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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 36


  
Die Vogelscheuche sah sehr lustig aus, als sie mitten auf dem Feld stand, doch das fanden wohl auch die Vögel und ließen sich nicht besonders abschrecken, nachdem sie den neuen Feldbewohner zuerst argwöhnisch beäugt hatten. Erst zappelnde Streifen aus Alufolie brachten den gewünschen Effekt.

Jens schien es, als würden sie mit allem viel zu langsam vorankommen, doch bis Ostern schafften sie es immerhin, das Feld fertig anzusäen, das gröbste Gewucher im Weinberg zu entfernen, etliche Behördengänge zu unternehmen, einen fahrbaren Stall zu bauen, zwei Ziegen anzuschaffen, melken zu lernen und fünf Hühner zu kaufen.

Auch im Wald verbrachten sie drei Tage, nachdem Jens Treibstoff für die Motorsäge ergattert hatte, doch das Ergebnis ihrer Arbeit war sehr unbefriedigend, denn der Wald widersetzte sich ihnen hartnäckig mit seinem dichten Unterholz. Das Stückchen, das sie an einem Tag auslichten konnten, war winzig und sie wussten gar nicht wohin mit dem vielen abgeschnittenen Gestrüpp. Von Tag zu Tag spriesste das Grün im Wald intensiver und da beschlossen sie, ihn vorerst in Ruhe zu lassen, und Holz für den nächsten Winter zuzukaufen.

Trotz allem lagen am Schluss vier Baumstämme zum Trocknen am Waldrand, und mehrere Anhängerfuhren voll Stangenholz warteten zuhause auf ihre Verarbeitung. Sogar Weiden hatte sie gefunden, von denen Johanna Ruten zum Körbeflechten schnitt. Wenigstens ein Anfang im eigenen Wald war gemacht. Der Holzhändler in der Stadt hatte glücklicherweise ausreichend Holz, das für den nächsten Winter geeignet war und kam mit einem grossen LKW angefahren, um ihnen dreissig Kubikmeter Holzklötze auf den Hof zu kippen. Damit das Holz bei Regen nicht nass wird, warfen Jens und Johanna es mit vereinten Kräften in einen der leerstehenden Kuhställe, was allein den ganzen Rest des Tages kostete. Später würden sie es noch hacken müssen, denn für die Öfen waren die meisten der Klötze zu dick.

Sie überlegten lange, ob sie sich eine Kuh anschaffen sollten. Angesichts der zusätzlichen Grünflächen durch die Vierfelderwirtschaft und dem Maisfeld, das sie der hiesigen Tradition entsprechend angesät hatten, hätten sie eigentlich genügend Futter für eine Kuh. Aber wenn die Ernte schlecht ausfallen oder es noch schlimmere Nahrungsengpässe geben würde, dann hätten sie nicht genug Futter für die Kuh und sie müsste hungern oder gar sterben. Bei zusätzlichen Ziegen wäre es leichter, im Notfall eine zu schlachten und die anderen weiter zu halten. Ausserdem waren Ziegen insgesamt genügsamer und würden in besonders schlechten Zeiten auch mit Futter aus dem Wald auskommen.

Wenn es ganz schlimm kommen würde, dann bräuchten sie sowieso jedes Maiskorn für die eigene Ernährung. Aus diesem Grund hatten sie auf ihrem Feld vorwiegend Pflanzen angebaut, die im Zweifelsfall auch von Menschen gegessen werden konnten, selbst wenn sie als Tierfutter geeignet waren.

Karfreitag und Ostern gönnte Johanna sich einen Ausflug in die Kirche, während Jens die Zeit nutzte, um einige Emails zu schreiben und sich im Internet über die neuesten Ereignisse zu informieren. Einen Fernseher hatten sie nämlich nicht und sie planten bis auf Weiteres auch nicht, einen anzuschaffen. Angesichts der besorgniserregenden Nachrichten beschloss Jens jedoch, wenigstens ein Radio zu besorgen, um halbwegs auf dem aktuellen Stand des Weltgeschehens zu bleiben.

Die Situation in den Städten verschlechterte sich anscheinend rapide. In den Wirren der Grippeepidemie und Japan-Katastrophe nahezu unbemerkt, war die Nahrungsmittelversorgung der Grundsicherungsempfänger teilweise zusammengebrochen. Viele der Armen erhielten oft tagelang keine Essensrationen. In Berlin hatte es sogar einen kleinen Aufstand gegeben, der jedoch mit Wasserwerfern und Tränengas niedergeschlagen werden konnte. Als Folge dieses Aufstandes wurden überall in den Siedlungen der Grundsicherungsempfänger Überwachungskameras aufgebaut. Eine Kennzeichnung der Armen durch implantierte RFID-Chips stand zur Debatte.

Die Auswertung der Wirtschaftszahlen hatte einen Absturz des Bruttoinlandsproduktes auf siebzig Prozent des Vorjahreswertes ergeben und die Anzahl der Firmenpleiten war explodiert. Die Börsen dümpelten weiterhin im unteren Rekordbereich und in vielen Ländern war das Wirtschaftsleben fast völlig zusammengebrochen. Zur Reaktivierung der Wirtschaft plante die angeschlagene Regierung ein umfangreiches Arbeitsbeschaffungsprogramm, das zugleich auch einen Teil der Erwerbslosenproblematik lösen sollte.

Angesichts dieser Schrecknisse war Jens sehr froh, dass er sich für sein zukünftiges Essen selbst abrackern durfte und nicht auf einen funktionierenden Staat angewiesen war. Heimlich schlich er am Ostersonntag in seine Werkstatt und strich die gebogenen Kupferrohre schwarz an. Er wollte nämlich unbedingt mal mit diesem vernachlässigten Projekt weiterkommen, auch wenn der ganze Ort strenge Feiertagsruhe ausstrahlte.

Doch nach Ostern war wieder unentwegte Aktivität angesagt, vor allem, weil die Unkräuter die Wärme nutzten und beim Wettwachsen mit dem Gemüse meistens als Sieger hervorgingen. Das Gemüse wuchs erfolgreicher, seit Johanna sich hatte durchringen können, Schneckenkorn einzusetzen, denn die Bierfallen funktionierten nicht, Einsammeln dauerte täglich Stunden, schneckenfressende Laufenten waren nirgendwo aufzutreiben und ohne Schutz hätte ihr Gemüse keinerlei Chancen gehabt.

Ausserdem fiel es oft schwer, das Unkraut auszureissen, denn die meisten Unkräuter waren eigentlich Heilpflanzen, deren einziges Vergehen war, an einer unerwünschten Stelle zu wachsen. Zwischen Gemüsebeet und Hang ließen sie daher einen Bereich zur ungestörten Entfaltung der freilebenden Kräuter. Danach wurden die Skrupel geringer, die Kräuter im Gemüsebeet als Unkraut zu klassifzieren und zu vernichten.

Der Komposthaufen wuchs täglich und bald mussten sie einen zusätzlichen Berg mit Gartenabfällen auftürmen, weil Jens die Zeit fehlte, einen neuen, standesgemäßen Kompostbehälter zu bauen.

Auf einer Teil-Parzelle hatte Jens Mangold gesät, der inzwischen sprießte und dringend verzogen werden musste, weil die Pflänzchen viel zu dicht standen. Im Garten war das Verziehen eine Kleinigkeit, doch auf dem Feld nahm es andere Dimensionen an. Nachdem Johanna und Jens mit der anstrengenden Arbeit fertig waren, wussten sie kaum noch, wie man aufrecht steht.

Das Melken zog sich oft stundenlang hin, weil die Ziegen so zappelten. Meistens hielt einer der Beiden die Ziege und der andere melkte, immmer abwechselnd, weil ihre Hände noch nicht an die Melkbewegungen gewöhnt waren und daher schnell wehtaten.

Um die ganze Arbeit zu schaffen, standen sie immer früher auf und wenn es dunkel wurde, erledigten sie alles, was im Haus anfiel. Dennoch wurde der Arbeitsberg, der sich vor ihnen auftürmte, immer grösser. Für zärtliche Stunden blieb kaum Kraft und selbst die Mahlzeiten wurden immer hastiger.

Eines Abends, als Jens mit schmerzendem Rücken vom Hacken auf dem Feld nachhause kam, war im Haus noch alles dunkel, ganz im Gegensatz zu sonst, wenn ihm das Küchenlicht schon warm entgegenleuchtete.

Wo steckte Johanna? Jens ging ins Haus, um zu sehen, ob sie dort war, fand sie aber nirgendwo im Gebäude, auch in der Waschküche im Keller konnte er sie nicht entdecken. Ob sie wohl noch dabei war, die Hühner einzufangen oder hatte sie es sich in der warmen Quelle gemütlich gemacht? Bestimmt war sie zur Quelle gegangen. Jens schnappte sich seinen Bademantel, weil sein Rücken auch nach einem warmen Bad verlangte.

Bei der Quelle war jedoch nichts von Johanna zu sehen. Für alle Arten von Arbeit im Freien war es schon zu dunkel, wo konnte sie also sein?

Jens blickte sich um, doch er konnte sie nirgendwo erspähen. Ob sie vielleicht zu Besuch bei Frau Wiedemann war und die Zeit vergessen hatte? Das würde er ihr ja von Herzen gönnen, wenn sie mal etwas lockerlassen würde, bei all dem Stress, den sie hatten.

Aber irgendwie glaubte er nicht daran, dass sie bei den Wiedemanns war. Sie hatte mittags noch gesagt, dass sie sich das schon wieder völlig zugewachsene Gemüsebeet vorknöpfen wollte.

Jens rief nach ihr - keine Antwort.

Zögernd ging er durch die Dunkelheit zum Gemüsebeet und hoffte, dass er nicht auf allzuviele Schnecken treten würde. Da es bewölkt war, konnte er kaum etwas erkennen.

Da, dort neben der Schubkarre bei den Brennesseln war ein merkwürdig rund geformter Haufen. Jens ging darauf zu. Als er näher kam, hörte er leises Schluchzen.

Johanna? Tatsächlich: Johanna kauerte völlig aufgelöst zwischen den Brennesseln und merkte gar nicht, dass Jens nähergekommen war. Jens hockte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schulter.

"Johanna, was ist mit dir?"

"Ich .. huck... ich..."

"Ist gut Johanna, wein dich ruhig aus."

Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter und ließ sich von heftigen Schluchzern durchschütteln. Nach einer Weile schaute sie ihn tränenüberströmt an.

"Ich hätte so gerne ... huck ... dass es wird wie früher. Ich halte ... das Leben ... huck ... so nicht aus."

"Willst du zurück in die Stadt?"

"Nein, bloss nicht, ... huck ... da ist es ja noch viel schlimmer als ... huck ... hier."

"Ja, aber..."

"So, wie es früher war, will ich es wiederhaben. ... huck ... Vor der Ölkrise. ... Ich weiss natürlich auch, dass ... dass .. das nicht geht."

Wieder wurde sie von Schluchzern durchgeschüttelt.

"Komm, meine Arme, jetzt gehen wir erstmal ins warme Wasser. Dann wird es bestimmt bald besser."

Jens half ihr auf die Beine und führte sie das kurze Stück bis zur warmen Quelle. Dort hielt er Johanna wie ein Baby in den Armen und ließ sie sanft durchs Wasser gleiten. Sie kuschelte sich an ihn, doch die Weinkrämpfe hörten nicht auf.

Nach einer Weile trug Jens seine Frau aus dem Becken und hüllte sie in seinen Bademantel. Behutsam brachte er sie ins Haus und kochte ihr eine heisse Schokolade, in der Hoffnung, dass dies ihre Lebensgeister wiederbeleben würde.

Völlig apathisch hockte Johanna auf der Bank und die Tränen rannen ihr unaufhaltsam über die Wangen. Ihre Hände zitterten stark, als sie die Tasse von Jens entgegennahm.

"Ich glaube, du bist einfach völlig überarbeitet, mein Schatz. Das kann ich gut nachvollziehen, denn mir fehlt auch manchmal die Kraft."

"Ja ... das wirds sein ... ich weiss ja auch ... dass es dumm ist ... huck ... so zu verzweifeln ... aber ... aber ich komm einfach nicht dagegen an."

Fast wäre ihr die Tasse aus der Hand gefallen, doch Jens erwischte sie im letzten Augenblick.

"Du brauchst jetzt Kraft. Hier trink noch ein Schlückchen."

"Huck ... danke."

Während er Johanna über die Haare strich, fragte sich Jens, was er machen würde, wenn Johanna aufgeben würde. Ein Leben ohne sie konnte er sich nicht mehr vorstellen. Er war froh, ihr Partner zu sein. Alleine würde er es hier sowieso nicht schaffen, wenn es schon zu zweit so schwer fiel. Hoffentlich würde sie sich wieder erholen.

"Am besten ruhst du dich ein paar Tage aus. Ich kann mich auch um die Tiere kümmern und dann lassen wir es einfach mal locker angehen. Was hältst du davon?"

"Hm ... vielleicht. Am schlimmsten ist eigenlich, dass ich mich so schäme ... huck ... weil ich mich so anstelle. huck ... Dabei haben wir es doch viel besser als die meisten anderen."

"Du brauchst dich nicht schämen. Ich find das Landleben auch sehr anstrengend. Und manchmal sehne ich mich auch nach den guten alten Zeiten zurück."

"Ob es wirklich nie wieder so werden kann wie früher?"

"Ja, ich glaube, es wird nie wieder wie früher."

Jenseits des Ölgipfels

Twilight in the Desert. The Coming Saudi Oil Shock and the World Economy
von Matthew R. Simmons

Peakoil Reloaded
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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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