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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 38


  
Andreas war einverstanden. Seine Situation hatte sich in letzter Zeit deutlich verschlechtert und so war er froh, den Containern entkommen zu können. Jens Hinweis auf harte Arbeit begegnete Andreas mit der Bemerkung, dass er schließlich jung und stark sei. Also wurde es abgemacht: Andreas würde in kurzer Zeit zu ihnen ziehen.

Einem spontanen Impuls folgend, rief Jens auch noch bei Achim an, denn von ihm hatte er lange nichts gehört.

"Welch ein Zufall, dass du ausgerechnet heute anrufst."

"In wiefern?"

"Morgen ziehe ich aus, ich steh schon zwischen meinem Gepäck und wer weiss, wielange ich mein Handy noch behalten kann."

"Was ist geschehen?"

"Lorenz ist pleite gegangen. Nach der Leicheneinsammelei brachen die Aufträge weg, weil die Hausbesitzer kein Geld mehr haben und auch sonst niemand mehr Entrümpler bezahlen will. Entweder machen die das jetzt selber oder die Wohnungen bleiben einfach voller Gerümpel."

"Ich dachte immer, der Lorenz sitzt wie die Made im Speck mit seiner Firma."

"Ja, das dachte ich auch, aber da habe ich mich wohl geirrt oder die Zeiten haben sich sehr schnell geändert."

"Und was machst du jetzt?"

"Containersiedlung und Riegel-Fressen, was sonst?"

"Wenn du willst, kannst du auch bei mir auf dem Hof arbeiten. Da gibt es jetzt doch dieses Regierungsprogramm. Ich brauche jemanden, der ordentlich zupacken kann."

"Ja, prima, wann soll ich kommen?"

"So schnell wie möglich. Von euch da oben kommt noch ein anderer Kumpel von mir. Vielleicht könnt ihr ja gemeinsam kommen."

"Und wann kommt der?"

"Das ist noch nicht geklärt. Da müssen erstmal ein paar Formulare mit dem Bürgeramt gewechselt werden."

"Pah, nicht mit mir. Ich zieh doch nicht in nen Container, nur um auf ein Formular zu warten."

"Wie willst du es sonst machen?"

"Nicht nur du hast ein Fahrrad. Meins hast du zwar noch nicht kennengelernt, aber es wartet brav im Keller auf mich. Früher, als ich jung war, bin ich sogar eine Weile Rennen gefahren."

"Du willst mit dem Fahrrad kommen? Aber das sind doch fast achthundert Kilometer."

"Na und. Ich hab ein kleines Zelt, darin kann ich übernachten. Es ist Mai und im Wetterbericht habe ich zufällig heute gesehen, dass bei euch die Sonne scheint. Da hab ich mir sogar noch gedacht, dass du es aber gut hast, da unten im Süden."

"Und wenn du einfach mit dem Zug fährst? Die Fahrt könnte ich dir finanzieren."

"Zugfahrkarten muss man inzwischen wochenlang im Voraus bestellen und dann hängt man in dem Gedränge. Ne, da fahr ich lieber mit dem Rad."

"Tja, wenn du meinst, will ich dich nicht aufhalten."

"Ja, so meine ich das. Morgen früh mach ich mich auf die Socken. Vorher ruf ich noch bei dem Bürgeramt an und sag denen, dass ich sie nicht brauche."

"Aber die würden doch Taschengeld zahlen."

"Darauf pfeif ich. Mir war sowieso nicht wohl dabei, vom Staat Knete einzusacken, denn dann haben die einen doch am Wickel. Wer weiss, was denen in einem Monat einfällt, was sie mit ihren Zahlungsempfängern anstellen wollen."

"Ich kann dir aber nichts zahlen. Kost und Logis krieg ich hin, aber mit regelmässigen Zahlungen sieht es schlecht aus."

"Für den einen oder anderen Kneipenbesuch habe ich noch kleine Reserven, als allerletzter Notgroschen sozusagen. Und wenn in eurer Kost ab und zu mal ein Bierchen inbegriffen ist, dann brauch ich kein Geld."

"Ok, dann wünsch ich dir eine gute Fahrt. Ich freu mich schon."

"Ich auch. Das kannst du aber glauben."

Jens legte auf und war völlig baff. Achim war echt kurzentschlossen. Wahrscheinlich würde er eine wunderbare Entlastung bei der Arbeit sein, denn bei der Entrümpelei hatte er immer ordentlich zugepackt. Wann er wohl hier ankommen würde? Ein bis zwei Wochen musste man wohl schon rechnen, wenn man mit dem Fahrrad unterwegs war, schließlich ging die Fahrt durch ganz Deutschland.

Den nächsten Vormittag verbrachte Jens damit, sich von einer Behörde zur anderen durchzutelefonieren, bis er endlich jemand fand, der ihm Auskunft geben konnte, wie die Beschäftigung von Andreas abgewickelt werden konnte. Für die Antragstellung musste Jens persönlich nach Freiburg fahren und nachweisen, dass er Landwirt war. Dann musste der Antrag warten, bis die Arbeitsmaßnahme vom Bundesrat beschlossen worden war. Erst danach konnte er bearbeitet und bewilligt werden. Mit dem Bundesratsbeschluss würde jedoch innerhalb von zwei Wochen gerechnet werden.

Angesichts dieses Verwaltungsaufwands fragte sich Jens, ob Andreas nicht genauso unkompliziert wie Achim kommen könnte. Aber beim Telefonat mit Andreas war ziemlich deutlich rübergekommen, dass er an Arbeit auf dem Hof nur im Rahmen der staatlichen Freiwilligenmaßnahme interessiert war. Also arbeitete Jens in den nächsten Tagen besonders hart, um die Fahrt nach Freiburg verantworten zu können.

In Freiburg wurde er von einem Amt zum nächsten geschickt und keiner wusste genau, was es alles zu beachten galt. Am liebsten hätten ihn die Sachbearbeiter wohl wieder heimgeschickt, bis der Beschluss vom Bundesrat galt, doch Jens setzte sich durch und durfte seitenweise Formulare ausfüllen, sich Bestätigungsstempel in anderen Ämtern besorgen und noch mehr Formulare ausfüllen.

Völlig entnervt wäre Jens am liebsten sofort wieder nachhause gefahren, als er die Ämtertour hinter sich hatte, aber wenn er schon mal in der Grossstadt war, musste er die Gelegenheit auch nutzen, um Sachen einzukaufen, die man auf dem Land nicht kaufen konnte. In einem großen Bioladen entdeckte er außer dem Spezialsaatgut, weswegen er gekommen war, Karden für die Wollbearbeitung und erinnerte sich, dass Johanna das Fehlen solcher Karden bedauert hatte. Also kaufte er ein Paar und außerdem noch eine Nussnougat-Creme, von der er wusste, dass Johanna diese Sorte besonders mochte und freute sich, dass er Johanna etwas Schönes mitbringen konnte.

Erst am Spätnachmittag kam er wieder zu Hause an, gerade noch rechtzeitig für die zweite Melkrunde. Johanna war begeistert über die Mitbringsel und schmierte sich gleich ein Brot mit dem leckeren Aufstrich. Jens war erleichtert, aufs Land zurückgekehrt zu sein und genoss die euterwarme Milch der Ziegen mehr denn je. Trotz aller Arbeit war es hier um Klassen besser, als in der Stadt zu leben und sich womöglich ständig mit Behörden rumschlagen zu müssen, um nicht zu verhungern.

Die nächsten beiden Tage standen im Zeichen der Gemüsepflanzung, denn die gefürchteten Eisheiligen waren vorbei und die wärmeliebenden Gemüse, die fürs Freiland vorgesehen waren, wollten dringend an ihren endgültigen Standort ziehen. Manche der Pflanzen waren schon so gross, dass sie in den kleinen Töpfen nicht mehr genug Nahrung fanden und außerdem ständig umfielen. Von Stunde zu Stunde füllten sich die Gemüsebeete und der Garten ähnelte immer mehr dem, was man von einem Gemüsegarten erwartet.

Radieschen und Salat konnte man schon ernten, darum gab es jetzt regelmässig frischen Gartensalat. Als sie die letzten Gemüsepflanzen ins Freiland gesetzt hatten, waren auch die ersten Walderdbeeren, die wild am Hang wuchsen, reif genug, um in grösseren Mengen geerntet zu werden. Zur Feier des Tages gab es daher eine große Quarkspeise mit selbstgemachtem Ziegenquark und Erdbeeren.

Jens und Johanna hatten sich gerade an den Tisch gesetzt, als sie plötzlich von draußen Knirschgeräusche hörten. So als würde jemand über den gekiesten Hof gehen. Jens legte das Salatbesteck wieder zurück in die Schüssel und ging leise und wachsam ins Bad, um dort durchs Fenster sehen zu können, was draußen vor sich ging. Doch bevor er etwas erkennen konnte, klopfte es kräftig an der Haustür. Jens ging zur Haustür und öffnete sie, neugierig, wer da so unverhofft zu Besuch kam.

Achim stand vor der Tür und lachte ihm entgegen.

"Du? Schon hier? Du bist aber schnell! Herzlich willkommen!"

"Was heisst hier schnell? Ich habe gebummelt. Unterwegs war es teilweise so schön, dass ich einfach eine Weile geblieben bin."

"Aber wir haben doch erst vor fünf Tagen miteinander telefoniert."

"Genau. Wenn ich mich gesputet hätte, wäre ich schon gestern hier gewesen."

"Komm doch erst mal rein, es gibt gerade Essen."

Jens stellte Johanna und Achim einander vor, legte ein zusätzliches Gedeck auf den Tisch und holte Bier für alle aus der Speisekammer.

Achim staunte, dass sie schon Salat, Käse und Quarkspeise aus eigener Produktion hatten und aß mit gutem Appetit. Auf Johannas Wunsch erzählte er von seiner Reise, die anscheinend aus lauter lustigen Begebenheiten bestanden hatte, aber anschließend wollte er alles über den Hof wissen. Nach dem Essen zeigte Jens ihm im Licht einer Taschenlampe die warme Quelle und gab ihm ein großes Handtuch für den Weg zurück ins Haus.

"Eure Quelle ist ja der reinste Jungbrunnen. Wo ist der nächste Baum zum Ausreißen?", sagte Achim, als er von der Quelle zurückkehrte.

"Die Bäume kommen auch bald dran, aber morgen können wir die nächste Etappe des Feldes erobern. Wir müssen nämlich dringend Rüben säen und hacken wie die Wilden. Das Feld hat in letzter Zeit ziemlich wegen Zeitmangel gelitten."

Johanna war inzwischen ins Obergeschoss geeilt, um eines der freien Zimmer für Achim herzurichten. Die beiden Zimmer waren zwar einfach möbliert, aber das Bett für Achim musste noch frisch bezogen werden. Als sie fertig war, bot sie Achim an, ihm das Zimmer zu zeigen und mit seinem Gepäck zu helfen. Auch Jens kam mit, um Achims Gepäck zu tragen und staunte, wieviel Taschen Achim auf seinem Fahrrad untergebracht hatte. Ausserdem stand noch ein schwerer Rucksack neben dem Fahrrad, den Achim auch die ganze Strecke über transportiert hatte. Zu dritt schafften sie es gerade, alle Gepäckstücke auf einen Rutsch ins Haus zu schleppen.

Beim zweiten Bier gestand Achim, dass er noch nie auf dem Land gelebt und keinerlei Ahnung von Gartenarbeit hatte. Jens beruhigte ihn, denn er war zuversichtlich, dass Achim den Bogen bald raushaben würde.

Wie recht er damit hatte, stellte sich am nächsten Tag auf dem Feld heraus. Anfänglich näherte sich Achim den Pflanzen zwar etwas zögernd, aber nach kurzer Zeit wusste er, worauf es jeweils ankam und hackte fleissig mit Jens um die Wette. Jens wurde von Achims Eifer wie beflügelt und wollte seinem Partner in nichts nachstehen. Daher waren sie mit der Feldarbeit erheblich früher fertig als erwartet und nutzten die gewonnene Zeit, um Achim mit der Werkstatt vertraut zu machen. Die Kupferröhren lagen in tiefem Schwarz anklagend auf der Werkbank.

"Hier habe ich etwas angefangen, für dass ich einfach keine Zeit finde, weil es eigentlich nicht so dringend ist, aber ich würde so gerne ausprobieren, ob es prinzipiell funktioniert."

"Ein Gerät zum Wasseraufwärmen?"

"Gut erkannt. Ja, das soll mal ein Sonnenkollektor werden. Auf eine schwarze Platte oder Gestell montiert, dann mit Glas zum Abdecken und rauf aufs Dach. Das soll unsere Warmwasserversorgung ergänzen."

"Nicht schlecht! Ist ja eigentlich schon ziemlich weit fortgeschritten. Haben wir jetzt Zeit, um das vorwärtszubringen?"

"Ja, ich muss erst in zwei Stunden melken und Johanna wollte heute den Garten gießen, also habe ich bis dahin Zeit."

Zwei Stunden später war der eigentliche Sonnenkollektor fertig und sie konnten bei nächster Gelegenheit die Verlegung der Rohre und die Dachmontage in Angriff nehmen. Während Jens molk, ging Achim zu Johanna in den Garten, half ihr beim Gießen und ließ sich die Grundlagen des Gärtnerns erklären. Am Schluss trug Achim die frisch geernteten Radieschen ins Haus und grinste zufrieden.

Jens fühlte sich viel lebendiger als in den letzten Wochen und spürte auch seine Zuversicht wieder wachsen. Pläne gingen durch seinen Kopf, an die er sich in letzter Zeit nichtmal zu denken getraut hatte.

Dass es Johanna ähnlich ging, merkte er beim zweisamen Bad in der Quelle, denn sie wirkte viel gelöster. Sie mochte Achim und es schien, als wäre eine schwere Last von ihren Schultern genommen. Sie alberte sogar wieder rum und spritzte Jens nass.

Jenseits des Ölgipfels

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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