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Die Virenjägerin

Kapitel 8


  
"Hier", Igor rollte eine Sauerstoffflasche herbei und reichte Martin eine Maske, die durch einem Schlauch mit der Gasflasche verbunden war.

Martin stülpte Siegfried die Maske über Mund und Nase. Siegfried schnappte Luft wie ein Ertrinkender, versuchte aber, sich die Maske vom Gesicht zu reißen. Martin ergriff eine seiner Hände und hielt sie fest. Für die andere Hand, die jetzt verstärkt an der Maske riss, hatte Martin jedoch keine Hand frei, weil er noch die Maske halten musste. Kurz bevor es Siegfried gelang, seine Nase zu befreien, war Iris zur Stelle und ergriff den kämpfenden Arm. Mit beiden Händen musste sie voll zupacken, denn in seinem Fieberwahn entwickelte Siegfried enorme Kräfte.

Schließlich trat auch Igor an Siegfrieds Bett und nahm die Hand, die Martin hielt, damit Martin die Sauerstoffmaske mit Gummibändern am Hinterkopf befestigen konnte. Siegfrieds Gesichtshaut wirkte inzwischen schon weniger violett und auch seine Lippen hatten wieder fast die richtige Farbe, wie man durch die transparente Maske sehen konnte.

"Uff! Haltet weiter die Arme fest. Ich suche nach Mullbinden, um die Hände am Bett festzubinden, solange Siegfried so tobt", Martin wandte sich ab und öffnete die Schränke. Nach kurzer Zeit kam er zurück, klappte zuerst die Seitenteile des Bettes hoch, schlang dann die Binden um Siegfrieds Handgelenke und befestigte sie am Bettgestell. Erst jetzt durften Iris und Igor loslassen.

"Das gefällt mir ja überhaupt nicht, ihn so festzubinden, aber uns bleibt wohl kaum was anderes übrig", Iris schüttelte den Kopf, um ihren Unwillen auszudrücken.

"Gut erkannt", Martin lächelte Iris an. Das Geschehen scheint ihn nicht besonders zu beeindrucken. Wahrscheinlich ist er das von seinen Krebskindern gewöhnt. Ich glaube, das wäre wirklich kein Job für mich.

"Iris, such mal nach fiebersenkenden Mitteln und einem Breitbandantibiotikum", forderte Martin sie auf.

"Ein Antibiotikum? Wir wissen aber doch noch gar nicht, was er genau hat. Müssen wir nicht erst den Erreger feststellen?"

"In der Theorie ist das schön und gut. Aber das dauert. Und in der Zwischenzeit können die Bakterien sich ungehindert verbreiten. Das wäre unverantwortlich."

"Aber was ist, wenn es Viren sind?"

"Dann verhindern wir zumindest eine bakterielle Superinfektion."

"Ok, das leuchtet ein. Denn die Bakterien könnten ja die Chance nutzen, um die Infektion noch zu verstärken."

"Genau! Passiert in der Praxis bei fast jeder Virus-Pneumonie, wird aber im Studium nur am Rande behandelt. Du brauchst wirklich mal ein bisschen medizinische Praxis, meine Liebe."

"Die krieg ich ja jetzt. Und sonst liegt mir die Forschung einfach mehr als der Umgang mit Patienten. Aber jetzt geh ich erst mal das Gewünschte suchen."

Iris ging zum Schrank mit den Medikamenten. Bisher hatte sie die dortige Medikamentenfülle immer für übertrieben gehalten, aber jetzt wurde ihr schon bei einem kurzen Blick klar, dass sie mit ihren Beständen nicht sehr weit kommen würden. Sie nahm ein fiebersenkendes Mittel und suchte dann nach einem geeigneten Antibiotikum. Anschließend bewaffnete sie sich noch mit einer Flasche mit Zuckerlösung und dem zugehörigen Tropfbesteck. Ihre Beute brachte sie zu Martin, der ihre Wahl begutachtete und zustimmend nickte.

Vorsichtig legte Martin einen venösen Zugang und schloss die Tropfflasche an. Dann spritzte er die mitgebrachten Mittel.

"Hoffen wir, dass es hilft. Siegfried ist ja in einem erschreckenden Zustand. Aber immerhin scheint er ein wenig zur Ruhe zu kommen", sagte Martin, nachdem er die Spritze aus dem Tropfschlauch gezogen hatte.

"Stimmt! Dass so ein Zusammenbruch so schnell gehen kann, hätte ich auch nicht gedacht."

"Kommt manchmal vor, aber dies hier ging schon besonders hopplahopp. Ich rufe mal beim Klinik an, damit die ihn abholen kommen", Martin fischte sein Handy aus der Hemdtasche und drückte ein paar Tasten. Dann hielt er sein Telefon ans Ohr und erklärte die Situation. Plötzlich wurde er lauter.

"Was? Ihr seid voll belegt? Von gestern auf heute! - Pneumoniefälle? - auch das Klinikpersonal? - auf dem Gang? - nein, wenn das so ist, dann behalten wir ihn lieber hier - ok, ich melde mich dann wieder."

Martin steckte sein Handy wieder ein und schüttelte den Kopf: "Na sowas! Da hat man mal einen Tag frei und schon geht es in der Klinik drüber und drunter."

"Was ist denn geschehen?" wollte Iris wissen, die sich aber schon so ihre Gedanken machte.

"Siegfried ist nicht der einzige mit Lungenentzündung. Seit heute Nacht wird einer nach dem anderen eingeliefert. Sogar Ärzte und Schwestern sind betroffen. In der Klinik herrscht das reinste Chaos."

"Dann musst du jetzt bestimmt sofort dorthin, oder?" Iris schauderte bei dem Gedanken, sich alleine um Siegfried kümmern zu müssen.

"Irrtum, ich darf da gar nicht mehr hin, denn ich war dem potentiellen Erreger ja ungeschützt ausgesetzt."

"Oh je, da habe ich noch gar nicht dran gedacht. Uns könnte es genau so erwischen wie Siegfried."

"Gut erkannt. Daher sollten wir ab sofort nur noch mit Mundschutz in Siegfrieds Nähe kommen. Igor, wärst du so lieb und suchst mal nach Gesichtsmasken?"

"Hm", sagte Igor und machte sich auf die Suche.

"Vielleicht sollte ich mal im Netz stöbern, ob es da Nachrichten über den Ausbruch gibt."

"Gute Idee! Hier können wir im Moment sowieso nicht viel tun. In der Klinik arbeiten sie mit Hochdruck an einer Diagnose. Eine normale Pneumokokken-Pneumonie scheint es nicht zu sein, zumindest nicht als Grunderkrankung."

"Ob es was mit der Pneumonie der Reisenden vor vier Wochen zu tun hat?" Iris hatte gar kein gutes Gefühl, wenn sie an die damaligen Kranken dachte.

"Das mag sein. Die Ärzte in der Klinik ermitteln anscheinend auch in dieser Richtung."

"Gar nicht gut. Ich schau jetzt erst mal im Netz und dann sehen wir weiter", Iris ging ins Nebenzimmer, wo immer noch einige Computer standen. Sie zog die Schutzhülle von einem Bildschirm, schaltete den Rechner an und setzte sich an die Tastatur.

Nach kurzer Zeit leuchtete der Bildschirm auf und Iris atmete erleichtert aus, denn sie war sich nicht sicher gewesen, ob noch alles reibungslos funktionieren würde und hatte vor lauter Anspannung die Luft angehalten.

Die Seuchen-Newsticker überschlugen sich fast. In Jakarta hatte es schon vor zwei Wochen angefangen, doch die Nachricht war erst heute öffentlich geworden, vermutlich weil auch Hongkong und Singapur von vielen Pneumoniefällen berichteten. In der indonesischen Hauptstadt waren anscheinend schon am ersten Tag tausende von Menschen krank geworden und täglich kamen über zehntausend Menschen hinzu. Das Gesundheitssystem war völlig zusammengebrochen.

Wie können die so eine Katastrophe so lange verschweigen? Ob die gehofft haben, dass es dann von selbst wieder vorbei geht? Wir hätten hier Schutzmaßnahmen ergreifen können, wenn wir es rechtzeitig gewusst hätten. Und was ist mit den ganzen Urlaubern? Hier steht auch was von einem Ausbruch in Bali. Na ja, immerhin haben sie hier wohl inzwischen Kontrollen an den Flughäfen. Aber anscheinend zu spät. Ob Siegfried sich wieder mit einer Stewardess getroffen hat?

"Und, was sagt das Netz?" Martin war in den Raum gekommen und schaute auf den Bildschirm.

"Ein ganz dramatischer Ausbruch findet statt. Stell dir vor: in Jakarta gab es schon vor zwei Wochen die ersten Fälle und sie haben es bis heute geheimgehalten. Erst nachdem Hongkong berichtete, dass seit gestern ein Patient nach dem anderen eingeliefert wird. Die Flughäfen sind dicht. Und schau hier: Jetzt melden sie auch Fälle in den USA, England, Frankreich und Italien."

"Das sieht aber gar nicht gut aus. Wir sollten uns auf eine Quarantäne einrichten. Haben wir denn genügend Vorräte, um hier eine Weile auszuharren?"

"Ne, haben wir nicht. Höchstens ein paar Packungen Kekse und Nahrungsmittel für ein paar Tage für Igor."

Die Virenjägerin

Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit
von Jacques Ruffie, Jean-Charles Sournia

Vollautomatisch
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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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