich mir erst mal den Schweiß runterduschen. Glaubst du, Vater kann weiterschlafen, wenn ich mich bemühe, leise zu sein?"

"Bestimmt! Dusch du nur. Ich beziehe so lange dein Bett fertig und dann lasse ich dich wieder schlafen."

"Danke Mami, du bist die Beste!"

Das Duschen tat gut und der Gedanke an eine Verlängerung des Urlaubs tat noch besser. Das erste Mal seit Tagen konnte Alice wieder richtig schlafen. Am nächsten Morgen schlief sie eine Stunde länger als sonst. Ihre Mutter wartete schon mit dem Frühstück auf sie und schien erleichtert über den ausgiebigen Schlaf.

Nach dem Frühstück rief Alice in ihrer Firma an. Ihr Chef war nicht begeistert von der Idee, dass sie noch länger wegbleiben würde, aber er hatte Verständnis für ihre Zugpanik und empfand die Lösung mit den Telefonaten von ihrem Elternhaus aus als akzeptable Lösung. Sie vereinbarten, dass Alice täglich per Email eine Liste mit Kunden erhalten würde, die angerufen werden mussten. Alice sollte diese Kunden überzeugen, dass sie ihre Bestellungen auf die organischen Solarzellen abändern sollten. Das übernahm Alice gerne, denn so konnte sie den Kunden wenigstens eine Alternative bieten. Der Chef schien zuversichtlich, dass die Firma nicht nur die eine größere Lieferung mit den neuen Zellen erhalten, sondern regelmäßig damit versorgt werden würde.

Den Rest des Vormittags war Alice damit beschäftigt, den Computer ihrer Eltern mit aktuellen Programmen zu bestücken und bereit für den Arbeitseinsatz zu machen. Dann ging sie in den Garten, fest entschlossen, ihre letzten echten Urlaubstage voll zu genießen. Die Frühkartoffeln wuchsen schon kräftig und bald würde es Zeit werden, die Kartoffeln für die Haupternte einzupflanzen. Es ist ja fast unheimlich, wie gut mir das Leben bei meinen Eltern gefällt. Eigentlich müsste ich es stinklangweilig finden und mich in die Stadt zurücksehnen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die Stadt finde ich langweilig und auch die Discos haben schon vor Jahren ihren Zauber verloren. Vielleicht fehlt mir dort auch ein echter Freundeskreis. Susanne ist zwar lieb und viele andere ganz nett, aber ich vermisse keinen von denen. Wahrscheinlich bin ich tief drinnen immer ein Landei geblieben.

Ab dem zweiten Mai kamen die Emails aus der Firma und Alice telefonierte mehrere Stunden täglich mit den Kunden. Danach war sie immer froh, aus dem Haus zu treten und über die Rheinebene schauen zu können. Besonders liebte sie den Blick auf den Schwarzwald, dessen Ausläufer sich nur wenige Kilometer entfernt emporschwangen. Wie im Paradies ist es hier. Früher konnte ich die Schönheit der hiesigen Landschaft gar nicht richtig würdigen. Ich dachte wohl, dass es überall so schön sei. Jetzt geh ich erst mal in den Garten und schaue, was über Nacht aufgekeimt ist.

Die Tage vergingen wie im Fluge. Nur selten dachte Alice daran, dass sie irgendwann, spätestens Ende Mai, ihre Furcht vor Zugfahrten überwinden musste, um wieder nach Stuttgart zu fahren. Denn so gut die aktuelle Lösung auch funktionierte, war sie doch kein Dauerzustand. Umso mehr genoss Alice jeden der Frühlingstage.

Zu den Eisheiligen zog termingerecht noch einmal Kälte übers Land. Alice und ihre Eltern hatte alle Hände voll zu tun, die vorgezogenen Pflänzchen ins Haus zu holen und die bereits ausgepflanzten mit Plastikfolien zu schützen. Glücklicherweise kam kein strenger Frost, sondern nur eine kurze Kältephase mit leichten Nachtfrösten. Daher überstanden alle Pflanzen die kritischen Tage ohne Probleme.

Anschließend brach jedoch das Pflanzfieber aus. All die wärmeliebenden Fruchtpflanzen, die vorher in Töpfen auf bessere Zeiten gewartet hatten, wollten endlich ins Freiland und auch die Kartoffeln mussten gesetzt werden. Im Keller hatten die vorbereiteten Saatkartoffeln bereits Triebe gebildet. Damit diese Triebe unbeschädigt blieben, musste man mit den Saatkartoffeln sehr vorsichtig umgehen. Alice und ihr Vater verbrachten mehrere gekrümmte Tage auf dem Kartoffelacker. Danach war Alice sehr froh über ihr vorangegangenes Rückentraining, denn ohne hätte sie die Pflanztage wohl kaum durchgestanden.

Als alle Pflanzen im Boden waren, erlaubte der Garten ein paar ruhige Tage an denen nur gegossen werden musste, denn das Unkraut war schon vor dem Pflanzen entfernt worden und würde mehrere Tage brauchen, um erneut zu sprießen. Alice verbrachte die Nachmittage also bevorzugt in der Tankstelle, um ihrer Mutter Zeit für Hausarbeiten zu geben.

Eines Spätnachmittags saß Alice an der Kasse, über eine Zeitschrift gebeugt, weil mal wieder keine Kunden da waren. Da klingelte die Ladenklingel und kündigte einen Kunden an. Alice blickte auf. Ein schweißüberströmter Mann betrat den Laden und ging auf Alice zu.

"Hallo! Können Sie mir sagen, wie ich nach Eichingen komme?"

"Aber gerne! Sie wollen bestimmt zu dem ehemaligen Wagner-Hof, nicht wahr?"

"Stimmt! Wie kommen Sie darauf?"

"Wegen ihrer Sprache. Die neuen Besitzer klingen so ähnlich wie Sie."

"Wir kommen ja auch alle aus dem Norden. Bestimmt liegt es daran."

"Wollen Sie nicht erst was zu trinken? Sie sehen so aus, als bräuchten Sie Wassernachschub."

"Gute Idee! Was haben Sie denn da?"

"Für den ersten Riesendurst empfehle ich ein Wasser des Hauses - kostenlos. Und dann vielleicht eine Cola?"

"Wunderbar! Immer her mit dem kühlen Nass! Haben Sie vielleicht auch einen Happen zu essen da? Denn ich weiß nicht, ob die in Eichingen schon mit mir rechnen."

"Na klar! Die leckeren Sandwiche sind eine Spezialität meiner Mutter. Sogar mit frischem Gartensalat. Wahlweise als Käse-, Schinken- oder Salamisandwich."

"Klingt alles lecker. Ich nehme ein Salamisandwich."

"Hier erstmal das Wasser. Die anderen Sachen kommen sofort. Dort an dem Stehtisch können Sie es sich bequem machen."

"Aaah, das tut gut, die Kehle zu befeuchten. Ihr Wasserangebot war wirklich eine gute Idee. Gibt es auch nicht überall."

"Seit einer Weile weiß ich, wie hilfreich ein paar Schlucke Wasser sein können. So, hier sind auch die Cola und das Sandwich."

"Wunderbar! Welch Labsal! Sie wissen echt, wie man einen erschöpften Reisenden wieder aufmuntert."

"Das freut mich. Doch das Lob für das Sandwich gebührt meiner Mutter und das für die Cola den unbekannten Erfindern dieses Wundergetränks."

"Und Ihnen das Lob für die Kombination und die aufmunternden Worte. Sagen Sie, kann es sein, dass ich Sie schon mal gesehen habe?"

"Nur wenn Sie schon mal hier gewesen wären. Wissen Sie, ich habe so ein Allerweltsgesicht, dass kann man leicht mal verwechseln", Oh je, der hat mich bestimmt im Fernsehen gesehen. Hoffentlich erinnert er sich nicht.

"Ne, das glaube ich nicht. Aber was solls? Vielleicht habe ich von Ihnen geträumt", ein verschmitztes Grinsen glitt über sein Gesicht.

"Sie Schelm!"

"Wie darf ich Sie denn nennen?"

"Mein Name ist Alice."

"Sehr schön, Alice. Mich können Sie, kannst du Achim nennen."

"Ok, Achim. Duzen ist in Ordnung."

"Na denn Prost."

Achim hob sein Cola-Glas und als Alice das ihre hob, prostete er ihr zu und ein breites Lächeln ließ seine Züge fast attraktiv wirken.

"Wie sind Sie, äh bist du eigentlich vom Norden hier runter gekommen? Ich sehe da draußen nur ein schwer bepacktes Fahrrad."

"Genau. Mit dem Fahrrad bin ich gekommen."

"Die ganze Strecke? Nein!"

"Doch! Hat gut fünf Tage gedauert. Auf ein Zugticket hätte ich drei Wochen warten müssen."

"Sowas Verrücktes! Na ja, ich kenne auch andere, die zu Fuß nach Karlsruhe wandern wollten", Alice konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

"Siehst du, heutzutage muss man eben flexibel sein. Einfach mal mit dem Auto durch die Republik heizen ist Vergangenheit."

"Aber mit dem Fahrrad von Norddeutschland bis hier runter ist echt ne starke Leistung."

"Soll ich dir ein Geheimnis verraten: es hat mächtig Spass gemacht. Lange hatte ich nicht mehr soviel Freude. Und ich hoffe, dass sich die Freude noch steigern wird, wenn ich erstmal auf dem Hof angekommen bin. Ich kenne mich mit dem Landleben zwar nicht aus, aber anpacken kann ich allemal und hier ist es bestimmt besser als in der Großstadt."

"Mir gefällt es hier auf dem Land auch besser als in der City. Leider muss ich bald wieder nach Stuttgart, denn dort ruft mein Job", was bin ich denn heute für eine Plaudertüte? Solche Vertraulichkeiten mit einem völlig Fremden? Na ja, dieser Achin scheint nett zu sein und seine Fahrradtour imponiert mir.

"Gesegnet sind die, die heutzutage noch einen Job ihr Eigen nennen können. Was ist denn das für ein Job?"

"Wir verkaufen Solarzellen."

"Sowas Zukunftsträchtiges? Nicht schlecht. Hut ab!"

"Wenn wir ausreichend liefern könnten, wäre es wirklich ne tolle Sache."

"Aha, Lieferschwierigkeiten, wie überall. Sollte eigentlich nicht wundern. Ist doch ein Jammer, wo solche Solarzellen in diesen Zeiten so dringend gebraucht werden."

"Stimmt. Wie wäre es mit noch einem Sandwich?"

"Eines noch, aber dann muss ich wieder los. Ist es denn noch weit?"

Alice holte ihm schnell ein weiteres Sandwich und freute sich, als er genussvoll hinein biss.

"Eichingen ist ganz in der Nähe. Mit dem Fahrrad gerade mal eine Viertelstunde und bis zum Hippie-Hof, äh, jetzt müsste man wohl Trautmann-Hof sagen, vielleicht insgesamt zwanzig Minuten."

"Das ist ja grad um die Ecke. Dann sind wir ja fast Nachbarn. Aber nein, du gehst ja bald wieder nach Stuttgart, wie schade. Und was hat es mit dem Hippie-Hof auf sich?"

"Früher, als die Wagners den Hof noch bewirtschaftet hatten und als die jung waren, da war der Hof als Hippie-Hof verrufen. Mich hat das in meiner Kindheit immer fasziniert. Aber als die Wagners älter wurden, wurde es dort wohl immer bürgerlicher. Und wie es jetzt ist, weiß ich noch gar nicht. Die Besitzer habe ich nur mal kurz kennengelernt."

"Ich kenne den Jens, also den Herrn, äh, Trautmann heisst der jetzt wohl, recht gut von der gemeinsamen Arbeit", ein unerfindlicher Ausdruck breitete sich auf Achims Gesicht aus, verschwand jedoch gleich wieder. Als ob ihm eine Erinnerung durch den Kopf gegangen war.

Das muss ja eine interessante Arbeit gewesen sein, so wie der gerade geschaut hat. Na ja, das geht mich gar nichts an. Ist aber ein netter Gesprächspartner, dieser Achim.

Das zweite Sandwich verschwand zügig in Achims Bauch und auch die Cola war bald geleert. Er zeigte Unruhe, daher wagte Alice es nicht, ihm weitere Getränke oder Brote aufzuschwätzen, obwohl sie sich gerne noch länger mit ihm unterhalten hätte.

"Also gut, jetzt sollte ich wohl weiter. Wo geht es denn nun nach Eichingen?"

"Das ist ganz einfach: Die Straße weiter geradeaus und bei der ersten Möglichkeit nach links abbiegen. Dann geht es noch einmal nach rechts und dann bist du schon in Eichingen. Hinter dem Ortsschild einfach der Straße nach. Das letzte Haus im Ort ist der Trautmann-Hof."

"Vielen Dank! Es hat hervorragend gemundet. Ich werde dieses Etablissement wärmstens weiterempfehlen. Bis demnächst!"

"Bis bald!"

Achim bezahlte, verließ den Laden und schwang sich wieder auf sein Fahrrad.

Alice schaute ihm hinterher, bis er aus ihrem Blickfeld verschwand.

Peakoil Reloaded

Peak Oil
von Jeremy Leggett

Jenseits des Ölgipfels
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Peakoil Reloaded
Peakoil Reloaded

136 Seiten
ISBN 3-938764-00-7

Preis: 14.80 Euro

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