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Papierkrieg - Kurzgeschichte


Draußen lachte die Frühlingssonne. Brav füllte ich meinen Ausgangsantrag aus, denn ich sehnte mich nach frischer Luft. Die Genehmigungsstelle war anscheinend überlastet, denn ich musste Ewigkeiten warten, bis die Genehmigung aus meinem Drucker ratterte. Endlich durfte ich mein Appartement verlassen. Kaum war ich vor dem Haus angekommen, fiel mir ein, dass ich die Genehmigung oben hatte liegen lassen und rannte eilends zurück, denn ohne Papiere wollte ich mich nicht erwischen lassen, auch wenn die Straßen heute so voll waren, dass die Kontrolleure gar nicht alle überprüfen konnten.

Dann war es soweit: mit Genehmigung in der Tasche konnte ich meinen Ausgang antreten. Die Luft roch nach Blütenpollen und natürlich nach Autos, aber das störte mich nicht. Die Sonne brannte mir warm auf den Kopf - genug Wärme für alle, die es geschafft hatten, eine Genehmigung zu ergattern. Der Park rief! Wie gut, dass meine Erlaubnis sich auch auf den Park erstreckte. Ich eilte durch die Straßen, um den Park rechtzeitig zu erreichen, denn in zwei Stunden musste ich wieder zuhause sein.
Da standen sie. Zu zweit, wie üblich, und kontrollierten die Papiere. Ich passte meine Geschwindigkeit dem Tempo der anderen Passanten an, um nicht aufzufallen. Bloß keine Kontrolle, denn ich wollte jede Minute in der Natur genießen.
Ha, sie hatten einen jungen Mann am Wickel, der zu schnell an den Kontrolleuren vorbeigeeilt war. Der Arme tat mir richtig leid, aber er erhöhte meine eigene Chance, ungeschoren vorbei zu kommen.

Am Parkeingang standen sie natürlich wieder, zu Dutzenden. Doch hier war die Überprüfung Standardroutine. Sie warfen nur einen flüchtigen Blick auf meine Erlaubnis und winkten mich durch.
Jetzt schnell zum Teich, denn dort war es am schönsten. Aber bloß nicht zu schnell, um nicht aufzufallen.
Unterwegs sah ich einen Krokus, der gerade frisch aufgeblüht war. Wie ich freute er sich wohl über die Frühlingssonne. Am liebsten wäre ich näher herangetreten, um die leuchtend gelbe Pflanze genauer in Augenschein zu nehmen, aber mir fehlte eine Genehmigung zur Pflanzenbegutachtung, also eilte ich lieber weiter.
Unterwegs nickte ich einigen hübschen Frauen zu, doch die meisten ignorierten meinen Gruß und hasteten an mir vorbei.
Kurz vor dem Teich zog ich meinen Erlaubnisschein noch mal aus der Tasche, um zu sehen, ob er Aufenthalt auf Bänken und Teichbesuch umfasste. So ein Ärger! Beides war nicht enthalten.
Für den Teich musste ich also vor Ort eine extra Genehmigung einholen.
Die Warteschlange am Genehmigungsschalter erstreckte sich quer durch den ganzen Park. Das lohnte sich nicht.
Also ging ich auf dem teichnähesten genehmigungsfreien Weg entlang, um wenigstens einen Blick auf die glitzernde Wasserfläche zu erhaschen.

Dann war es schon wieder Zeit, heim zu gehen. Am Parkausgang wurde ich von neuen Automaten überrascht. Um den Park zu verlassen, musste ich eine Sondergebühr bezahlen. Neben jedem Automaten stand ein Beamter, der seinem Elektrostab drohend rotieren ließ. Aha, der Parkbesuch war also, dem Gesetz entsprechend, immer noch kostenlos, aber sie füllten jetzt mit einer Verlassgebühr die Stadtkasse. Typisch! Mein armes Konto.
Ausgeplündert verließ ich schließlich den Park und machte mich auf den Heimweg. Unterwegs passierte ich die St. Maximilians-Kathedrale und sah sie von ihrer Schokoladenseite. Beeindruckend, was unsere Vorväter da vollbracht hatten. Schnell weiter, denn meine Ausgangserlaubnis lief aus.
"Halt! Stop! Sie müssen noch die Gebühr für die Kirchenbetrachtung zahlen."
"He, ich hab doch gar nicht richtig hingeguckt. Ich bin doch nur auf dem Heimweg."
"Wir können Ihnen die Betrachtung mit Videoaufnahmen nachweisen. Am besten zahlen Sie ohne Widerstand."
Zu dem ersten Straßenwächter waren zwei andere getreten, alle eine Handbreit größer als ich. Sie schauten drohend auf mich herab, als hätten sie mich gerade beim Drogenschmuggel ertappt.
"Ok, ok, ich zahl ja schon."
"Gut, dann füllen Sie hier erstmal dieses Formular aus."
Der Wächter, der mich angesprochen hatte, zauberte ein mehrseitiges Formular aus seiner Tasche und achtete darauf, dass ich es vollständig ausfüllte. Anschließend musste ich noch meinen Fingerabdruck hinterlassen und mein Augenhintergrund wurde gescannt. Immer das gleiche Theater sobald man Ihnen mal in die Finger geraten war. Ich hasse das!

Endlich war ich wieder zuhause. So schnell würde ich bestimmt keinen Spaziergang mehr machen, Frühling hin oder her. Wenigstens meine Tütensuppe durfte ich noch genehmigungsfrei essen. Ich riss das Küchenfenster auf, um die frische Frühlingsluft in die Wohnung zu lassen.
Mein Computer piepste. Ich ignorierte das aufdringliche Geräusch und konzentrierte mich auf meine Suppe. Der Computer hörte nicht auf zu piepsen.
Welche Regel hatte ich denn jetzt wieder übertreten?
Ich war doch schon fast pleite vor lauter Gebühren und heute hatte ich schon mehrere Stunden lang Formulare ausgefüllt.
Der Computer piepste immer noch.
Zähneknirschend aktivierte ich den Bildschirm und schaute mir an, was die Obrigkeit schon wieder zu meckern hatte.
"Sie müssen noch einen nachträglichen Antrag auf Sonnendurchflutung ihrer Wohnung stellen. Kostet eine Strafgebühr von fünfzig Euro wegen zeitlicher Überziehung."
Nein, das gibts doch nicht. Von so einer Genehmigungspflicht habe ich ja noch nie gehört.
Ein mehrseitiges Online-Formular erschien auf meinem Bildschirm. Als besonderer Service war meine Adresse bereits vorausgefüllt.
"Drucken Sie dieses Formular aus und bringen Sie es morgen vormittag unterschrieben ins Einwohneramt!"
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finde ich ja generell akzeptabel, aber müssen sie unbedingt alle im Verwaltungsbereich sein?
Können die nicht mal was Vernünftiges tun?

Am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg zum Einwohneramt, nicht ohne vorher einen entsprechenden Antrag gestellt und genehmigt bekommen zu haben. Wieder musste ein Teil meines sauer verdienten Geldes für die Ausgangsgebühr daran glauben. Fürs Essenkaufen blieb mal wieder kaum was übrig. Vor dem Verlassen meines Appartements stattete ich meiner Kochnische noch einen genehmigungsfreien Besuch ab.

Selbstzufrieden wirkend empfing mich der Beamte des Amtes in seinem Büro.
"So, so, obwohl der Sonnenschein deutlich erkennbar war, haben Sie es versäumt, rechtzeitig den Antrag auf Sonnendurchflutung zu stellen. Immer wieder stellen Sie Ihre Anträge zu spät. Wenn das so weitergeht, werden Sie um Maßregelung nicht herumkommen."

Mein Küchenmesser senkte sich in seinen Solarplexus. Überraschend weich glitt er durch das Hemd des Beamten und durchstieß sein schlabbriges Fleisch. Mit großen Augen starrte mich der Sachbearbeiter an. Blut färbte sein Hemd.

"Sie haben keinen Antrag auf Mitnahme eines Küchengerätes gestellt! Das erfordert eine weitere Straf..."




Disclaimer: Zur Nachahmung nicht empfohlen!