Irgendwo da draußen... Robert wachte auf, weil jeder Atemzug schmerzte. Am Abend hatte er sich schon schwach gefühlt, daher war er früh ins Bett gegangen, denn am nächsten Morgen wollte er fit sein für die wichtige Besprechung, die über seine berufliche Zukunft entscheiden würde. Und jetzt sowas! Robert fühlte sich wie kurz vor dem Ersticken, obwohl er bequem in seinem Bett lag. Er hechelte wie nach einem Dauerlauf. Ob dieser Zustand bis zu Termin wieder verschwinden würde? Robert hatte da seine Zweifel. Die Bettdecke war feucht, so sehr hatte Robert geschwitzt. Wenn er seine Haut berührte, fühlte sie sich heiß an. Da stimmte etwas ganz und gar nicht mit ihm. Er stützte sich mühsam auf seine Ellenbogen, um nach Luft schnappen zu können. So würde das nicht lange gehen. Robert wurde bewusst, dass er ein zusätzliches Kissen brauchte, das seinen Oberkörper aufrecht hielt. Sein Gästekissen würde nicht ausreichen. Das war ihm sofort klar. Ob ihm die Decke weiterhelfen konnte, die er für den seltenen Damenbesuch in seinem Kleiderschrank aufbewahrte? Möglicherweise. Das Denken war anstrengend, wie durch einen Nebel. Zuallererst musste Robert dringend auf die Toilette und dann ein paar Schlucke trinken. Dann würde er weitersehen. Keuchend wie ein angestrengter Sportler schob er seine Decke zur Seite und beförderte seine Beine aus dem Bett. Die Beine schienen ihm wie Fremdkörper, so weit weg waren sie. Ob das gutgehen würde? Egal! Es musste sein. Nach dem dritten Anlauf gelang es Robert, sich aufzustellen. Er hielt sich an der Wand fest, die er gerade eben mit ausgestrecktem Arm erreichen konnte. Es hatte keinen Zweck! Seinen wichtigen Termin würde er absagen müssen. Gleich nach dem Gang ins Bad. Doch jetzt galt es erst mal, bis zur Tür zu kommen. Wenn nur das Atmen nicht so schmerzen würde. Die kostbare Luft ließ sich nur in winzigen Portionen in die Lunge zwingen. Jeder Atemzug war zu klein, reichte nicht aus. Im Stehen ging das Atmen jedoch etwas leichter als vorher im Liegen. Robert atmete so tief ein, wie er konnte, und stieß sich dann von der Wand ab in Richtung Tür. Die ersten Schritte gingen leichter als erwartet, doch mitten im Raum wurde Robert schwindelig. Alle Wände waren weit weg, zu weit weg, um sich daran abzustützen. Ob er es noch bis zur Tür schaffen konnte? Robert hoffte, dass der Schwindel nachlassen würde. Doch er wurde stärker. Schwarze Punkte tanzten vor Roberts Augen. Er konnte die Tür kaum noch erkennen. Sie schien sich von ihm zu entfernen. Noch einen Schritt, oder zwei. Der Schwindel verdichtete die Punkte vor den Augen zu einer schwarzen Fläche, die sich wie ein Strudel in Robert reinbohrte. Der Strudel zog an Robert. Robert versuchte, noch einen Schritt zu gehen, aber sein Fuß schien auf dem Fußboden zu kleben. Das Problem verlor an Bedeutung. Robert träumte vom Fliegen. Fliegen durch eine sturmgepeitschte Nacht. Zitternd erwachte Robert und fand sich auf dem Boden wieder. Frierend, schlotternd. Was war geschehen? Atmen schmerzte. Anscheinend hatte Robert das Bewusstsein verloren. Wie lange er wohl auf dem kalten Boden gelegen hatte? Mühsam rappelte sich Robert wieder auf, bis er halb saß und wieder besser atmen konnte. Wie er es wohl schaffen konnte das Bad zu erreichen? Nach längeren nebelhaften Überlegungen entschied sich Robert, den Weg auf allen Vieren zurück zu legen. Dann würde er wenigstens nicht so tief fallen. Keuchend positionierte sich Robert in den Vierfüßlerstand und begann zu kriechen. Jede Bewegung fiel schwer und zwang ihn zu noch schnellerem Hecheln. Zuerst kämpfte sich Robert bis zur Tür. Er musste sich am Türrahmen hochziehen und sich strecken, bis er die Klinke erreichen konnte. Nach vier Versuchen war die Tür offen. Jetzt noch bis zum Bad. Vorsichtig ließ Robert sich wieder auf alle Viere nieder und kroch zentimeterweise bis zur nächsten Tür. Er war auf einmal froh, dass seine Wohnung so klein war. Die Badezimmertür zu öffnen erforderte die gleiche Prozedur wie bei seiner Zimmertür, aber diesmal gelang es ihm schon beim dritten Anlauf. Endlich! Robert roch das Wasser schon. Zuerst musste er sich aber hochziehen, um auf gleiche Höhe mit dem Waschbecken zu gelangen. Als das geschafft war, öffnete er den Hahn und steckte seinen Kopf in den Wasserstrahl. Gierig saugte er das Wasser ein. Beim Schlucken befürchtete er zwar jedesmal zu ersticken, aber der Durst war stärker. Dann wurde der Druck auf seine Blase übermächtig. Robert schloss den Wasserhahn und tastete sich an der Wand entlang zur Toilette. Das Wasserlassen war eine große Erleichterung. Doch dann wurde der Durst wieder stärker. Also hangelte er sich zurück zum Waschbecken und trank bis sein Magen protestierte. Anschließend ließ sich Robert wieder zu Boden gleiten, um zurück in sein Zimmer zu kriechen. Auf dem Weg machte er einen Abstecher zu seinem Schrank und zerrte die Gästedecke heraus. Diese zog er wie eine Schleppe hinter sich her, bis er das Bett erreichte. Dort angekommen, versuchte Robert die Decke zusammen zu falten, damit sie ihn beim aufrecht liegen stützen konnte. Das gelang ihm nur unbefriedigend, aber immerhin hatte er am Schluss einen dicken Wulst an seinem Kopfende, der ihn aufrecht halten konnte. Robert kroch erschöpft ins Bett und keuchte erst einmal ein paar Minuten besonders schnell, um nach den Strapazen wieder Luft zu schnappen. Dann erinnerte er sich daran, dass er noch in seiner Firma Bescheid geben musste. Wie gut, dass sein Handy immer auf dem Nachttisch lag. Schon das Greifen nach dem Telefon erschien ihm als große Anstrengung. Er tippte die Kurzwahl und wartete darauf, dass die Empfangsdame abnahm. Stattdessen tönte ihm jedoch der Anrufbeantworter entgegen. Robert wurde bewusst, dass es noch sehr früh am Morgen war. Die Dame an der Rezeption würde erst in mehreren Stunden erscheinen. Also krächzte Robert auf den Anrufbeantworter, dass er krank sei und leider nicht kommen könnte. Völlig entkräftet ließ sich Robert auf die Kissen sinken. Jeder Atemzug war zu klein und es reichte auch nicht, dass er so schnell atmete wie ein Sportler nach dem Wettkampf. Robert hatte Angst zu ersticken - diese Angst wuchs mit jedem Mal Luftholen. Ob sich so ein Ertrinkender fühlte? |
Die Virenjägerin |
|
Geißeln der Menschheit. Die Kulturgeschichte der Seuchen von Stefan Winkle |
||
Vollautomatisch |
||
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 | ||
| ||
|