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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 35


  
Schon der erste Sonnenstrahl weckte Jens auf, denn er hatte unruhig geschlafen und die ganze Nacht davon geträumt, wie er Unmengen von Saatgut auf seinem Feld verteilte.

Das Saatgut würde er jedoch erst kaufen müssen, und für den Raiffeisen-Markt war es noch viel zu früh, daher zog Jens sich leise an, um Johanna nicht zu wecken, und ging in den Gemüsegarten, um dort Salat und Radieschen nachzusäen.

Johanna hatte überall im Garten Bierfallen verteilt, um die Schnecken zu bekämpfen. Jens hatte jedoch den Eindruck, als würden die Bierfallen die Schnecken eher anlocken und unterwegs nahmen sie auch noch alles Grünzeug mit, das sich ihnen in den Weg stellte. Die neu gekeimten Radieschen waren nämlich auch schon alle angefressen und die Schnecken tummelten sich um die Fallen, als würden sie eine Party feiern.

Angewidert holte Jens einen Eimer und sammelte alle erreichbaren Schnecken ein. Danach hatte er einen Eimer voller sich windender Glibbergeschöpfe und wusste nicht so recht, was er damit anfangen sollte. Ertränken? Aussetzen? Erstechen? Keine der Lösungen gefiel ihm. In den Mengen, die er im Eimer hatte, wollte er sie aber nichtmal seiner Wiese zumuten, daher goss er den Eimer voll Wasser und hoffte, dass die Schnecken schnell sterben würden. Für dieses Problem würden sie noch eine bessere Lösung finden müssen.

Nachdem er die Schnecken zum Tod verurteilt hatte, nahm er die Samentütchen und ergänzte die kahlgefressenen Reihen. Nachdenklich betrachtete er die kleinen Tüten, die den Samen schon so reichlich enthielten.

Für sein Feld würde er ganze Säcke mit Saatgut brauchen, obwohl er das Feld in dreissig Parzellen à tausend Quadratmeter unterteilen würde. Schon eine solche Parzelle brauchte zwanzig Kilo Getreidesamen, wenn seine schriftlichen Informationen stimmten. Dann würde er mehrmals zur Raiffeisen fahren müssen, denn die gesamte Menge würde beim besten Willen nicht in seinen Anhänger passen.

Endlich wurde es Zeit für den Sameneinkauf. Johanna hatte sich beim Frühstücksgespräch sehr über Jens Schneckenaktion gefreut, wollte aber mit dem Eimer der sterbenden Übeltäter am liebsten nichts zu tun haben.

Als Jens vor dem Raiffeisen-Markt stand, wunderte er sich, dass ihm der nicht schon bei einer seiner früheren Fahrten aufgefallen war, aber er hatte wohl nicht richtig darauf geachtet, außerdem hatte er bei dem Wort "Raiffeisen" bisher immer nur an Banken gedacht.

Gerade als er den Laden betreten wollte, traf er Herrn Wiedemann, der anscheinend auch gerade Material einkaufen wollte. Weil Jens sich nicht sicher war, ob sein Feldplan gut war und er Herrn Wiedemann als Kenner der Landwirtschaft schätzte, bat er ihn um ein paar Minuten und zeigte ihm seinen Plan.

"Tja, junger Mann, das ist zwar sehr schön aufgezeichnet, aber so wird das nichts. Wenn das mein Feld wäre, und ich unbedingt auf so einem kleinen Feld die ganze Palette anbauen wollte, würde ich es anders machen."

"Wie würden Sie es denn machen?"

"Erstmal würde ich den Gang in der Mitte weglassen, denn der verschwendet nur Platz. Die einzelnen Parzellen würde ich grösser machen, vielleicht je vier auf einen Hektar. Also jeweils einen Morgen mit fünfundzwanzig Metern Breite und hundert Metern Länge. Dann haben sie insgesamt zwölf kleine Felder, das ist schon mehr als genug."

"Stimmt eigentlich. Dreissig schienen mir auch sehr viel, aber schon Beete mit tausend Quadratmetern sind eigentlich sehr groß."

"Sie müssen von der Vorstellung der Beete loskommen. Beete haben Sie in Ihrem Garten, hier geht es um Felder. Und bestimmt wollen Sie auch eher einen auf natürlich machen, so wie die Wagners, oder wollen Sie Kunstdünger verwenden?"

"Nein, auf Kunstdünger wollen wir eigentlich verzichten."

"Macht heutzutage auch Sinn. Man zahlt sich in den letzten Jahren ja halbtot an dem Zeug und es wird ständig teurer. Also gut, ohne Kunstdünger sollten Sie Vierfelderwirtschaft betreiben und ein Viertel immer brach liegen lassen, beziehungsweise Wiesensamen säen. Dort können Sie dann auch ihre Schafe weiden lassen, oder was Sie sich sonst noch für Tiere anschaffen wollen."

"Und die vier Feldarten müssen dann jedes Jahr durchrotieren?"

"Ja, so könnte man das beschreiben. Auf die erste Gruppe pflanzt man Leguminosen, also beispielsweise Hülsenfrüchte, auf die zweite Gruppe Getreide aller Art und die dritte Gruppe wird mit Wurzelpflanzen belegt, zum Beispiel Kartoffeln und Rüben."

"Das klingt eigentlich gut und überschaubar."

"Ist es auch, Sie werden sehen. Mir fällt grad noch ein: wollen Sie vielleicht Bienen? Die könnten ihr Feld gut abrunden und die Pflanzen bestäuben. Ausserdem hätten Sie Honig und Wachs. Ein Bekannter von mir will nämlich seine drei Bienenvölker abschaffen, weil er zu alt für die Imkerei wird. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen diese Bienen vermitteln."

"Das würde mir sehr gut gefallen. Ja, bitte, fragen Sie Ihren Bekannten."

"Jetzt sollten wir einkaufen gehen, solange es noch was gibt."

Sie betraten das Geschäft und Jens kam es vor wie ein Gartencenter oder Baumarkt. Ob er hier wohl seine Getreidesamen bekommen würde? In der Samenabteilung sah er zuerst nur die bekannten kleinen Samentüten für den Hobbygarten. Bei genauerem Hinsehen entdeckte er jedoch auch grössere Tüten und kleine Säcke mit Samen für Gras, Gelbsenf und ähnliches. Jens packte einen fünf Kilo Sack Wiesensamen in seinen Einkaufswagen. Dann sah er Saatkartoffeln, die in handlichen Beuteln angeboten und als mittelfrühe Sorte beschrieben wurden. Unsicher, wieviel er brauchen würde, nahm er erstmal zwei Beutel und erhöhte dann auf drei, was wahrscheinlich immernoch zu wenig war.

Getreidesamen konnte Jens jedoch nicht entdecken. Er fragte eine Verkäuferin, die lachte und ihm erklärte, dass es für ernsthaften landwirtschaftlichen Bedarf zehn Kilometer entfernt ein Raiffeisen Agrar-Lager gab.

"Dort bekommen Sie die Samen in grossen Mengen. Normalerweise gehen die aber eher doppelzentnerweise als kiloweise weg. Aber warten Sie, vielleicht haben wir noch einen irregeleiteten Sack Weizensaat im Lager, kommen Sie einfach mal mit."

Sie führte Jens durch unzählige Gänge in ein Lager, in dem sich Gartengeräte stapelten. In einer Ecke lagen mehrere Säcke übereinandergestapelt.

"Ja, hier, der dritte von oben, das ist der Weizen."

"Und was ist in den anderen Säcken?"

"Schauen wir mal. Die oberen beiden sind Sojabohnen und unten liegt noch Hafer."

"Ich glaub, ich nehme die alle vier, dann habe ich schon mal eine Grundausstattung."

"Ok, passen die in Ihr Auto?"

"Ich bin mit Fahrrad und Anhänger da. Wahrscheinlich muss ich mehrmals fahren. Kann ich einen Teil solange hier liegen lassen?"

"Ja klar, wenn Sie bezahlt haben und bis heute abend alles abholen, dann geht das."

"Danke."

Die Verkäuferin kramte einen Block aus ihrem Kittel und schrieb einige Zeilen, während Jens sich bemühte, den obersten Sack auf seinen Wagen zu hieven. Unwillkürlich musste er an die Toten denken, die er noch vor kurzer Zeit aus ihren Wohnungen getragen hatte. Der Sack war ähnlich unhandlich.

Jens bezahlte und packte zwei der Säcke und den Kleinkram in seinen Anhänger. Kaum wollte er losfahren, traf er Herrn Wiedemann wieder.

"Haben Sie alles bekommen?"

"Nicht so ganz, für das Meiste muss ich wohl in das Agrarlager fahren, das zehn Kilometer entfernt ist."

"Und das wollen Sie mit Ihrem Fahrrad erledigen? Wie oft wollen Sie da fahren?"

"Das habe ich mich auch schon gefragt. Die Verkäuferin fand meine kleinen Mengen sogar lustig. Dabei sind das doch wirklich grosse Mengen Saatgut."

"Für ihre Minifelder wird es wohl reichen, aber für richtige Felder braucht man das Saatgut tonnenweise."

"Genau das hat auch die Verkäuferin gesagt."

"Die vom Agrar-Lager liefern die Säcke auch, wenn Sie einen Aufpreis zahlen. Es ist also gar nicht nötig, mit dem Fahrrad zu fahren. Kann aber dauern, denn die haben auch nur selten Sprit. Und diese beiden Säcke hier, wollen Sie jetzt per Pedale heimbringen?"

"Nicht nur diese beiden. Drinnen warten noch zwei Säcke, die ich anschließend abhole."

"Da haben Sie sich ja was vorgenommen. Also zwei Säcke könnte ich bei mir noch unterbringen, aber vier passen nicht mehr in mein Auto."

"Das wäre natürlich toll, wenn Sie zwei Säcke mitnehmen würden, am besten diese hier und ich nehme dann die Getreidesäcke. Ich beteilige mich auch an den Spritkosten."

Als Jens schließlich mit seinem Fahrrad losstrampelte und Herrn Wiedemanns Auto nachblickte, war er sehr froh über die bequeme Lösung. Denn schon die eine Tour mit über hundert Kilo auf dem Anhänger würde seine ganze Kraft erfordern. Langsam dämmerte ihm, dass auch die Aussaat in Arbeit ausarten würde, bei den großen Mengen, die er anbauen wollte. Bisher war ihm Säen immer wie ein harmloses Freizeitvergnügen erschienen.

Keuchend bog er nach geraumer Zeit auf die schmale Straße ein, die zum Dorf und zu seinem Feld führte. Er lud die beiden Säcke ab und versteckte sie vorübergehend an einer trockenen Stelle unter den Büschen. Dann fuhr er hoch ins Dorf, um sich den beiden Sojasäcken zu widmen. Herr Wiedemann hatte sie schon in Jens' Hof abgeladen, was Jens bewies, wie kräftig Herr Wiedemann trotz seines hohen Alters noch war. Jens gab ihm eine großzügige Summe für die Fahrtkosten, was Herrn Wiedemann zu freuen schien.

"Ich kann Ihnen gerne öfters mal etwas transportieren. Gemeinsam genutzt lohnen sich die teuren Fahrten eher."

"Das ist eine hervorragende Idee. Meistens komme ich ja gut mit dem Fahrrad klar, aber es gibt Gelegenheiten, bei denen es nicht ausreicht."

Herr Wiedemann sagte zwar nichts weiter, aber Jens spürte, dass die finanzielle Belastung durch die hohen Treibstoffkosten schwer auf dessen Schultern lastete.

Johanna staunte über die beiden Säcke mit Sojabohnen.

"Kann man die hier überhaupt anbauen?"

"Wenn es ein warmer Sommer wird, wahrscheinlich schon. Aber ich konnte einfach nicht widerstehen, die Säcke mitzunehmen. Einen Teil werde ich vielleicht sogar ansäen, um es auszuprobieren. Aber man könnte sie ja auch einfach essen oder aufheben, falls man mal nicht genug andere Eiweissquellen hat."

"Ja, das leuchtet ein. Dann räumen wir die Säcke wohl am besten in den Keller oder in die Speisekammer."

Gemeinsam schleppten sie die Säcke in den Keller, wo sie erst mal gut untergebracht waren. Jens schwang sich wieder auf sein Fahrrad, um endlich mit dem Aussäen anzufangen.

Er schritt die Parzellen mit fünfunzwanzig Metern Breite ab, wie Herr Wiedemann es ihm vorgeschlagen hatte und steckte jeweils einen Stock an die Grenzen. Dann zerrte er den Weizensack zum zweiten Feld und fing an, die Körner möglichst regelmässig zu verstreuen. Dabei übte er die schwingende Armbewegung, die er manchmal in alten Filmen gesehen hatte, wenn Bauern von Hand säten. Als er endlich am anderen Ende ankam, waren noch etwa zehn Kilo Weizen übrig, aber anstatt sie noch auf dem Feld zu verteilen, beschloss er, den Rest aufzuheben, denn immerhin ergab das auch etliche Laibe Brot, oder wer weiss, wozu die Körner noch nützlich sein konnten. Um die Samen mit Erde zu bedecken, ging er noch einmal mit einem breiten Rechen über das Feld.

Als nächstes kam der Hafer dran und dann grub er Gräben für die Kartoffeln, was erheblich anstrengender war als das schwungvolle Säen. Obwohl er die Gräben nicht sehr sorgfältig aushob, denn sie würden ja bald wieder gefüllt werden, tat ihm der Rücken schon nach einer Bahn weh, obwohl er in letzter Zeit ja schon viel umgegraben hatte. Diese erste Bahn schluckte schon einen ganzen Beutel, also hatte er gerade mal genug Saatkartoffeln für drei Reihen. Später würde er wohl noch mehr Saatkartoffeln kaufen müssen, aber vorher sollte er darüber nachdenken, wieviel Kartoffeln er überhaupt anbauen wollte.

Beim Graben fiel ihm auf, dass sich massenhaft Vögel auf den frisch angesäten Feldern niedergelassen hatten und eifrig pickten. Ob die wohl die Samen wegfraßen? Jens rannte rufend auf die Vögel zu und wedelte mit den Armen. Die Vögel flogen wie erhofft von dannen, kamen aber nach wenigen Minuten wieder. Also rannte er wieder hin und wieder, immer im Wechsel mit ein paar Metern Grabungsarbeit.

Die letzten Kartoffeln legte er, kurz bevor die Dämmerung in die Nacht überging. Glücklicherweise waren die Vögel inzwischen auch ruhiger geworden und Jens machte sich müde auf den Heimweg.

Johanna erwartete ihn mit einem leckeren Abendessen und erzählte ihm, dass sie die meisten der kleinen Pflanzen im Gewächshaus in größere Töpfe pikiert hatte und inzwischen unter Topfmangel litt. Den Schafen ging es auch gut und sie hatte jemanden gefunden, der ihr zwei Ziegen verkaufen wollte.

Jens berichtete von den Vögeln, die die Saat bedroht hatten und dass sie wohl eine Vogelscheuche bräuchten.

"Oh, du Armer, welch ein harter Kampf. Ich bin noch munter, daher kann ich dir gleich eine einfache Scheuche zusammenbasteln, die dir morgen schon mal die Arbeit abnimmt. Und später hängen wir glänzende Dinge dran, die sich im Wind bewegen und blitzen."

"Und vielleicht ein lustiges Windrad, das immer in Bewegung ist."

Jenseits des Ölgipfels

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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