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Die Virenjägerin

Kapitel 1


  
"Auf dem schnellsten Weg zur Klinik, bitte! Meine Frau erwartet ein Kind - es kommt jede Minute", der rotwangige Mann schob seine Angetraute auf den Rücksitz, was angesichts ihres voluminösen Bauches nicht ganz einfach war. Dann klemmte er sich selbst hinterher und warf die Tür des Wagens zu.

"Bitte schnell!" rief er atemlos.

"Selbstverständlich fahre ich so schnell, wie ich es verantworten kann. Wir wollen Ihre Frau doch nicht unnötig durchrütteln und das Kind gefährden", Iris versuchte, dem werdenden Vater etwas Ruhe zu übermitteln, denn das hatte er anscheinend bitter nötig.

"Oh, natürlich nicht."

"Wie oft kommen denn die Wehen?"

"Etwa alle fünf Minuten."

"Dann müssten wir noch reichlich Zeit haben, die Klinik rechtzeitig zu erreichen", Iris war froh, dass sie durch ihr Medizinstudium über ein gewisses Wissen zur Geburtshilfe verfügte. Wie regeln das andere Taxifahrer nur, wenn sie gebärende Frauen zu Klinik fahren? So ganz ohne medizinisches Wissen stelle ich mir das sehr stressig vor, rätselte Iris in Gedanken.

Trotz ihrer Beschwichtigungen gab Iris soviel Gas, wie sie wagen konnte, ohne einen Strafzettel zu riskieren.

"Oh, ah, jetzt kommt es schon wieder. Nein, wie das weh tut!" die Schwangere wand sich und trat Iris dabei durch die Rückenlehne ins Kreuz. Die werdende Mutter hat sich anscheinend nicht gründlich genug auf die Geburt vorbereitet. Das kommt wohl auch völlig aus der Mode.

"Atmen Sie tief durch. So ruhig wie Sie können. Das hilft!"

"Ich kann aber nicht tief durchatmen! Es tut viel zu sehr weh!" beim Zappeln schlug die Gebärende aus Versehen ihrem Mann ins Gesicht. Sie hörte erst auf zu toben als die Wehe nachließ.

"Aaaah, jetzt fängt es schon wieder an."

Das waren jetzt nur noch zwei Minuten. Vielleicht wird es allmählich ernst. Am besten gebe ich etwas mehr Gas. Iris beschleunigte auf knapp zweihundert Stundenkilometer und nutzte jede freie Stelle auf den nächtlichen Straßen Berlins. Durch den Dauerregen glänzten die Straßen wie Spiegel. Wie gut, dass es so tief in der Nacht ist, und dass ich mich mit Autofahren leidlich auskenne. Wenn ich da an die Kartrennen denke: dort ging es noch viel wilder zu.

Die Bremsen quietschten, als Iris um die Ecke bog.

"Nicht so schnell! Meine Frau wird durchgeschüttelt."

"Ja, was nun? Schnell oder vorsichtig?"

"Am besten beides!"

"Aaargh! Oh Gott, ich mag nicht mehr. Ach wäre ich doch tot!"

"Immer mit der Ruhe! Tief durchatmen! Wir sind bald da", jetzt wird es aber Zeit. Das klingt schon nach der Übergangsphase, kurz bevor das Kind ausgetrieben wird. Hoffentlich schaffen wir es noch rechtzeitig. Auf eine blutige Geburt hier im Auto kann ich verzichten.

"Graaaah! Neeeiiiin! Ich will nicht!"

"Hecheln, immer hecheln! Das hilft! Nur noch eine Minute!"

Iris beschleunigte ein letztes Mal, dann bog sie auf den Klinikvorplatz ein. Vor dem Eingang warteten schon zwei Männer mit einer rollbaren Trage. Ob der Vater die schon vorher alarmiert hat? Egal! Hauptsache ich werde diese stressigen Passagiere bald los. Sie stieg aus und half dem werdenden Vater, seine Frau aus dem Auto und auf die Trage zu bugsieren.

Die Pfleger fuhren die schreiende Frau in die Klinik. Noch eine halbe Stunde, wenn nichts dazwischenkommt, dann ist sie Mutter und überglücklich. Und für mich ist jetzt Zeit für ein Päuschen. Der Taxijob ist echt nervenzehrend. Iris fuhr ein Stückchen zur Seite und entspannte sich. Sie fuhr sich mit beiden Händen durch ihre kurzen, blonden Locken, in der Hoffnung, dass sie damit die Kopfschmerzen etwas lindern konnte, die sie in letzter Zeit so oft peinigten.

"Hallo, sind Sie frei?" ein junger Mann klopfte an das Beifahrerfenster.

"Ja, ich kann Sie fahren? Wohin solls denn gehen?" Iris war alles andere als begeistert, gleich wieder los zu müssen. Aber schließlich ist es mein Job, Menschen in der Gegend rumzukutschieren.

Der neue Passagier nannte seine Adresse und bestieg den Beifahrersitz.

"Waren Sie zu Besuch im Krankenhaus?" Iris hatte die Erfahrung gemacht, dass Krankenhausbesucher meistens einen starken Drang hatten, sich ihren Kummer von der Seele zu reden. Durch das Zuhören kam sie sich nicht nur wie eine Fahrmaschine, sondern wie eine Art Kummerkasten vor, was ihr besser gefiel als die reine Fahrerei.

"Ja, meine Eltern haben sich auf einer Kreuzfahrt eine Krankheit eingefangen, wissen Sie? Direkt vom Flughafen aus wurden sie hier eingeliefert."

"Isolierstation?"

"Ja, ganz schrecklich. Ich konnte sie nicht einmal berühren. Durfte nur durch eine Scheibe zu ihnen sprechen, wissen Sie?"

"Worunter leiden Ihre Eltern denn?"

"Irgendeine unbekannte Tropenkrankheit. Lungenentzündung haben die Ärzte gesagt. Aber sie wissen noch nichts Genaues. Meine Eltern sahen grauenvoll aus, alle beide, wissen Sie? So blass, mit blauen Lippen trotz Sauerstoff. Und keuchend! Ganz schnell keuchend!"

"Bei Lungenentzündung ist es leider normal, dass die Betroffenen keuchen. Immerhin sind sie jetzt hier in der Klinik. Das ist allemal besser als im Ausland."

"Ja, ich bin auch ganz froh, dass sie hier sind und nicht weit weg."

"Wo waren sie denn?"

"Ach, in Asien. Überall sozusagen. Das war eine sechswöchige Kreuzfahrt, zu ihrem dreißigsten Hochzeitstag, wissen Sie? Also überall in Asien, wo man rumschippern kann und wo es warm ist. Traumstrände, Kokospalmen, blaues Meer, wissen Sie? Am liebsten würde ich ja auch mal so eine Kreuzfahrt erleben. Aber es ist ihnen nicht gut ergangen, meinen Eltern, wissen Sie? Am Anfang schon hatten sie eine leichte Grippe und jetzt diese schreckliche Lungenentzündung seit sie auf dem Heimweg waren. Dabei hatten sie sich doch so auf die Reise gefreut. Seit Jahren haben sie darauf gespart, wissen Sie?"

"Das ist sicher sehr hart für Sie, als Sohn. Und die Ärzte wissen nicht, was Ihre Eltern haben?"

"Nein, sie sind ganz aus dem Häuschen und machen tausend Untersuchungen. Es ist wirklich ganz schrecklich, wenn die eigenen Eltern so krank sind, wissen Sie?"

Als sie die Straße ihres Fahrgastes endlich erreichte, war Iris sehr froh, ihn wieder in die Welt zu entlassen. Was soll man nur sagen zu so einer Angelegenheit? Reisen in die Tropen bergen immer gewisse Risiken. Aber für die Beteiligten sind die Konsequenzen dann schwer zu tragen. In aller Gemütsruhe fuhr Iris zum Bahnhof, denn für diese Nacht hatte sie genug von Krankenhausbesuchern.

Ach, was waren das noch Zeiten in unserer Biotech-Firma. Welch ein Jammer, dass sie pleite gegangen ist. Wenn Vater erfahren würde, dass ich jetzt Taxi fahre, bekäme er sofort einen Herzinfarkt. Aber auf so einen stressigen Job im Krankenhaus habe ich auch keinen Bock. Und noch viel weniger auf eine elegante Privatpraxis, in der sich lauter feine Pinkel tummeln. Die Arbeit in der Firma war so schön spannend. Gepackt hat sie mich, so dass ich fast glücklich war. Und dann sowas! Warum nur, warum hat sie sich finanziell nicht getragen? Wo doch soviel Geld in der Pharmazie verdient wird. Eine Schande, in so einer Branche pleite zu gehen. Doch was nützt das Lamentieren? Davon können wir auch nicht wieder eröffnen.


Die Virenjägerin

Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit
von Jacques Ruffie, Jean-Charles Sournia

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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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