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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 28


  
Schlaftrunken wie sie war, hätte Ronja im Morgengrauen fast ein dickes Kissen auf Klaus geworfen, das im Weg lag, als sie aus dem Schlafzimmer kam. Im letzten Moment fiel ihr jedoch ein, dass sie Besuch hatten und sah ihn dann auch auf dem Sofa liegen. Er sah wirklich lieb aus, wie er da so lag und schlief. Ronja mochte liebe Männer und nach der Erfahrung mit Annas Vater hatte sie sich geschworen, dass ihr nächster Freund vor allem lieb sein sollte. Lieb zu ihr und lieb zu Anna. Und vertrauenswürdig. Ein Kerl mit dem Herz auf dem rechten Fleck, der auch in schwierigen Zeiten zu einem steht.

Früher hatte sie sich viel zu leicht von feurigen Augen oder einem interessanten Auftreten beeindrucken lassen und war damit fürchterlich auf die Schnauze gefallen. Anna war das einzig Gute aus dieser Zeit. Eine Zeit, deren Wunden immernoch nicht ganz verheilt waren. Nun, sie hatte das bisher überstanden und sich gut gefangen; sie würde es auch weiterhin gut schaffen, egal ob der Typ auf dem Sofa nun wirklich lieb war oder nicht.

Auf jeden Fall war er sehr nett und ein guter Gesprächspartner. Ronja riss sich aus der versunkenen Betrachtung des schlafenden Mannes und widmete sich der Morgenroutine. Beim Kaffeekochen auf dem Balkon war es schon richtig kalt. Es wurde wirklich Zeit, dass das Stromsystem wieder in die Gänge kam, aber bisher gab es ja keinerlei Anzeichen dafür, dass da irgendwas einer Lösung nahe war. Und bei all der kaputten Elektronik konnte man auch kaum Hoffnung auf ein wiederkehrendes Stromsystem haben.

Als Ronja mit der Kaffeekanne in der Hand wieder das Wohnzimmer betrat, sah sie gerade noch, wie Anna genau das tat, was sie sich selbst verkniffen hatte. Sie warf, und das mit voller Absicht und Begeisterung, das rumliegende Kissen direkt in Klaus Gesicht. Dieser quittierte das mit einem entsetzten Aufschrei, der sich jedoch schnell in Gelächter verwandelte, als er Anna erkannte.

"Hm, Kaffee. Der riecht wirklich lecker. Sogar besser, als er sonst riecht." war das erste verständliche, was von Klaus zu hören war.

"Ja, das ist auch ein besonders leckeres lagerfeuertaugliches Spezialrezept von meinem Grossvater" antwortete Ronja und freute sich über Klaus Begeisterung.

Angelockt vom Kaffee-Duft kam auch Nanni aus ihrem Zimmer und ergriff dankbar die Kaffeetasse, die Ronja ihr reichte.

"Heute wollen wir Klaus Wohnung aufräumen, war das nicht so?" fragte sie und schaute dabei nacheinander Klaus, Ronja und am Schluss auch Anna an.

"Au ja, und ich helf dem Klaus beim Tür-Reparieren.", war Anna spontan ganz begeistert.

Also war es eine beschlossene Sache, gleich nach dem Frühstück die verwüstete Wohnung in Angriff zu nehmen. Wie versprochen half Anna Klaus beim Reparieren der Tür. Sie stellte sich sogar recht geschickt an, was bestimmt auch daran lag, dass Klaus sehr offen auf sie einging und sie wie eine richtige Helferin behandelte. Ronja lachte das Herz, als sie den beiden zusah.

Zu ihrem Erstaunen hatte Klaus gleich am Anfang einen Werkzeugkasten unter einem Regal hervorgeholt aus dem er ein ungewöhnlich aussehendes Bohrgerät hervorzauberte. Anna erklärte er, dass dies ein Brustbohrer sei, mit dem man auch ohne Strom recht gut bohren könne. In der Tat erwies sich das Gerät als recht zweckmässig bei der Reparatur.

"Ob man mit diesem Bohrgerät auch Löcher in die Wände hier machen könnte, um dicke Balken als Riegel festzumachen?" fragte sie, als die beiden Werkelnden eine kleine Pause machten.

"Hm, das müsste gehen, wenn es kein Beton ist." antwortete Klaus. "Das können wir ja nachher mal ausprobieren."

Während die Tür wieder zunehmend zu einer richtigen Tür wurde, räumten Ronja und Nanni all die durcheinandergeworfenen Sachen halbwegs geordnet zusammen, sodass es wenigstens wieder ordentlich aussah, auch wenn Klaus noch seine eigene Ordnung in die Sachen würde bringen müssen.

Am späten Mittag sah die Wohnung endlich wieder bewohnbar aus und sie hatten sich ein Mittagessen redlich verdient. Zur Feier des Tages gab es Ravioli für alle und sprudelnde Vitamindrinks. Da sie inzwischen einen kleinen Vorrat hatten, beschlossen sie, sich am Nachmittag um Türbalken zu kümmern und erst am nächsten Tag wieder auf Vorratsuche zu gehen.

Direkt neben dem Türrahmen bestand die Wand leider aus Beton. Diese Erkenntnis kostete leider einen Bohrer, aber glücklicherweise hatte Klaus noch einen Ersatzbohrer in der gleichen Grösse. Ronja dachte sich, dass ein gutsortierter Werkzeugkasten durchaus eine feine Sache sei.

Zwanzig Zentimeter neben der Tür stiessen sie jedoch auf normale Mauersteine und es gelang ihnen, mithilfe von zusammengesuchten Metallteilen, eine Befestigung für einen Holzbalken zu montieren. Damit konnten sie nachts die Tür zusätzlich schützen, damit man sie nicht so leicht eintreten konnte. Nachdem sie auch an Klaus Wohnungstür einen solchen Balkenschutz montiert hatten, waren alle ziemlich erschöpft.

Aber ein wenig "Schule" wollten sie sich nicht nehmen lassen. Anna wollte unbedingt englisch lernen und die Erwachsenen taten ihr den Gefallen. Nach einer Weile kamen sie wie von selbst auf medizinische Themen und Klaus erwies sich als brillanter Lehrer für medizinische Fragen aller Art. Nicht nur, dass Anna fast alles sofort verstand, auch für die Frauen, war es hochinteressant, was es so über den menschlichen Körper zu erfahren gab. Vor allem die Geschichte vom Wunder des Immunsystems war wie eine Reise in ein fernes Universum.

Ronja bedauerte es ein wenig, dass die Wohnung von Klaus wieder bewohnbar war, als Klaus sich verabschiedete, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Insgesamt war sie sehr zufrieden mit dem Tag und hatte auch den Eindruck, dass es den anderen genauso ging.

Am nächsten Tag nahmen sie ihren mittlerweile schon vertrauten Tagesablauf mit Schule am Vormittag und Vorräte sammeln am Nachmittag wieder auf. Als Unterrichtsthema kamen sie wieder in den Genuss von interessanten medizinischen Geschichten. Passend zum Thema suchten sie auch besonders ausgiebig die Apotheke im Einkaufszentrum heim und deckten sich mit Medikamenten ein, die Klaus für sinnvoll hielt, um schwere Zeiten zu überstehen. Jetzt hatten sie mehrere Antibiotika, Grippemittel, Mittel gegen anaphylaktischen Schock und dergleichen Dinge mehr. Am Abend erklärte Klaus genau, wie, wann und warum man die jeweiligen Mittel verwenden konnte.

Als sie einen Tag später von ihrem Streifzug heimkamen, sahen sie auf dem Gang des ersten Stocks einen bulligen Mann, der auf die Tür zuging, hinter der sie die geheimnisvollen Vorräte geortet hatten. Blitzschnell drehte er sich um, als er sie kommen hörte. Sein Gesicht sah nicht unbedingt unfreundlich aus, aber zumindest ziemlich energisch.

"Packen Sie sich am besten ein kleines Fluchtgepäck zusammen. Die werden wieder kommen. Wenn Sie sie rechtzeitig kommen sehen, können Sie durch die Hintertür im Keller fliehen. Die Stimmung hat sich aufgeheizt - das geht nicht mehr so friedlich ab, wie vorher." sagte der unbekannte Mann.

"Äh, danke, wer sind Sie eigentlich?" fragte Nanni, aber da war der Unbekannte schon hinter seiner Tür verschwunden.

Alle vier schauten sich fragend an, setzten ihren Weg nach oben aber fort, denn in der eigenen Wohnnung liess es sich bestimmt am besten nachdenken.

"Wer war denn das?" brach Anna das Schweigen und sprach damit aus, was alle dachten.

"Keine Ahnung." sagten Ronja und Nanni fast gleichzeitig.

"Ich glaub, den hab ich schon ein bis zweimal gesehen, aber wer das ist, weiss ich auch nicht." kam von Klaus.

"Irgendwie unheimlich, der Typ, fandet ihr nicht auch?". Nanni sah man das Schaudern förmlich an.

"Ja, schon. Ob er wohl Recht hat?" gab Ronja zu bedenken. "Er schien uns ja nichts Böses zu wollen. Sein Vorschlag klang auch irgendwie plausibel.".

"Wenn er die Plünderer meint, die ich im Lager gesehen habe, dann hat er wahrscheinlich recht. Der Mann wirkte auf mich wie ein Krieger, der weiss, was er tut und sagt." äusserte Klaus seine Meinung.

"Hm, dann sollten wir ein kleines Fluchtgepäck packen und die Augen offen halten. Und wo sollen wir hinfliehen?". Ronja durchmass das ganze Wohnzimmer mit ihren Blicken, als wollte sie Gepäckstücke oder Fluchtziele orten.

"Vielleicht in den Keller vom Supermarkt. Der war ja unberührt, als wir ihn entdeckt haben." schlug Nanni vor.

"Ich will aber hierbleiben." quengelte Anna, die gefühlsmässig wohl genau begriff, dass es hier um etwas sehr Unerfreuliches ging.

"Ja, wir bleiben auch erstmal hier. Das ist nur zur Vorsicht. Hol doch schon mal deinen Rucksack und pack ein paar wichtige Kleider und deinen Lieblings-Teddy ein. Ich komm dann gleich und helf dir." versuchte Ronja, Anna zu beruhigen.

Dabei schlug Ronja das Herz eigentlich bis zum Hals. Erst in den letzten Sekunden war ihr bewusst geworden, was möglicherweise auf sie zukam. Vielleicht würde die vertraute Wohnung schon bald so aussehen, wie Klaus Wohnung ausgesehen hatte, oder gar noch schlimmer. Und wer weiss, was alles gestohlen werden würde. Und was, wenn sie nicht rechtzeitig fliehen könnten? Ronja schüttelte sich kurz, um die Gedanken zumindest vorübergehend loszuwerden. Anna hatte ihren Kinderrucksack schon gefunden. Auch Ronjas Rucksack war schnell aus den Tiefes eines Schrankes gezogen. Beide müffelten ein wenig, weil sie so lange keine frische Luft mehr bekommen hatten. Zuerst half Ronja Anna bei der Auswahl der Kleider, damit Anna nicht unnötig Rüschchenkleider oder ähnliches einpackte. Einen zusätzlichen Satz Kinderkleider packte sie auch in ihren eigenen Rucksack, damit Anna noch Platz für ein paar Spielsachen hatte.

Die Auswahl ihrer eigenen Kleider traf Ronja noch zügig, aber als sie dann bei all den anderen tausend Sachen ankam, die vielleicht nützlich waren, oder die sie nicht verlieren wollte, wurde die Wahl sehr schwierig und Ronja wurde zunehmend nachdenklich. Auch Anna stand mit feucht glänzenden Augen vor ihrem Spielzeugregal. Da half es auch nicht viel, dass Ronja versuchte, ihr das Ganze als aufregende Reise schmackhaft zu machen.

Schliesslich trafen sich alle vier fast gleichzeitig wieder im Wohnzimmer, alle mit nachdenklichen Gesichtern.

"Wo sollen wir nur mit all dem Zeug hin, das wir vor den Plünderern retten wollen?", fragte Nanni mit leicht zitternder Stimme in den Raum.

"Aah, ich habs." kam sie gleich selbst auf eine Idee. "Wir könnten ein paar wichtige Sachen oben im Penthouse verstecken."

"Fragt sich, ob sie da nicht auch hinkommen." warf Ronja ein. "Vielleicht gibt es auch ein paar Ecken im Keller unter irgendwelchem Gerümpel. Oder vielleicht auch hier in der Wohnung?".

"Am besten ist es vielleicht, wenn man mehrere Verstecke sucht. Dann steigt die Chance, dass sie das eine oder andere übersehen." schlug Klaus vor.

Schnell begann ein eifriges Hin- und Hergelaufe mit liebgewonnen Gegenständen in den Händen. Dreimal stiegen sie bis zum Penthouse, um dort einige Sachen in einer Abstellkammer zu verstecken. Klaus staunte nicht schlecht, was die Frauen da für einen Palast in der Hinterhand hatten. Wenn eine Flucht von dort oben nicht so schwierig gewesen wäre, hätten sie ihr Lager vielleicht sogar oben im Penthouse aufgeschlagen.

Zwischendrin schauten sie immer wieder vorsichtig nach draussen, ob sich dort möglicherweise die Horden näherten. Aber bisher war draussen alles dunkel und menschenleer.

Nach den drei Besteigungen des Penthouses waren alle ziemlich erschöpft. Daher nahmen sie sich die weitere Verstecksuche für den nächsten Tag vor. Ronja widmete sich noch eine Weile dem Packen des Rucksacks. Die Entscheidung, was man am besten einpacken sollte, fiel wirklich nicht leicht. Ein Teil der neuen Hausapotheke wanderte in den Rucksack, aber die Hälfte räumte Ronja nach einer Weile wieder raus, um Platz zu sparen. Nach mehrmaligem Ein- und Ausräumen war sie jedoch halbwegs zufrieden mit ihrem Fluchtgepäck.

Anna lief währenddessen mit ihrem Meerschweinchen zwischen den Erwachsenen hin und her, als wollte sie jedem ganz klar machen, dass das Meerschweinchen auch mit musste. Ronja war davon natürlich gar nicht begeistert, aber man konnte das unschuldige Tier ja auch nicht den Plünderern überlassen. Also suchte sie eine kleine Tasche, die man sich um den Hals hängen konnte und in die das Meerschweinchen gerade gut reinpasste. Anna war ganz begeistert und auch das Meerschweinchen schien sich mit seinem neuen Zuhause abfinden zu können.

Irgendwann war Anna jedoch endlich so müde, dass sie sich überreden liess, das Meerschweinchen wieder in den Stall zu setzen und schlafen zu gehen.

Die Erwachsen sassen anschliessend noch zusammen im Wohnzimmer und beschlossen, abwechselnd Wache zu halten, falls die Plünderer in der Nacht kommen sollten. Trotz Müdigkeit wollte aber keiner als erster schlafen gehen. So kamen sie wie von selbst zu dem Thema, das alle beschäftigte, aber keiner in Annas Gegenwart ansprechen wollte.

"Ob wir in Gefahr sind, von den Plünderern getötet zu werden?" brachte Nanni das Problem auf einen Punkt.

"Auszuschliessen ist das wohl nicht, aber wenn sie uns nicht finden, können sie uns auch nicht töten.", machte Ronja sich und den anderen Mut. "Ich frage mich aber auch, ob der Keller des Supermarktes wirklich ein sicheres Versteck ist.".

"Das fragen wir uns wohl alle." sagte Klaus. "Aber er ist vermutlich besser, als viele andere Plätze. Zur Not müssen wir eben beweglich bleiben.".

"Manchmal denke ich in letzter Zeit an das Haus meiner Eltern. Da ist es jetzt bestimmt wohnlicher als hier, denn die sind auf alle Notfälle vorbereitet." erzählte Ronja. "Was hab ich mich immer über deren Survival-Fimmel lustig gemacht. Jetzt bereue ich, dass ich nicht öfter mal zugehört habe.".

"Tja, die wohnen leider am anderen Ende der Welt, oder?" hakte Nanni nach.

"Ja, bei Freiburg. Da hat man ordentlich was zu tippeln, wenn man kein Auto zur Verfügung hat.", sagte Ronja und zuckte bedauernd mit den Achseln.

Verlegen versuchte sie sich unauffällig die feuchten Spuren aus den Augen zu wischen, aber Klaus sah es offensichtlich und nahm sie für einen Moment tröstend in den Arm. Ronja fühlte sich sehr zu Klaus und seiner Fürsorglichkeit hingezogen, fing sich dann jedoch schnell wieder, nicht ohne Klaus dankbar zuzunicken.

Bis etwa zwei Uhr nachts unterhielten sie sich zwischen langen Pausen immer mal wieder ein wenig über die Situation, aber die meiste Zeit hing jeder seinen Gedanken nach. Irgendwann schlief Nanni einfach auf dem Sofa ein. Ronja deckte sie mit einer Wolldecke zu. Gleichzeitig fragte sie sich, womit sie sich wohl am nächsten Tag zudecken könnten. Daher beschloss sie, dass es wichtig war, dass alle soviel Schlaf wie möglich bekämen und einigte sich mit Klaus darauf, dass er zuerst wachbleiben würde und sie zwei Stunden später wecken würde.

Bevor sie sich ins Bett legte, ging sie noch kurz auf den Balkon, um nach potentiellen Plünderern Ausschau zu halten. Menschen oder Lichter waren zwar nicht zu sehen, aber Ronja konnte schwach erkennen, dass ihr Atem in der frischen Luft wie Rauch sichtbar war. Der Winter war auf dem Vormarsch. Hoffentlich würde er noch eine Weile auf sich warten lassen, bis er voll ausbrach.

Kaum hatte sie die Augen geschlossen, spürte sie schon ein leichtes Rütteln am Arm, das sie wieder aufweckte. Ronja setzte sich mit einem Ruck auf, so schnell, dass sie fast mit Klaus Kopf zusammengestossen wäre.

"Oh, ist schon Zeit?" fragte sie ganz verwirrt.

"Ja, ich denke schon. Bist du denn jetzt fit genug? Ich könnte auch....".

"Nein könntest du nicht. Du brauchst auch deinen Schlaf. Es wird schon gehen. Du kannst die hier hinlegen.". Ronjas Durchsetzungskraft erwachte schneller als der Rest von ihr.

Sie stand schnell auf, um nicht in Versuchung zu kommen, wieder einzuschlafen. Die Decke schüttelte sie einmal gut durch, bevor sie Klaus mit einer Geste aufforderte, es sich gemütlich zu machen.

Klaus, dem die Augen schon fast zufielen, nahm das Angebot dankbar an. Er schien schon zu schlafen, bevor er überhaupt im Bett lag. Ronja widerstand nur mühsam der Versuchung, ihm liebevoll übers Haar zu streicheln.

Nanni war anscheinend zwischendrin in ihr eigenes Bett gegangen, denn sie lag nicht mehr auf dem Sofa, als Ronja das Wohnzimmer erreichte.

Zuerst ging sie auf den Balkon, um nach draussen zu spähen. Am östlichen Horizont konnte man schon einen leichten Lichtschimmer erahnen. Vermutlich hatte Klaus viel länger Wache gehalten, als die verabredeten zwei Stunden. Dabei war es Ronja wie ein Wimpernschlag erschienen.

Plündererhorden waren aber nicht zu sehen, also ging Ronja wieder nach drinnen. Sie versuchte auszurechnen, wielange es dauern würde, vom Augenblick, wo die Plünderer bestenfalls sichtbar sein würden bis zu dem Moment, in dem sie das Haus erreichen würden. Das konnten nicht mehr als zwei bis drei Minuten sein, wenn sie zielstrebig auf ihr Haus zumarschierten. Und das Aufbrechen der Haustür war mit geeignetem Werkzeug eine Sache von weniger als einer Minute. Das bedeutete, dass es schon zu spät für eine Flucht sein würde, wenn sie die Plünderer sofort sehen würden, wenn sie um die Ecke biegen, mal davon abgesehen, dass sie ja nur ab und zu nach draussen spähten. Da sie auf dem Weg in den Keller an der Haustür vorbei mussten, sassen sie in der Wohnung in der Falle.

Doch was sollte man tun? Gleich morgen früh in den Supermarkt-Keller fliehen? Oder vielleicht doch ins Penthouse ziehen? Oder gar in den Keller ihres Hauses, damit sie schnell rauskonnten, wenn jemand kommen sollte?

Schwierige Fragen, die über Leben und Tod entscheiden könnten. Wenn es doch nur einen Platz geben würde, an dem sie wirklich sicher wären. Aber so einen Platz gab es in Berlin wohl kaum. Ronja versuchte, sich eine Flucht nach Südwest-Deutschland vorzustellen, jetzt in einer Zeit, wo der Winter näherrückte. Das Ergebnis ihrer Überlegungen war niederschmetternd. Egal wie mans drehte und wendete: Eine gute Lösung war nicht in Sicht.

Dann dachte sie an Klaus und merkte, wie ihr Herz prompt etwas schneller schlug. Er schien wirklich ein feiner Kerl zu sein. Sie war wirklich froh, dass er sich zu ihnen gesellt hatte. Darüber hinaus konnte sie sich auch einiges vorstellen. Prompt sah sie in Gedanken, wie sie in leidenschaftlich küsste. Sie schüttelte den Kopf, um sich wieder zur Vernunft zu bringen.

Als der Tag anbrach, konnte man den Erwachsenen den Schlafmangel deutlich ansehen. Ronja brachte ihre nächtlichen Überlegungen vor, in der Hoffnung auf gute Ideen von Seiten der anderen. Die anderen hatten jedoch auch keine besseren Ideen, obwohl jeder für sich intensiv über Lösungswege nachgedacht hatte.

Sie beschlossen nach längerer Diskussion, einen Teil der Vorräte und entbehrliche Decken schon mal zum Supermarkt-Keller zu bringen, damit sie bei einer eventuellen Flucht nicht soviel schleppen mussten. Dort räumten sie auch die Pappkisten so um, dass sich ein nahezu unsichbarer kleiner Raum bildete, in dem sie sich und ihre Sachen verstecken konnten. Ihre Vorräte brachten sie in einer der Kisten unauffällig unter, sodass sie nicht so leicht gefunden werden konnten, solange das Versteck noch unbenutzt war.

Als sie bei ihrer älteren Nachbarin klopften, um sie vor der neuen Gefahr zu warnen, machte ihnen niemand auf. Am Tag zuvor hatte sie noch gerne ihre tägliche Wassergabe und eine Packung Pumpernickel entgegengenommen. Nichtsdestotrotz war es kein gutes Zeichen, dass die Nachbarin nicht mehr aufmachte.

Den Nachmittag verbrachten sie damit, auch im eigenen Keller ein Notlager aufzuschlagen. Dafür eignete der Kellerverschlag von Klaus sich besser, weil er rundherum schmale Regale hatte, sodass der Raum in der Mitte kaum einsehbar war. Mithilfe von Isomatten, Luftmatratzen und Wolldecken, die sie noch in ihren jeweiligen Kellern fanden, gelang es ihnen, eine recht gemütliche Höhle zu bauen.

Oben in der Wohnung gab es nochmal eine letzte warme Mahlzeit, die wichtigsten Gebrauchsgegenstände wurden möglichst gut versteckt und dann zogen die Vier mit ihren Rucksäcken in den Keller. Dort zündeten sie ein Teelicht an, das ein wenig Licht spendete. Um die Zeit totzuschlagen widmeten sie sich wieder der "Schule", bis Anna, eingekuschelt zwischen Klaus und Ronja eingeschlafen war. Klaus zog ihr liebevoll die Decke zurecht. Das Lächeln, das er anschliessend Ronja schenkte, lies ihr Herz dahinschmelzen. Ob er wohl genauso empfand, wie sie?

Die Nacht verging mit leisen Gesprächen abgewechselt von kurzen Schlafphasen, denn richtig tief konnte keiner ausser Anna schlafen, in dieser ungewohnten Umgebung. Von Plünderern war nichts zu hören.

Gegen Morgen sickerte fahles Licht durch die schmalen Kellerfenster. Nanni hatte sich gerade auf den Weg gemacht, um eine geeignete Pinkelmöglichkeit zu finden, als sie mit weitaufgerissenen Augen zurück kam. Sie griff nach ihrem Rucksack und gestikulierte, dass die anderen still bleiben und fliehen sollten, denn die Plünderer standen vor der Tür und schlugen auf sie ein.

Ronja und Klaus griffen sich hastig ihre Rucksäcke, doch Anna wachte nicht richtig auf. Also nahme Klaus Anna und ihren kleinen Rucksack auf die Arme und Ronja belud sich mit den beiden grossen Rucksäcken. Der Weg zur Hintertür war glücklicherweise nicht weit. Nanni, die beide Hände frei hatte, schloss die Tür auf und ging forschen Schrittes voran.

Kaum waren sie draussen auf dem Platz mit den Wäschespinnen angekommen, versperrte ihnen ein kräftig gebauter Mann den Weg. Bewaffnet war er mit einer dicken Stahlstange, die er drohend über den Kopf hielt. Ronja blieb fast das Herz stehen.

Doch wie ein Blitz war Nanni auf den Typen zugerannt und rammte ihm ihr Knie kräftig in die Weichteile. Der Mann liess die Stahlstange fallen und brach sofort zusammen, die Hände verzeifelt um sein bestes Stück geklammert. Nanni schnappte sich die Stange und stieg mit einem grosen Schritt über den gekrümmten Mann, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, bewaffnete Männer zu Boden zu strecken. Sie reckte den Daumen in die Höhe, bevor sie den anderen bedeutete, schleunigst weiter zu eilen.

Klaus liess einen missratenen, aber unverkennbar anerkennenden Pfiff hören, rückte Anna ein wenig zurecht, um sich dann gestreckten Schrittes von dem Angreifer zu entfernen. Ronja eilte ihm hinterher. Sie staunte nicht schlecht über Nannis Unerschrockenheit. An ihrer Freundin war ein echter Kerl verloren gegangen.

An der Ecke des Hauses spähten sie erst vorsichtig, ob der Weg frei war. Die letzten Plünderer betraten gerade ihr Haus. Sobald sie sich sicher fühlten, huschten die vier Flüchtlinge von Deckung zu Deckung in Richtung Einkaufszentrum. Wie man von Deckung zu Deckung huscht, hatten schliesslich alle schon in unzähligen Krimis gesehen.

Vor dem Einkaufszentrum lungerten mehrere finstere Gestalten herum, sodass sich unsere Vier zum hinteren Eingang schlichen, den kaum jemand kannte. Der Hintereingang war glücklicherweise frei. Nanni schlich voraus, kam jedoch bald wieder zurück und schüttelte den Kopf. Sie flüsterte den anderen zu, dass drinnen etliche Plünderer seien.

Der Weg zu ihrem Versteck war also erstmal versperrt. Sie suchten sich eine unauffällige Nische zwischen zwei Häusern, um Kriegsrat zu halten. Nanni schlug vor, einfach eine Weile abzuwarten, ob die Plünderer sich wieder verziehen würden. Da keiner eine bessere Idee hatte, stimmten alle zu.

Anna war inzwischen längst aufgewacht und verkündete, dass sie Hunger hatte. Da die anderen auch nichts gegen einen kleinen Happen einzuwenden hatten, hielten sie in ihrer Mauernische ein kleines Picknick ab.

Als sie fertig gegessen hatten, schienen die Plünderer das Interesse am Einkaufszentrum verloren zu haben, denn sie kamen in Scharen aus dem Gebäude. Unsere Flüchtlinge warteten noch eine gute halbe Stunde, bis sie einen erneuten Versuch wagten, zu ihrem Versteck vorzustossen.

Glücklicherweise war der Weg jetzt frei, und sie kamen unbeschadet im Keller des Supermarktes an. Ihre Vorräte waren unberührt und auch sonst sah es so aus, als wäre keiner der Plünderer soweit vorgedrungen.

Aber ob sie hier wirklich sicher waren?

Obwohl sich alle gegenseitig versicherteten, dass sie hier in einem guten Versteck waren, behielt jeder ein ängstliches Gefühl, als die Stunden verrannen. Irgendwann wurden alle müde und so schliefen sie aneinandergekuschelt einem ungewissen Morgen entgegen.

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