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Vollautomatisch

Kapitel 28


  
"Nix da! Ich hab in der Küche gearbeitet. Das muss reichen. Hau ab!" entfuhr es Juliane.

"Och schade. Na dann eben nicht."

Juliane hörte, wie der Mann sich wieder verzog und atmete auf. Ich wusste ja gar nicht, dass ich so rigoros sein kann. Das war ja richtig durchsetzungsfähig. Nicht schlecht. Und der Typ hat sich dann ja auch getrollt. Aber mir gefällt es hier immer weniger. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Es dauerte geraume Zeit, bis sie sich wieder soweit beruhigt hatte, dass sie schlafen konnte. Aber irgendwann glitt sie in einen unruhigen Schlummer.

Als Juliane morgens aufwachte, juckte es sie am ganzen Körper. Sie sprang aus dem Schlafsack und klopfte sich ab, bevor sie anfing, sich zu kratzen. Winzigkleine Insekten, die kaum zu sehen waren, hüpften davon, bevor Juliane sie erschlagen konnte. Juliane war noch mit Kratzen beschäftigt, als Berta vorbeischlurfte.

"Hallo Berta, weißt du, was mich hier so jucken könnte?"

"Das sind bestimmt Bettwanzen. Oder vielleicht auch Katzenflöhe. Kürzlich hat eine der Katzen hier ihre Jungen geworfen und wir haben es erst gemerkt, als die kleinen Katzen schon rumspazierten. Jetzt sind die Flöhe bestimmt hungrig. Keine Sorge! Das Jucken vergeht wieder. Am besten wäschst du dich draußen am Brunnen. Das kühlt ein wenig."

Juliane war sprachlos. Aber sie folgte Bertas Rat und ging nach draußen, den Brunnen suchen. Bevor sie sich auszog, um sich unter freiem Himmel zu waschen, schaute sie sich argwöhnisch um, ob sie jemand beobachten konnte, doch der Hinterhof lag da wie ausgestorben. Dennoch fühlte sie sich entblößt, als sie eine Schicht nach der anderen ablegte. Wie erhofft kühlte das Wasser ihren zerstochenen Körper. Überall entdeckte Juliane rote Stiche, die kleiner als Mückenstiche waren. Die Flöhe, oder was immer es gewesen war, hatten Julianes Anwesenheit ausgiebig genutzt, um sich zu sättigen.

Angewidert schüttelte Juliane ihre Klamotten gründlich aus. Dann holte sie ihren Schlafsack und das Gepäck und schüttelte auch sie so lange, bis sie sich sicher fühlte, dass alle Insekten geflohen waren.

Hier bleibe ich keinen weiteren Tag. Ach was, keine weitere Stunde. Und wenn dies das einzige Dorf der Welt wäre, würde ich doch lieber allein im Wald leben wollen.

Mit knappen Worten verabschiedete sich Juliane bei Berta, die sichtlich enttäuscht aber auch ein wenig erleichtert wirkte. Bestimmt ist sie froh, dass keine Gefahr mehr droht, dass ich ihr Ekel Tobias ausspannen könnte. Nix wie weg hier.

Dann packte Juliane ihre Habseligkeiten auf das Fahrrad und verließ fluchtartig das Dorf. Sie war froh, dass sie außer Berta niemanden angetroffen hatte. Als sie so weit weg war, dass sie das Dorf beim Zurückschauen nicht mehr sehen konnte, machte sich Enttäuschung in ihr breit.

So hatte ich mir das freie Landleben aber nicht vorgestellt. Dabei hatte es eigentlich so vielversprechend geklungen: Ökodorf-Kooperative. Das zergeht einem doch fast auf der Zunge. Na ja, die alten Macher sind ja anscheinend nicht mehr da. Wahrscheinlich sind meine Informationen veraltet. Mal sehen, was ich sonst so finde. Hier ist eigentlich ein geeignetes Plätzchen für eine Frühstückspause und eine kleine Recherche.

In einer Lichtung eines kleinen Wäldchens machte Juliane Halt. Sie legte die Solarfläche ihres Minicomputers in die Sonne und sammelte trockene Zweige, um ihren Kocher zu befeuern. Dann kochte sie sich einen Kaffee und aß einen Riegel aus ihren Proviantbeständen. Milch für den Kaffee gab es nicht mehr, aber immerhin noch Zucker. In der Wildnis schmeckte der Kaffee jedoch auch schwarz ganz wunderbar.

Nach einer Weile war ihr Computer soweit aufgeladen, dass Juliane World 3000 aktivieren konnte. Anstandshalber half sie Merlus zunächst bei der virtuellen Gartenarbeit, bevor sie um das große Buch bat. Da sie es eilig hatte, verkniff sie sich ein Schwätzchen mit dem Dorfmagier, obwohl dieser Julia zum Frühstück einlud.

Im großen Buch musste Juliane geraume Zeit suchen, bevor sie ein Dorf in der Nähe fand, das ihr geeignet schien. Nur zwei Tagesreisen entfernt gab es eine Siedlung, die sich "Kommune des reinen Bewusstseins" nannte. Die Informationen über dieses Dorf waren nur etwas weniger als ein Jahr alt. "Reines Bewusstsein" klingt schon mal gut. Das sind bestimmt nicht solche Saufköpfe wie im letzten Dorf. Da werde ich hinfahren.

Weil ihr Knie wieder Probleme machte, brauchte Juliane vier Tage, um das neue Dorf zu erreichen. Die Reisetage verliefen ereignislos, aber gegen Ende wurden Julianes Vorräte knapp. Am letzten Abend vor ihrer Ankunft wurde die Suppe schon sehr dünn und am nächsten Tag hatte Juliane gar nichts mehr zu beißen. Daher war sie schon ausgesprochen hungrig als endlich die Bewusstseins-Kommune am Horizont auftauchte.

Beim Näherkommen sah das Dorf äußerst vielversprechend aus. Rund ums Dorf sah Juliane Maschinen, die selbstständig über die Felder fuhren und anscheinend die Saat ausbrachten. Die Häuser des Dorfes wirkten sehr gepflegt. Saubere Fassaden und Dächer leuchteten in der Nachmittagssonne. An einigen Häusern werkelten Bauroboter friedlich vor sich hin.

Ah, die perfekte Idylle! So habe ich mir das vorgestellt. Ob ich hier wohl meine neue Heimat finde?

Wie im letzten Dorf traf Juliane niemanden bis sie die Ortsmitte erreichte. Jedoch sahen alle Häuser aus, wie aus dem Ei gepellt im Gegensatz zum anderen Dorf. Aus einem relativ großen Gebäude tönten orientalisch wirkende Sphärenklänge. Juliane war versucht, dort hin zu fahren, doch dann entschied sie sich für ein kleineres Haus, das eher wie ein Gasthaus wirkte. Aus seinem Schornstein quoll weißer Rauch. Juliane entlud ihr Fahrrad und stellte es vor das Haus. Mit dem Rucksack auf der Schulter stand sie, wie wenige Tage zuvor, vor der Eingangstür und sammelte Mut.

Diesmal kam keiner aus dem Haus, um sie anschließend mit zu nehmen. Daher klopfte Juliane an die Tür, doch das Holz der Tür war so dick, dass ihr Klopfen kaum zu hören war. Eine Klingel war auch nicht zu sehen. Juliane holte tief Luft dann drückte sie die Klinke und die Tür öffnete sich.

"Hallo, ist da Jemand?" rief Juliane in den Raum, der wie ein Gang wirkte.

Keine Antwort.

Juliane betrat den Gang und öffnete eine weitere Tür. Sie sah in einen Raum mit vielen Tischen.

"Hallo, ist da Jemand?" Juliane fühlte sich schon ganz aufdringlich, aber sie sah auch keine andere Möglichkeit, um sich bemerkbar zu machen.

Nach kurzer Zeit kam eine rundliche Frau aus einer weiteren Tür.

"Oh Hallo! Willkommen! Komm ruhig näher!"

"Danke! Ich komme aus der Stadt und suche ein neues Zuhause", gab Juliane sofort ihr Anliegen bekannt.

"Lange her, dass sich jemand aus dem bequemen Stadtleben hier her gewagt hat. Sei willkommen!" die blauen Augen der Frau blitzten freundlich. Sie erinnerte Juliane entfernt an Hedwig.

"Mein Name ist Juliane."

"Prima Juliane! Ich bin Taliga. Leg erst mal deine Sachen ab. Hier in der Ecke ist Platz dafür. Leider muss ich gleich wieder in die Küche, daher habe ich kaum Zeit für ein Gespräch. Darf ich dir was zu trinken anbieten?"

"Gerne Taliga. Ich helfe auch gerne in der Küche, denn ich will mich nützlich machen."

"Wunderbar! Dann komm doch einfach mit in die Küche. Dort kannst du einen Tee und ein Brot bekommen. Und dann kannst du beim Kochen helfen."

"Gerne!"

Juliane entledigte sich ihres Rucksacks und folgte Taliga in die Küche. Taliga brachte ihr einen mit Honig gesüßten Kräutertee und zwei Scheiben Vollkornbrot mit Käse. Heißhungrig verzehrte Juliane die Brote und auch der Tee mundete ihr, als hätte sie nie etwas Besseres zu Trinken bekommen.

Nachdem sie gesättigt war, bot Juliane ihre Mithilfe an. Taliga betrachtete Juliane ausgiebig, dann kramte sie einen Metalltropfen, der an einer dünnen Kette hing, aus ihrer Schürzentasche und hielt ihn über Juliane.

"Ok, deine Schwingung ist in Ordnung. Du kannst beim Schneiden der Karotten mithelfen."

"Gerne! Kochst du hier ganz alleine?"

"Alleine wäre zuviel gesagt. Die meiste Arbeit erledigen die Automaten, denen wir unsere spirituelle Freiheit verdanken. Ich überwache die Vorgänge hauptsächlich und bringe menschliche Schwingungen in die Mahlzeiten."

"Aha! Und wer schneidet die Zwiebeln?"

"Zwiebeln! Welch grobstoffliche Obszönitäten! Wir kochen hier feinstoffliche Mahlzeiten. Da haben Zwiebeln keinen Platz. Aber Karotten stellen eine gute Basis dar in der Frühlingszeit."

"Ok, Karotten schneide ich auch sehr gerne."

Echt drollig. Irgendwie lande ich immer in der Küche. Aber die Küche ist ein guter Platz, um das Herz einer Menschgruppe kennen zu lernen.

"Was machen eigentlich die anderen Dorfbewohner zur Zeit?"

"Die meditieren gerade. Im Tempel. Bestimmt hast du die meditativen Klänge gehört."

"Ja, die Musik habe ich gehört als ich gekommen bin. Und zum Essen kommen die dann in den Speisesaal?"

"Genau!"

Schweigend bereiteten die beiden Frauen die Gemeinschaftsmahlzeit vor. Angesichts der großen Töpfe schätze Juliane die Zahl der Hungrigen auf mindestens zweihundert. Das Kochen war nicht sehr anstrengend, denn die meiste Arbeit übernahmen die Maschinen. Der Duft, der den großen Töpfen entstieg, intensivierte sich und nach einer Weile erhoben sich die Töpfe wie von Geisterhand von den Kochstellen und glitten in Richtung Speiseraum. Taliga probierte einen Löffel aus dem nächststehenden Topf und läutete dann eine wohlklingende Glocke.

"So, jetzt werden sie nach und nach eintrudeln. Du kannst dir schon mal eine Portion nehmen und dich hinsetzen. Ich komme dann gleich nach und leiste dir Gesellschaft. Warte mit dem Essen bis der Segen gesprochen ist."

"Gerne! Danke!"

Juliane tat wie geheißen, nahm sich einen Teller voll mit Karottengemüse und Vollkornreis und suchte sich einen Platz im Speisesaal. Nach und nach füllte sich der Raum mit einer Vielzahl Menschen. Ein großer Teil der Menschen hatte eine graublaue Gesichtshaut und wirkte wie Zombies. Doch Juliane ließ sich nicht abschrecken und genoss die feierliche Stimmung der Menschen.

Doch kaum erreichten die Dorfbewohner die Ausgabestelle für das Essen, schwand die heilige Atmosphäre und wich ganz menschlicher Gier. Die eben noch Meditierenden häuften enorme Portionen auf ihre Teller und verteilten sich plappernd an die vielen Tische des Speiseraums. Juliane erkannte kein klares Muster zwischen den grauen und den normalen Bewohnern, doch relativ viele der Blaugrauen saßen zusammen an den Tischen.

Nach einem feierlichen Segensspruch, der von einem älteren Herrn gesprochen wurde, stürzten sich die Bewohner gierig auf ihre Mahlzeit. Manche ließen jedoch ein Pendel kreisen, bevor sie dem Essen zusprachen.

"Alle mal herhören! Wir begrüßen heute einen neuen Gast. Ihr Name ist Juliane und sie hat mir beim heutigen Kochen geholfen."

Taliga war aufgestanden, um Juliane vorzustellen. Die Dorfbewohner klatschen und riefen unisono "Sei willkommen, oh Juliane!"

Es klang wie ein Ritual. Manche tuschelten anschließend und Juliane sah, wie einige der Bewohner ihre Teller wegschoben und aufhörten zu essen. Sie erhaschte Worte wie "unreif - unvollkommen - unrein". Dabei hatte sie doch nur Karotten geschnitten und sich vorher die Hände gewaschen. Juliane fühlte sich abgelehnt. Aber als sie sah, dass die meisten der Bewohnern weiter tüchtig reinhauten, verlor sich das schlechte Gefühl wieder.

Nach dem Essen stellten die meisten der Bewohner ihre Teller in eine Durchreiche zur Küche. Doch manche verließen den Speiseraum, ohne ihre Geschirr weg zu räumen. Juliane blickte fragend auf die stehen gelassenen Teller und als Taliga auffordernd nickte, begann sie, die Tische ab zu räumen.

Im Anschluss an den Abwasch, der weitgehend von den Maschinen erledigt wurde, lud Taliga Juliane noch zu einem Tee ein. Juliane nahm gerne an, denn sie hatte haufenweise Fragen und Taliga schien ihr besonders menschlich unter all den anderen Dorfbewohnern.

"Was hat es denn mit all den graufarbenen Menschen auf sich, die beim Essen waren? Sind die besonders meditativ?"

"Dafür halten sie sich wohl. Aber eigentlich sind sie auf unseren letzten Heiler reingefallen. Der hat ihnen kolloidales Silber zur Vorbeugung für jedes Ungemach ans Herz gelegt. Nachdem sie es jahrelang genommen haben, sind viele von ihnen silbrig im Gesicht oder gar am ganzen Körper geworden. Manche von ihnen haben sogar epileptische Anfälle bekommen, die als besonders spirituell interpretiert wurden. Die Meisten von ihnen haben dann mit dem kolloidalen Silber aufgehört, aber manche haben den Zusammenhang zwischen ihrer Haut und dem Mittel verleugnet. Bis einer von ihnen nach einem epileptischen Daueranfall gestorben ist. Seitdem nehmen sie alle lieber Wasser, das von Lathifuk gesegnet wurde. Die silbrige Haut ist ihnen aber geblieben."

"Sieht irgendwie gespenstisch aus, diese silbergrauen Gesichter."

"Sag das bloß nicht in deren Gegenwart. Die meisten halten ihre Hautfarbe für ein Zeichen ihrer Spiritualität. Skepsis wäre völlig fehlangebracht."

Dabei grinste Taliga spitzbübisch, was sie mindestens zwanzig Jahre jünger scheinen ließ als sie vermutlich war.

"Und wie kommst du mit solchen Leuten klar? Denn du hast dieses Zeug ja anscheinend nicht genommen."

"Am Anfang habe ich es auch probiert. Doch dann zeigte mein Pendel, dass es mir nicht gut tut und ich habe damit aufgehört. Seitdem nehme ich nur Wasser mit Blütenessenzen und das bekommt mir recht gut."

Juliane lagen noch einige skeptische Fragen auf der Zunge, doch weil Taliga offensichtlich genau so esoterisch infiziert war wie der Rest der Bewohner, wenn auch mit weniger negativen Nebenwirkungen, verkniff sie sich ihre Fragen.

Vollautomatisch

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Vollautomatisch
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208 Seiten
ISBN 3-938764-01-5

Preis: 14.80 Euro

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