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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 49


  
Herr und Frau Trautmann kamen an einem herrlichen Frühlingsabend am Bahnhof an. Jens holte mal wieder die Familienkutsche aus der Fahrradkammer. Sonja und Johanna fuhren mit ihren normalen Fahrrädern, denn sie wollten die Ankunft ihrer Eltern auf keinen Fall verpassen.

Als der Zug endlich kam und die Passagiere ausstiegen, konnte Jens die Trautmanns erst gar nicht entdecken, doch Sonja stürmte auf ein älteres Ehepaar zu und warf sich in die Arme der Frau. Auch Johanna hatte die beiden als ihre Eltern erkannt und eilte auf ihren Vater zu. Jens folgte gemessenen Schrittes.

Die Trautmanns sahen schrecklich aus: mindestens zehn Jahre älter als bei ihrer letzten Begegnung. So, wie sie jetzt aussahen, passten sie wunderbar zu den Wiedemanns, denn sie wirkten kaum jünger. Vor allem Frau Trautmanns Zustand war besorgniserregend. Tränen der Wiedersehensfreude strömten über ihr Gesicht, und es sah so aus, als hätte sie in letzter Zeit ständig geweint.

Ob sie wohl genug trinkt, um so viel zu weinen, dachte sich Jens bei diesem Anblick. Dann schalt er sich für diesen taktlosen Gedanken, beschloss aber dennoch, dafür zu sorgen, dass Frau Trautmann wenigstens genug zu trinken bei ihnen finden würde, am besten aber genug Lebensfreude, damit sie nicht mehr ständig weinen musste.

Auch an Essen hatte es in der Stadt wohl gemangelt, denn beide Eltern hatte enorm abgenommen. Sie sahen so aus wie die meisten der Armen, wenn sie das erste Mal zur Armenspeisung kamen.

Sobald die Töchter mit ihren Umarmungen fertig waren, wurde es Zeit für Jens, die Trautmanns seinerseits zu begrüssen. Als er ihnen die Hände schüttelte, fühlte er sich merkwürdig zwiegespalten. Einerseits war da immer noch die Steifheit und die alte Geschichte mit dem Kampf um ihre Tochter hing in der Luft, aber andererseits waren auch neue Gefühle hinzugekommen, die wohl durch die zahlreichen Telefonate, vor allem in schwierigen Situationen entstanden waren.

Herr Trautmann schlug ihm andeutungsweise auf den Oberarm, was sich wie eine herzliche Umarmung anfühlte, wenn man den Stand der Beziehung zwischen den beiden bedachte. Dann lud Jens das Gepäck in die Familienkutsche, bat die Trautmanns, Platz zu nehmen und machte sich auf den Weg nach Hause.

Beim Anblick der sprießenden Pflanzen wunderte sich Frau Trautmann immer wieder über den Fortschritt des Frühlings hier im Süden. Im Norden herrschte anscheinend noch tiefster Winter.

Heide hatte inzwischen ein leckeres Abendessen mit Frühlingssalat aus dem Garten vorbereitet. Beim Essen entspannten sich die Trautmanns und mindestens eines der Jahre fiel wieder von ihnen ab.

Nach dem Essen erzählten die Trautmanns von ihrem Leben in der Stadt. Sehr viel war für sie gar nicht geschehen, denn die meiste Zeit hatten sie im Haus verbracht, weil es ihnen auf den Straßen zu unsicher war. Viele der Nachbarn waren ausgeraubt worden, trotz der Absicherung ihres Stadtteils. Im Winter hatten die Trautmanns vorwiegend von Konserven gelebt und von uraltem eingemachtem Obst, das Frau Trautmann im Laufe der Jahre angesammelt hatte.

Wenn sie sich mal in einen Supermarkt trauten, war dieser meistens fast ausverkauft und sobald die Inflation losgallopiert war, konnten sie sich manchmal kaum eine Tüte Mehl leisten. Die tägliche Fahrt zur Arbeit wurde für Herrn Trautmann zur Angstpartie und nicht wenige der Kollegen wurden unterwegs überfallen. Diese Schilderungen erklärten eindrucksvoll, warum sie Sonja bei Johanna hatten leben lassen.

In den ersten Tagen schienen die Trautmann-Eltern noch recht verloren, wenn sie tagsüber vom Wiedemann-Hof herüber kamen. Bald fühlte sich Frau Trautmann jedoch in der Armenküche zuhause, wo sie das Szepter übernahm, sehr zu Erleichterung von Johanna. Herr Trautmann widmete sich den Verwaltungstätigkeiten, was Jens richtiggehend begeisterte, denn dieser Teil seines anstrengen Lebens war ihm immer verhasst gewesen. Die Begeisterung schien auf Herrn Trautmann abzufärben, denn er blühte sichtbar auf, brachte wunderbare Ordnung ins Chaos und ganz allmählich begann eine Art Freundschaft zwischen den beiden Herren Trautmann zu keimen.

Kurz nach der Frühjahrsaussaat, die diesmal großteils von den Agri-Bots erledigt wurde, erreichte eine schreckliche Nachricht das Dorf: ein Einsatzkommando, das aus Polizei und Zoll bestand, hatte ein Dorf nahe Berlin mit militärähnlicher Gewalt erobert und besetzt. Unter den Bauern befanden sich zahlreiche Tote.

Nur zwei Tage später wurde das nächste Dorf Opfer einer solchen Attacke. Die Medien versuchten, die Ereignisse nur am Rande zu erwähnen, doch in zahlreichen Internetforen sammelten sich Menschen, die sich gegen solche staatlichen Plünderungen wehren wollten. Alle Arten von Ideen wurden ausgetauscht, von harter Gewalt bis hin zu rechtlichen Winkelzügen.

Durchs Internet erfuhren sie auch von den ersten erfolgreichen Verteidigungs-Aufständen der Landbevölkerung. In mehreren Fällen hatte es Tote auf beiden Seiten gegeben. Der Kampf schien sich jedoch zu lohnen, denn von den wenigen Überlebenden der besiegten Dörfer, die noch übers Internet kommunizieren konnten, erfuhr man, dass dort das blanke Chaos ausgebrochen war. Die Besatzer unterdrückten brutal die Bevölkerung, als wären sie Gefangene. Zu Essen gab es kaum noch, sodass die Menschen die Brennesseln in ihren Gärten aßen. Nach und nach verstummten diese Meldungen aus erster Hand jedoch, und von den Dörfern, die zuerst besetzt wurden, hörte man nichts mehr.

Die siegreichen Gegenden schienen jedoch aufzublühen und der Handel kam dort wieder in Bewegung. Das gab den Menschen genug Hoffnung, um sich an eigene Vorbereitung gegen staatliche Angriffe zu wagen.

Ähnlich wie beim überregionalen Austausch in der virtuellen Welt, trafen sich die Menschen im echten Leben in Kneipen und hielten Besprechungen ab, wie sie sich am besten verteidigen konnten. Sogar in der Kirche fanden Sitzungen statt, denn die Bewohner der Kleinstadt hatten sich wie selbstverständlich auf die Seite der Bauern geschlagen, weil sie genau wussten, was sie an ihren Nahrungserzeugern hatten.

Bei einem dieser Treffen vertrat Jens vehement einen möglichst unblutigen Kampf, denn die Angreifer seien ja auch nur einfache Leute, die ihren Job machten. Die wirklich Bösen säßen schließlich sicher in ihren panzerglasgeschützten Büros. Da der Pfarrer und auch etliche andere Jens Standpunkt unterstützten, einigten sie sich darauf, dass sie nur im Falle von akuter Notwehr zu tödlichen Waffen greifen würden.

Ein Bauer, den Jens bisher noch nicht näher kannte, schlug vor, Krähenfüße zu streuen, um die Fahrzeuge der Eindringlinge lahmzulegen. Als viele fragten, was das überhaupt sei, erklärte er, dass Krähenfüße zwei gebogene Nägel seien, die zusammengeschweisst wurden. Dadurch stand immer mindestens eine Spitze nach oben, egal wie man den Krähenfuß hinwarf.

Jens erklärte sich bereit, für einen Teil der Produktion seine Werkstatt zur Verfügung zu stellen. Ein Anderer stellte eine Liste mit Nagelspenden zusammen.

Der nächste Vorschlag kam von einem Bauern mit Schnurrbart und Kugelbauch: "Meine Verwandten in Frankreich haben sich schon oft mit Jauche gegen den Staat gewehrt. Das wirkt besser als man glauben mag."

"Jauche klingt gut. Die werden sich schön ärgern."

"Aber wir brauchen den Dung doch zur Ölgewinnung."

"Tja, Waffen sind meistens eine kostspielige Angelegenheit."

Barrikaden wurden auch vorgeschlagen und beschlossen und allmählich bildete sich eine Verteidigungsstrategie heraus, die jedes Dorf für sich, aber in Kooperation mit den Nachbardörfern vorbereiten würde.

Die regionalen Polizeireviere standen zur Bevölkerung, denn sie hielten es nicht für ihre Aufgabe, ihre Schutzbefohlenen zu bekämpfen, wenn sich diese nichts hatten zuschulden kommen lassen.

In Freiburg gab es tagelange Massendemonstrationen gegen die Raubzüge des Staates. Dieses Volksbegehren hatte zur Folge, dass sich der Bürgermeister, der sowieso eher zur Seite der Bevölkerung tendierte, von der zentralen Staatsgewalt lossagte. Mit den Landkreisen vereinbarte er faire Abgaben, lieferbar in Naturalien.

Freiburg nannte sich jetzt stolz: Freie Stadt Freiburg. Schon nach wenigen Tagen konnte man eine Verbesserung der Situation spüren, erzählte Andreas bei einem Telefonat mit Jens.

Die verbleibende große Bedrohung kam jetzt aus Stuttgart, denn die Landeshauptstadt war streng staatstreu und schickte ihre Einsatztruppen gnadenlos aus.

Abends nach der Feldarbeit, die jetzt glücklicherweise nicht mehr so anstrengend war, dass sie einen völlig auslaugte, saß Jens mit seiner Familie und Freunden in der Werkstatt und produzierte Krähenfüße. Die meisten hatten einfache Zangen in der Hand und bogen die Nägel. Jens und ein paar Andere betätigten die beiden Schweissgeräte und verbanden die krummen Nägel zu den gefürchteten Krähenfüßen.

Achim kümmerte sich um die Installation zahlreicher Überwachungskameras, die sie teilweise aus alten Handies konstruiert hatten. Jens sorgte hierbei für die Programmierung der neuen Aufgabe und Achim konstruierte Halterungen und Ständer, die er dann auf den Feldern der Umgebung aufbaute.

Während all der Vorbereitungen auf staatliche Übergriffe, musste Jens sich noch um die Vermarktung seiner Roboter kümmern. Inzwischen gab es viele Nachahmer, die mit Hilfe der Baupläne eigene Agri-Bots gebaut hatten und Jens' Betriebsystem verbreitete sich schneller als erwartet.

Für die Zusatz-Updates gab es zwar viele Interessenten, doch die Zahlung erwies sich als schwierig, denn die Inflation fraß den größten Teil von Überweisungen. Überregional gab es leider keinen Regio-Franken, und um die Vorteile des stabilen Schweizer Franken nutzen zu können, brauchte man ein Konto in der Schweiz.

Glücklicherweise war die Schweiz nicht weit, sodass Jens frühmorgens nach Basel radeln konnte, um dort ein Konto zu eröffnen. Am besten wäre noch ein Firmensitz in Liechtenstein gewesen, aber angesichts der potentiellen Bedrohung seines Zuhauses wollte er nicht länger als einen Tag unterwegs sein.

Natürlich würde Jens weiterhin Steuern zahlen: an den Regionalkreis und die Stadt Freiburg, die mehrere Regionalkreise zu einem lockeren Verbund zusammenfasste. Der ferne Staat aber, der mit jedem Heller, den er in die Finger bekam, das Unheil vergrößerte, würde in Zukunft leer ausgehen.

Unterwegs rief Jens stündlich zu Hause an, um schnell umdrehen zu können, falls die Einsatztruppen anrücken sollten. Doch der Tag blieb ruhig und so konnte Jens, nur durch Grenzformalitäten unterbrochen, sein Vorhaben ungestört durchführen. Er fühlte sich fast zu Hause unter den Schweizern, denn ihre Sprache klang ganz ähnlich wie der Dialekt der heimischen Bauern, an den sich Jens inzwischen schon gewöhnt hatte. Manchmal ertappte er sich sogar selbst schon bei einen Anflug von Dialekt in seiner Sprache.

Die Schweizer Bank bot ein spezielles Programm für deutsche Unternehmer, mit Infobroschüren über die Rechtslage und einfachen Überweisungsmöglichkeiten von Deutschland in die Schweiz. Jens war sehr dankbar für diese Unterstützung und überzeugt, dass Herr Trautmann das Finanzgeflecht in den Griff bekommen würde.

Herr Trautmann überraschte immer wieder mit den tollsten Tricks beim Umgang mit Verwaltungsangelegenheiten. Den insolventen Firmen hatte er anscheinend nicht nur geholfen, sondern auch deren Methoden gelernt, wie man das letzte Geld in Sicherheit bringen konnte. Bei seinen Ideen achtete er jedoch immer streng darauf, dass es gerecht zuging, den er war ein starker Verfechter von Recht und Ordnung in ihrer ursprünglichen Bedeutung.

Über all diese Dinge dachte Jens nach, als er auf dem Rückweg war. Kaum war er wieder zu Hause, erhielten sie beim Abendessen eine erschreckende Nachricht: Die erste Region im Oberrheintal war angegriffen worden.

Jenseits des Ölgipfels

Twilight in the Desert. The Coming Saudi Oil Shock and the World Economy
von Matthew R. Simmons

Peakoil Reloaded
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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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