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Peakoil Reloaded

Kapitel 21


  
Obwohl sie monatelang nicht in Breisingen gewesen war, fühlte sich Alice in ihrem Elternhaus sofort wieder zuhause. Stuttgart schien weit weg - wie ein Traum.

Schon in der Küche, wohin sie ihre Mutter bei der Vorbereitung des Abendessens begleitete, wurde Alice deutlich, dass Erntezeit war. Auf allen Arbeitsflächen türmten sich Zucchinis, Gurken und Tomaten. Zur Mahlzeit gab es daher auch einen großen Tomatensalat, den Alices Mutter schon vorbereitet hatte.

So ein großer Salat war genau das Richtige für Alice nach der langen Hitzetour. Sie nahm sich mehrmals nach und verdrückte außerdem drei Scheiben Brot mit Schinken.

Anschließend erzählte Alice ihren Eltern ausgiebig von ihrer Reise. Im Nachhinein verloren sich die mühsamen Aspekte der Fahrt und sie schien wie ein einziges Vergnügen. Nur Alices Sonnenbrand und ihre Sitzprobleme erinnerten noch daran, dass die Radtour auch strapazenreich gewesen war. Durch die ungewohnte Anstrenung wurde Alice auch früh müde und ging bald ins Bett.

In ihrem Zimmer angekommen, fühlte Alice wie ein massiver Schwung Heimatgefühl über sie hereinströmte. Gleichzeitig mischten sich aber auch Kindheitserinnerungen in die Gefühle und sie beschloss, gleich am nächsten Tag gründlich auszumisten, denn sie fühlte sich zu alt für ihre Hanni und Nanni Bücher und ihre Sammelbildchen von Popstars, die inzwischen längst die Bühne verlassen hatten. Die meisten Jugendstücke würde Alice wohlverpackt in den Keller räumen, denn zum Wegwerfen waren sie ihr zu schade. Dann würde sie die Möbel umstellen und auf ihr Gepäck aus Stuttgart warten, die den Raum dann so verwandeln sollten, dass er ihrem Alter entsprach.

Wie merkwürdig, dass mir die letzten Male nicht aufgefallen ist, was für eine Kinderkruschtbude mein Zimmer ist. Aber da wollte ich ja auch nicht dauerhaft hier wohnen bleiben. Mami hat die ganzen Sachen von mir wohl wie ein Museum gehegt und gepflegt, denn Staub ist ja nirgends zu sehen, auch nicht dort, wo ich die ganzen Figürchen offen stehen hatte. So eine Überfleißige, diese Mami. Wo sie doch soviel im Laden, Garten und bewohnten Haus zu tun hat. Ab jetzt werde ich mich um mein Zimmer selbst kümmern. Auch sonst werde ich wohl genug zu tun haben, von Arbeitslosigkeit keine Spur. Und dann wollte ich mit Vater ja so einen Schefflerspiegel bauen, um die Energiekosten zu senken. Morgen sollte ich gleich mein Notebook ans Telefonnetz anschließen, um Anette schreiben zu können. Aber jetzt erst mal schlafen.

Im Traum kämpfte sich Alice durch den Gemüsegarten, der enorm angewachsen war. Die mannshohen Gurkenpflanzen hingen voller beindicker Früchte und versuchten Alice beim Durchgehen einzufangen und sich um ihren Körper zu ringeln. Alice wehrte sich mit Händen und Füßen und griff nach den Früchten, deren Stiele so dick waren, dass Alice sie mit der Schere kaum abtrennen konnte. Doch schließlich gelang es Alice zwei Gurken zu erobern, was die betroffenen Pflanzen zum Anlass nahmen, ihr die Blätter mit Wucht ins Gesicht zu schlagen. Die Blätter waren so rauh, dass sie fast stachelig wirkten und brannten auf Alices Gesicht. Die Ranken wanden sich um Alices Füße, sodass sie fast gestolpert wäre und ihre Gurken verloren hätte. Aber Alice riss sich los, ihre Arme fest um die Früchte geklammert und entkam aus dem Garten. Auf dem Hof zwischen Haus und Tankstelle standen lauter runde Spiegel, die in der Sonne glänzten. Zwischen den Spiegeln stand Achim und lächelte Alice fröhlich zu. Er versteckte sich hinter einem der Spiegel und kam dann hinter einem anderen wieder zum Vorschein. Alice verspürte den Drang, Achim zu erreichen und zu berühren, doch immer wenn sie ihm nahe kam, verschwand er wieder, um gleich danach woanders wieder aufzutauchen. Alice war gerade kurz davor, Achim endlich zu berühren als sie aufwachte.

Was war denn das für ein merkwürdiger Traum? Die Gurken sind ja noch verständlich. Als ich ankam, habe ich mich ja schon über die riesigen Gurkenpflanzen gewundert, die ich im Vorbeifahren gesehen habe. Und das mit den Spiegeln kann ich auch nachvollziehen, denn kurz vor dem Einschlafen habe ich noch daran gedacht. Aber warum Achim? Bestimmt, weil ich auf der Reise so oft daran gedacht habe, dass er eine noch viel weitere Strecke geschafft hat. Ganz bestimmt liegt es nur daran. Schließlich habe ich den Typen nur einmal gesehen und kenne ich überhaupt nicht.

Alice stand auf und duschte ausgiebig. Dann ging sie in die Küche, um ihrer Mutter bei den letzten Frühstücksvorbereitungen zu helfen.

"Guten Morgen, meine Liebe. Hast du gut geschlafen?"

"Wunderbar, danke!"

"Und hast du was Schönes geträumt? Du weißt ja, der Traum der ersten Nacht geht in Erfüllung."

Alice fühlte, wie sie rot anlief.

"Dann habt ihr aber wirkliche Monstergurken dieses Jahr, wenn dem so ist."

"Monstergurken? In der Tat, die haben wir. Die großen Knüppel hier hast du ja bestimmt schon gesehen. Und wart nur, bis du in den Garten kommst; so groß wie dieses Jahr waren die Pflanzen nur selten. Es ist fast wie ein Urwald."

"Aber sie greifen nicht nach einem, oder?"

"Nur manchmal", sagte Alices Mutter verschmitzt und widmete sich wieder dem Kaffeekochen.

Alice fiel auf, dass ihre Eltern die Kaffeesorte gewechselt hatten. Die Kaffeetüte sah aus wie die Billig-Packungen, die zuletzt in der Kantine ihrer Firma verwendet worden waren. Der Kaffee schmeckte auch genau so. Ob sie sich ihre Leib- und Magensorte vielleicht nicht mehr leisten können? Das wäre aber ein sehr schlechtes Zeichen. Aber ich frag besser nicht gleich, sonst verderbe ich ihnen womöglich den schönen Sonnentag.

Nach dem Frühstück begleitete Alice ihren Vater in den Garten. Erst als sie vor dem Gartentörchen standen, fiel Alice auf, dass es nach oben mit Stacheldraht verlängert und mit einem Schloss gesichert worden war. Ebenso war der Zaun mit Stacheldraht erweitert worden. Ihr Vater holte einen Schlüssel aus der Tasche und schloss das Tor auf.

"Seit wann habt ihr den Garten denn gesichert wie Fort Knox?"

"Seit die Leute zum Plündern kommen."

"Was? Hier wird geplündert?"

"Genau. Viele können sich das teurer werdene Essen in den Läden nicht mehr leisten. Um nicht zu verhungern, holen sie sich das Essen aus den Gärten. Aber sie buddeln unreife Kartoffeln aus, zertrampeln das Zwiebelgrün und rupfen komplette Gurkenpflanzen aus. Das heißt der Schaden, den sie anrichten, ist viel größer als das, was sie am Ende mitnehmen."

"Das ist ja entsetzlich. Und jetzt haben alle Gartenbesitzer Stacheldraht gezogen?"

"Die meisten. Und die hungrigsten der Armen werden von den Leuten auf dem Hippie-Hof verköstigt. Der Staat kümmert sich nicht mehr um die Armen, also müssen Privatleute ran. Und die Kirchengemeinde unterstützt die Armenspeisung in Eichingen, aber selber haben die nix organisiert."

"Echt? Die Neuen kümmern sich um unsere Armen?"

"Tja, da sieht man mal, die Zugezogenen sind recht nützlich. Eine Schande ist es, dass es keiner von uns geregelt kriegt. Aber viele von uns helfen denen in Eichingen wo sie können. Auch wir haben schon Essen gespendet."

"Das finde ich auch richtig so. Schließlich sind es unsere Armen und die Neuen haben bestimmt genug damit zu tun, ihren Hof in Schuss zu bekommen."

"Am besten fragst du deine Mutter, was diese Sache angeht. Die hat sich schon ein paar Mal mit denen getroffen, um zu helfen oder zu spenden."

"Werd ich tun. Aber jetzt gehts erstmal in den Garten. Was gibt es zu tun?"

"Die Zwiebel- und Karottenbeete müssen dringend gejätet werden. Die sind schon völlig überwuchert. Und danach könntest du Gurken, Zucchini und Tomaten ernten."

"Ja genau, Mami will später ja mit mir einmachen. Hier wächst ja alles super üppig."

"Dank der liebevollen Pflege deiner Mutter. Aber die Felder der Bauern liegen großteils brach, weil sie keinen Sprit für ihre Traktoren haben und nicht genug Kunstdünger. Ich sag dir: da erwartet uns ein Debakel im Winter. Es gibt nicht genug zu essen."

"Im Ernst? In Stuttgart gab es ab und zu schon leere Regale in den Supermärkten. Aber ich dachte, auf dem Land wächst alles reichlich."

"Schon. Kleine Flächen, die man von Hand bearbeitet und wenn man Mist zum Düngen hat. Aber die Felder fürs Getreide sehen traurig aus. Zumindest wenn man sich damit auskennt."

"Da fällt mir ein, dass ich unterwegs manchmal gar nicht wusste, was da auf den Feldern wächst. Das war dann wohl Unkraut, oder?"

"Genau! Aber damit wird man kaum die Tiere über den Winter bringen. Die muss man dann schlachten und nächstes Jahr fehlen die dann. Milch wirds auch kaum noch geben. Und Getreidemangel werden wir haben, großen Getreidemangel."

"Kaum zu glauben, wenn man den strotzenden Garten sieht."

"Richtig! Kaum zu glauben. Ich bin nur froh, dass wir im Frühjahr den Kartoffelacker bestellt haben. Dann haben wir im Winter wenigstens Kartoffeln und Gemüse. Und ab und zu ein Kaninchen."

"Dann hat sich das Umgraben ja gelohnt."

"Hat es! Ohne hätten wir Anlass zu großer Sorge im Winter."

"Dann werd ich mich mal um den Garten kümmern. Damit wir möglichst viel ernten können, jetzt wo ihr einen Esser mehr habt."

"Tu das. Ich werde den Zaun beim Kartoffelacker ausbessern."

Alice ging zu den Zwiebelbeeten und rupfte das reichlich sprießende Unkraut aus, das den dünnen Stengeln die Kraft zum Wachsen weg nahm. Schon nach einer Stunde spürte sie ihren Rücken, denn von ihrem Gartentraining im Frühling war nichts mehr übrig geblieben. Doch sie hielt noch eine Weile länger durch, denn es gab wirklich viel zu tun.

Dass die Situation hier auf dem Land so schlecht ist, hätte ich ja nie gedacht. Wie kann in einem zivilisierten Land die Nahrung knapp werden? Nur weil es keinen Treibstoff für die Trecker gibt? Und keinen Dünger? Das kann ich mir kaum vorstellen. Ob irgendein Stadtbewohner weiß, was auf ihn zukommt? Wahrscheinlich ahnen es nur die betroffenen Bauern und selbst die können bestimmt kaum über ihren Tellerrand hinausblicken vor lauter Sorgen. Wir sollten wirklich so viel wie möglich einkochen und keine einzige Zucchini wegwerfen, auch wenn wir jetzt darin fast ertrinken. Das rettet zwar nicht die ganze Bevölkerung, aber vielleicht wenigstens uns.

Peakoil Reloaded

The Party's Over
von Richard Heinberg

Jenseits des Ölgipfels
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Peakoil Reloaded
Peakoil Reloaded

136 Seiten
ISBN 3-938764-00-7

Preis: 14.80 Euro

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