Home
Romane
Vita
Projekte
News
Impressum

Die Virenjägerin

Kapitel 6


  
Als sie Martin das nächste Mal traf, fragte Iris ihn, ob er mehr über die Patienten mit Lungenentzündung auf der Isolierstation wusste.

"Die lassen dir wohl keine Ruhe, was? Soviel ich weiß, sind die alle gestorben."

"Alle! Das ist aber mysteriös. Und weiß man inzwischen, was für eine Lungenentzündung das war?"

"Ein bisschen mysteriös ist das schon, aber nicht allzu sehr. Die Patienten waren allesamt schon älter und wie du bestimmt weißt, ist Lungenentzündung eine der häufigsten Todesursachen."

"Ja, aber alle! Wenn die Hälfte gestorben wären, hätte ich ja nichts gesagt, aber hundert Prozent Sterblichkeit ist ja nun nicht gerade üblich", fast wäre Iris aufgesprungen, so sehr regte es sie auf, dass der Tod der Reisenden einfach so hingenommen wurde.

"Stimmt schon, aber manchmal kommt auch sowas vor."

"Wird das denn nicht gründlich untersucht? Mit Obduktion nach allen Regeln der Kunst."

"Klar sind die obduziert worden. Aber du weißt ja sicher wie das ist bei dem Personalmangel. Seit die viertausend Mitarbeiter entlassen wurden, kann sich die Belegschaft nur um die wichtigen Probleme kümmern."

"Sind sieben Tote etwa nicht wichtig?"

"Doch natürlich, aber es gibt in der gesamten Charité täglich Tote und auch sehr oft Patienten, die an Lungenentzündung sterben. Du kannst aber unbesorgt sein: nach der genauen Todesursache deiner lungenkranken Reisenden wird gefahndet, zumindest habe ich das so verstanden", Martin hielt den Kopf schräg und lächelte Iris aus seinen warmen Augen an, wohl um sie zu beruhigen.

"Na hoffentlich. Mir ist nicht wohl bei der Angelegenheit."

"Wenn du meine ganzen Krebskinder kennen würdest, wäre dir erst recht nicht wohl bei der Sache. Die haben ihr Leben eigentlich noch vor sich und müssen so eine Tortur durchstehen."

"Du hast wohl recht. So einen Job, wie du hast, würde ich bestimmt gar nicht durchstehen. All dieses Elend bei den kleinen Kindern."

"Aber ohne Medizin hältst du es anscheinend auch nicht aus. Willst du dich nicht bei uns auf der Infektionsstation bewerben? Infektionen sind ja schließlich dein Steckenpferd."

"Schon, aber der Umgang mit Patienten ist wohl nicht so mein Ding. Die Forschung reizt mich eher."

"Tja, dann such dir eine Stelle in der Forschung. Dein Taxifahren ist ja eine richtige Verschwendung von Fachwissen und Forscherdrang."

"Ok, weil du es bist, werde ich mich demnächst mal wieder bewerben. Aber es fällt mir schwer, denn jede Bewerbung tötet ein Stück weit die Hoffnung darauf, dass es für unsere Firma noch eine Chance gibt", Iris zuckte mit den Achseln und kniff heftig die Augen zusammen.

"Diese Chance kannst du dir abschminken. Gib lieber dir selbst eine reale Chance, als dein Leben mit einem aussichtslosen Wunsch zu vertrödeln. Wir sollten hier mal weitermachen, bei der Katalogisierung der Laborbestände. Sonst werden wir nie fertig bis zur Versteigerung."

"Oh, diese Versteigerung, ich mag gar nicht dran denken!" plötzlich schoss Iris das Wasser aus den Augen, was sie fast so sehr ärgerte wie die Aussicht auf die Versteigerung ihrer Gerätschaften.

"Na komm, ich verstehe ja, dass dir das Ende unseres Firmentraums weh tut. Mir geht es ja genauso", Martin legte seinen Arm um Iris und zog sie an seinen massigen Körper. Iris nahm seinen Trost dankbar an und gab sich ihrem Kummer hin. Nach geraumer Zeit verebbten ihre Schluchzer und sie wusste nicht so recht, ob sie sich mit ihren verquollenen Augen schämen sollte. Schließlich ignorierte sie es jedoch einfach und begann, zusammen mit Martin, die verbliebenen Geräte zu katalogisieren.

Die Tage vergingen vorwiegend mit Taxifahren. Iris hatte sich immer noch nicht wieder dazu durchgerungen, sich zu bewerben. Nur eine Liste der geeigneten Firmen und Labore hatte sie in ihren Arbeitspausen zusammengestellt. Eigentlich ist da nichts dabei, wo ich wirklich gerne arbeiten würde. Schon beim Gedanken daran, könnte ich schreien. Ich will unsere eigene Firma zurück. Wir waren auf so einem guten Weg. Bald schon hätten wir erste verkaufbare Ergebnisse gehabt, das weiß ich genau. Gute Medizin für seltene und schwierige Krankheiten. Und was machen diese anderen Läden auf der Liste? Murks, nichts als langweiliges Zeugs. Vielleicht bin ich ja auch ungerecht, aber ich will nicht bei denen arbeiten. Und bestimmt haben die sowieso keinen Job für mich frei. Oh, und immer diese grässlichen Kopfschmerzen. Ich sollte mich vielleicht hinlegen und heute einfach mal früh schlafen. Vielleicht habe ich ja auch Schlafmangel durch die vielen Nachtschichten im Taxi.

Auf dem Weg ins Bad tauchte Iris noch mal ihr Gesicht in ihren Laborkittel und inhalierte den Duft der weiten Forschungswelt. Dann kuschelte sie sich unter ihre Bettdecke, aber es brauchte geraume Zeit, bis sie endlich einschlafen konnte.

Der Sandsturm tobte. Seit Ewigkeiten tobte der Sandsturm nun schon und schien überhaupt nicht nachlassen zu wollen. Iris hüllte sich noch enger in ihren Laborkittel, der sie vor dem schlimmsten Unbill schützte. Durch einen Spalt sah sie, wie die Sandkörner über das wüste Land peitschten. Hinter einem Erdwall entdeckte sie auf einmal kleine Wesen, schwarze Geschöpfe, die den Windschatten nutzten, um sich fortzubewegen. Das sind doch Kobolde, oder? Rußige Kobolde! Und was tun die da? Die verstreuen irgendwas, als wollten sie säen. Na sowas, was säen die denn? Mitten in diesem Sturm. Wollen die Gartenbau betreiben oder was? Rußige Kobolde, die säen. Im Windschatten dieses Sturmes säen? Jetzt kommen sie auf mich zu. Aber sie können mich doch gar nicht sehen, weil mein Laborkittel mich verbirgt. Doch, sie kommen näher. Sie hüpfen auf mich drauf und trippeln meinen Rücken herunter. Wie es kitzelt. Aber mit ihrem Saatgut können sie nicht landen bei mir. Was ist das nur für ein Samen, den die säen? He, was soll denn dieser Unsinn? Das ist doch völliger Quatsch. Das kann doch nur ein Traum sein.

Schweißgebadet schreckte Iris aus dem Schlaf. Ihre Decke hatte sie sich vollständig über den Kopf gezogen und musste sich erst wieder daraus befreien. Erst als sie ihre Nachttischlampe eingeschaltet hatte, fand sie allmählich wieder zur Realität zurück.

Was für ein Traum! So ein Blödsinn! Sandsturm und rußige Kobolde, die den Windschatten nutzen, um darin zu säen. Wie ich nur auf sowas gekommen bin? Am besten dusche ich mir mal den Schweiß vom Leib, vielleicht kann ich dann ja wieder einschlafen und normale Dinge träumen.

Bevor Iris unter der Dusche verschwand, setzte sie noch Wasser auf, um sich einen Baldriantee zu kochen. Den schlürfte sie anschließend mit Honig, gemütlich im Bett sitzend, bei dem sie die Decke umgedreht hatte, um nicht in ihrem Schweiß zu liegen. Anschließend las sie noch eine Weile in einem interessanten Roman, bis sie müde genug war, um einzuschlafen.

Am nächsten Morgen hatte sie den Traum fast schon wieder vergessen. Erst gegen Mittag, als sie im Taxi saß und auf Kundschaft wartete, fiel er ihr wieder ein. Doch sie kam nicht darauf, was der Traum für eine Bedeutung haben könnte und wie sie dazu gekommen war, so etwas zu träumen.

Die Tage vergingen.

Wieder einmal trafen sich die ehemaligen Firmengründer im Firmengebäude. Diesmal wollten sie die Gerätelisten miteinander abgleichen. Iris brachte Igor eine dicke Pfeffersalami mit, was ihm eines der seltenen Lächeln entlockte. Für alle hatte sie, wie meistens, Kuchen mitgebracht, denn sie brauchte bei diesen Treffen wenigstens einen kleinen Trost und vermutete, dass es den anderen auch so ging.

Martin und Igor langten kräftig zu, doch Siegfried schnitt sich nur ein schmales Stückchen ab und stocherte lange daran rum, bevor er sich eine winzige Portion in den Mund schob.

"Können wir diesen Listenvergleich zügig hinter uns bringen?" bat Siegfried mit unruhigem Blick in die Runde.

"Auf dich wartet bestimmt mal wieder eine attraktive Blondine", neckte Martin ihn.

"Ne, diesmal nicht. Mir tut jeder Atemzug weh. Ich glaube, ich habe mich wieder erkältet."

Die Virenjägerin

Geißeln der Menschheit. Die Kulturgeschichte der Seuchen
von Stefan Winkle

Vollautomatisch
< <   > >

1  2  3  4  5  6  7  8  9  10  11  12  13  14  15  16  17  18  19  20  21  22  23  24  25  26  27  28  29  30 

Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

Bestellen...