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Die Virenjägerin

Kapitel 24


  
Das Telefon klingelte.

Iris schreckte von ihrer Arbeit am Mikroskop auf. Seit Ewigkeiten hatte das Telefon nicht mehr geklingelt. Wo stand es überhaupt? Iris folgte dem Klang und entdeckte das Telefon schließlich auf dem Nebentisch unter einem Stapel Ausdrucke.

Wer da wohl anruft?

"Ja, hallo, hier Iris", meldete sich Iris, nachdem sie den Hörer abgenommen hatte. Sie rechnete nicht mit einem geschäftlichen Anruf, sonst hätte sie den Firmennamen und ein offizielles Sprüchlein abgespult.

"Oh, Iris, wunderbar, dass ich dich erreiche!" klang es Iris rauschend entgegen.

"Yakup? Yakup, bist du es wirklich?"

"Ja, ich bin's. Hör gut zu! Ich stecke hier in Kroatien in einem Lager fest. Werde hier gefangengehalten, vermutlich als Quarantäne-Maßnahme. Aber ich verstehe kein Wort und darum begreif ich auch nicht so ganz, warum sie mich nicht wieder weglassen."

"Du wirst gefangengehalten? Wie schrecklich! Wie können wir dir helfen?"

"Ich weiß auch nicht. Vielleicht über die Botschaft. Wenn du denen klar machen kannst, dass es wichtig ist, dass ich in Berlin ankomme. Wie läuft es denn bei euch so?"

"Oh, hier läuft es eigentlich gut. Wir haben einen Virus entdeckt und durch Zufall haben wir auch ein Heilmittel, aber wir wissen noch nicht wie es sich zusammensetzt. Aber zurück zu dir: Wo bist du genau? Wie ist es dort? Bekommst du genug zu essen? Geht es dir gut?"

"Was? Ihr habt einen Virus entdeckt und ein Heilmittel habt ihr auch schon? Da hab ich ja viel verpasst. Wird Zeit, dass ich zu euch komme, damit ihr mir alles genau erzählen könnt. Hier im Lager ist es ziemlich trostlos, aber sie geben uns was zu essen und verprügeln einen auch nur, wenn man versucht zu fliehen. Ansonsten geht es mir aber gut. Leider musste ich meine Schutzmaske gegen die Aufladung des Handies eintauschen, jetzt bin ich natürlich besorgt, ob ich mich in den nächsten Tagen anstecke."

"Wegen der Ansteckung brauchst du dir eigentlich keine Sorgen zu machen. Warst du vor etwa vier Wochen erkältet?"

"Vor vier Wochen erkältet? Nein, wieso? Und wieso brauche ich mir keine Sorgen machen?"

"Nicht erkältet! Sehr gut. Stell dir vor, seit gestern wissen wir, warum sich die Übertragung der Seuche so merkwürdig verhält. Das haben ausnahmsweise nicht wir, sondern Forscher in Australien herausgefunden. Die Krankheit tritt in zwei Phasen auf. Kurz nach der Ansteckung bekommt man eine ganz normal wirkende Erkältung. Erst vier bis fünf Wochen später bricht dann die schwere Lungenentzündung aus. All die, die jetzt krank werden, haben sich also schon vor einem Monat angesteckt."

"Na sowas, das klingt aber merkwürdig. Aber halt, das gibt es ja auch bei einigen anderen Krankheiten. Herpes fällt mir da spontan ein."

"Stimmt, Herpes hat auch eine erkältungsartige Vorerkrankung und sogar AIDS fängt mit einer Erkältung an, um dann für Jahre in die Warteposition zu gehen. Wie gut, dass du nicht erkältet warst. Und falls es dich jetzt erwischen sollte, haben wir vier Wochen Zeit, um das Heilmittel zu entwickeln."

"Ach ja, das Heilmittel, das ihr ja angeblich schon habt, aber nicht wisst, was es ist. Sehr mysteriös. Ich könnte stundenlang mit dir telefonieren, um alles zu erfahren, aber die Verbindung ist echt lausig. Hoffentlich könnt ihr mir helfen, bald hier raus zu kommen."

"Das hoffe ich auch. Am besten lässt du dein Handy immer an, damit wir dich erreichen können, wenn es etwas Neues gibt. Verrat mir noch mal genau, wo du bist, damit ich es mir aufschreiben kann."

Yakup buchstabierte Iris den Ortsnamen und beschrieb, wo sich innerhalb des Ortes das Lager befand. Dann vergewisserte sich Iris, ob sie die richtige Handynummer hatte und anschließend verabschiedeten sich die beiden schweren Herzens.

Iris hörte ihr Herz schlagen, so aufgeregt war sie. Sie stürmte aus dem Labor, um den anderen von dem Anruf zu berichten. Martin fand sie, wie zu erwarten, im Krankenzimmer, zusammen mit Siegfried, der inzwischen meistens ansprechbar war, wenn auch noch extrem schwach.

"Stellt euch vor, eben hat Yakup angerufen", sprudelte es aus Iris hervor. "Sie haben ihn irgendwo auf dem Balkan gefangen genommen und in ein Lager gesteckt."

"Echt?" Martin wiegte sorgenvoll seinen Kopf. "Das klingt aber gar nicht gut. Wir sollten ihm Hilfe schicken, fragt sich nur wie."

Siegfried hob den Kopf und krächzte: "Yakup könnten wir hier wirklich gut gebrauchen, damit der ein brauchbares Medikament aus eurem Teufelszeug macht. Mir ist immer noch ganz übel."

"Sei nicht undankbar, vorher warst du halb tot und außer dir hat noch niemand überhaupt ein Mittel gegen die Seuche bekommen."

"Ok, ok, so war es gar nicht gemeint. Ich bin euch ja auch enorm dankbar. Aber der Yakup fehlt uns einfach."

"Richtig, der Yakup fehlt uns ganz gewaltig. Vielleicht versuch ich es gleich mal beim Außenministerium und bei der deutschen Botschaft in Kroatien. Irgendwie werden wir ihn schon befreien können."

Iris schickte sich an, das Krankenzimmer zu verlassen und wäre fast mit Igor zusammengestoßen, der wie üblich unverständlich in sich hinein grummelte. Iris fand, sein Grummeln klang skeptisch, machte sich aber keine weiteren Gedanken darüber, denn sie war ganz erfüllt von ihrer Mission, Hilfe für Yakup aufzutreiben.

Im Internet fand sie die Nummer des Außenministeriums und rief sofort dort an. Sie hörte den Klingelton auf der anderen Seite. Dreimal klingelte es, dann erklang eine Stimme vom Band:

"Aufgrund der Pandemie ist unser Ministerium vorübergehend geschlossen. Bitte rufen Sie wieder an, sobald die Krisensituation beendet ist."

Entgeistert starrte Iris den Telefonhörer an. Ein so wichtiges Ministerium konnte doch nicht einfach schließen, auch wenn eine Pandemie grassierte. Gerade in solchen Zeiten war es doch wichtig, das Ministerium erreichen zu können. Iris wählte erneut, weil sie es nicht glauben wollte, dass im Ministerium niemand erreichbar war. Doch die automatische Ansage war auch diesmal zu hören.

Ungläubig versuchte Iris mehrere Durchwahlnummern, landete aber bei allen Versuchen bei der Tonbandstimme.

Dann muss ich es wohl direkt in Kroatien versuchen. Ist ja richtig unheimlich. Hoffentlich ist dort jemand zu sprechen.

Iris wählte die Nummer, die kaum länger als eine Nummer innerhalb Berlins war. Aber am Klang des Klingeltons hörte sie, dass sie im Ausland anrief. Sie hielt die Luft an und lauschte gespannt dem wiederholten Klingeln. Nach fünf mal klingeln verlor Iris fasst ihren Mut. Nicht mal eine Ansage haben sie dort. Die hat es dort wohl mitten während der Arbeit erwischt.

Doch dann hörte Iris, wie jemand den Hörer abnahm.

"Deutsche Botschaft Zagreb, was kann ich für sie tun?" ertönte eine weibliche Stimme in fließendem aber stark akzentuierten Deutsch.

"Sehr gut, dass ich Sie erreiche. Ein wichtiger Mitarbeiter unserer Berliner Medizinfirma wird in einem Quarantäne-Lager in Kroatien festgehalten. Wir brauchen ihn aber dringend um ein Medikament gegen die Seuche zu entwickeln."

"In einem Quarantäne-Lager sagen Sie? Da können wir leider gar nichts tun, denn diese Lager sind staatlich angeordnet."

"Ja, aber dieser Mitarbeiter ist ein sehr fähiger Pharmakologe. Unsere Firma hat schon den Erreger der Krankheit entdeckt und jetzt wollen wir auch ein Heilmittel entwickeln. Das wäre auch für Kroatien sehr wichtig."

"Gut, das sehe ich ein, dass Sie das wollen. Ich würde das auch sehr begrüßen. Aber mir sind leider die Hände gebunden."

"Bitte verbinden Sie mich mit dem Botschafter!"

"Der Botschafter ist krank. Alle sind krank außer mir. Hören Sie, ich würde Ihnen wirklich gerne helfen, aber ich sehe keinerlei Möglichkeit dazu", beim letzten Satz begann die Stimme der Botschaftsmitarbeiterin zu zittern.

"Bitte, ich flehe Sie an. Das Mittel, das unser Mitarbeiter entwickeln kann, könnte Millionen von Menschen retten, sogar Ihren Botschafter."

"Tut mir leid, es ist nicht möglich."

Ein Knacksen zeigte, dass die Gegenseite das Gespräch beendet hatte.

Iris starrte ihren Telefonhörer ungläubig an und spürte, wie Tränen der Wut in ihr aufstiegen.

Die Virenjägerin

Expeditionen ins Reich der Seuchen
von Johannes W. Grüntzig, Heinz Mehlhorn

Vollautomatisch
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Die Virenjägerin
Die Virenjägerin

208 Seiten
ISBN 3-938764-02-3

Preis: 14.80 Euro

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