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Vollautomatisch

Kapitel 31


  
"Komm nur rein. Du kannst beim Zwiebelschneiden helfen. Ich bin übrigens Sabina."

"Und ich bin Juliane. Gerne helfe ich bei den Zwiebeln."

"Gut, dann setz dich zu den anderen. Hier hast du ein Messer und ein Brettchen. Beeilt euch, Kinder! Ihr hinkt heute gewaltig hinterher."

Juliane setzte sich an einen Tisch, an dem schon ein knappes Dutzend andere Frauen Gemüse schnitten. Sie blickten kurz auf, als Juliane sich zu ihnen gesellte, doch dann wandten sie sich wortlos wieder ihren Messern zu. Nur eine hauchte "Hallo".

Ans Zwiebelschneiden war Juliane schon vom Schwarm gewohnt, daher ging ihr die Arbeit leicht von der Hand. Der Zwiebelberg vor ihrer Nase wurde zusehens kleiner.

"Kinder schaut mal her! Nehmt euch mal ein Beispiel an der Neuen! Seht ihr, wie fleissig sie ist? Sie hat schon mehr geschafft als die meisten von euch, dabei hat sie später angefangen. Also hopp, hopp, ein bisschen schneller, wenn ich bitten darf."

Alle Blicke richteten sich auf Juliane. Die meisten der Blicke wirkten unfreundlich, wenn nicht gar feindlich. Juliane lief rot an und fühlte sich miserabel. Mit ihrem Eifer hatte sie den anderen nicht schaden wollen. Vor lauter Aufregung zitterten ihre Hände und sie schnitt sich in den Finger. Glücklicherweise war der Schnitt nicht tief, aber der Zwiebelsaft brannte in der Wunde.

"Lass dich nicht ärgern", flüsterte die Frau, die vorhin "Hallo" gesagt hatte.

Prompt stand Sabina hinter ihr und schlug ihr auf den Hinterkopf. Es war nur ein kurzer Stüber, aber Juliane war entsetzt. Wortlos schnitten sie und die geschlagene Frau weiter an ihren Zwiebeln.

Wo bin ich denn hier gelandet? Dabei machte bisher alles so einen positiven Eindruck. Na ja, warten wir erstmal ab, wie es weitergeht. Aber irgendetwas stimmt hier nicht.

Nach dem Gemüseschneiden wurden die anderen Frauen an die Töpfe und Pfannen geschickt, einige mussten auch Brot schneiden oder Messer spülen. Sabina kam mit einem honigsüßen Lächeln auf Juliane zu und fragte: "Möchtest du gerne die Tische decken?"

"Ja, gerne."

"Gut, das Goldrandgeschirr hier kommt an den Tisch des Meisters. Das ist der Tisch, der erhöht steht. Decke dort für fünf Personen. Zwanzig Gedecke mit dem normalen Geschirr kommen an den Tisch, der quer vor dem Meistertisch steht, für die Ritter. Die anderen Teller stelle bitte als Stapel an den schmalen Tisch an der Wand. Dort ist die Essensausgabe für alle anderen."

"Alles klar!"

Vorsichtig balancierte Juliane das dünnwandige Geschirr mit dem goldenen Rand an den Tisch der erhöht in einer Nische des Speiseraums stand. Hoffentlich mache ich nichts kaputt. Sonst werde ich bestimmt einen Kopf kürzer gemacht. Sie hatte Glück und alle Teller blieben heile, obwohl ihr vor lauter Unsicherheit schon wieder die Hände zitterten. Dann deckte sie den Tisch für die Ritter und stellte am Schluss hohe Tellerstapel auf den Anrichtetisch. Eine andere Frau verteilte Würzsoßen auf alle Tische.

Als das Essen fertig war, trugen jeweils zwei Frauen die schweren Töpfe auf den Anrichtetisch. Sabina schlug auf einen Gong. Sofort strömten scharenweise Menschen in den Speisesaal und reihten sich geduldig beim Anrichtetisch auf. Mehrere Frauen aus der Küche füllten die hingehaltenen Teller, woraufhin sich die Leute mit den gefüllten Tellern an die Tische verteilten. Aber keiner begann zu essen. Als der letzte Hungrige in der Schlange mit seinem Teller einen Platz am Tisch gefunden hatte, schlug Sabina den Gong ein zweites Mal.

Eine Gruppe kräftig gebaute Recken betrat den Saal und stellte sich in zwei Reihen vor dem Eingang auf, sodass sich ein Gang bildete. Nachdem alle in Reih und Glied standen, öffnete einer von ihnen feierlich die Tür und machte Platz für einen untersetzten Mann mittleren Alters, der durch seine roten Wangen auffiel. Ansonsten erinnerte er Juliane an einen typischen Sachbearbeiter in einer Behörde. Hinter ihm kam eine Frau mittleren Alters mit sorgenvollem Gesicht, dann eine deutlich jüngere Frau mit blonden Locken und zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen im Grundschulalter.

Die Meister-Familie nahm am Meistertisch Platz, dann setzten sich die Krieger an den Rittertisch. Zwei der Frauen aus der Küche erschienen mit Rüschenhäubchen und weißer Schürze und servierten das Essen an den Meistertisch. Sabina brachte eine zusätzliche Platte mit gebratenem Fleisch für den Meister. Dann wurden auch auf den Rittertisch Schüsseln und Platten gestellt.

Immer noch aß niemand.

Als alle Tische mit Essen versorgt waren, stand der Meister auf und deklamierte mit Fistelstimme: "Lange währt, wer die Hände tüchtig rührt. Einen gesegneten Appetit!"

Alle anderen standen auf und antworteten: "Einen gesegneten Appetit, oh unser aller Meister!"

Erst dann begann die eigentliche Mahlzeit. Gierig verschlang das gemeine Fußvolk das Essen auf ihren Tellern. Auch die Ritter legten einen guten Appetit an den Tag. Oben am Meistertisch nölte das Mädchen, dass ihr das Essen nicht schmeckte. Daraufhin eilte Sabina herbei und brachte dem Mädchen einen Teller voll Kuchen, der huldvoll entgegengenommen wurde. Außer Gesprächen am Meistertisch fiel im ganzen Saal kein Wort.

Juliane war so sehr damit beschäftigt, die skurrilen Vorgänge zu betrachten, dass sie ihren Eintopf kalt werden ließ. Ihre Tischnachbarin stieß sie unauffällig an und deutete auf Julianes Teller. Da erinnerte sich Juliane an ihren Hunger und aß mehrere Löffel voll. Der Eintopf war einfach aber wohlschmeckend. Dennoch behielt sie das Geschehen im Saal im Auge. So entging ihr nicht, dass Sabina dem Meister etwas ins Ohr flüsterte.

Daraufhin stand der Meister auf und rief in die Menge: "Wir haben ein neues Dorfmitglied. Sei uns willkommen, Juliane! Komm bitte her, damit ich dich begrüßen kann!"

Juliane stand auf und ging zum Meistertisch. Ihr war nicht wohl bei der Sache. Der Meister betrachtete sie mehrmals von oben bis unten, dann kniff er sie vertraulich in die Hüfte und sagte: "Morgen abend werde ich dir eine Privataudienz gewähren. Du kannst jetzt gehen."

Bevor Juliane sich umdrehte, um wieder zurück zum Tisch zu gehen, sah sie, wie die Blondine, die am Meistertisch saß, ihr einen hasserfüllten Blick zu warf. Juliane beeilte sich umso mehr, wieder in die relativie Anonymität ihres Tischplatzes zu flüchten.

Was war denn jetzt das? Eine Privataudienz? Bei diesem schleimigen Typ. Wie der mich angesehen hat. Und warum hat er mich als Dorfmitglied und nicht als Gast begrüßt? Ich suche zwar ein Zuhause, aber doch nicht so plötzlich. Und was hat es mit der Blondine auf sich? Schade, dass die hier alle so schweigsam sind. Ich hätte tausend Fragen.

Nach dem Essen wurde Juliane zum Tischabräumen eingeteilt. Anschließend musste sie zusammen mit einer anderen Frau mehrere Töpfe mit verdünntem Eintopf in den Kinder-Speisesaal tragen. Dort saßen haufenweise Kinder still und brav nach Altergruppen geordnet an den Tischen. Jeder Tisch wurde von einer Erwachsenen dominiert, die am Kopfende saß und strenge Blicke auf ihre Schützlinge warf.

Der Eintopf wurde in Blechschüsseln gefüllt und auf die Tische gestellt. Die Aufseherin am Tisch der Ältesten stand schließlich auf und deklamierte den gleichen Spruch wie der Meister bei den Erwachsenen. Die Kinder antworteten rituell und dann begann die Mahlzeit - wortlos. Juliane war froh als sie wieder zurück in der Küche war und dort beim Abspülen helfen durfte. Dieses Dorf der fleißigen Arbeiter wurde ihr zunehmend unheimlich.

Als der Abwasch erledigt war und die Küche vor Sauberkeit blitzte, war es schon lange dunkel und zu spät, das Dorf noch zu verlassen. Also war Juliane ganz froh, dass ihr ein Schlafplatz im Gemeinschaftsschlafraum der unverheirateten Frauen angeboten wurde. Sie suchte nach ihrem Rucksack, musste sich aber mit der Anwort zufrieden geben, dass sie ihn momentan nicht brauchen würde.

Zum Schlafen erhielt Juliane ein Nachthemd, das denen der anderen aufs Haar glich. Zum Zudecken gab es eine kratzige Wolldecke, sodass sich Juliane nach ihrem Schlafsack sehnte. Morgen werde ich Sabina fragen, wo mein Gepäck ist. Diesen verschüchterten Frauen ist ja kein vernünftiges Wort zu entlocken. Von der anstrengenden Reise und der anschließenden Arbeit war Juliane so müde, dass sie trotz Sorgen einschlief, kaum dass sie die dünne Matratze berührte.

Am Morgen wurde Juliane zusammen mit den anderen Frauen durch lautes Klingeln geweckt. Nach einer kalten Dusche, der sich alle Frauen unterziehen mussten, landete Juliane blitzschnell wieder in der Küche, um beim Frühstückmachen zu helfen. Erst nach dem Frühstück bot sich eine Gelegenheit mit Sabina zu sprechen.

"Ich glaube, ich passe nicht in eure Gruppe, daher will ich weiterziehen. Wo ist denn mein Gepäck?"

"Weiterziehen? Du bist ja ein naives Liebchen! Hier kommst du so schnell nicht wieder raus. Bis zur Vorbereitung des Mittagessens habt ihr zwei Stunden Felddienst. Also spute dich, damit du den Anschluss nicht verpasst."

"Aber wo sind meine Sachen? Und mein Fahrrad?"

"Die wurden inventarisiert. Mach dir keine Sorgen um diese Dinge. Sie werden Würdigeren zugeführt. Ab an die Arbeit!"

Vollautomatisch

Künstliche Intelligenz
von Günter Görz, Bernhard Nebel

Die Virenjägerin
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208 Seiten
ISBN 3-938764-01-5

Preis: 14.80 Euro

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