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Die Virenjägerin

Kapitel 12


  
Über medizinische Einzelheiten schwieg sich das Fernsehprogramm aus. Daher ging Iris ins Büro und schaltete ihren Computer an. Im Internet überschlugen sich die Nachrichten über die Seuche. In der Textfülle war es für Iris nicht so einfach, die Informationen zu finden, nach denen sie suchte.

In Jakarta starben die Menschen inzwischen wie die Fliegen, in mehreren Ländern war es trotz Ausgangssperre zu Ausschreitungen gekommen, woanders gab es Stromausfälle, weil zuviele Mitarbeiter der Stromfirmen krank geworden waren und manche wichtige Labore konnten mangels gesunden Fachkräften nicht nach dem Erreger suchen. Was funktioniert eigentlich noch in diesem ganzen Chaos?

Dann endlich stieß Iris auf halbwegs sachliche Informationen über den Stand der Forschung. Die meisten Wissenschaftler vermuteten einen Virus als Verursacher der Pneumonie. Zur Debatte stand ein mutierter Grippevirus, ein Verwandter von SARS oder ein gänzlich neuer Virus. Manche diskutierten auch eine Variante der Legionärskrankheit. Bisher hatte jedoch noch niemand den gesuchten Erreger gefunden.

Rätselhaft war die Tatsache, dass die Übertragung der Krankheit bislang völlig ungeklärt war. Aus den Krankenhäusern kamen Meldungen, dass manche Patienten in den letzten Wochen keinerlei Kontakt zu anderen Menschen gehabt hatten, die ihrerseits erkrankt waren. Einige hatten sogar wochenlang in völliger Isolation gelebt und waren dennoch krank geworden. Eine Übertragung durch Klimaanlagen oder Luftschächte wurde in den meisten dieser Fälle jedoch ausgeschlossen.

Daher war die These aufgekommen, dass möglicherweise Tiere die Verbreiter der Krankheit waren. Die Kranken wurden nach Einstichen abgesucht und befragt, mit welchen Tieren sie Kontakt hatten. Manche Wissenschaftler vermuteten umherfliegenden Staub, der mit Vogelkot durchsetzt war.

Natürlich gab es auch Stimmen, die hinter all dem einen terroristischen Anschlag mit Biowaffen vermuteten. Als Argument wurde herangezogen, dass die Durchseuchung zu perfekt sei, um natürlichen Ursprungs zu sein. Iris traute den Terroristen jedoch nicht zu, eine solch weltweite Seuche zu inszenieren. Gerade die weltweite Verbreitung sprach aus ihrer Sicht gegen die Terrorthese.

Iris spürte, dass die jetzige Seuche in Zusammenhang mit den Pneumoniefällen von vor vier Wochen stand. Sie konnte sich jedoch nicht erklären, wie das sein konnte. Dennoch beschloss sie, diese Idee im Hinterkopf zu behalten.

Nachdem sie alle Nachrichtenquellen abgeklappert hatte, ging Iris in den Laborraum, wo die Probe aus Siegfrieds Rachen schon auf sie wartete.

Sie überlegte, ob sie sicherheitshalber in den Hochsicherheitsraum gehen sollte, entschied sich jedoch dagegen, weil sie ja sowieso überall mit dem Erreger konfrontiert wurde. Die Arbeit im Druckanzug war auch sehr mühsam, bestimmt hätte sie damit länger gebraucht, um Ergebnisse zu erzielen.

So warf sich Iris ihren Laborkittel über, schmunzelte, weil er sie an ihren Traum erinnerte und zog sich Handschuhe, Maske und eine Haube an.

Zuerst wollte Iris die Probe unterm Lichtmikroskop ansehen, um einen allgemeinen Eindruck zu erhalten. Sie färbte einen Teil von Siegfrieds befallenen Schleimhautzellen ein, applizierte einen noch kleineren Teil auf einen Objektträger und hielt ihre Augen an die Okulare.

Mit der einen Hand stellte Iris die Schärfe ein und mit der anderen justierte sie die Probe. Da, deutlich erkennbare Zellen. Iris' Herz klopfte vor Aufregung.

Hier haben wir sie also, Siegfrieds Schleimhautzellen. Und was scharwenzelt da drumherum? Größer stellen. Kleine längliche Punkte. Größer stellen. Könnten Kokken sein. Pneumokokken? Möglich. Wahrscheinlich sogar. Die haben bestimmt die Chance genutzt, die geschwächten Schleimhäute heimzusuchen. Größer stellen. Sehen müde aus, die kleinen Dinger. Vielleicht sogar tot? Könnte am Antibiotikum liegen. Und was haben wir denn da? Staphylokokken? Würde auch nicht wundern. Die sind ja überall, wo sich eine Infektion abspielt. Diese miesen kleinen Biester. Schwächeln aber auch. Um sicher zu gehen, sollte ich einen Teil der Probe noch durch den PCR jagen, damit wir wissen, welche Bakterien sich zusätzlich angesiedelt haben. Dann können wir Siegfried gezielter behandeln. Das mach ich gleich mal als nächsten Schritt und dann: Elektronenmikroskop, ich komme!

Iris löste ihre Augen vom Mikroskop und strahlte. Endlich fühlte sie sich wieder wie ein richtiger Mensch. Ein Mensch mit einer sinnvollen Aufgabe. Lächelnd platzierte sie eine weitere Probe im PCR-Gerät, um die DNS-Stränge der Bakterien zu vervielfältigen, damit sie später einen DNS-Abgleich damit vornehmen konnte. Dadurch würde sie genaue Infos darüber erhalten, welche zusätzlichen Erreger sich in Siegfried tummelten.

Wie pervers! Da draußen sterben die Menschen in Massen und ich bin einfach glücklich. Das erste Mal seit Monaten. Dabei liege ich nachher vielleicht auch so da und hechel um mein Leben. Aber ich bin glücklich. Glücklich und zufrieden. Dabei ist die Firma immer noch insolvent. Sobald diese Seuche vorbei ist, müssen wir hier raus und ich sitze wieder im öden Taxi. Und juckt mich das? Ne! Ich platze fast vor Vergnügen, hier mit den gefährlichen Krankheitserregern rumzuspielen. Mädchen, du hast se nicht mehr alle!

Mit gespitzter Zunge, die zwischen ihren maskierten Lippen hervorlugte, bereitete Iris Siegfrieds Schleimhautzellen für die Untersuchung unter dem Elektronen-Mikroskop vor. Dann brachte sie die erste Teilprobe in Position.

"He Iris, bekommst du überhaupt keinen Hunger mehr? Du bist jetzt schon seit Stunden im Labor. Ich habe uns einen Happen zubereitet", Martin schreckte Iris aus ihrer Konzentration.

Das passt mir jetzt aber gar nicht. Ich habe noch soviel zu tun. Genau! Du wirst noch Tage mit der Untersuchung beschäftigt sein und brauchst all deine Kraft. Also gibt dir einen Ruck und geh essen.

"Ok, Martin. Das ist lieb von dir. Ich komme gleich."

Einen kurzen Blick warf Iris noch durch das Elektronenmikroskop, entdeckte aber auf diesen ersten Blick nicht Besonderes. Dann folgte sie Martin in die Teeküche.

"Hier, iss!" Martin schob Iris einen Teller zu.

Iris schaufelte die Mahlzeit in sich hinein, ohne überhaupt zu merken, was sie da aß. Stattdessen dachte sie über ihre Untersuchungen nach.

"Hast du schon was entdeckt?"

"Ja, ein paar Kokken. Vermutlich die üblichen Sekundärinfektionen. Anscheinend schon recht schlapp. Die Antibiotika scheinen zu helfen. Lass ich gerade genauer untersuchen."

"Sehr gut. Die Suche nach dem Virus dauert sicher noch."

"Was denkst du denn? Natürlich dauert die noch. Du hast mich ja vom spannenden Objekt weggezerrt, bevor ich genau hingucken konnte."

"Verzeih. Aber die kleine Essenspause wird dir bestimmt gut tun und dann kommst du später schneller voran."

"Hoffentlich. Wie geht es eigentlich Siegfried?"

"Unverändert. Aber er wirkt inzwischen erschöpft. Die schnelle Atmung fordert ihren Tribut. Auch das hohe Fieber verbrennt ihn förmlich. Aber das Fieber ist zur Zeit schließlich sein einziges Heilmittel für den Haupterreger. Damit bekämpft er den vermeintlichen Virus. Darum drücke ich es nicht komplett runter. Würde mir wohl auch schwer fallen."

"Hm, schlimme Sache, diese Lungenentzündung."

Schweigend aß Iris den Rest ihrer Mahlzeit und ging dann wieder ins Labor. Der Blick durchs Elektronenmikroskop zeigte ihr, wie erhofft, die wunderbare Welt der starken Vergrößerung. Langsam tastete sich Iris von Zelle zu Zelle.

Das dauert bestimmt Ewigkeiten, bis ich mal auf den gesuchten Virus stoße. Und in der Zwischenzeit sterben überall die Menschen. Wenn ich den Erreger doch nur schnell finden könnte. Um dann ein Heilmittel zu finden. Das darf einfach nicht so lange dauern, wie normalerweise. So schnell ging eine Seuche noch nie um die Welt. Wie es da draußen wohl aussehen mag? Bei den einzelnen Menschen?

Die Virenjägerin

Expeditionen ins Reich der Seuchen
von Johannes W. Grüntzig, Heinz Mehlhorn

Vollautomatisch
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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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