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Vollautomatisch

Kapitel 14


  
Das billige Kochen war ein voller Erfolg. Thomas fand das Essen sehr lecker und konnte kaum fassen, wie billig Juliane die Zutaten dafür gekauft hatte. Er bot Juliane an, dass er fortan für die Zutaten aufkommen würde, solange Juliane für beide kochen würde.

Das nenne ich mal eine Win-Win-Situation. Thomas bekommt ein Essen, das er billig findet und das ihm schmeckt. Ich darf eine lohnenswerte Menge kochen und werde auch noch kostenlos satt. Außerdem macht es Spaß, mit Thomas zusammen zu essen.

Die Aktenstapel auf den Schränken schmolzen schneller, als es Juliane recht war, denn die Arbeit bereitete ihr Freude, obwohl die Abtipperei eigentlich eher stupide war. Mit Schaudern dachte Juliane daran, dass auch diese Arbeit bald wieder zu Ende sein würde.

An einem der bisher grauen Herbsttage besiegte die Sonne gegen Mittag die Wolken und putzte den Himmel so lange, bis er leuchtend blau war. Juliane beschloss, zu Fuß nach Hause zu gehen, um das schöne Wetter auszunutzen.

Das flotte Gehen tat gut, nach all den Tagen im Büro. Kurz hinter Thomas' Viertel stieß Juliane auf Bauarbeiten, die einen ganzen Stadtteil umfassten. Juliane stellte sich an den Bauzaun und spähte durch die Lücken. Da wurde nicht nur ein einzelnes Haus gebaut, sondern das ganze Viertel wurde abgerissen und durch neue Häuser ersetzt. Durch energieautarke Häuser natürlich - glitzernde Häuser für Arbeitslose.

Juliane verstand immer noch nicht so ganz, wie es billiger sein konnte, neue Häuser zu bauen als vorhandene Häuser zu nutzen. In dem Stadtteil, der jetzt abgerissen wurde, hatten Schulfreundinnen von Juliane gewohnt und sie war dort oft zu Besuch gewesen.

Durch den Bauzaun konnte sie eine fast hausgroße Maschine sehen, die ganz dicht bei einem der alten Häuser stand. Die Maschine schien das Haus zu fressen. Stück für Stück verschwanden die Mauern des Hauses im Innern der Maschine. Im Innern fanden wohl seltsame Vorgänge statt, denn die Maschine machte einen Höllenlärm und hinten kamen moderne Vielschichtwände heraus.

Diese neuen Wände wurden mit einem kranartigen Gerät sofort zu einer Hausbaustelle in direkter Nachbarschaft gebracht und dort eingebaut. Das neue Haus wuchs genauso schnell, wie das alte Haus schrumpfte.

Kaum Menschen auf dieser Baustelle. Das ist mal wieder typisch: Menschen werden nicht mehr gebraucht. Aber da hinten laufen noch Arbeiter rum. Für Sonderaufgaben werden wohl doch noch Menschen gebraucht. Wir sind also noch nicht komplett überflüssig. Die Typen da hinten haben aber einen merkwürdigen Gang. Überhaupt bewegen die sich recht merkwürdig. Sind das überhaupt Menschen?

Inzwischen war ein älterer Mann neben Juliane am Bauzaun erschienen und schaute, wie sie, nachdenklich ins Innere der Baustelle.

"Können Sie erkennen, ob das dahinten Menschen sind?", fragte Juliane.

"Das sieht man deutlich am Gang, dass das Maschinen sind. Menschen gibt es nicht auf dieser Baustelle."

"Gar keine Menschen mehr? Das sind aber nicht sehr viele."

"Warum soll es der Baubranche anders gehen als anderen Bereichen des Lebens?"

"Da haben Sie auch wieder Recht. Wir Menschen werden ja kaum noch gebraucht - für nix mehr."

"Sie kämpfen wohl auch um ihren Job? In der Hinsicht habe ich es gut, denn ich bin zu alt für normale Arbeit. Trotzdem musste ich hier ausziehen und in einen dieser modernen Klötze ziehen."

"Oh, Sie haben hier gewohnt?"

"Ja, seit ich erwachsen bin. Damals war die Siedlung hier ganz neu. Alle Bewohner waren froh und glücklich, hier eine Wohnung gefunden zu haben. Aber damals waren die Wohnungen auch noch bezahlbar."

"Als Kind habe ich auch oft hier gespielt, denn meine Freundinnen wohnten hier."

"Ja, das war ein gutes Leben in unserem Viertel. Als dann aber die Amis die ganzen Häuser gekauft haben, kurz nach der Jahrtausendwende, war es vorbei mit der Herrlichkeit. Die Mieten wurden drastisch erhöht, um uns Mieter zum Kauf unserer Wohnungen zu nötigen. Die meisten Mieter hatten jedoch nicht genug Geld, um auch nur daran denken zu können, sich eine Immobilie zu leisten. Nach und nach sind diese Mieter dann weggezogen. Ich war einer der wenigen Idioten, die ihre Wohnung zu überhöhten Preisen gekauft haben, was ich heute noch bereue. Denn mit jedem Mitbewohner, der auszog, stiegen die Nebenkosten. Das hat mich und meine Frau fast ruiniert. Im Endeffekt ist sie wohl auch durch die Geldsorgen so früh gestorben. Tja, und jetzt wohne ich in einem dieser Glitzerkästen in einem kleinen Zimmer."

"Das ist ja eine furchtbar traurige Geschichte."

"Durchaus, aber es gab auch gute Zeiten, die wir sehr genossen haben."

"Warum haben die Amis eigentlich die Häuser gekauft?"

"Damals gab es einen Immobilienboom in den USA und Leute mit Geld haben Unsummen in Häuser und Grundstücke gesteckt. Irgendwann gab es dort aber kaum noch Häuser zu kaufen, also sind sie nach Europa gegangen und haben unter anderem in Deutschland ganze Stadtviertel aufgekauft. Die früheren Besitzer haben sich gefreut, denn damals hatten fast alle Geldprobleme. Die Immobilienblase in den USA platzte natürlich irgendwann und der Dollar rutschte in den Keller, dann waren die Häuser plötzlich nichts mehr wert. Dummerweise hatte ich vorher gekauft, als sie noch teuer waren."

"Das wusste ich gar nicht, dass die Amerikaner in Deutschland soviele Häuser gekauft hatten."

"Das will auch keiner so genau wissen. Damals vor allem wir Deutschen nicht, weil wir unsere vermeintlich kostbaren Häuser verscherbelt haben und inzwischen wollen die Amis nichts mehr davon hören, weil sie mit den Häusern starke Verluste eingefahren haben. Dass keiner die Häuser mit schlechter Isolierung haben wollte, haben die Amis nicht berücksichtigt. Jetzt hungern drüben in den USA viele Alte, die ihre Altersversorgung mit unseren Häusern gestalten wollten und von den Anlageberatern über den Tisch gezogen wurden."

"Alte Amis hungern, weil hier die Häuser abgerissen werden?"

"Ja genau. Die Käufer waren Investmentfonds, die das Geld einfacher Amerikaner verschleudert haben. 'Immobilien' klang wohl nach sicherer Geldanlage."

"Wie schrecklich. Im Endeffekt sind es wohl meistens die kleinen Leute, die die Rechnung für die Schnapsideen der Reichen zahlen."

"Richtig. Mit dem Unterschied, dass ich wenigstens eine Entschädigung für meine Wohnung bekommen habe. Daher kann ich jetzt ohne Sorge eine neue, wenn auch winzige, Wohnung bewohnen. Die amerikanischen Kleinanleger sitzen jetzt teilweise auf der Straße und hungern im wahrsten Sinne des Wortes."

"Leider muss ich weiter. War nett sich mit Ihnen zu unterhalten. Alles Gute wünsche ich Ihnen."

"Ihnen auch junge Frau. Lange nicht so eine interessante Gesprächspartnerin gehabt. Lassen Sie es sich gut gehen."

Nachdenklich ging Juliane nach Hause. Das gefällt mir ja alles überhaupt nicht. Baustellen ohne menschliche Bauarbeiter und betrogene Kleinanleger. Dabei dachte ich, wenn man es erstmal geschafft hat, Geld anzulegen, kann einem nicht mehr viel passieren. Aber das ist offensichtlich ein Irrtum.

Am nächsten Tag hatte Thomas einen Termin mit einer Mandantin. Das war anscheinend inzwischen ein seltenes Ereignis, denn Thomas wirkte nervös und wuselte aufräumend durch das Büro. Juliane setzte sich mit ihrem Aktenstapel in die Rezeption und spielte Rechtsanwaltsgehilfin. Als die Mandantin eintraf, bat Juliane sie mit honigsüßer Stimme Platz zu nehmen und ein paar Minuten zu warten. Thomas war der Ansicht gewesen, dass eine gewisse Wartezeit den Wert der Rechtsberatung erhöhen würde. Nicht etwa, dass die Mandantin viel bezahlen würde; soweit Juliane wusste war, sie eine arme Rentnerin dicht an der Grenze zum Sozialfall. Und genau um diese Problematik ging es wohl auch.

Während die Mandantin bei Thomas im Beratungsgespräch war, saß Juliane in der normalerweise unbenutzen Rezeption und gab sich ihren Gedanken hin.

Das würde mir schon sehr gefallen, immer hier zu arbeiten. Dann könnte ich öfters Mandanten begrüßen, das Büro in Ordnung halten und jeden Tag gäbe es eine leckere Mahlzeit für Thomas und mich. Richtig romantisch fände ich das. Dafür würde ich gerne auf jede Art von Karriere verzichten. Schade, dass Thomas sich keine Sekretärin leisten kann.

Die nächsten Tage eilten dahin, ohne dass Juliane sie aufhalten konnte. Nachdem alle Stapel abgearbeitet waren, durfte sie noch ein einziges Mal kommen, um das Büro aufzuräumen und die freigewordenen Regalplätze zu füllen. Dann war ihr Job zu Ende und selbst die Bezahlung, die sie bekam, konnte Juliane nicht trösten. Natürlich zeigte sie nicht, wie traurig sie war, denn das wäre ihr peinlich gewesen.

Am liebsten würde ich ja wenigstens weiter zum Kochen kommen. Aber das wirkt so sehr nach Betteln. Und Betteln will ich nicht.

Beim Abschied zögerte Thomas kurz, als wollte er noch was sagen. Das tat er auch, nämlich er lobte Juliane zum wiederholten Male für ihre Arbeit. Sie hatte aber den Eindruck, dass er eigentlich etwas anderes hatte sagen wollen, traute sich aber nicht nachzufragen.

Den Weg nach Hause schaffte Juliane tapfer aber mit einem Kloß im Hals. Als sie jedoch nach Hause kam, schoss ihr plötzlich das Wasser in die Augen und sie weinte den Rest des Abends um das verlorene kleine Arbeitsglück.

Vollautomatisch

Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Neue Konzepte für das 21. Jahrhundert
von Jeremy Rifkin

Die Virenjägerin
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Vollautomatisch
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208 Seiten
ISBN 3-938764-01-5

Preis: 14.80 Euro

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