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Peakoil Reloaded

Kapitel 2


  
"Ja, uns steht das Wasser leider bis zum Hals und wir wissen uns keinen Rat mehr, außer dich anzurufen, auch wenn es mir sehr schwer fällt, dich zu belästigen", die Stimme von Alices Mutter klang zitterig.

"Schieß schon los: was ist passiert?"

"Es ist die Stromrechnung. Die Jahresabrechnung war so teuer, dass wir sie nicht bezahlen können. Du weißt ja, unsere Tankstelle läuft miserabel, weil wir nichts zu liefern haben, darum fehlt uns an allen Ecken das Geld. Wir sparen ja schon so gut wie wir können. Aber dass der Strom jetzt auch noch so teuer geworden ist, bricht uns fast das Genick. Stell dir vor: die wollen uns den Strom abstellen, wenn wir nicht bis nächste Woche zahlen. Aber dann stehen die Zapfsäulen still und alles ist aus."

"Ich verstehe. Das klingt ja gar nicht gut. Das kleine Solarmodul, das ich euch letztes Jahr besorgt habe, reicht bestimmt hinten und vorne nicht aus. Ich kann euch was überweisen, denn ich habe noch Ersparnisse auf der Bank."

"Das würdest du für uns tun? Alice, du bist wirklich ein Schatz. Ich wage ja kaum, das anzunehmen."

"Was bleibt dir anderes übrig? Wenn ich mal wieder bei euch bin, schaue ich, ob und wie ihr noch Energie sparen könnt, denn darin bin ich inzwischen Spezialistin geworden."

"Ja, meine Liebe, du hast den richtigen Beruf ergriffen. Wir sind ja so stolz auf dich. Komm doch bald mal wieder zu Besuch!"

"Gerne! Ich werde sehen, was sich machen lässt, aber versprechen kann ich leider nichts."

"Lass es dir gutgehen, mein Schatz. Tschüss!"

"Tschüss Mami und grüß den Vater ganz lieb."

Oh je, das klingt ja nach einer echten Katastrophe bei denen. Normalerweise würden die ja nie anrufen und mich um Hilfe zu bitten. Das ist sonst gar nicht ihr Stil. Wie gequetscht Mamis Stimme geklungen hat. Die stehen wohl kurz vor der Pleite. Und glauben, dass wenigstens ich gut versorgt bin. Wie gut, dass sie nicht wissen, dass wir auch nichts liefern können. Sonst würden sie vor lauter Sorgen wohl umkommen. Ich muss unbedingt mal hinfahren und bei den Eltern nach dem Rechten sehen. Doch zu allererst sollte ich ihnen mal das Geld schicken.

Alice warf ihren Computer an und überwies etwas mehr als die benötigte Summe. Ihre Rücklagen schmolzen spürbar dahin. Doch ein Blick auf den Wert ihrer Anlagen in Öl ließ ihre Laune wieder steigen. Tag für Tag wurden ihre fiktiven Barrel Light-Öl wertvoller. Das ist doch ein schönes Sicherheitspolster in diesen energiearmen Zeiten. Aber wenn es so weiter geht, muss ich wohl bald anfangen, mein kostbares Öl zu verkaufen. Wie schade.

Vor dem Schlafen suchte Alice zähneklappernd nach ihrem Schlafsack. Diese Nacht wollte sie nicht wieder frieren. Dick eingemummelt in drei Schichten Decke lag sie schließlich im Bett und konnte vor lauter Sorgen nicht schlafen, aber wenigstens hatte sie es warm.

Am nächsten Morgen war es draußen wieder klirrend kalt, aber ein Fünkchen Sonnenschein versprach Besserung im Laufe des Tages. Alice zog ihre Handschuhe an und schwang sich auf ihr Fahrrad. In der U-Bahn war es ihr zu voll, seit die Autos kaum noch fuhren. Der Kessel Stuttgart lag unter ihr und erstickte fast im Qualm. Welch ein Gestank von all diesen Kohleheizungen ausgeht. Hoffentlich ist es bald so warm, dass alle ihre Heizung abschalten. Wenigstens muss ich auf meiner Route nicht so tief in die Innenstadt eintauchen, sonst würde es noch schlimmer stinken. Im großen Bogen fuhr Alice durch Nebenstraßen um die halbe Stadt. Als sie endlich ihre Firma erreichte, fühlte sie sich gut durchgewärmt und hungrig genug für ein riesengroßes Frühstück.

Der Aufzug war immer noch kaputt, also erstieg Alice die vier Geschosse zu Fuß auf der Treppe. Der Kaffeeduft erreichte sie schon vor der Kantinentür und ließ ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen. Als ich noch bequem mit der U-Bahn unterwegs gewesen bin, war ich nicht so gefräßig, aber meine tägliche Fitnesstunde auf dem Fahrrad macht sich stark bemerkbar. Ist mir ja schon fast peinlich. Aber die anderen Radler hauen auch gewaltig rein. Also ran an die Stullen.

Das früher so üppige Frühstücksbuffet in der Kantine ihrer Firma war wieder etwas mehr zusammengeschrumpft. Inzwischen sah das Angebot richtiggehend armselig aus, aber immerhin gab es noch genügend Brot und Müsli, um satt zu werden. Schade, dass es kein Nutella mehr gibt, aber die Erdbeermarmelade schmeckt auch ganz passabel.

Nachdem Alice die ersten beiden Brotscheiben verschlungen hatte, setzte sich ihre Kollegin Susanne zu ihr an den Tisch. Auch ihr gut gefülltes Tablett zeugte von kräftigem Hunger.

"Morgen Alice. Das Radeln macht echt immer hungrig. Ich könnte einen ganzen Bären verspeisen."

"Mir gehts ähnlich. Wie gut, dass wir hier Frühstück bekommen, sonst würde ich bis zum Mittagessen wohl nur zittrig und kraftlos in den Seilen hängen. Sag mal: wäre es wohl möglich, dass ich Freitag Urlaub nehme, denn meine Eltern brauchen übers Wochenende meine Hilfe?"

"Du weißt doch, dass du die einzige bist, die so richtig gut vertrösten kann. Ich geb ja zu, in der Auftragsabwicklung habe ich gerade kaum was zu tun, aber bei mir werden die Kunden immer so richtig sauer, wenn ich ihnen absage."

"Stimmt. Wenn ich nur wüsste, was ich anders mache, würde ich es dir ja gerne verraten. Ich hasse diese Vertrösterei genauso wie du, daran kann es also nicht liegen. Wie wär es denn, wenn ich die fälligen Anrufe schon am Donnerstag erledige und schwierige Fälle, die am Freitag reinkommen, könntest du mir dann aufs Handy weiterleiten?"

"Na gut, darauf kann ich mich einlassen. Jetzt musst du natürlich noch einen Urlaubsantrag stellen. Ich drück dir die Daumen."

Mit viel Überredungskraft gelang es Alice, ihren Chef zu überzeugen, ihr frei zu geben. Wie hartnäckig der ist. Dabei habe ich noch haufenweise Resturlaub vom Vorjahr. Der soll sich freuen, dass er mir nicht alles ausbezahlen muss.

Sobald sie ihre wichtigsten Anrufe bewältigt hatte, steuerte Alice im Netz die Fahrkartenreservierung an. Sie gab die gewünschte Zugverbindung ein und klickte auf "Bestellen". Doch anstatt ihr eine Fahrkarte zum Ausdrucken anzuzeigen, stand dort "Alle ICE-Verbindungen ausverkauft!". Frustriert versuchte es Alice mit größeren Regionalzügen, aber auch die waren auf Wochen hinaus ausverkauft. Erst bei den allerlahmsten Bummelzügen hatte Alice mehr Erfolg. Sie konnte ihre bestellte Fahrkarte ausdrucken. Darauf prangte aber unübersehbar "Ohne Platzreservierung". Bestimmt sind diese Züge völlig überfüllt. Na, das kann ja was werden. Und wie lange das dauert! Schrecklich!

Die nächsten Tage zogen sich wie Kaugummi. Immer wieder musste Alice mit Kunden telefonieren, die bitter enttäuscht darüber waren, dass ihre versprochenen Solarzellen nicht geliefert werden konnten. Ich kann es ja gut verstehen, dass sie so sauer sind, denn inzwischen werden die Solarzellen ja dringend benötigt, um den Strombedarf zu decken. Früher wäre das alles nicht so schlimm gewesen, weil Solarenergie mehr einem versponnen Hobby als einem essentiellen Bedarf entsprach. Aber bei den ständigen Stromausfällen und der Leistungslimitierung machen eigene Solarzellen einen riesigen Unterschied.

Am Freitag morgen stand Alice besonders früh auf und machte sich reisefertig. Ihr Fahrrad wollte sie lieber nicht am Bahnhof stehenlassen, daher nahm sie ausnahmsweise mal wieder die U-Bahn. Mit grösster Mühe fand sie in der zweiten U-Bahn einen Platz, eingequetscht zwischen ungepflegten Jugendlichen und Berufstätigen im Anzug. Der Geruch nach Schweiß und Deo war überwältigend. Fast blieb Alice der Atem weg.

Doch die Erfahrung in der U-Bahn war nichts im Vergleich zum Bummelzug. Nur unter Zuhilfenahme ihrer Ellenbogen gelang es Alice überhaupt, in den Zug zu gelangen. Bis zur vierten Station wurde sie heftigst gegen die Tür gedrückt und jedesmal, wenn sich diese öffnete, fast zerquetscht. Dann wurde sie mit den Aussteigenden rausgespült und musste sich erneut einen Platz erkämpfen. Im Laufe der Fahrt wurde sie jedoch ins Innere des Zuges gesogen, wo sie neben einen schmierigen Typen gepresst wurde, der die Gelegenheit nutzte, um sich an ihr zu reiben.

Als Alice umsteigen musste, war sie ganz erleichtert, doch die Hoffnung währte nur kurz, denn der nächste Zug war kein Stück besser als der vorherige. Nur der eklige Mann blieb ihr erspart. Stattdessen stand sie neben einer Frau, die ihr ständig in den Nacken nieste. Immerhin konnte sie auf dieser Strecke aus dem Fenster gucken, denn sie wurde genau in Fensterblickrichtung festgehalten.

Wie immer gefiel Alice das Oberrheintal ausgesprochen gut. Sie liebte es, auf der einen Seite den Schwarzwald zu sehen und auf der anderen Seite das weite Tal. Bei diesem Anblick fühlte sie sich sofort heimisch. Auf einem der Vorhügel des Schwarzwaldes stand ein einsames Windrad, unbeweglich, wegen der herrschenden Windstille.

Schade, dass hier im Süden so wenig Wind weht, sonst hätten wir wohl weniger Energieprobleme. Dass die überhaupt ein Windrad aufgestellt haben, ist eigentlich erstaunlich. Aber es scheint weitgehend nutzlos zu sein und die Geldgeber ärgern sich bestimmt über diese Fehlinvestition. Hätten sie es besser weggelassen, dann wäre auch die Landschaft nicht dadurch verschandelt worden.

In Freiburg musste Alice nochmal umsteigen und kurz darauf näherte sie sich Breisingen, ihrer kleinen Heimatstadt. Am Bahnhof wartete ihr Vater auf sie - zu Fuß - was Alice für ein sehr schlechtes Zeichen hielt, denn ihr Vater war ein leidenschaftlicher Autofahrer.

"Hallo meine Liebe! Wie schön, dass du dir frei nehmen konntest."

"Grüß dich, Vater. Was ist denn mit deiner Stimme passiert? Du klingst so atemlos."

Peakoil Reloaded

The Party's Over
von Richard Heinberg

Jenseits des Ölgipfels
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Peakoil Reloaded
Peakoil Reloaded

136 Seiten
ISBN 3-938764-00-7

Preis: 14.80 Euro

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