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EMP - Ein Survivalroman

Kapitel 17


  
Obwohl die Sonne freundlich ins Zimmer schien, ahnte Fritz schon beim Aufwachen, dass dies ein Tag des Abwartens und der Ungewissheit sein würde. Das waren beides nicht gerade seine Lieblingsbeschäftigungen. Viel lieber hätte er sein Haus tatkräftig für den Winter vorbereitet, aber das musste noch eine Weile warten.

Also liess er sich Zeit beim Aufstehen und warf erst mal einen Blick aus dem Fenster, natürlich mit seinem Feldstecher. Auf den ersten Blick war nichts besonderes zu sehen. In den Aussenbereichen der Stadt war mehr los, als am Tag zuvor; bei genauem Hinsehen konnte er kleine Menschengruppen in den Strassen erkennen. Anscheinend arbeiteten sich die "Bösmenschen", wie erwartet, nach und nach durch die Stadt. Wielange sie wohl brauchen würden, bis sie bei ihm angekommen waren? Interessant wäre auch gewesen, zu wissen, inwieweit die Plünderer organisiert waren. Einen Fernhörer müsste man haben.

Nachdem er auch noch die Webcams überprüft hatte, ging er in die Küche, um zu frühstücken. Der Kühlschrank gab immernoch einiges her und er musste sich wohl beeilen, alles rechtzeitig aufzuessen. Beim Kaffeetrinken liess er sich die Situation nochmal gründlich durch den Kopf gehen. Bisher lief eigentlich alles wie erwartet. Viele Menschen hatten sich offenbar in ihre Wohnungen zurückgezogen und andere zogen durch die Strassen und plünderten. Unklar war nach wie vor, ob sich feste Gruppen bilden würden oder ob die Plünderungen mehr spontan verliefen. Da es schon vorher Probleme mit mehreren Gruppen von Spätaussiedlern gegeben hatte, befürchtete er die organisierte Plünderung und vielleicht auch Übernahme der Stadt. Doch dafür fehlten ihm bisher eindeutige Anhaltspunkte.

Für ihn stellte sich aktuell eigentlich nur die Frage, ob er den Tag in seinem Haus oder in seinem Versteck verbringen wollte. Er entschied sich für das Versteck, denn dort könnte er in aller Ruhe ausprobieren, ob er auch alles Wichtige vor Ort hatte, denn jetzt war wahrscheinlich noch genug Zeit, seine Ausrüstung zu ergänzen, falls das nötig sein sollte. Eigentlich hatte er es wohl wirklich sehr gut im Vergleich zu den meisten anderen. Er sass hier und hatte die Wahl zwischen zwei relativ sicheren Orten. Sein Bauch war voll und er hatte genug zu trinken. Er konnte sich echt nicht beklagen.

Fritz packte seine Sachen zusammen in einen kleinen Rucksack und machte sich auf den Weg zu seinem Waldversteck. Sein Zelt und die dort verbliebene Ausrüstung waren unangetastet. Er räumte ein bisschen rum und dann stieg er auf seinen Baum, um mit dem Feldstecher Ausschau zu halten. Von hier oben war der Überblick etwas besser, dafür war alles ein wenig weiter entfernt. In den Strassen sah er wieder mehrere Menschengruppen. Manchmal trafen sich auch zwei Gruppen und vermischten sich oder trennten sich nach kurzer Zeit wieder. Zu gern würde er wissen, was dort genau vor sich ging.

Eine ganze Weile verfolgte er mehrere Gruppen, die seinem Ortsteil am nähesten waren und versuchte abzuschätzen, wie schnell sie vorwärtskamen. Sie gingen in ein Haus nach dem anderen und etwas später kamen sie wieder raus. Schwer bepackt waren sie aber nicht. Nur einmal konnte er sehen, wie ein grösserer Gegenstand auf einem Handwagen wegtransportiert wurde. Die kleine Gruppe der Wagenzieher ging in Richtung Neubausiedlung, was Fritz deutlich erleichterte.

Der Wunsch, zu wissen, was da vor sich ging, wurde zunehmend grösser. Er sagte sich, dass er froh sein sollte, nicht da unten sein zu müssen. Wer weiss, was die Leute bei ihren Besuchen in den Häusern machten. Sie brachten bestimmt keine Spenden vorbei. Allmählich bekam er ein Gefühl für den Rhythmus. Nach etwa zwei Stunden konnte er hochrechnen, dass es noch etwa zwei Tage dauern würde, bis die Leute auch nur entfernt in seine Nähe kommen würden, es sei denn, irgendjemand machte einen Abstecher in seine Richtung.

Noch eine Stunde später entschloss er sich, der Sache auf den Grund zu gehen. Schliesslich war er ausgebildet für Spähtrupss in gefährlichen Städten.

Er kletterte vom Baum und vertrat sich erstmal die Füsse. Anschliessend war ein kleiner Happen zur Stärkung dran. Seinen Revolver verstaute er unter seiner Achsel und sein grosses Messer steckte er an den Unterschenkel unter die Hose. Ein kleines Wurfmesser befestigte er unauffällig und griffbereit am Gürtel. Dann fehlte nur noch sein Taschen-Periskop, das er in den Weiten seines Sweat-Shirts verstaute.

Für eventuelle Überfälle steckte er noch ein älteres Portemonnaie mit etwa 70 Euro und einer Menge Kleingeld ein, das die Hintertasche seiner Jeans deutlich ausbeulte. Dann wussten die Burschen gleich, wo sie sich bedienen mussten und liessen den Rest vielleicht undurchsucht.

Um bei eventueller Beobachtung durch die Anderen nicht zu verraten aus welcher Richtung er kam, schlug er zuerst einen grossen Bogen durch den Wald rund um ein Viertel der Stadt. Dann betrat er einen Ortsteil, in dem er heute noch keine Menschengruppen gesehen hatte. Auf den Geraden schritt er zügig, aber nicht hastig aus. An den Kreuzungen peilte er erstmal die Lage, bevor er weiterging.

Die Strassen lagen wie ausgestorben. Im Augenwinkel vermeinte er manchmal Bewegung hinter den Fenstern zu sehen, als würde jemand hinausspähen. Nach etwa einem Kilometer in die Stadt hinein waren die meisten mit Brettern verrammelten Haustüren gewaltsam geöffnet und wieder notdürftig verschlossen worden. Hier waren die Plünderer also schon gewesen. Also bewegte Fritz sich noch umsichtiger vorwärts. Von der Gegend mit dem meisten Betrieb am heutigen Tag, war er aber noch einen weiteren Kilometer entfernt. Er machte einen weiteren Schlenker, der ihn zwar noch etwas mehr Zeit kostete, ihn aber von hinten an die Plünderer-Gruppen rankommen liess.

Als er sich den Banden näherte, hörte er aus manchen Häusern lautes Schluchzen durch die Fenster schallen. Inzwischen bewegte er sich von Deckung zu Deckung, um möglichst unsichtbar zu sein. An einem Hauseingang sah er, wie ein verängstigter Mann die aufgebrochene Tür soweit es ging verschloss und die Löcher mit Plastikfolie abklebte.

Fritz schlich zwischen den Autos durch, die teilweise immernoch wirr auf der Strasse standen. Die meisten waren aber schon notdürftig an den Rand geschoben, wodurch sich ein schöner unübersichtlicher Bereich mit vielen Deckungsmöglichkeiten ergab.

Da, endlich sah er eine der Gruppen aus einem Haus kommen. Einer hielt einen Beutel hoch und ein anderer mehrere Schmuckgegenstände und sie sprangen erfeut in die Luft. Ein anderer herrschte die beiden an und sie gaben sofort Ruhe. Dieser Andere trug relativ unauffällig eine Kalaschnikow an einem Schulterriemen. Einige andere hatten Baseballschläger oder Äxte in den Händen.

Aus einer Seitenstrasse kam eine weitere Gruppe von Männern. Der vermeintliche Anführer der ersten Gruppe rief den Neuankömmlingen etwas zu, das Fritz nicht verstehen konnte. Es klang irgendwie russisch. Die anderen kamen unbeeindruckt näher. Der Anführer rief auf deutsch: "Was wollt ihr hier?". Die anderen kamen näher und zückten Messer, die sie angriffslustig nach vorne streckten.

Der Anführer rief mit scharfer Stimme: "Sofort Messer wegstecken und antworten!". Zwei der anderen kamen trotzdem näher und in ihren Augen konnte man auch aus der Entfernung das Glitzern ahnen. Bevor sie in Reichweite der ersten Gruppe kamen, riss der Anführer seine Kalaschnikow rum und mähte die beiden mit einer Salve einfach um. Aufgrund der geringen Entfernung war das Blutbad entsetzlich. Die anderen Mitglieder der zweiten Gruppe traten sofort den beschleunigten Rückzug an und der erste Anführer rief ihnen nach: "Mischt euch bloss nicht wieder in unsere Angelegenheiten ein. Ihr werdet es mit dem Leben bezahlen."

Einer der Männer, die mit einem Baseball-Schläger bewaffnet waren, gab einer der Leichen einen Tritt, sodass sie zum Strassenrand rollte und ein anderer folgte seinem Beispiel mit einem hässlichen Grinsen im Gesicht.

Die erste Gruppe hatte sich gerade wieder etwas reorganisiert, als weitere Männer einem anderen Haus entströmten. Mit sich zerrten sie eine junge Frau, die sich verzweifelt wehrte. Der vorderste der neuen Männer schwenkte eine Gold-Kette und rief dem ersten Anführer zu: "Für den Chef haben wir hier ausser dem Monatsbeitrag noch ein nettes Mitbringsel gefunden. Eine Rothaarige fehlt ihm noch in der Sammlung."

Fritz war geradezu schockiert, dass sich so schnell mafiöse Strukturen hatten aufbauen können. Das war ja fast wie zu Capones Zeiten. Bestimmt war die Struktur schon lange im Hintergrund gewachsen und konnte sich deshalb so schnell etablieren, als die normale Ordnung zusammenbrach.

Am liebsten hätte er sich sofort auf die Männer gestürzt und die verzweifelt weinende und schreiende Frau gerettet, aber der kleine Rest Vernunft, der sich durchsetzen konnte, riet ihm ganz eindeutig, das nicht zu wagen, weil er und wahrscheinlich auch die Frau innerhalb von Sekunden Hackfleisch sein würden, wenn er sich einmischen würde. Vielleicht könnte er ja später noch was für die arme Frau tun.

Im Prinzip hatte er genug erfahren. Er wartete ab, bis sich die Gangster in Richtung Neubauviertel entfernt hatten, und trat vorsichtig den Rückzug an.

Als er wieder in seinem Waldversteck ankam, war es schon spätnachmittag. Er fühlte sich hier oben momentan besser, als es wahrscheinlich unten im Haus der Fall gewesen wäre, daher kehrte er nach einer kurzen Überprüfungsrunde wieder in sein Versteck zurück.

Seine offenen Fragen waren in der kurzen Zeit mehr als geklärt worden. Die Stadt wurde anscheinend systematisch von einer dominanten Gruppe in Beschlag genommen und ausgepresst. Konkurrierende Gruppen mussten unter der Waffenungleichheit leiden und waren wahrscheinlich zum Untergang verdammt. Na prima, Klein-Chikago am Schwarzwald-Rand. Oder war es eher Klein-Moskau? Oder Klein-Warschau? Das würde er bestimmt auch noch herausfinden.

Die Rettung der Frau. Sie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Da mussten auch noch mehr Frauen sein, wenn er das richtig verstanden hatte. Der Willkür des Chefs völlig ausgeliefert. Was erwartete sie wohl dort? Erfahrungsgemäss hatten es hübsche Gespielinnen ausser sexueller Belästigung eher besser, als der Rest der Bevölkerung, was Versorgung mit Nahrung, Wärme und Komfort anging.

Und wenn er sie retten würde? Selbst wenn es klappen würde, sie zu befreien, würden sie eine Flucht durchhalten und wollen? Wo würde er sie dann unterbingen? Mit fünf Frauen im Haus würden hier alle noch vor Weihnachten verhungern. Zu ihren Eltern zurückbringen? Da würden sie zuerst gesucht und wahrscheinlich die gesamte Familie getötet. In eine andere Stadt bringen? Ja toll, wo ist es gut und sicher jetzt?

Irgendwie schien es ihm, als hätte er den traurigen jungen Damen nicht andeutungsweise genug zu bieten, um eine Rettung rechtfertigen zu können. Und den Familien wollte er auch nicht noch mehr schaden, als es sowieso schon geschah. Manchmal hatten die Familien von Mätressen ja sogar diverse Vorteile in puncto Grundversorgung.

Äusserst frustriert machte Fritz sich eine Suppe warm und merkte kaum, was er da ass.

Wozu hatte er sich so gut vorbereitet, wenn er doch niemand helfen konnte? Warum war er der Übernahme der Stadt gegenüber so völlig hilflos?

Er kletterte wieder auf den Baum und starrte über die Landschaft, bis es völlig dunkel war. Dann legte er sich in sein Zelt, ohne noch ein Licht anzuzünden. Lange Zeit konnte er nicht schlafen und die immer gleichen Fragen kreisten durch seinen Kopf. Am Ende blieb nur die grosse Frage "Was kann ich tun?", die ihn bis in den Schlaf hinein begleitete.

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