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Vollautomatisch

Kapitel 3


  
"Grüß dich Juliane. Schön dass du kommen konntest."

Theo, wie immer ganz der Charmeur.

"Hallo Theo, danke für die Einladung."

"Amüsierst du dich?"

"Ja, danke - wunderbar. Du scheinst nicht unter Advokat 5.0 zu leiden, deinem zufriedenen Gesichtsausdruck zufolge."

"Natürlich nicht. Die neue Advokat-Version ist ein hervorragendes Werkzeug. Was sollte ich dagegen haben?"

"Dacht ich's mir."

Mir wird gleich übel. Was für ein arroganter Lackaffe. Dass ich mit dem mal ... vergiss es, du warst betrunken. Immerhin hat er sich dir gegenüber immer korrekt verhalten. Du bist doch nur neidisch. Trotzdem - am liebsten würde ich ihm sein selbstzufriedenes Grinsen aus dem Gesicht wischen. Vergiss es! Denk lieber daran, wozu du hergekommen bist. Hier ist deine Chance.

"Du brauchst nicht zufällig eine fähige Sekretärin?"

"Sekretärin? Leider nein, das läuft jetzt alles vollautomatisch. Aber lass mich nachdenken. Wir könnten noch eine Hostess gebrauchen, denn unsere bessergestellten Kunden bevorzugen menschlichen Service."

"Eine Hostess? Was muss man da tun?"

"In erster Linie Kaffee servieren und natürlich freundlich lächeln."

"Wenn du dich ein bisschen zurechtmachst, könntest du durchaus für sowas geeignet sein", meldete sich eine der Blondinen.

"Genau, vielleicht ein paar goldene Strähnchen ins Haar und einen kürzeren Rock. Das würde schon was bringen", wusste ihre Freundin Rat.

"Danke vielmals für die Tipps; und dann hinke ich in den Raum, bis das Tablett schwankt. Danke Theo, ich glaube, das ist nichts für mich."

"Oh, entschuldige bitte, das hatte ich gar nicht bedacht."

Juliane hörte es kaum noch, denn sie drehte sich um und tauchte in der Menge unter. War das jetzt zu sarkastisch? Sie haben es bestimmt nicht böse gemeint. Aber Hostess, weil die noblen Mandanten gerne echte Menschen sehen - da kann ich ja gleich in den Zoo gehen. Nix wie raus hier.

So schnell es ging, ohne als Flucht erkannt zu werden, bahnte sich Juliane den Weg durch die Gästeschar. Die Musik ging ihr plötzlich auf die Nerven mit ihrer Pseudofröhlichkeit. Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten. Kurz vor dem rettenden Ausgang sah sie nochmal Thomas, der ihr freundlich zunickte. Juliane nickte zurück und strebte dann eilends der Tür entgegen. Fast wäre sie mit einer Frau zusammengestoßen, die kichernd einen Schritt zurückgetreten war. Nur ein hastiger Schlenker bewahrte Juliane davor, der Kichernden ihr rotes Getränk über das weiße Satinkleid zu kippen.

Endlich erreichte Juliane den Ausgang und schlüpfte hindurch. Sie atmete auf, als sie die ruhigere Atmosphäre des Hotels um sich spürte. Die Musik wurde von Schritt zu Schritt leiser.

Warum bin ich jetzt eigentlich so überstürzt geflohen? Sie haben es bestimmt nur gut gemeint. Immerhin war es ja ein echtes Angebot von Theo. Aber wenn ich an "wenn du dich ein bisschen zurechtmachst" denke, könnte ich kotzen. Ich habe doch schon stundenlang vor dem Spiegel gestanden. Am Ende muss man die ach so edlen Mandanten dann noch in ein Separé begleiten, wer weiß? Es ist schon bitter, wenn man als Mensch mit tausend Fähigkeiten nicht mehr gebraucht wird. Sind wir wirklich schon so weit gekommen, dass Menschen nur noch aus nostalgischen Gründen Verwendung finden oder zum Plaisir? Sollen sie sich doch Hostessenroboter anschaffen.

"Na, schon genug von den eitlen Fatzken?"

Juliane drehte sich um und sah, dass Thomas zu ihr aufschloss.

"So könnte man es sagen."

"Hast du noch Zeit für ein Gläschen Wein in der Hotelbar?"

"Warum eigentlich nicht? Ein Viertelstündchen könnte ich entbehren."

Die Hotelbar lud durch ihre heimelige Atmosphäre zum Niederlassen ein. Seichter Jazz verbreitete ein entspanntes Gefühl. Thomas fragte Juliane mit einer Geste, ob sie lieber an der Bar oder in einer der Sitzgruppen platznehmen wollte. Juliane entschied sich für die privatere Variante, denn die dunkelblau gepolsterten Sofas der Sitzgruppen sahen sehr bequem aus.

Als sie es sich bequem gemacht hatten, griff Thomas nach einer der bereitstehenden Getränkekarten. Juliane tat es ihm gleich. Die Karte fühlte sich sehr edel an, als würde sie aus echtem Pergament bestehen. Auch die Preise waren sehr edel, wie Juliane mit Entsetzen feststellte. Sei's drum, man muss sich auch mal etwas gönnen und ich will ja nicht die ganze Karte runter bestellen, sondern nur ein Glas.

Die meisten der aufgelisteten Weinnamen sagten Juliane gar nichts. Da sieht man mal wieder, wie wenig weltläufig ich bin. Kein Wunder, dass ich nicht mal an der Kasse gebraucht werde.

Auf einen Wink von Thomas verließ der Barkeeper seinen in schummriges Spiegellicht getauchten Tresen, um ihre Bestellung aufzunehmen. Thomas bestellte einen Sauvignon blanc und Juliane einen Gewürztraminer, denn sie fand, dass der Name interessant klang.

"Hat es dir nicht mehr gefallen, oder hat dich jemand geärgert?" fragte Thomas als der Kellner wieder gegangen war.

"Ach, es war nicht so spannend, an jeder Ecke von Advokat 5.0 zu hören", wich Juliane aus.

"Das kann ich gut verstehen. Vor allem für Außenstehende kann das nervtötend sein. Mir hat die Party, ehrlich gesagt, auch nicht gefallen; bis auf unser Gespräch."

Der Kellner kam mit den Weinen. Thomas hob sein Glas und deutete eine Anstoßbewegung an. Juliane hob auch ihr Glas, ließ die Gläser hell zusammenklingen und nippte an ihrem Wein. Er hielt, was sein Name versprochen hatte: ein ungewohnt würziges Aroma war unverkennbar. Ansonsten schmeckte der Wein süß und schwer, sodass Juliane an Vanilleeis denken musste. Dazu würde der Gewürztraminer gut passen.

Thomas drehte sein Glas, nahm einen Schluck und sein Seufzen ließ erkennen, dass der Wein seinen Vorstellungen entsprach.

Was soll ich denn bloß sagen? Ich kann doch hier nicht nur schweigend Wein schlürfen. Naja, eigentlich könnte auch Thomas das Gespräch beleben. Immerhin hat er mich ja hierher gelockt. Wenn ich nur mal an etwas anderes denken könnte als an die Jobsuche. Das ist nun wirklich kein erfreuliches Gesprächsthema. Vor allem wird es ihn anöden, wenn ich ihn mit Arbeitslosigkeit langweile.

"Vorhin hat dich doch bestimmt jemand geärgert. Du sahst aus, als wäre dir der Leibhaftige auf den Fersen, als du den Ballsaal verlassen hast."

"Na ja, stimmt schon. Mich hat geärgert, dass Menschen nur noch gebraucht werden, um reiche Kunden mit Echtfleisch zu beeindrucken."

"Das klingt ja schauerlich. Bisher ist mir dieser Gedanke neu. Wie bist du zu diesem Eindruck gekommen?"

Soll ich es wirklich erzählen?

"Ein reicher Anwalt hat mir einen Job als Hostesse angeboten, weil seine bessergestellten Kunden gerne von echten Menschen bedient werden."

"Das klingt nach Theo."

"Stimmt."

"Und du hast abgelehnt, weil du deine Haut nicht zu Markte tragen willst?"

"So ähnlich. Außerdem hinke ich und das hat der ach so großzügige Theo in seinem Anfall von Edelmut ganz vergessen."

"Verstehe."

Gar nix verstehst du.

"Ich sollte jetzt aufbrechen. Zuhause muss ich noch Bewerbungen schreiben."

"Aber wir sind doch gerade eben erst gekommen."

"Sorry. Und Tschüss."

Juliane stand auf, trank einen letzten Schluck des leckeren Weines, ging zum Tresen, warf dem Barkeeper einen Schein auf die spiegelglatte Fläche und verließ die Bar. Ihr Herz schlug bis zum Halse. Als wären Furien hinter ihr her, eilte sie aus dem Hotel und strebte der U-Bahnstation zu.

Erst als sich die Türen der U-Bahn zischend hinter ihr schlossen, atmete Juliane auf.

Und was war das jetzt für eine Aktion? Das war ja richtig peinlich. Nicht mal normal unterhalten kannst du dich, ohne beleidigt wegzurennen. Wie willst du denn dann ein Bewerbungsgespräch durchstehen?

Die Stationen rauschten an den Fenstern vorbei und ehe Juliane sich wieder gefasst hatte, war sie schon an ihrer heimatlichen Haltestelle angekommen. Sie hastete die Treppen empor, weil ihr die Rolltreppen zu langsam schienen. Als sie oben angekommen war, tat ihr das Knie weh, malträtiert durch die unnötige Flucht. Dennoch hielt Juliane kaum inne und humpelte schnellstmöglich nach Hause.

Kaum hatte sie die Wohnungstür hinter sich geschlossen, schossen ihr Tränen aus den Augen. Sie warf sich auf ihr Bett und starrte halbblind an die Decke.

Was bin ich nur für ein Idiot!


Vollautomatisch

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von Alois Knoll, Thomas Christaller

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Vollautomatisch
Vollautomatisch

208 Seiten
ISBN 3-938764-01-5

Preis: 14.80 Euro

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