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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 41


  
"Muss das Balg am frühen Morgen so einen Lärm machen?", polterte Andreas, als er gegen viertel nach elf in der Küche erschien und Johanna sah, die gerade Gemüse ins Haus trug.

"Welches Balg und welcher Lärm?", fragte Johanna kühl.

"Na die kleine Göre. Die hat vor ner Stunde einen Höllenlärm gemacht: irgendwie geträllert und gehopst, dass ich fast aus dem Bett gefallen bin."

"Die Göre hatte zu diesem Zeitpunkt bereits ein ganzes Beet gejätet und hatte eine fröhliche Frühstückspause wohlverdient. Wärst du besser mal aus dem Bett gefallen, dann könntest du jetzt auch schon bei der Arbeit sein."

"Immer mit der Ruhe. Wir haben elf Uhr ausgemacht, nicht zehn Uhr. Und sie braucht doch nicht so einen Lärm zu machen in aller Hergottsfrühe."

"Jetzt reichts!"

Johanna knallte die Gemüsekiste auf den Tisch und stampfte in den Garten.

Jens, der das Ganze verfolgt hatte, eilte ihr nach, um die Situation zu klären.

"Johanna, so hör doch. Ich kann ja gut verstehen, dass du wütend bist, aber..."

"Aber... Ja, ich weiss doch. Er hat noch nie gearbeitet, er kennt das alles nicht, er hat einen anderen Tagesrhythmus. Aber muss er auch noch unverschämt fordernd sein?"

"Nein, müsste er vielleicht nicht, aber er kennt es wohl nicht anders. Wo sollte er es gelernt haben?"

"Nicht mal Sonja fordert so viel und gibt so wenig, obwohl sie noch so klein ist."

"Sonja hat ja auch Eltern, die darauf achten, dass sie sich auch einbringt und nützlich macht. Vielleicht haben Andreas Eltern ihn von hinten bis vorne verwöhnt? Das ist bei vielen Leuten der Fall."

"Ach. Theoretisch sehe ich das ja auch alles ein und ich sage mir immer wieder, dass er ja keine Chance gehabt hat, aber manchmal hilft das alles nicht und ich könnte ihm ins Gesicht springen."

"Weisst du was? Mir geht es oft ähnlich. Wenn wir auf dem Feld sind und er richtet mal wieder mehr Schaden an als er mithilft, dann bin ich immer ganz froh, wenn er sich vor lauter Erschöpfung in den Schatten legt und Däumchen dreht, obwohl ich ihn gleichzeitig dafür schlagen könnte. Manchmal würde ich ihn am liebsten gleich in die Ecke schicken, aber dann würde er es ja nie lernen."

"Das stimmt! Wenn man ihn nicht fordert, kann er es auch nicht lernen. Ich bewundere deine Geduld."

"Na ja, ich hab ja auch noch Achim, der wirklich gut zupackt und wir grinsen uns auch öfters einen. Das hilft."

"Das mit dem Grinsen kann ich mir gut vorstellen. Wenn ichs recht überlege, dann hat uns am Anfang auch ständig der Rücken wehgetan und wir haben nicht halb soviel geschafft wie jetzt. Und inzwischen ist ja auch noch die Hitze dazugekommen, an die wir uns nach und nach gewöhnen konnten."

"Ich erinnere mich auch noch lebhaft an unsere Anfänge. Siehst du meine Liebe, man muss alles nur im rechten Verhältnis sehen, dann kann man leichter geduldig sein."

"Ok, ich werde versuchen, mit ihm klarzukommen."

Jens küsste seine Frau und kehrte zurück in die Küche. Andreas hatte inzwischen gefrühstückt und war bei der zweiten Tasse Kaffee angekommen.

"Deine Frau kriegt wohl ihre Tage."

"Ja, könnte sein. Komm, lass uns aufbrechen. Das Feld wartet schon dringend auf uns."

"Immer langsam mit den jungen Pferden."

Auf dem Feld waren wieder einige Kartoffelpflanzen ausgerissen worden. Vor einer Weile hatte es mit plattgetretenem Weizen angefangen, dann vereinzelte fehlende Kartoffeln, Lücken im Möhrenbeet und vollständig abgerissene Mangoldblätter. Die ganze Familie rätselte, wer den Schaden wohl verursacht haben könnte. Ob es ein Reh oder ein Wildschwein war? Bisher waren sie dem Geheimnis noch nicht auf die Spur gekommen und für anstrengende Nachtwachen war der Schaden zu gering.

Die verbliebenen Kartoffeln forderten immer noch genügend Aufmerksamkeit und wollten immer wieder gehäufelt und gejätet werden. Auch bei meisten anderen Feldfrüchten musste man ständig jäten oder hacken.

Weil es nur selten regnete, musste das Feld sogar manchmal bewässert werden, damit die Pflanzen nicht vertrockneten. Zu diesem Zweck hatten Jens und Achim ein Lastenfahrrad gebaut, bei dem man zu zweit nebeneinander strampeln konnte, um besonders schwere Lasten zu befördern. Diesem Fahrrad hatten sie sogar zwei Autobatterien und mehrere Solarzellen auf einem Dachgestell gegönnt, um einen kleinen Hilfsmotor zu betreiben, falls die Last für eine kurze Strecke mal zu schwer für zwei Radler war. Das Solarsystem war noch nicht richtig ausgereift, aber es machte viel Spaß mit dem Lastrad zu fahren.

Mindestens einmal am Tag fuhren sie seither mit einem Wassertank vom Bach bis zum Feld und nutzen die erhöhte Position des Tanks, um das Wasser mit Schläuchen in kleinen Portionen zu verteilen. Die Wassermenge, die sie bewältigen konnten, reichte zwar bei weitem nicht aus, um regelmäßigen Regen zu ersetzen, aber immerhin bewahrte es ihre Pflanzen vor dem Verdursten.

Beim Wassertransport kam auch Andreas langsam in Bewegung, denn das Lastfahrrad gefiel ihm, vor allem im Zusammenhang mit dem Solarantrieb.

Eines Abends kam Johanna den Feldarbeitern schon auf dem Heimweg entgegen und verkündete, dass ihr Vater drei spottbillige Biogasanlagen für sie ersteigert hatte. Zwei, die transportabel und funktionstüchtig waren und eine, bei der man die wichtigen Bauteile demontieren konnte. Die Anzahlung hatte Herr Trautmann spendiert, quasi als nachträgliches Hochzeitsgeschenk. Jetzt musste nur noch der schwierige Transport geklärt werden.

Jens umarmte Johanna voller Freude und tanzte mit ihr durch die Straßen bis nach Hause. Andreas fuhr währenddessen mit dem Lastfahrrad alleine bis in den Hof. Durch den Lärm aufgeschreckt, kam auch Achim aus der Werkstatt und stimmte in den Jubel ein, als er erfuhr, was der Anlass zur Freude war.

Nun musste noch ein Bauantrag gestellt und ein Fundament gebaut werden. Jens stellte den Antrag sofort, denn er befürchtete, dass es lange dauern würde, bis er die Genehmigung in den Händen hielt. Auch die Beschaffung von Zement und Stahl für den Beton war eine schwierige Angelegenheit, doch bei einem Baustoffhändler etwas weiter weg wurden sie schließlich fündig. Sie brauchten mehrere Fuhren mit ihrem Lastfahrrad, um das ganze Material anzukarren.

Als sie das erste Fundament gegossen hatten, ging Jens nach dem Abendessen noch mal aufs Feld, um zu überprüfen, ob der Beton gut abtrocknete. Dem Beton ging es gut, aber als Jens seinen Blick über das Feld schweifen ließ, sah er einen Menschen bei den Kartoffeln. Der Mensch duckte sich schnell.

"He, hallo Sie!", rief Jens und rannte zu dem Menschen.

Beim Näherkommen erkannte er, dass es eine Frau war, und sie ergriff die Flucht.

Jens nahm die Beine in die Hand und eilte ihr hinterher. Die Frau war schnell, doch ein Beutel behinderte sie und schlug ihr immer wieder gegen die Beine. Das gab Jens den entscheidenden Vorteil, sodass er die Flüchtige nach kurzer Strecke packen konnte.

"Was soll das?", fragte er barsch.

Die Frau sah ihn trotzig an und sagte: "Meine Kinder haben Hunger und ich habe keine Arbeit mehr und darum wollte ich ein paar Kartoffeln mitnehmen. Nur wenige!"

"Jetzt sind die aber noch viel zu klein, um geerntet zu werden. In einigen Wochen sind sie dreimal so gross. Sie nehmen uns also dreimal soviel, wie Sie erhalten. Kommen Sie mit!"

Erst wehrte sich die Frau gegen Jens' festen Griff, doch dann kam sie widerwillig mit und reckte ihr Kinn demonstrativ nach vorne. Ihre hohlen Wangen zeigten deutlich, dass sie nicht gelogen hatte, sondern wirklich unter Hunger litt. Auch der Arm in Jens' Hand fühlten sich knochig an.

"Hier haben wir unser Reh, oder war es ein Wildschwein?", sagte Jens, als er die Frau in die Küche schob, wo alle sie erstaunt anstarrten.

"Ich tue es auch nie wieder. Bitte tun sie mir nichts! Bitte lassen sie mich gehen! Meine Kinder haben Angst ohne mich."

"Jetzt setzen Sie sich erstmal hin, meine Frau findet bestimmt etwas zu essen für Sie."

Johanna erwachte aus ihrer Erstarrung, lief in die Speisekammer und kam mit einem Teller voller Brot und Ziegenkäse zurück. In einer Suppenschale brachte sie kurz darauf noch aufgewärmten Eintopf vom Abendessen.

Die Frau blickte verwirrt um sich und schien nicht zu verstehen, was Jens und seine Familie von ihr wollte. Jens musste sie förmlich auf die Bank schubsen, bis sie Platz nahm. Als sie endlich begriff, dass sie nicht geschlagen, sondern verköstigt werden wsllte, biss sie erst scheu ins Brot, schaute sich nochmal um, ob jetzt die Schläge kämen und griff dann herzhaft zu. Möglichst unauffällig ließ sie eine Scheibe Brot in ihrer Tasche verschwinden.

"Für ihre Kinder geben wir Ihnen etwas mit. Essen Sie in Ruhe, damit Sie zu Kräften kommen und dann können wir reden."

Johanna war inzwischen mit einem Korb wieder in der Speisekammer verschwunden und Heide folgte ihr. "Haben Sie zu Hause Gelegenheit zu Kochen?", rief Johanna kurz durch die Tür und als die Frau murmelnd zustimmte, widmete sich Johanna wieder der Nahrungsmittel-Zusammenstellung.

Nach einer Weile kamen Heide und Johanna mit dem inzwischen vollgepackten Korb in die Küche und stellten ihn neben die Frau.

"So, das dürfte jetzt für ein paar Tage reichen, es sei denn, Sie haben eine Fussballmannschaft zu Hause. Wieviel Kinder haben Sie denn?"

"Zwei: sechs und neun Jahre alt."

"Ok, dann dürfte es locker reichen, Frau ... wie darf ich Sie nennen?"

"Sutter ist mein Name, Frau Sutter."

"Gut, Frau Sutter. Hier sind noch Vitamin-Brausetabletten. Davon geben Sie den Kindern jedem eine am Tag, und Sie selbst nehmen zwei am Tag, um eventuelle Mangelzustände auszugleichen. Die Kinder werden es mögen, denn es schmeckt wie Orangensaft."

Frau Sutter nickte, schien aber verwirrt und sagte: "Ja, aber... Das kann ich gar nicht alles zahlen."

"Das brauchen Sie auch nicht zahlen. Nehmen Sie es einfach und danken Sie Gott."

"Und natürlich reden wir jetzt noch ein ernstes Wörtchen miteinander.", mischte Jens sich ein, denn Frau Sutter hatte inzwischen fertig gegessen.

Frau Sutter erblasste.

"So schlimm wirds nicht! Aber Ihnen ist bestimmt klar, dass wir keine Plünderer auf unseren Feldern wollen. Ausserdem gewinnen Sie dabei viel weniger als Sie Schaden anrichten, beispielsweise, weil die Kartoffeln noch gar nicht groß genug sind zum Ernten."

"Ja, ich werde es auch nie wieder tun."

"Wie ich sehe, hat meine Frau Ihnen von unseren Frühkartoffeln eingepackt. Die haben schon die richtige Größe und können gegessen werden, sehen Sie?"

"Ja."

"In Zukunft werden wir Feldplünderungen scharf bestrafen und damit meine ich keine läppische Anzeige bei irgendeinem Polizeirevier. Haben wir uns verstanden?"

"Ja."

"Erzählen Sie keinem, dass wir Ihnen Essen mitgegeben haben, sonst können wir uns nicht mehr retten. Aber Sie dürfen in drei Tagen wiederkommen und bis dahin werden wir uns vielleicht etwas einfallen lassen, das Ihnen weiterhilft."

Jens blickte fragend in die Runde und als er Johanna nicken sah, war er beruhigt.

"Und jetzt?", fragte Frau Sutter.

"Und jetzt gehen Sie nach Hause und machen Ihren Kindern etwas Leckeres zu essen. Und achten Sie darauf, dass sie langsam essen, falls es schon längere Zeit nicht genug gab, damit der Magen die Nahrung verkraftet."

"Wie kann ich Ihnen nur danken?", obwohl Frau Sutter sitzengeblieben war, wirkte es, als wäre sie vor Jens und Johanna auf die Knie gefallen.

"Drücken Sie die Daumen, dass unsere Ernte gut genug ist, um Ihnen helfen zu können."

"Ja, das werde ich tun.", Frau Sutter verließ die Küche, nicht ohne sich noch unzählige Male zu bedanken.

Jens und Johanna blickten einander lange in die Augen.

Schließlich ergriff Johanna das Wort: "Wir brauchen Vorräte - viele Vorräte."

Jenseits des Ölgipfels

Twilight in the Desert. The Coming Saudi Oil Shock and the World Economy
von Matthew R. Simmons

Peakoil Reloaded
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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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