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Vollautomatisch

Kapitel 8


  
Sofort war Juliane wieder hellwach. Ein Job, ein Job - vielleicht.

"Zeig mal, was du da hast!"

Auf dem Bildschirm erschien das Anschreiben des Callcenters. Es enthielt ein Passwort, mit dem Juliane sich auf dem Firmenserver anmelden konnte, um dort ihre Stimmproben abzuliefern.

Ein freundliches Computergesicht erschien auf dem Bildschirm und erklärte Juliane die Vorgehensweise. Dann folgte eine Reihe von kurzen Sätzen. Juliane las sie ab und versuchte sich dabei vorzustellen, dass sie zu einem Kunden sprach. Es war ungewohnt, sich der Stimme so bewusst zu sein. Nach einer Weile merkte sie, dass es ihr Spass machte, zu spüren, wie ihre Stimmbänder vibrierten und Klänge hervorbrachten.

Vor lauter Aufregung verhaspelte sie sich ein paar Mal, aber dann fing sie sich wieder und konzentrierte sich. Mach das jetzt ordentlich! Schliesslich geht es um deine Existenz.

Als sie fertig vorgelesen hatte, lehnte Juliane sich zufrieden zurück. Das hat doch eigentlich ganz gut geklappt. Vorher habe ich noch nie auf meine Stimme geachtet, außer im Kinderchor, aber das ist lange her. Ob ich wohl wieder von denen höre?

Am nächsten Tag kam keine Rückmeldung vom Callcenter. Am übernächsten Tag auch nicht. Juliane vergaß das kurze Intermezzo fast wieder und widmete sich weiterhin der Stellensuche in der Stadt. Die Motivation dazu ließ aber langsam nach, denn sie hatte die Stadt inzwischen weitgehend abgegrast und nirgendwo auch nur die geringste Jobchance gesehen.

Schließlich war wieder Sonntag und Juliane war ganz froh, nicht aus dem Haus zu müssen.

Sie beschloss, sich mal World 3000 anzuschauen, denn überall wurde davon geschwärmt. Juliane entschied sich, eine junge Kriegerin zu spielen und wählte eine mittelalterliche Welt.

Kaum hatte Juliane fertig gewählt, stand sie mitten in einem Wald, vor einer kleinen, aber stabil wirkenden Hütte. Sie blickte an sich herunter und sah praktische Lederklamotten. In einer Tasche ihres Hosenbeins trug sie ein Messer, das man schon fast als Dolch bezeichnen konnte.

Neugierig betrat sie die Hütte, die offensichtlich ihre eigene war. In einer der hinteren Ecken sah sie ein Bett, das frisch bezogen wirkte. Rechts vom Eingang stand ein kleiner Holzofen mit Herdplatte. Auf der Platte thronte ein altmodischer Wasserkessel. In einem Korb warteten Holzscheite auf ihren Einsatz. Daneben lud ein hölzernes Küchenbuffet zur Benutzung ein. Auf einem Tisch mit rustikalen Holzbänken stand eine Schale mit rotbackigen Äpfeln. Juliane schloss die Tür hinter sich und entdeckte dabei einen wuchtigen Schrank mit geschnitzter Verzierung. Gemütlich war es hier; klein aber fein.

Die Hütte lädt ein, es sich hier bequem zu machen. Aber mir steht der Sinn nach Abenteuern. Mal schauen, was ich hier an Ausrüstung auftreiben kann. Aah, wunderbar: im Schrank ist ein Rucksack. Sieht zwar archaisch aus, ist aber genau das Richtige für meinen Zweck.

Juliane packte Klamotten zum Wechseln in den Rucksack. Im Küchenbuffet fand sie mehrere Scheiben Trockenfleisch und hartes Vollkornbrot. Eine Wasserflasche aus Leder nahm sie von einem Haken. In einer Schublade des Küchenschrankes fand sie Münzen verschiedener Größe, einige aus Kupfer und andere anscheinend aus Gold. Sie steckte eine Handvoll Münzen ein, ließ aber den größten Teil zurück als Reserve.

An der Wand hing ein Bogen und ein Köcher mit Pfeilen, der sich am Rucksack befestigen ließ. Anscheinend war das eine ihrer Waffen. Auf dem Tisch lag ein Schwert in einer Lederscheide.

Vorsichtig zog sie das Schwert aus der Scheide. Es blitzte im Licht, so glatt war es poliert. Mit dem Zeigefinger fuhr sie zaghaft über die Schneiden: erheblich schärfer als ihre Küchenmesser zuhause. Sie nahm das Schwert in die Hand und schwang das Schwert nach oben. Der Griff schien wie für ihre Hand gemacht zu sein, er schmiegte sich an, ohne auch nur an einer einzigen Stelle zu drücken.

Beim Schwingen des Schwertes fiel Juliane auf, dass es perfekt ausbalanciert war, wie eine Verlängerung ihres Armes. Wie für mich gemacht. Sie befestigte die Scheide an ihrem Gürtel, steckte das Schwert hinein und probierte aus, wie es sich ziehen ließ. Das Zücken des Schwertes lief glatt. Bogen und Köcher befestigte sie an ihrem Rucksack und schwang diesen auf ihren Rücken.

So, jetzt bin ich bereit.

Juliane verließ ihre Hütte und verschloss die Tür mit dem Schlüssel, der im Schloss steckte. Den Schlüssel steckte sie in ihre Tasche. Dann blickte sie sich um.

Sie befand sich auf einer Waldlichtung, die nur ein paar Meter um das Haus herum Platz ließ. Dahinter wuchs ringsherum dichter Wald. Die Sonne nutzte die Lücke im Blätterdach, um ihre Strahlen auf die Hütte und Juliane zu richten.

Bei genauem Hinschauen bemerkte Juliane einen Pfad, der in den Wald führte. Sie folgte dem Pfad und wurde bald von Dämmerlicht umfangen. Der Pfad schlängelte sich an hohen moosbewachsenen Felsen vorbei, die schroff fast bis zu den Baumkronen reichten. Das dichte Unterholz versperrte den Blick aufs Innere des Waldes.

Nach kurzer Zeit stieß Juliane auf einen etwas breiteren Weg. In welche Richtung soll ich nur gehen? Rechts sieht es dichter aus, als würde es dort tiefer in den Wald hineinführen. Also wende ich mich lieber nach links. Wie fröhlich die Vögel zwitschern.
Sie schritt leichten Fußes voran und legte in kurzer Zeit eine ordentliche Strecke zurück.

Plötzlich sprang ein Ungeheuer vor ihr auf den Weg. Juliane erschrak. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Doch beim zweiten Hinschauen erkannte sie, dass es sich um einen dreckverschmierten, bärtigen Mann in Fellkleidung handelte.

"Geld her oder Leben!" der Mann fuchtelte mit einem rostigen Schwert, das nichtsdestotrotz gefährlich aussah.

"Geh mir aus dem Weg!" herrschte Juliane ihn an und zog ihr eigenes Schwert.

Der Wegelagerer ließ sich nicht beeindrucken und griff sie an. Oh je, hoffentlich kann ich mein Schwert bedienen.

Sie konnte.

Mit ungeahnter Geschwindigkeit ließ Juliane ihr Schwert gegen die Waffe des Anderen krachen. Ein blitzschneller Schlagabtausch folgte, doch bald war deutlich zu erkennen, dass Juliane mit ihrem zierlichen Schwert behänder war als ihr Gegner. Mit einem Schlag der Breitseite gegen den Kopf des Mannes beförderte sie ihn schließlich ins Reich der Träume.

Schon praktisch, wenn man eine Kriegerin ist. Juliane steckte das Schwert wieder ein und setzte ihren Weg fort.

Nur eine kurze Strecke später lichtete sich der Wald und der Blick weitete sich zu einer hügeligen Wiesenlandschaft. Mehrere Dörfer lagen wie Sprenkel in der Landschaft. Richtung Horizont glitzerte ein Fluss in der Sonne und ganz weit hinten konnte man eine Stadt erahnen. Juliane schlug den Weg zum nächsten Dorf ein.

Die Sonne schien freundlich vom Himmel und Juliane konnte sich nicht verkneifen, ein Liedchen zu pfeifen. Auf den Feldern sah sie Bauern beim Einbringen der Ernte.

Bald hatte sie das Dorf ereicht. Es wirkte sehr heimelig mit seinen kleinen Fachwerkhäusern. In der Mitte des Dorfes stand ein Brunnen auf einen Platz, der wohl ein Marktplatz war, worauf ein paar liegengebliebende Salatblätter hindeuteten. Juliane erfrischte sich am Brunnen, trank ein paar Schlucke und wusch sich das Gesicht.

Ein Wirtshaus mit dem Namen "Zum goldenen Bierkrug" verlockte Juliane einzutreten. Warum auch nicht, immerhin kann man dort Leute treffen. Sie öffnete die Tür und kam in eine schummrige Gaststube. Ausgelassenes Geplauder drang an ihre Ohren. Hinter dem Tresen stand ein einäugiger Wirt und zapfte Bier.

"Für mich auch so einen Krug Bier und einen Eintopf, wie hier auf dem Schild angepriesen, bitte", bestellte Juliane.

Der Wirt schob ihr einen frisch gefüllten Tonkrug über den Tresen und forderte eine ihrer Kupfermünzen. Juliane bedankte sich und wandte sich dem Gastraum zu, um nach einem Platz zu suchen.

Eine lautstark zechende Männergruppe lud sie ein, Platz zu nehmen: "Komm her Mädel, hier ist noch Platz für eine tapfere Kriegerin wie dich."

Warum nicht, schließlich kann ich mich wehren. Juliane setzte sich an eine freie Stelle an dem langezogenen Tisch, der mindestens einem Dutzend Männern Platz bot.

"Seid gegrüßt, ich bin Julia. Mit wem habe ich die Ehre?"

"Angenehm, mein Name ist Rufus. Wir sind der Begleittrupp für eine Handelskarawane."

"Wohin seid ihr unterwegs?"

"Unser nächstes Ziel ist Windsheim."

"Das ist bestimmt die Stadt, die man von den Hügeln aus sehen kann."

"Genau, meine Hübsche, schlau erkannt. Du bist wohl nicht von hier."

"Ich habe eine Weile im Wald gelebt und kenne mich hier noch nicht so gut aus."

"Im Wald gelebt - wie geheimnisvoll. Hier kommt dein Essen, damit du groß und stark wirst."

Die Männer klopften sich auf die Schenkel vor Lachen und Juliane drehte sich um. Tatsächlich kam der Wirt angehumpelt und brachte ihr eine Schale mit dampfendem Eintopf. Dafür kassierte er einen weiteren Kupferling, wie er die Münzen nannte.

Juliane widmete sich ihrem Essen und schwieg. Während sie aß, nahmen die Männer allmählich ihre Gespräche wieder auf. Das Hauptthema waren schwarze Reiter, die angeblich das Nachbarland in Angst und Schrecken versetzten. Die hiesige Bevölkerung war voller Angst, dass diese Reiter auch auf ihr Land übergreifen könnten. Überall wurden zusätzliche Wachen aufgestellt, der König ließ eine Armee ausheben, um dem Feind etwas entgegenstellen zu können.

"Sag an Mädel, du suchst nicht zufällig Arbeit?"

Juliane traute ihren Ohren kaum; diese Frage kannte sie nur andersherum.

"Nun, ein paar Tage könnte ich mich durchaus freimachen, zur Zeit habe ich keine dringenden Termine", es ist immer gut, wenn man sich nicht zu billig verkauft, denk ich mal.

"Gut, dann kannst du unsere Karawane begleiten und die Frauen beschützen. Wir haben ein paar mitreisende Frauen und Kinder dabei. Wenn die mal austreten müssen, haben wir uns schon öfters gewünscht, eine weibliche Kriegerin in unseren Reihen zu haben, denn das wäre dann nicht so peinlich und soviel Getue."

"Abgemacht. Wann geht's los? Wo geht's hin?"

"Morgen bei Sonnenaufgang brechen wir auf. Zunächst geht's wie gesagt, nach Windsheim. Danach sehen wir weiter. Betrachte es als Probezeit - für beide Seiten. Schlafen kannst du in der Scheune. Da gibt es ein Lager extra für die Frauen."

"Gut! Dann werde ich es mir in der Scheune bei den Damen bequem machen."

Beim Wort "Dame" kicherte einer der Männer und versuchte, es als Hustenanfall zu vertuschen. Wahrscheinlich sind die Frauen alte Marktweiber oder Huren. Kein Wunder, dass er kichern muss.

Später, nachdem Juliane die Supenschale geleert und zwei Krüge des leckeren Bieres getrunken hatte, wurde sie neugierig auf das Lager der Damen und verabschiedete sich bei der Zecherrunde.

"Heute nacht musst du, wie alle anderen, Wache schieben. Lass dich vom Wachposten am Scheuneneingang einteilen."

"Geht in Ordnung."

Die Scheune war direkt neben dem Gasthaus. Der Wachposten grüßte sie kurz, als Juliane ihm erklärte, dass er sie zur Wache einteilen solle. Er gab ihr die Zeit ab fünf Uhr früh. Ist ja grässlich: um fünf Uhr aufstehen. Aber das gehört wohl zum Kriegerleben dazu.

In der Scheune sah Juliane dass eine Ecke mit Tüchern abgetrennt war. Sie rief vorsichtig "Hallo" und wurde herbeigebeten. Zwei Frauen und drei Kinder blickten ihr neugierig entgegen.

"Mein Name ist Julia und ich wurde beauftragt, Sie zu beschützen."

"Gut, das wurde auch Zeit. Ich bin Laura und das ist meine Schwester Betty. Wir sind Händlerinnen. Und das dort sind meine Kinder Gabriel, Sabina und Georg."

"Händlerinnen, ist ja interessant. Womit handelt ihr denn?"

"Mit Schmuck. Den wollen wir in der Stadt günstig einkaufen. So Kinder, jetzt aber eiligst unter die Decken. Die Frau wird uns beschützen."

"Das ist aber sehr mutig von dir, dass du uns beschützen willst, Julia", sagte die kleine Sabina artig und nickte huldvoll. Dann zog sie sich mit ihren Brüdern auf ihre Strohlager zurück.

Auch die beiden Frauen machten sich bereit zum Schlafengehen. Juliane achtete nicht weiter auf ihr Gespräch, aber zweimal schnappte sie ein gewispertes "Mylady" mit anschliessendem Zischen von Laura auf.

Wenn das wirklich Händlerinnen sind, fress ich einen Besen. Die sind viel zu sauber gekleidet, wenn auch schlicht. Und die beiden Frauen sehen sich auch überhaupt nicht ähnlich. Betty scheint mir eher eine Zofe zu sein. Und die Kinder sprechen eine gewählte Sprache, die ich hier nicht unter dem gemeinen Volk erwartet hätte. Vielleicht sind es aber auch einfach sehr reiche Händlerinnen. Das würde einiges erklären. Immerhin handeln sie mit Schmuck. Juveliere geben sich gerne sehr nobel.

Was solls? Jetzt ist ein guter Moment aufzuhören für heute. Ich brauche unbedingt ein besseres Headset. Bei meiner alten Gurke verschwimmt manchmal sogar die 3D-Optik, so betagt ist es schon. Die neuen Headsets gibt es jetzt schon ziemlich billig und sie sollen sogar Geruchs- und Gefühlswahrnehmungen übertragen, ganz ohne Implantate. Müsste ich mir eigentlich noch leisten können.

Juliane setzte ihr Headset ab und war wieder in ihrer langweiligen Wohnung. Ihr Abenteuer hatte Appetit gemacht, darum angelte sie eine Dose Linsensuppe aus ihrem Küchenschrank und wärmte sie auf. Die erinnert am ehesten an den Eintopf in der Kneipe, der wirklich lecker aussah. Mir ist das Wasser im Munde zusammengelaufen. Mit dem neuen Headset wird das dann erst krass. Ich habe gehört, das soll dann wirklich lebensecht sein.

Als Juliane am nächsten Nachmittag mit dem erwünschten Headset aus der Stadt zurück kam, wurde sie von ihrem Computer mit der Nachricht begrüßt, dass das Callcenter sich wieder gemeldet hatte.

"Immer her mit der Nachricht."

Eine virtuelle Gestalt lud Juliane zu einem Interview ein. Anscheinend habe ich es eine Stufe weitergeschafft. Nicht schlecht - vielleicht wird das ja doch noch was.

Juliane machte sich im Bad kurz zurecht, bevor Sie das Interview-Programm startete. Dieselbe Gestalt wie in der Nachricht fragte sie nach unzähligen Kleinigkeiten aus ihrem Lebenslauf. Was die alles von mir wissen wollen. Bestimmt nehmen die wieder Stimmproben. Oder sie wollen testen, wielange ich ihre Befragung aushalte. Denen werd ichs zeigen.

Tapfer lächelte sich Juliane durch das Gespräch, war aber ziemlich erleichtert, als es endlich vorbei war. Sie erinnerte sich kaum noch, was sie alles gesagt hatte.

In einer Woche wollen sie sich wieder melden. Bis dahin kann ich ja noch viele Damen beschützen.

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Vollautomatisch
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208 Seiten
ISBN 3-938764-01-5

Preis: 14.80 Euro

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