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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 40


  
Die Wochen vergingen wie im Fluge, doch Andreas Ankunft lag vor lauter Formalitäten immer noch in weiter Ferne. Jens fragte sich schon, ob es überhaupt jemals klappen würde.

Inzwischen hing ein grosser Teil der Solarmodule auf dem Dach und produzierte fleissig Strom, der aber mangels Akku-Erweiterung kaum genutzt werden konnte. Jens und Achim experimentierten in freien Stunden mit Solar- und Lastfahrrädern, was nur möglich war, weil sie in dem Schrotthändler einen treuen Verbündeten gefunden hatten, der sie ausgiebig mit Materialien versorgte. Sogar genügend Kupferrohre für eine Leitung von der warmen Quelle zum Haus standen in Aussicht.

Der Besuch von Sonja war längst beschlossene Sache und seit klar war, dass Heide sie begleiten würde, waren auch die Sorgen über die weite Fahrt verschwunden. Die Fahrkarten waren schon lange bestellt und gleich am ersten Ferientag in zwei Wochen sollte es losgehen.

Plötzlich hatten die Behörden es eilig, Andreas zu Jens zu schicken und von einem Tag auf den anderen wurde Andreas für den Abend angkündigt. Johanna hatte gerade noch genug Zeit, sein Zimmer vorzubereiten und war etwas beunruhigt, weil die Zimmer angesichts der beiden anderen Besucher langsam knapp wurden. Heide und Sonja würden sie wohl in der Bibliothek und im Wollzimmer unterbringen müssen.

Jens fuhr rechtzeitig zum Bahnhof, mit einem zusätzlichen Fahrrad auf dem Anhänger, damit Andreas auch einen fahrbaren Untersatz für den Heimweg hatte.

"Boah, war das eine nervige Fahrt.", war das Erste, was Andreas zur Begrüssung sagte.

"Willkommen! Was war denn so schlimm?"

"Die haben uns da reingepfercht wie Vieh, dabei wussten die ganz genau, wieviele wir sind, denn es war ein Sonderzug für freiwillige Landarbeiter. Am Schluss wurds dann wenigstens etwas leerer, aber ich hab die Schnauze erstmal gestrichen voll von der Zugfahrerei."

"Das ist jetzt ja vorbei. Hier fahren wir meistens mit dem Fahrrad. Für den Heimweg habe ich dir eins mitgebracht."

"Was? Fahrradfahren? Ich dachte, du machst einen auf Solarmobile."

"Das habe ich vor, aber doch nicht für so kurze Strecken. Die Solarunterstützung ist eher für schwere Lasten oder Behinderte und Alte gedacht. Die Strecke ist nicht weit, du wirst sehen."

Jens lud Andreas' Gepäck auf seinen Anhänger und Andreas bestieg missmutig das mitgebrachte Fahrrad. Dabei war Andreas doch im Norden auch meistens mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, dachte sich Jens. Eigentlich dürfte eine kurze Strecke per Fahrrad kein Problem für ihn darstellen. Bestimmt lag seine schlechte Laune an der anstrengenden Fahrt.

Zuhause stellte Jens Andreas den anderen vor und zeigte ihm die warme Quelle zur Erholung von der Reise.

"Für die nächsten Besucher brauchen wir unbedingt ein Familienkutschen-Fahrrad, um sie vom Bahnhof abzuholen.", sagte Jens zu Achim.

"Das zu bauen, macht bestimmt Spass. Wie ich dich kenne, lassen wir auch noch Platz für eine Batterie, um es später mit Solarzellen aufzurüsten."

"Sehr gute Idee. Dann kann man auch mal schweres Gepäck transportieren. Das sollten wir unbedingt noch bauen, bevor die Gäste kommen."

"Wird gemacht!"

Andreas kam zurück ins Haus und setzte sich an den gedeckten Tisch. Johanna hatte extra lecker gekocht.

"Eure Quelle ist ja ne feine Sache, aber schade, dass sie so weit weg vom Haus ist.", sagte Andreas.

"Stimmt, vor allem wegen der Rohre, die wir dorthin verlegen wollen.", grinste Jens.

"Viel Luxus habt ihr ja nicht auf eurem Selbstversorger-Tisch, aber das ist wohl normal, wenn man alles selber macht."

"Äh, was fehlt dir denn noch? Es ist auch noch lange gar nicht alles selbstgemacht, davon sind wir noch weit entfernt.", versuchte Johanna, auf Andreas einzugehen.

"Nicht mal alles selbstgemacht? Und ich dachte, auf dem Land gibts endlich mal wieder was Gescheites zum Essen, dicke Steaks und so."

"Wir halten nur wenig Tiere, weil die soviel Futter brauchen, aber immerhin haben wir schon Milch und Käse von den Ziegen."

"Naja, Ziegenkäse ist nicht so mein Geschmack. Und das ganze Grünzeug da in der Schüssel könntet ihr von mir aus auch weglassen."

Johanna schwieg.

Am nächsten Morgen schlief Andreas bis um ein Uhr mittags, was die anderen drei auf den Reisestress zurückführten. Jens und Achim nahmen ihn nachmittags mit aufs Feld, weil die Rüben verzogen werden mussten. Andreas tat sich schwer mit den unvertrauten Pflanzen, zog sie sehr unregelmässig aus, ließ kleine Mickerlinge stehen und riss die Kräftigen aus. Nach einer Stunde wurde ihm schwindelig und er setzt sich für den Rest des Nachmittags in den Schatten.

Achim verzog sein Gesicht zu einer Grimasse als Andreas schlappmachte, aber Jens beschwichtige ihn.

"Er hat seit Jahren nicht gearbeitet. Um genau zu sein: er hat noch nie in seinem Leben regelmäßig gearbeitet. Da ist es ganz normal, dass er eine Weile braucht, um sich an die Arbeit zu gewöhnen."

"Das kann ja heiter werden!"

In den nächsten drei Tagen schlief Andreas auch immer bis mittags und ließ nicht erkennen, dass er vorhatte, das bald zu ändern. Jens sprach ihn vorsichtig darauf an.

"Ist dir eigentlich klar, dass wir schon einen halben Tag gearbeitet haben, wenn du aufwachst."

"Da habt ihr eben Pech, wenn ihr solche Frühaufsteher seid. Ich find morgens das Licht irgendwie so hart, das mag ich gar nicht."

"Das Licht ist dir zu hart? Hm! Ich fänd es aber besser, wenn du allmählich lernst, früher aufzustehen, denn hier gibt es wirklich viel zu tun. Von mir aus kannst du dich stundenweise dem Morgen nähern."

"Na gut, wenn dir soviel daran liegt. Aber du musst mich wecken. Das kann ziemlich unerfreulich werden, denn ich bin Morgenmuffel."

Diese Voraussage erwies sich als sehr treffend. Wenn Jens gegen zwölf bei Andreas erschien und ihm ein freundliches "Guten Morgen" zurief, knurrte Andreas nur und warf ihm einen tödlichen Blick zu. Eine gute Stunde später war er dann auf den Beinen und verlangte Kaffee. Seine Einsatzfähigkeit auf dem Feld blieb weiterhin sehr eingeschränkt und Johanna weigerte sich, ihn wieder im Garten arbeiten zu lassen, nachdem der erste Versuch fürchterlich in die Hose gegangen war.

Johanna kam eines Abends zu Jens und erzählte ihm von einem Telefonat, das sie mit ihrem Vater geführt hatte.

"Ich hab ihm von den Großbauern-Pleiten erzählt und er hat gesagt, dass er das schon wüsste, denn die insolventen Bauern seien reihenweise Kunden seiner Firma. Und jetzt kommt das Beste: Er glaubt, dass er uns günstig Biogasanlagen von solchen Bauern besorgen kann. Wär das nichts?"

"Das wäre ganz wunderbar. Je nach Preis wäre es am besten, gleich zwei Anlagen zu haben, falls mal eine ausfällt und vielleicht eine dritte für Ersatzteile."

"Gut, dann ruf ich ihn gleich nochmal kurz an. Er wird sich bestimmt freuen, wenn er seine Beziehungen spielen lassen kann."

Nur eine Woche nach der Ankunft von Andreas kamen Heide und Sonja. Jens hatte seinen Schreibtisch und die wichtigsten Bücher aus der Bibliothek geräumt und ein Bett aus Achims Zimmer nach unten getragen, damit Heide es bequem hatte.

Stolz fuhr Jens mit seiner nagelneuen Familienkutsche zum Bahnhof und Johanna begleitete ihn auf ihrem eigenen Fahrrad. Die Familienkutsche war ein großes Dreirad mit zwei bequemen Rücksitzen für die Passagiere. Eine Plane schützte vor eventuellem Regen und im Kofferraum war Platz für Gepäck.

Sonja und Heide kletterten vergnügt aus dem Zug und alle begrüßten sich herzlich. Sonja ließ sich juchzend von Jens durch die Luft wirbeln. Die Familienkutsche wurde gebührend bewundert und Gäste und Gepäck passten locker hinein. Am Anfang musste Jens in einen niedrigeren Gang schalten, um das Fahrzeug in Bewegung zu bringen, doch bald war die Kutsche in Schwung und sie kamen zügig voran. Sonja klatschte begeistert in die Hände und feuerte Jens zu Höchstleistungen an.

Als Heide das Haus betrat, ging ein Strahlen über ihr Gesicht.

"Wie schön ihr es hier belebt habt und dennoch ist alles so vertraut, als wäre ich gestern erst weggefahren."

Engelsgleich flog sie durch die Räume und mit jedem Ah und Oh schien ein Jahr von ihr abzufallen.

"Und dass ihr mir die Bibiothek frei gemacht habt, freut mich besonders. Das war immer mein Lieblingszimmer. Hach, und der alte Ofen steht immer noch da. Lasst uns gleich mal in den Garten gehen."

Durch die Küchentür sprang Heide in den Garten, begrüsste die Hühner und beugte sich dann übers Kräuterbeet. Plötzlich standen Tränen in ihren Augen und sie musste mehrmals schlucken.

"Dass ich das nochmal erleben darf! Sogar mein alter Thymian hat auf mich gewartet und Liebstöckel und Estragon stehen da wie mannshohe Wächter der Ewigkeit. Oh Kinder, ihr ahnt gar nicht, welche Freude ihr mir damit macht."

Achim und Andreas begrüßte sie, als wäre es das Normalste der Welt, dass der Garten voller junger Männer war.

Beim Bad in der Quelle gab es wieder Tränen der Freude, erzählte Johanna, als die drei Frauen zurück ins Haus kamen.

Nach dem Abendessen zog sich Heide mit einem Witzchen über ihr Alter zurück und Johanna brachte Sonja ins Bett. Sonja hätte am liebsten bei Heide geschlafen, weil sie Oma Heide so "superlieb" fand, aber sie ließ sich schließlich von Johanna überreden, in ihrem eigenen Gästezimmer zu schlafen.

Heide besuchte am nächsten Morgen Familie Wiedemann im Nachbarhaus, um die alte Freundschaft aufzufrischen. Sonja wich nicht von Johannas Seite und half im Garten. Mit ihren kleinen Fingern konnte sie erstaunlich präzise das Unkraut ausreissen, wenn sie auch keine großen Flächen schaffte.

Gegen Mittag stellte sich Heide in die Küche und kochte Mittagessen, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Mit Johanna besprach sie vorher kurz, was für ein Essen gewünscht wurde und widmete sich dann summend dem Gemüseschnippeln.

Beim Essen erzählte Heide, dass die Wiedemanns seit Wochen keinen Strom mehr hatten.

"Was? Warum haben die das denn nicht gesagt? Und warum haben die keinen Strom mehr?", entfuhr es Jens ganz entsetzt.

"Sie konnten die horrende Stromrechnung nicht mehr zahlen, darum wurde er abgestellt. Und bestimmt waren sie zu schüchtern oder stolz, um es euch zu erzählen."

"Aber wir haben Strom übrig. Zumindest in kleinen Mengen. Wir sollten eine Leitung rüberlegen und ihnen Strom liefern."

"Wenn es nicht zu teuer wird, würden sich die Wiedemanns darüber bestimmt freuen."

"Wieso denn teuer? Wir blasen ständig Strom ins Nirvana, weil wir gar nicht soviele Akkus haben, um den ganzen Strom zu speichern. Eine Grundversorgung für ein paar Glühbirnen und Kühlschrank könnten wir eigentlich sogar kostenlos abgeben. Nur wenn sie Großverbraucher benutzen, müssten wir über Geld reden."

Das einzige Problem war die Beschaffung eines Stromkabels, das lang genug war, um bis zum Grundstück der Wiedemanns gezogen zu werden, doch der Schrotthändler legte sich für diesen guten Zweck schwer ins Zeug und bis zum Abend hatten sie ein ausreichend langes Kabel und konnten es im letzten Tageslicht provisorisch verlegen. Bei den Wiedemanns brannten die Lampen wieder und sie wussten gar nicht, wie sie ihre überbordende Dankbarkeit ausdrücken sollten.

Herr Wiedemann brachte seinen Nachbarn gleich am nächsten Tag einen Erdbeerkuchen mit guten Wünschen von seiner Frau. Der Kuchen war so lecker, dass sogar Andreas ihn lobte.

Jenseits des Ölgipfels

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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