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Vollautomatisch

Kapitel 19


  
Die Tage vergingen wie im Fluge. Vormittags arbeitete Juliane in der Küche und die Nachmittage verbrachte sie meistens in World 3000. Ab und zu schaute sie abends mit Tina einen Film und manchmal gesellte sie sich auch zu den anderen Frauen im Gemeinschaftsraum, wenn dort was los war.

Oft saßen nur Sabine und Petra im Gemeinschaftsraum und strickten, aber manchmal tummelten sich dort auch etliche Frauen und plauderten kichernd. In solchen Momenten fühlte sich Juliane besonders stark an Schulandheim-Aufenthalte erinnert.

Das Stricken fazinierte Juliane, denn sie hatte es nie richtig gelernt und staunte, wie schnell sich Sabines und Petras Nadeln bewegten. Sie konnte den Bewegungen kaum mit den Augen folgen.

"Was strickst du da eigentlich, Sabine?"

"Zur Zeit sind Strümpfe dran, denn dafür braucht man nicht soviel Wolle wie für Pullover."

"Es sieht wirklich abenteuerlich aus, wie schnell die fünf Nadeln auf und ab hüpfen."

"Alles eine Sache der Übung. Du kannst wohl nicht stricken?"

"Nur die Grundbegriffe. Haben wir in der Schule gelernt, aber ich habe es nie weiter verfolgt."

"Ich liebe es, aus eigener Kraft etwas herstellen zu können. Schade, dass wir hier keine Nähmaschinen aufbauen dürfen. Und fürs Stricken ist immer die Wolle knapp."

"Für wen strickst du denn so? Du brauchst doch bestimmt nicht soviele Strümpfe wie du hier zusammennadelst."

"Richtig. So viele Socken brauche selbst ich nicht. Ich stricke für jeden der will. Mein Tarif ist die doppelte Menge Wolle für das, was du brauchst."

"Oh, sogar mit festem Tarif. Das heisst, ich müsste dir nur genug Wolle für zwei paar Strümpfe geben und dann würdest du mir ein Paar stricken?"

"Ganz genau."

"Und wo bekommt man die Wolle her?"

"Die bestelle ich immer im Netz. Wenn du willst, können wir das geschwind erledigen. Hast du denn Geld?"

"Ja, vom Verkauf meiner alten Sachen ist etwas Geld übrig geblieben. Außerdem habe ich gestern mein erstes Bürgergeld bekommen, für die Arbeit in der Küche."

"Wunderbar, dann steht den Socken ja nichts mehr im Wege."

Ein Strahlen ging über Sabines Gesicht als sich der Shop mit dem Wolleangebot öffnete und seine Knäule darbot.

Als würden dort Edelsteine angeboten. Diese Sabine hat ja echt den reinsten Wollefimmel. Nicht schlecht für mich, denn eigentlich ist es ja spottbillig, wenn man gerade mal den doppelten Materialpreis aufbringen muss, um handgestrickte Socken zu bekommen. Die machen ja richtig viel Arbeit.

Auch Petra war mitgekommen, denn sie wollte sich diesen angenehmen Moment der Wollebestellung anscheinend nicht entgehen lassen. Als Juliane ihre sehnsüchtigen Blicke sah, entschied sie sich kurzerhand, gleich zwei Paar Socken zu bestellen.

Nach gründlicher Beratung durch die beiden Fachfrauen entschied sich Juliane für ein Paar aus reiner Wolle und ein weiteres aus einem Gemisch aus Wolle und Baumwolle. Nach erfolgter Bestellung leckte Sabine sich die Lippen, als hätte sie gerade besonders fette Sahne zu schlecken bekommen. Die beiden Strickerinnen eilten wieder an ihren Stammplatz im Gemeinschaftsraum und auch Juliane fühlte sich sehr zufrieden, als sie den Wollshop wieder verließ. Sie hatte den Eindruck, ein sehr gutes Geschäft gemacht zu haben.

An einem sonnigen Tag zog es Juliane unwiderstehlich nach draußen und sie beschloss, einen Spaziergang zu machen. Seit sie hier lebte, hatte sie das Haus nur morgens zum Sport verlassen. Sie kannte nicht einmal die nähere Umgebung, außer natürlich aus ihrer Kindheit, aber damals war natürlich alles ganz anders gewesen.

Nach dem Mittagessen ging sie also ins Erdgeschoss und strebte nach draußen.

"Juliane, wo willst du hin?" fragte die Tür.

"Huch, na sowas! Ich will nur einen kleinen Spaziergang machen."

"Du hast aber keine Ausgangserlaubnis beantragt."

"Darf ich etwa keinen Spaziergang machen? Ich bin doch hier nicht im Gefängnis."

"Doch, natürlich darfst du einen Spaziergang machen, aber nur mit Genehmigung."

"Nein, das ist doch nicht die Möglichkeit! Und wo soll ich mir diese Genehmigung einholen, bitte schön?"

"Ausnahmsweise kannst du sie bei mir einholen. Aber normalerweise solltest du das schon in deinem Zimmer erledigen. Am besten gleich nach dem Frühstück."

"Na gut. Also liebe Tür: bitte gewähre mir Ausgang für einen Spaziergang."

"Wo willst du hin und wie lange soll es dauern?"

"Nur ein bisschen in der Gegend rumlaufen. Vielleicht ein bis zwei Stunden lang."

"Ok, aber nur hier auf dem Gelände. In zwei Stunden erwarte ich dich zurück."

"Alles klar!"

Sowas Mieses! Dass man nicht mal einen kleinen Spaziergang machen kann, ohne überwacht zu werden. Dabei können sie mich doch sowieso überall orten. Ich fing schon an, mich hier superwohl zu fühlen, aber das hat jetzt einen gewaltigen Knacks bekommen. Das ist ja hier fast wie im Knast.

Irgendwie fand ich es sowieso pervers, mich hier so wohl zu fühlen. Ich war ja fast schon glücklicher als in all den Jahren seit ich erwachsen bin.

Jetzt könnte ich aber so einen Erdbeerpudding gebrauchen. Das mit der Genehmigungspflicht für den Spaziergang war wie ein Schlag ins Gesicht. Dabei haben sie es ja letztlich ganz formlos erlaubt. Ich will aber nicht, dass ich eine Erlaubnis brauche, um mir mal die Beine an der frischen Luft zu vertreten. Wo soll ich denn jetzt überhaupt hingehen? Hier sieht ja alles gleich aus.

Ach, ich geh einfach mal der Nase nach, egal wo ich hinkomme - Hauptsache ein Stück weit weg.

Mist, die Sonne gefällt mir jetzt gar nicht mehr. Am liebsten würde ich mich in mein Bett verkriechen und heulen. Aber dann sieht Tina, wie mies ich drauf bin. Bestimmt fragt sie dann doof rum. Außerdem habe ich ja jetzt schon Ausgang und das sollte ich ausnutzen.

Also einfach mal losgehen.


Nach kurzer Zeit kam Juliane an einen Fluss, der zwei Teile der Schwarmsiedlung voneinander trennte.

Merkwürdig! Früher waren hier alle paar hundert Meter Brücken. Jetzt sehe ich keine einzige mehr. Aber der Fluss ist trotzdem noch schön. Wie das Wasser so fließt und gluckert. Immer weiter fließt, über die Siedlung hinaus, raus aus der Stadt, übers Land, bis ins Meer.

Wie gerne würde ich ihm folgen, bis ans Meer. Aber jetzt muss es wohl reichen, wenn ich ihm bis zur Siedlungsgrenze folge. Immer noch besser, als zwischen den Häusern rum zu irren.


Das schöne Wetter hatte etliche Schwarmbewohner nach draußen gelockt. Auf beiden Seiten des Flusses war reichlich Betrieb.

Ist ja sonderbar! Hier gibt es nur Frauen und drüben spazieren nur Männer. Das ist ja richtig strenge Geschlechtertrennung. Manch einer winkt rüber. Und da steht eine Frau und schaut ganz sehnsüchtig auf die andere Seite. Was wohl passieren würde, wenn jemand den Fluss durchwaten würde? So tief scheint er gar nicht.

Irgendwie ist es mir hier zu voll. Ich glaube, ich gehe woanders hin. In Susannes Siedlung gab es doch Geschäfte und Cafés. Vielleicht finde ich hier sowas auch.


Juliane verließ den Fluss, ging wieder an den Häuserreihen vorbei und stieß jenseits davon auf eine Art Einkaufsstraße. Sie betrat ein kleines Café und ließ sich ein Stück Torte mit Kaffee schmecken. Ihre Laune steigerte sich zusehens.

Das ist mir jetzt völlig egal, ob da Drogen drin sind oder nicht. Es schmeckt einfach gut und fühlt sich auch besser an. Kaffee ist sowieso eine Droge und Zucker eigentlich auch. Was hatte Hedwig noch gemeint? Schokolade und Weihnachtsgebäck enthalten diese Glücklichermacher sowieso schon seit Ewigkeiten? Dann wirds schon nicht so schlimm sein.

Oh je, schon so spät! Da muss ich ja schnell wieder zurück. Wer weiß, was ich sonst für einen Ärger bekomme.


Hastig verschlang sie die letzten Bissen der Torte und machte sich auf den Heimweg.

Die Eingangstür begrüßte sie mit einem fröhlichen "Willkommen daheim, Juliane!". Juliane quittierte diesen Gruß mit einem unfreundlichen Knurren, konnte sich aber nicht verkneifen, anschließend zu grinsen.

Sie war froh, als sie wieder in die vertraute Mittelalterwelt eintauchen konnte.

Rufus ging es inzwischen wieder deutlich besser, aber er war nach wie vor bettlägrig. Die ständige Anwesenheit von Julia war nicht mehr erforderlich und wurde von Rufus auch gar nicht gewünscht.

Also hatte sich Julia angewöhnt, tagsüber im Dorf rumzustreifen. Manchmal half sie in der Küche des Wirtshauses, in dem sie logierten. Dann musste sie immer an die Küche ihres Schwarmhauses denken, in der sie ihre Vormittage verbrachte. Der Unterschied der beiden Küchen erfüllte sie mit Heiterkeit. In der Mittelalterküche mussten sie manchmal ganze Schweine zerlegen. Sowas kam im Schwarmleben nicht vor.

Besonders gut gefiel Juliane die Arbeit im Gemüsegarten und auch beim Melken der Kühe half sie gerne. Einmal hatte sie sogar die Gelegenheit bei der Käseproduktion mit zu machen. Der Umgang mit der Milch und ihren Produkten reizte sie besonders.

Am liebsten würde ich hier bleiben. Das Landleben gefällt mir eigentlich viel besser, als das ewige Rumziehen und Kämpfen.

Ach, am allerliebsten würde ich auch in Echt in so einem Dorf leben und alles selbst herstellen.


Vollautomatisch

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Vollautomatisch
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208 Seiten
ISBN 3-938764-01-5

Preis: 14.80 Euro

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