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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 24


  
Irgendetwas drückte schmerzhaft an Ullis Wange. Zuerst versuchte Ulli, dem schmerzhaften Druck durch Umdrehen zu entkommen, aber dann drückte es im Nacken. Also entschloss Ulli sich, aufzuwachen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die Ursache war schnell entdeckt, denn da wo eben noch sein Kopf gelegen hatte, lag ganz unschuldig aussehend Ullis Kompass. Unverdrossen zeigte er nach Norden. "Wenn es doch nur so einfach wäre." dachte Ulli bei sich, als hätte der Kompass ihn zu irgendetwas aufgefordert.

Nachdenklich besah er sich seine Habseligkeiten, die nicht viel Hoffnung versprachen. Mit seinen EPA-Resten konnte er sich mit Ach und Krach über diesen Tag retten, denn die drei EPAs des Anderen wollte er nach wie vor nicht anrühren. Mit drei EPAs im Schlepptau könnte er aber kaum glaubwürdig versichern, dass er hungrig sei. Nunja, fürs erste Naseputzen reichten seine Vorräte noch und die Toilettenschlange war glücklicherweise kostenlos.

Während er in der Schlange wartete, dachte er erneut darüber nach, ob er nicht besser doch das Lager verlassen sollte. Seine Wohnung lag immerhin im Norden. Ob das die Bedeutung des zurückgewonnenen Kompasses war? Das wäre zu einfach, denn Kompasse zeigen schliesslich immer nach Norden. Aber das mit dem Verlassen des Lagers liess ihm dennoch keine Ruhe.

Im Anschluss an die Morgentoilette holte er einen der harten Kekse aus seinem Bündel und knabberte gedankenverloren darauf rum, während seine Schritte ihn wie von selber in Richtung Lagerausgang führten. Bei den Anschlagtafeln blieb er stehen, einerseits um eventuelle Neuigkeiten zu erfahren und andererseits um, ohne es zu wissen, Zeit zu gewinnen.

Die Anschlagtafel berichtete von Tumulten in Berlin, bei denen etliche Politiker getötet worden seien und erbarmungswürdigen Zuständen bei der Zivilbevölkerung. Ulli dachte an seine Schwester Ronja und hoffte, dass sie es halbwegs gut haben würde, bezweifelte dies aber tief drinnen, denn die Nachrichten aus Berlin klangen wirklich niederschmetternd. Über andere Städte gab es ähnliche Berichte, die aber im Allgemeinen eher nichtssagend waren.

Endlich hatte Ulli alles gelesen, was es zu lesen gab und er drehte sich in Richtung Ausgang um. Unschlüssig verlagerte er sein Gewicht von einem Bein aufs andere. Wenn dann sollte er es jetzt gleich wagen, solange der Tag noch jung war. Er ging direkt auf den Ausgang zu, in der Hoffnung ohne weitere Formalitäten entschlüpfen zu können. Doch da hatte er die Rechnung ohne den aufmerksamen Wachposten gemacht, der ihn sofort anhielt und zu der Frau von vorgestern schickte.

Die Frau sass immernoch oder schon wieder neben dem Eingangsbereich mit ihrem Klemmbrett auf dem Schoss. Sie begrüsste ihn freundlich, wie einen alten Bekannten. Ob sie sich wohl an Ulli erinnerte? Ulli bezweifelte das, denn kaum jemand erinnerte sich gleich nach der ersten Begegnung an ihn.

"Sie wollen also wirklich das Lager verlassen?" fragte sie ihn. Ulli nickte bejahend. Die Unsicherheit auf den Strassen hat eher noch zugenommen. Wir haben einfach nicht genug Leute, um die Strassen zu sichern.", versuchte sie ihn von seinem Vorhaben abzuhalten.

"Och, mit den Leuten, das könnten Sie leicht lösen.", platzte Ulli leichthin raus.

"Wie meinen Sie das?", fragte die Frau, neugierig geworden.

"Nun, hier sitzen doch haufenweise Leute untätig rum. Leute, die kochen können, Kinder betreuen - was jetzt schon ganz gut von selber läuft, organisieren können, sich mit Verwaltung auskennen, Maschinen reparieren und dergleichen Dinge mehr. Die Leute hier sind ja keine Schwerkranken, sondern Menschen, die grossteils vorher gearbeitet oder etwas gelernt haben. Nutzen Sie doch einfach deren Zeit und Kraft, dann haben Sie genug Leute, um das Lager auf Vordermann zu bringen und die Stadt von Plünderern zu befreien.", schlug Ulli ganz kühn vor.

"Weiter! Wie haben Sie sich das konkret vorgestellt?", liess die Frau nicht locker.

"Konkret? Nun ja, man müsste Ansprachen in den Zelten halten und die Leute dann je nach ihren Fähigkeiten in Gruppen sammeln lassen. Zur Aufsicht können Sie ja jeder Gruppe einen Soldaten mitgeben, damit alles seine Ordnung hat.", baute Ulli seine Idee weiter aus, "Kann ich jetzt gehen?".

"Gehen können Sie gerne, doch nicht nach draussen. Kommen Sie mit.", die Frau stand auf und bedeutete Ulli ihm zu folgen.

Ulli folgte der Frau mühsam durch einen Teil des Lagers, den er bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Seine Decke schleifte auf dem Boden und er versuchte beim Gehen die Decke durch Schulterbewegungen wieder zurechtzurücken, was leider gar nicht gut gelang, sondern ins Gegenteil ausartete. Für Aussenstehende sah das bestimmt lustig aus, wie er in aller Eile mit schleifender Decke und zuckenden Schultern einer Frau hinterher lief. Nach mehreren hundert Metern wurde ihm das aber zu bunt und er blieb kurz stehen, um sich die Decke ordentlich über die Schultern zu legen.

"Wohin bringen Sie mich?", rief er keuchend der Frau hinterher.

Die Frau stellte jetzt erst fest, dass er kaum hinterher kam und verlangsamte ihre Schritte etwas. "Lassen Sie sich überraschen.", meinte sie verschmitzt. Sie kamen an mehreren Kontrollposten vorbei, die jedes Mal sofort strammstanden, wenn die Frau und Ulli passierten.

Schliesslich standen sie vor einem gut bewachten mittelgrossen Zelt und die Frau hielt sich das erste Mal damit auf, einen der Wachposten anzusprechen. Sie sagte zu dem Mann: "Ich bringe hier eine Überraschung für Oberleutnant Wunsmann.".

Zu Ulli gewandt sagte sie: "Oberleutnant Wunsmann können Sie ihre ganzen Ideen erzählen. Er hat bestimmt ein offenes Ohr dafür. Wie heissen Sie?".

"Äh, ich heisse Ulli Burkhardt. Was passiert jetzt?", wollte Ulli unbedingt wissen.

"Sie können sich einfach eine Weile mit dem Oberleutnant unterhalten.", erklärte die Frau.

Ulli war gar nicht wohl in seiner Haut. Hatte er was Verbotenes gesagt? Hatte er gegen irgendeine, ihm unbekannte, Regel verstossen? Mit Leutnants kannte er sich gar nicht aus. Die kannte er eigentlich nur aus derben Filmen, die ihm meistens nicht sonderlich gut gefielen.

Ein wenig ungeduldig winkte die Frau ihm näherzukommen. Sie betraten zusammen das Zelt. Hinter einem kleinen Windfang öffnete sich das Zelt zu einem Raum, der fast wie ein normales Büro aussah, wenn auch etwas spartanisch. Hinter einem wuchtigen Schreibtisch sass ein grauhaariger Mann in Uniform mit tiefen Ringen unter den Augen. Er gab gerade einem anderen Mann einen Stapel Papiere und schickte ihn davon.

Das erste Mal seit er sie kannte, nahm auch die Frau die soldatentypische Habacht-Stellung ein. Auch Ulli versuchte möglichst gerade zu stehen, was ihm mit der Decke über den Schultern und den EPAs im Schlepptau nicht besonders gut gelang. Der ältere Mann bedeutete der Frau zu sprechen.

"Oberleutnant Wunsmann, erinnern Sie sich an Ihren Wunsch heute morgen, dass jemand kommen sollte, der Ordnung in dieses Chaos bringt? Ihr Wunsch ist wohl in Erfüllung gegangen. Hier bringe ich Ihnen Ulli Burkhardt. Er hat ein paar gute Ideen, wie man die Situation verbessern könnte.", kündigte die Frau an. Dann nickte Sie Ulli noch einmal kurz zu, bevor sie sich auf einen Wink des Oberleutnants hin zurückzog.

"So, so.", hob Oberleutnant Wunsmann an zu sprechen. "Sie haben also gute Ideen?", fragte er Ulli ganz direkt.

"Äh, nun ja, also, ich hab eigentlich nur so dahergeplaudert, Sir.", versuchte Ulli sich herauszuwinden.

"Nun, das werden wir sehen. Haben Sie gedient?", fragte Oberleutnant Wunsmann.

Ulli spürte, wie ihm die Blut in den Kopf stieg. Bestimmt war er schon bis zu den Haarwurzeln rot im Gesicht. "Nein, äh, sie wollten mich nicht, wegen meiner Plattfüsse.", stammelte er.

"Zu meiner Zeit wäre man mit einer solchen Lapalie nicht davongekommen. Aber sei's drum. Was haben Sie bisher gemacht?", fragte der Oberleutnant, ohne sich um Ullis Verlegenheit zu kümmern.

"Ich studiere Versicherungsmathematik.". Endlich eine Frage, bei der Ulli sich nicht schämte.

"Da rechnet man bestimmt viele Katastrophen-Szenarios durch?", mutmasste Herr Wunsmann.

"Ja, das ist auch schon lange ein Hobby von mir.", allmählich fühlte Ulli sich etwas besser.

"Nun denn, dann lassen Sie mal hören, was Sie so für Ideen haben.", forderte der Oberleutnant ihn auf.

"Die Ideen basieren auf der Überlegung, dass hier sehr viele gesunde, arbeitsfähige Menschen untätig rumsitzen, obwohl sie alle Arten von Fähigkeiten haben. Für die Organisation gibt es Manager und Sekretärinnen, für die Verpflegung Gastwirte, Einkäufer und Lagerfachleute, für die Technik gibt es Maschinenbauer und Elektrotechniker. Auch Studenten können mitarbeiten und völlig Ungelernte können irgendwelche Hilfdienste leisten. Selbst wenn das alles auf freiwilliger Basis läuft, sind die Leute bestimmt froh, dass es weitergeht und dass sie nicht mehr tatenlos abwarten müssen."

Ulli holte tief Luft, denn auch ihm wurde erst nach und nach die Bedeutung und die möglichen Folgen seines Vorschlags bewusst. Die Ideen, die bisher vage in seinem Kopf herumgewabert waren, bildeten sich plötzlich zu einem klaren, aber komplexen Bild und er wusste plötzlich, dass er an diesem Tag noch viel sprechen würde.

"Die Organisation wäre relativ einfach, wenn man die Leute in ihren Zelten und auf der Hauptstrasse informiert und sich dann nach Fähigkeiten sammeln lässt. Zur Bewachung können Sie natürlich echte Soldaten dazustellen.", schlug Ulli vor.

"Und was sollen die Leute dann ihrer Meinung nach tun?", fragte der Oberleutnant.

"Zuerst könnten sie die Organisation des Lagers nach und nach grossteils übernehmen, sodass Sie mehr Soldaten für die Befreiung der Stadt zur Verfügung haben. Die jungen kräftigen Leute könnten Ihnen auch dabei helfen. Die Mütter haben sich jetzt schon organisiert, um die Kinder zu betreuen. Das gab mir den letzten Denkanstoss, denn es klappt wunderbar. Für die Zelte bräuchte man auch jeweils ein Team von Verantwortlichen, die dort nach dem Rechten sehen. Am besten wären drei Verantwortliche pro Zelt zuzüglich freiwilligen Helfern. Haben Sie ein Blatt Papier?". Ulli war richtig in Fahrt gekommen. Es gefiel ihm ausgesprochen gut, dass sich seine Idee zu einem Plan zu verdichten begann.

Oberleutnant Wunsmann nickte zustimmend, griff nach einem dünnen Stapel Papier und einem Kugelschreiber. Dann geleitete er Ulli zu einer kleinen Sitzecke mit Couchtisch und bot ihm einen bequemen Stuhl an. "Kaffee?", fragte er knapp. Als Ulli bejahend nickte, rief er einem anderen Soldaten, der bisher unauffällig an einem kleinen Schreibtisch am Rande des Zeltes gearbeitet hatte, eine kurze Bestellung zu, woraufhin dieser verschwand.

"So, nun schreiben Sie mal auf, was Sie so geplant haben, Kaffee kommt gleich.", was sich auch gleich bewahrheitete, denn der andere Soldat kam schon wieder zurück mit einer Tasse Kaffee und ein paar Keksen. Der Kaffee duftete so verlockend, dass Ulli nicht widerstehen konnte und sofort ein Schlückchen davon trank. Es war zwar einfacher Kantinenkaffee, aber er schmeckte besser als jeder Kaffee, den Ulli in Erinnerung hatte. Die Kekse schaute er auch sehnsuchtsvoll an, doch zuerst wollte er seine Gedanken zu Papier bringen, solange sie noch in seinem Kopf kreisten.

Er nahm den Kugelschreiber in die Hand und schrieb einfach los: Zelt-Verantwortung, Kinderbetreuung, Küche, Essensausgabe, Toilettendienst, Toiletten aufbauen, Unterkünfte verbessern, Verwaltung, Medizinische Versorgung. Alles ordentlich untereinander als Ausgangsbasis für eine Tabelle. "Was es in einem Lager zu tun gibt, wissen Sie bestimmt besser als ich, Sir.", bemerkte Ulli etwas zaghaft. Neben die Zelt-Verantwortung schrieb er noch "3 je Zelt plus Helfer".

"Hm.", meinte Oberleutnant Wunsmann. "Und wie soll es dann weitergehen.".

"Wenn es kalt wird, ist eine Zeltstadt in unseren Breiten unbrauchbar. Aber eigentlich müsste es in München fast genug Wohnraum geben für alle Menschen, die schon vorher hier gewohnt haben. Daher sollte man die freiwerdenden Kräfte nutzen, um Schritt für Schritt die Stadt zurückerobern. Dazu braucht man natürlich eine mobile Nahrungsmittelversorgung und ähnliches, wenn es uns nicht gelingt, die normalen Strukturen wieder notdürftig aufzubauen.", schlug Ulli vor.

"Und wie sieht es mit dem Wasser aus?", versuchte der Oberleutnant eine Lücke in Ullis Plänen zu entdecken.

"Oh, das Wasser ja. Entweder mit Wasserwagen, dazu müsste man entsprechende Laster reparieren oder gibt es für München nicht Wasserversorgung aus den Bergen, sodass das Gefälle ausreichen müsste, um einen brauchbaren Wasserdruck zu gewährleisten?", antwortete Ulli.

"Ja, doch, davon habe ich schon gehört.", meinte Herr Wunsmann.

"Gut, dann müsste man nur eventuelle störende elektronische Steuergeräte entfernen und dann könnte eine gewisse Wasserversorgung für München funktionieren.", schlug Ulli vor.

"So so, und das lernt man alles bei der Versicherungsmathematik?", fragte Herr Wunsmann leicht amüsiert.

"Ähem, wohl nicht so ganz. Die Ausgangsfrage der Überlegungen war allerdings: Wie kann man die Schadensumme so gering wie möglich halten?", antwortete Ulli.

"Und Sie wollen das für uns organisieren?", forderte der Oberleutnant Ulli heraus.

"Tja, äh, ich? Ich würde fähige Leute dafür einsetzen, die über mehr Erfahrung als ich verfügen.", sagte Ulli leicht verunsichert.

"Das ist gut, das hätte ich auch von Ihnen erwartet. Sie können sich gleich an die Arbeit machen. Vervollständigen Sie Ihre Liste und setzen Sie einen Text auf, um die Lagerinsassen zu informieren. Gegen Abend sprechen wir das Ganze dann durch und morgen können Sie die Leute zur Arbeit aufrufen.", schlug Oberleutnant Wunsmann vor. Es klang jedoch eher wie ein Befehl.

Ulli war zunächst sprachlos, schluckte mehrmals und nickte dann zaghaft. Bevor Oberleutnant Wunsmann ihn sich selbst überlassen konnte, berappelte er sich jedoch und sagte: "Dann würde ich vorschlagen, dass ich als erstes jemanden von Ihrer Truppe brauche, der mir verrät, wie es bei Ihnen zugeht.".

Oberleutnant Wunsmann grinste zustimmend und merkte an: "So ausgehungert wie Sie aussehen, haben sie gegen eine gute Mahlzeit bestimmt nichts einzuwenden.".

Dagegen hatte Ulli in der Tat nichts einzuwenden und endlich traute er sich auch, die drei Kekse zu essen, die bei dem Kaffee lagen. Herr Wunsmann verliess kurz das Zelt, wahrscheinlich um sich anderen Dingen zu widmen. Ulli nutzte den Moment der Ruhe, um sich nochmal sein teilweise beschriebenes Blatt durchzusehen und den Kaffee zu trinken.

Kaum zehn Minuten später, Ulli hatte schon eine weitere Liste mit zu beschaffenden Dingen angefangen, betrat ein junger Mann in Ullis Alter das Zelt. In einer Hand balancierte er schwer beladenes Tablett und in der anderen trug er eine Aktentasche. Er steuerte direkt auf Ulli zu, stellte das Tablett auf dem Tisch ab und schüttelte seine Hand aus, um die Verkrampfung zu lockern.

"Obergefreiter Mattmüller meldet sich zum Dienst. Oberleutnant Wunsmann hat mich mit diesem Essen zu Ihnen geschickt und mich beauftragt, Ihnen zur weiteren Planung zur Verfügung zu stehen, was immer er auch damit meint.", stellte der Mann sich vor.

Hin- und hergerissen zwischen seinem Hunger und dem Wunsch, seine Ideen möglichst zügig rüberzubringen, versuchte sich Ulli an dem Kunststück, gleichzeitig zu essen und in groben Zügen seine Überlegungen zu erklären, was ihm teilweise auch recht gut gelang. Nach den ersten zehn Bissen hatte er es auch nicht mehr so eilig und er liess beim Essen Pausen, in denen er erklärte und viele weitere Punkte aufschrieb.

Die wachen Augen von Herrn Mattmüller flitzten zwischen den Papieren und Ullis gestikulierenden Händen hin- und her und schienen alles in sich aufzusaugen.

"Ja, das ist gut. Sowas hat die ganze Zeit gefehlt. Und wir zwei sollen das jetzt umsetzen?", sagte der Obergefreite, als Ulli mit den Erklärungen zu einem vorläufigen Ende gekommen war.

Bei der Ausarbeitung der konkreten Details stellten die beiden fest, dass sie gut miteinander klarkamen, was dazu führte, dass sie ein Blatt Papier nach dem anderen vollschrieben. Bald war der dünne Papierstapel verbraucht und Herr Mattmüller musste Nachschub besorgen.

Als es nach vielen Stunden dunkelte, hatten sie einen konkreten Plan für die nächsten Tage aufgestellt und grobe Überlegungen für die Zukunft niedergeschrieben. Angesichts der Dunkelheit wollte Ulli aufbrechen, um zu seinem Zelt zurückzukehren, doch Obergefreiter Mattmüller hielt ihn davon ab. Für Mitarbeiter der Lagerverwaltung gab es nämlich ein Hotel in unmittelbarer Nähe, wo Ulli jetzt auch Platz finden würde, da er ja ein Mitarbeiter geworden war.

Zusammen verliessen sie das Lager über gutbewachte Strassen, um nach wenigen Minuten vor einem Hotel zu stehen, vor dem eine mehrköpfige Patroullie auf- und abmarschierte. Obergefreiter Mattmüller wies sich aus und erklärte die Anwesenheit von Ulli. Einer der Wachposten machte einen Haken auf einer Liste, die er mit sich führte. An der Rezeption erhielt Ulli einen Ausweis, der ihm offiziell Zugang zum Hotel und den Verwaltungsbereichen des Lagers gewährte.

In der Lobby des Hotels brannten mehrere schwache Glühbirnen. Man konnte auch lange Kabel sehen, die sich überall provisorisch an den Wänden entlangzogen. Herr Mattmüller bemerkte Ullis Interesse und erwähnte: "Ja, Sie sehen richtig. Wir haben hier Notstrom. Sogar in den Zimmern kann man die Deckenbeleuchtung nutzen, aber auch nur die. Ich zeige Ihnen erstmal Ihr Zimmer, da können Sie sich ein wenig frisch machen, Sie sehen nämlich aus, wie durch eine Pfütze gezogen. Vorher sollten wir wohl noch in die Kleiderkammer gehen, um Ihnen was zum Anziehen auszusuchen.

Ulli folgte Herrn Mattmüller in den Keller zu einer Ausgabestelle, wo er von einer freundlichen Frau einen Stapel frisch gewaschene Kleider und ein Einweg-Rasierzeug erhielt. Anschliessend steigen sie in das dritte Stockwerk und Herr Mattmüller zeigte Ulli sein Einzelzimmer, nicht ohne schmunzelnd zu erwähnen, dass Ulli das Einzelzimmer nur bekommen hätte, weil sie einen Zivilisten nicht mit einem Soldaten zusammenlegen wollten. In den anderen Zimmern schliefen sie anscheinend mindestens zu viert. Herr Mattmüller erklärte Ulli noch, dass es zwar fliessend Wasser geben würde, weil das Hotel eine grosse Zisterne auf dem Dach hatte, aber dass das Wasser kalt sei. In einer Stunde würde er Ulli wieder abholen, um zum Essen zu gehen.

Kaltes Wasser aus der Dusche war zwar nicht unbedingt nach Ullis Geschmack, aber immernoch besser als dreckig bleiben. Sein Zimmer erwies sich als ordentliches Hotelzimmer der Mittelklasse und es war eine wahre Wonne, als auf Knopfdruck die Deckenbeleuchtung anging. Er verstaute seine wenigen Habseligkeiten in einem geräumigen Schrank, damit er sie nicht mehr vor Augen hatte. Nur den Kompass legte er auf den Nachtisch, denn den sah er gerne an. Im Bad musste er sich etwas überwinden, um unter die kalte Dusche zu springen, aber sein Bedürfnis nach Sauberkeit siegte schliesslich. Am Schluss sah er wieder ganz manierlich aus und die geliehenen Soldatenkleider passten wie angegossen.

Kaum hatte er es sich auf dem Bett bequem gemacht, als es auch schon an der Tür klopfte. Nach Ullis Aufforderung kam Herr Mattmüller rein und lud Ulli zum Essen ein. Ulli konnte sein Glück kaum fassen.

Der Speiseraum erwies sich als eine Mischung aus Restaurant und Kantine. Einige Tische waren zusammengestellt und andere standen einzelnen in kleinen Gruppen im Raum. Das Essen erinnerte stark an Kantinen-Essen, aber im Vergleich zu den EPAs schmeckte es himmlisch. Anders als beim Mittagessen nahm Ulli diesmal wahr, was er in sich reinschaufelte. Es gab Hackbraten mit Kartoffelbrei und Erbsen mit Möhrchen. Eigentlich ein ganz gewöhnliches Essen, aber schmackhaft gewürzt. Ulli genoss jeden Bissen. Zum Trinken gab es soagr eine kleine Flasche Bier für jeden.

Während des Essens unterhielten sich Ulli und Herr Mattmüller ausgiebig über ihre morgigen Vorhaben. Als Ulli bestimmt zum hundertsten Mal "Herr Mattmüller" sagte, erhob Obergefreiter Mattmüller feierlich seine Flasche Bier und sagte: "Zumindest in der Freizeit können Sie gerne Markus zu mir sagen. Der Herr Mattmüller wächst mir schon zu den Ohren raus.".

"Gerne.", freute sich Ulli. "Mein Name ist Ulli. Ich bin so einen förmlichen Umgangston sowieso nicht gewöhnt, aber ich dachte, beim Militär gehört das dazu.". Er hob auch seine Bierflasche und stiess mit Markus auf gute Zusammenarbeit an.

Das Bier machte müde und so dauerte es nicht lange, bis sich die beiden in ihre Zimmer zurückzogen, um für den anstrengenden morgigen Tag gut ausgeschlafen zu sein. Ulli lag noch lange wach auf seinem weichen Bett und starrte an die beleuchtete Zimmerdecke, während ihm die Gedanken keine Ruhe liessen.

Heute vormittag noch wollte er einfach nur raus aus dem Lager, was ihm ja sogar gelungen war, wenn auch auf eine ganz andere Art und Weise, als er sich vorgestellt hatte. Sein jetziges Abenteuer hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Im Prinzip hatte er den Job angenommen, die ganze Stadt zu retten. Was für ein Wahnsinn! Aber er konnte sich ja erfahrene Helfer holen, die seine mangelnde Erfahrung ausgleichen könnten. Dennoch - was war nur in ihn gefahren? Wie konnte er nur? Es war einfach so schnell passiert, dass er die Entwicklung kaum in der Hand gehabt hatte. Hätte er bloss nicht so altklug dahergeredet, als die Soldatin über den Personalmangel geklagt hatte.

Aber auf der anderen Seite gefiel es ihm hier. Er war satt, sauber und warm, lag in einem weichen Bett und hatte eine sehr interessante Aufgabe vor sich. Eigentlich freute er sich schon auf den nächsten Tag und konnte es kaum erwarten, mit der Organisation der Leute anzufangen. Obwohl er sonst nicht viel von Religion hielt, sandte er ein Stossgebet zu einem eventuellen Gott dort draussen in der Unendlichkeit, damit ihm dieser helfe, die grosse Aufgabe zu bewältigen.

Der Schatten der Lampe zauberte eine sternförmiges Muster an die Decke, das Ulli an seinen Kompass erinnerte. Dankbar nahm er seinen Kompass in die Hand, als wäre er ein greifbarer Hinweis darauf, dass Ulli es schon schaffen würde. Selbst als Ulli das Licht ausgeschaltet hatte, konnte er das sternförmige Kompassmuster noch vor sich sehen und es begleitete ihn bis in seine Träume.


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