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Vollautomatisch

Kapitel 18


  
"Wie meinst du das? So ungesund kann Erdbeerpudding doch kaum sein, dass ich meinen freien Willen dadurch verliere, oder?"

"Um ungesund geht es dabei überhaupt nicht, obwohl so ein zuckriger Pudding natürlich auch nicht sehr gesund ist. Bei der staatlichen Fertignahrung vermute ich Drogen im Essen. Ganz sicher bin ich mir natürlich nicht, denn keiner wird sowas zugeben, aber man kann es ganz deutlich am Verhalten der Menschen sehen, die diese Sachen essen."

"Drogen? Das kann ich mir kaum vorstellen. Ich habe auch gar keinen Rausch gehabt."

"Keine Drogen, die einen in Rauschzustände versetzen, sondern welche, die einen einfach ein bisschen zufriedener machen. Ist dir nicht aufgefallen, wie zufrieden du nach dem Essen wurdest?"

"Schon, aber das ist doch ganz normal, dass man vom Essen etwas zufriedener wird, oder nicht?"

"In gewissem Rahmen ist das durchaus normal, aber nicht so stark, wie man das bei der Kantinenkost beobachten kann. Das ist ja auch das raffinierte daran, denn wenn man sich nach einem leckeren Essen wohl fühlt, vermutet niemand eine Manipulation durch Drogen. Und wenn man sich wohl fühlt, stellt man das auch meistens nicht in Frage. Ich habe auch ziemlich lange gebraucht, um dahinter zu kommen."

"Aber dieses Schwarmhaus ist doch noch ganz neu. So lange kannst du doch noch gar nicht hier sein."

"Ich habe schon ein paar Jahre in einem anderen Schwarmhaus gelebt, aber zwischendrin hatte ich noch mal kurz Arbeit. Darum bin ich jetzt hier gelandet."

"Und wie ist das jetzt mit den Drogen?"

"Eine Kollegin, die sich mit sowas auskennt, hat sowas wie 'Endorphine' zu den Drogen gesagt. Das sollen Stoffe sein, die auch der Körper selbst produziert, wenn Menschen zufrieden sind. Die werden beispielsweise auch beim Sport produziert oder wenn man etwas tut, was einen glücklich macht. Und diese Stoffe sind angeblich bei uns im Essen, damit wir keine revolutionären Ideen entwickeln."

"Kann man schon verstehen, dass die Regierung uns friedlich halten will. Aber andererseits ist das ja die totale Frechheit. Dagegen müsste man was unternehmen. Ob man die verklagen kann? Ich kenne einen Anwalt."

"Von Verklagen halte ich nicht viel, man muss es ja auch erst mal beweisen können. Außerdem sind viele bestimmt ganz zufrieden damit, Glücklichmacher im Essen zu haben. Andere zahlen viel Geld für Drogen und riskieren sogar, dafür ins Gefängnis gesteckt zu werden. Selbst das Bier zum Feierabend geht in diese Richtung."

"Stimmt schon, aber das macht man schließlich freiwillig."

"Findest du Sucht etwa freiwillig?"

"Hm, so betrachtet natürlich nicht. Und diese Drogen, sind die nur im Erdbeerpudding?"

"Auf keinen Fall nur im Erdbeerpudding. Ich vermute, dass sie bei den meisten Nahrungsmitteln und Getränken untergemischt sind, die sich dafür eignen. Solche Stoffe kann man ja spottbillig herstellen und es lohnt sich bestimmt, sie großzügig zu verteilen, wenn man dadurch die Menschenmassen friedlich hält."

"Und wo sind keine Drogen drin?"

"Zum Beispiel in dem Essen, das wir hier kochen. Zumindest glaube ich das, denn es dürfte schwierig sein, die Stoffe ins frische Gemüse einzubauen. Daher hoffe ich, dass alle gängigen Rohstoffe unbelastet sind. In Tomaten sind solche Drogen übrigens schon immer auf ganz natürliche Weise drin. Viele Nahrungsmittel enthalten natürliche Endorphine, die chemisch genau das gleiche sind, wie die künstlichen Glücklichmacher. Hier, nimm ein Stück Schokolade. Auch Kakao enthält Endorphine."

"Lecker, danke! Ist das der Grund, warum manche Leute schokoladensüchtig sind?"

"Ja, das glaube ich durchaus. Glücklichmachendes Essen hat eine lange Tradition. Auch in Weihnachtskeksen ist eine ordentliche Portion Endorphine drin."

"Macht ja auch Sinn, wenn man im kalten, dunklen Winter ein paar Aufmunterer bekommt. Und jetzt panschen sie das Zeug überall rein, damit wir nicht aufmucken?"

"Zumindest glaube ich das. Die Anzeichen sprechen sehr dafür. Wahrscheinlich ist das den meisten Regierenden gar nicht so bewusst, denn die Nahrungsmittelindustrie hat ja schon immer diverse Stoffe in die Industrienahrung gepanscht. Möglicherweise haben sie jetzt einfach die Genehmigung für ein paar zusätzliche E-Stoffe bekommen und keiner will es so genau wissen."

"Das leuchtet ein. Wie sieht es denn mit dem Trinken aus? Da ist doch bestimmt auch was drin."

"Zum Trinken empfehle ich Wasser aus dem Wasserhahn, denn ich glaube kaum, dass die Organisatoren damit rechnen, dass hier jemand Hahnwasser trinkt, wo es doch ein recht breites Getränkeangebot gibt."

"Und beim Essen sollte man dann am besten das essen, was hier gekocht wird?"

"So ungefähr. Du siehst ja, was wir hier kochen, meistens irgendetwas mit Gemüse. Zum Frühstück kochen wir Haferbrei und das Obst ist auch in Ordnung. Abends gibt es noch eine Suppe von uns. Ob das Brot und der Käse verdrogt sind, weiß ich leider nicht. Aber es ist dir natürlich freigestellt, bewusst zum Erdbeerpudding zu greifen. Denn keiner zwingt dich dazu, die Drogen zu boykottieren."

"Klar, aber wenn man es erstmal weiß, wäre man ja schön dumm, wenn man sich mit Drogen vollstopfen lässt."

"Wenn du es einsetzt wie ein Feierabendbier: warum nicht? Aber natürlich hast du Recht. Ich achte streng darauf, dass ich nichts von diesem Kunstkram esse. Darum arbeite ich auch den ganzen Tag in der Küche. Damit es immer Alternativen gibt."

"Und wie hältst du das Schwarmleben aus, ohne Tröstdrogen?"

"Ganz einfach: ich arbeite ja ganztags und fühle mich sehr gebraucht. Außerdem habe ich hier Freunde gewonnen, abends lese ich ein wenig in der Bibel und ab und zu schaue ich mir einen schönen Film an. Was will ich mehr?"

"Ein bisschen beengt lebt man hier ja schon. Und man hat kaum Platz für persönliche Gegenstände."

"Das stimmt. Ein Einzelzimmer würde mir besser gefallen und mehr Platz wäre auch nicht schlecht. Aber wenn das die einzigen Probleme sind, will ich nicht klagen. Da brauche ich keine Drogen, um glücklich zu sein."

"Erstaunlich, dass man sich hier richtig wohl fühlen kann. Das muss ich wohl erst noch eine Weile auf mich wirken lassen."

"Tu das. Du wirst merken, dass es hier nicht nur schlecht ist. Vor allem, wenn man in der Küche arbeitet. Selbst halbtags bringt schon viel. Schau dir doch die anderen an, wie zufrieden sie mit ihrer Arbeit sind. Wenn du mit den Zwiebeln fertig bist, kannst du mit den Karotten anfangen."

"Gut, mache ich. Danke für die ganzen Erklärungen. Ich beginne, das Leben hier in anderem Licht zu sehen."

Die ganzen Küchenhelfer machen wirklich einen glücklichen Eindruck. Eigentlich ist es ja auch schön, wenn man zusammen für andere kochen darf. Wenn nur nicht diese Zweibettzimmer wären. Tina ist zwar ganz nett, aber ich brauche auch mal meine Privatsphäre. Na ja, man kann wohl nicht alles erwarten, wenn der Staat einen ernährt. Aber dass sie Drogen ins Essen mischen, finde ich schon ziemlich schrecklich. Mal sehen, ob es mir gelingt, sie zu vermeiden.

Nach dem Küchendienst ging Juliane wieder in ihr Stockwerk zum Mittagessen. Das Essen schmeckte ihr diesmal noch besser als am Tag davor, denn sie hatte ja beim Kochen geholfen. Auf den Schokoladenpudding verzichtete sie. Auch ohne Puddingdrogen fühlte sie sich nach dem Essen ziemlich wohl, aber sie merkte deutlich, dass das Wohlgefühl nicht so ausgeprägt war wie mit Pudding.

Statt Puddingdrogen habe ich jetzt immerhin eine Aufgabe und nette Kollegen. Das habe ich doch die ganze Zeit gewollt. Und Sorgen um die Miete muss ich mir auch nicht mehr machen. Nein, ich esse jetzt keinen Pudding, auch wenn es irgendwie verlockend scheint.

Den freien Nachmittag verbrachte Juliane wieder in der Mittelalterwelt, denn sie fand, dass sie sich mit einem halben Tag Küchenarbeit dieses Freizeitvergnügen redlich verdient hatte.

Die Reise wurde etwas eintönig, obwohl die regelmäßigen Scharmützel die Einförmigkeit auflockerten.

Nach einem dieser Scharmützel wollte sie gerade wieder ihr Schwert einstecken, als plötzlich eine weitere Angriffswelle folgte. Ein ganzer Trupp frische Gegner stürzte auf die müde gekämpften Krieger ein.

Wo die nur wieder herkommen? Der Feind hat anscheinend endlos viele Mannen in unser Land geschickt, um uns aufzuhalten. Wenn wir sie nicht besiegen, werden sie bestimmt auch unser Land erobern und dann ist niemand mehr sicher. Also auf sie mit Gebrüll, egal wie erschöpft ich schon bin.

Zwei der Gegner hatte Juliane schon niedergekänpft, da sah sie, wie ein besonders großer Kämpfer auf Rufus eindrosch. Sie kam gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass der Kämpfer Rufus erschlug. Zuerst drängte sie ihn ab, doch dann musste sie dem Gegner mit einem kräftigen Schlag den Kopf abschlagen, um sich selbst zu retten.

Dann stand sie überströmt mit dem Blut des Gegners vor Rufus, der auf dem Boden lag und dem es offensichtlich gar nicht gut ging. Er blutete stark aus mehreren Wunden. Auf ihren Ruf hin eilte Gnardik herbei, sobald er sich freigekämpft hatte. Er verband die Wunden von Rufus notdürftig und es gelang ihm, die Blutungen halbwegs zu stoppen. Doch Rufus hatte viel Blut verloren. Inzwischen war er auch bewusstlos.

"Der Rufus wird so bald nicht mehr reisen können. Wir können froh sein, wenn er diese Verletzungen überlebt. Was machen wir nur mit ihm?" Gnardik schüttelte den Kopf und man konnte ihm deutlich ansehen, dass er sich große Sorgen machte.

"Da vorne ist ein Dorf. Vielleicht können wir ihn dort hinbringen und pflegen. Ich wäre bereit, mich um ihn zu kümmern, bis er wieder auf den Beinen ist. Aber was wird mit unserem Befreiungsfeldzug?"

"Um den mach dir mal keine Sorgen, Julia. Tartus freut sich bestimmt, wenn er die Führung übernehmen kann. Wenn du Rufus pflegst, könnte das seine Rettung sein. Ein paar Heilertricks müsste ich dir jedoch noch zeigen, damit du klar kommst. Am besten wäre natürlich, wenn sich im Dorf jemand mit Heilung auskennt."

"Gut, und wie bekommen wir Rufus dort hin?"

"Am besten bauen wir eine einfache Trage und schleppen ihn zu viert dort hin. Wenn es ein Wirtshaus gibt, könnt ihr vielleicht dort unterkommen."

Die Trage war schnell gebaut und die Männer stritten sich fast darum, wer sie schleppen durfte, denn die meisten schätzten Rufus sehr und trugen ihn daher auch gerne. Auf dem Weg zum Dorf kamen sie an einer Gruppe Feldarbeiter vorbei, die bei der Arbeit sangen und sehr glücklich wirkten.

Welch eine Idylle. Fast ein wenig ähnlich wie die Arbeit in der Küche. Gemeinsame Arbeit scheint den Menschen gut zu tun. Hoffen wir mal, dass die Dörfler uns freundlich aufnehmen.

Zu Julianes Erleichterung gab es ein Wirtshaus und sie bekamen zwei anständige Zimmer, die sogar recht sauber wirkten. Eine Hausmagd brachte heißes Wasser und Schnaps zur Versorgung von Rufus Wunden. Gnardik zeigte Julia, wie man die Wunden säubert und frisch verbindet. Außerdem schärfte er ihr ein, immer darauf zu achten, dass Rufus reichlich Flüssigkeit zu sich nahm.

Später kam noch eine nahrhafte Fleischbrühe aus der Küche, die sie Rufus löffelweise einflößte. Rufus war zwar in der Lage, die Suppe zu schlucken, aber er war höchstens halb bei Bewusstsein.

Die ganze Nacht über hielt Julia bei Rufus Wache und am nächsten Morgen zogen die anderen Krieger weiter, um das Nachbarland zu befreien.

Julia fühlte sich zwar alleingelassen in dem fremden Dorf, aber die Bewohner waren freundlich zu ihr und versorgten ihre Gäste gut. Außerdem war Julia von der Aufgabe erfüllt, Rufus möglichst gut zu pflegen, damit er bald wieder gesund werden würde.

Vollautomatisch

Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Neue Konzepte für das 21. Jahrhundert
von Jeremy Rifkin

Die Virenjägerin
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Vollautomatisch
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208 Seiten
ISBN 3-938764-01-5

Preis: 14.80 Euro

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