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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 48


  
Johanna stand leichenblass in der Küche und hielt einen amtlich aussehenden Brief in ihren zitternden Händen.

"Was ist? Gib mal her, was du da hast!", Jens nahm den Brief, warf einen Blick darauf und musste schlucken.

"Es ist schrecklich, nicht wahr? Was sollen wir bloß tun? Das war bestimmt dieser freundliche Beamte, der so tat, als wollte er uns nichts Böses."

"Ja, aber das sieht wie ein Kommafehler aus. Die scheinen zwei Nullen zuviel angehängt zu haben. Ich rufe da gleich mal an."

Jens eilte zum Telefon, Johanna im Schlepptau und rief beim Landes-Vermögensamt an, von denen der Brief stammte.

"Hallo, wir haben hier Ihren Sondersteuer-Bescheid vorliegen und der Betrag scheint mir um zwei Kommastellen verrutscht zu sein."

"Nein, nein, der Betrag ist durchaus korrekt."

"Aber wie kommen Sie denn auf so eine utopische Summe? Das ist ein Vielfaches von dem, was mein Hof mit allen Vermögenswerten wert ist."

"Das ist ja auch eine Sonderabgabe auf künftig zu erwartende Produktivwerte."

"Wie? Was für Produktivdinger?"

"Produktivwerte! Sie haben Ackerland, Vieh und Energiequellen. Vermögende Bürger müssen Sonderabgaben leisten, um die Krise in den Griff zu bekommen."

"Wir ernähren aber schon fünfzig Arme auf eigene Kosten. Das ist doch schon mehr soziales Engagement als man erwarten kann."

"Das ist ihr Privatvergnügen. Die Sondersteuer ist zahlbar innerhalb von dreißig Tagen. Verzug wird teuer und scharf geahndet, denken Sie daran!"

Es klickte in der Leitung und das Gespräch war beendet.

Jens war entsetzt und Johanna schien kurz davor, zu weinen. Auch ein Anruf bei Herrn Trautmann brachte keinen Trost. Er hatte sowas zwar schon munkeln hören, wusste aber keinen Rat.

Heide brachte endlich etwas Pragmatismus ins Spiel: "Das ist doch Unfug. Soviel können wir in zehn Jahren nicht umsetzen, wenn man die Inflation rausrechnet. Was wir nicht zahlen können, zahlen wir dann eben einfach nicht - basta!"

"Ja, aber sie werden darum kämpfen."

"Klar, aber sie sind doch auf verlorenem Posten. Selbst wenn du den Hof verkaufen würdest, würde es ja nicht andeutungsweise reichen, um die Summe zu bezahlen. Und wer kauft denn schon einen Hof, wenn er dann ein Vielfaches des Wertes an Sonderabgaben leisten muss. Die Burschen in der Regierung haben sich dabei einfach fürchterlich verkalkuliert. Ich hab übrigens auch so einen Wisch bekommen."

"Was, du auch? Dann wollen die ja noch mehr Geld von uns haben."

"Genau! Wenn da nicht die Klausel mit der Inflationsrate drin wäre, würde ich ja sagen: drei Monate abwarten und dann bezahlen, denn dann wäre der Betrag wohl kaum noch etwas wert. Aber die Summe wird täglich höher."

Nach kurzer Zeit sprach sich herum, dass alle Hofbesitzer solch unbezahlbare Sondersteuern aufgebrummt bekommen hatten. Die Bauern trafen sich in der Kneipe und beratschlagten, wie man damit am besten umgehen konnte. Einhellig beschlossen sie, dass sie die Rechnung einfach ignorieren würden, denn keiner konnte auch nur einen Bruchteil der Abgabe zahlen, viele kämpften sogar schon längere Zeit gegen die Pleite, ähnlich wie die Wiedemanns noch vor wenigen Monaten.

Als sich die Aufregung gelegt hatte, konnte Jens sich wieder seinen Landwirtschafts-Robotern widmen. Der Teil aus dem Bausatz funktionierte schon relativ gut, aber an der Verbindung zwischen Laufgerät und Handy-Kopf musste Jens lange tüfteln.

Seine Auswahl an Handys war riesig, denn selbst die veralteten Geräte hatten schon genug Speicherkapazität, um für die geplante Aufgabe mehr als ausreichend zu sein. Die alten Handys wollte jedoch keiner mehr haben und so hatten sie sich beim Schrotthändler gestapelt, der froh war, sie endlich loszuwerden.

Die Programmierung des Betriebsystems für die Arbeit als Hilfsbauer ging tief in die Ebene der Bits und Bytes, was Jens aber als spannende Herausforderung genoss. Vielleicht war sein Studium doch nicht so verkehrt gewesen, für jemand, der Erfinder sein wollte.

Endlich hatte er nach harten Kämpfen seinen Roboter soweit gebracht, eine rote Kugel zu erkennen, sich darauf zuzubewegen und die Kugel mit einem Greifer anzustoßen. Sowas hatten Tüftler zwar schon vor über einem Jahrzehnt gekonnt, aber mit den Handys und für das neue Betriebsystem war es ein echter Durchbruch.

Jetzt konnte Jens sich um die Alltagstauglichkeit und das Gärtnerwissen kümmern. Glücklicherweise hatte er im letzten Jahr in jeder freien Minute Fotos mit seiner Digitalkamera gemacht, sodass er seinem Hilfsbauern jetzt genau zeigen konnte, wie eine Schnecke aussieht und wie eine Tomate. Die zuverlässige Zusammenarbeit der beiden Energiequellen würde Jens auch noch vor schwierige Knobeleien stellen.

"Guten Tag, ich bin der Gerichtsvollzieher. Zahlen Sie sofort die offene Sondersteuer!", ohne Vorwarnung war die nächste Stufe der Verwaltungsqual über sie hereingebrochen.

"Wir haben aber nicht soviel Geld. Nicht mal einen Bruchteil davon", Jens schlotterten die Knie. Einem echten Gerichtsvollzieher war er noch nie begegnet.

"Scheren Sie sich davon!", hinter Jens war Achim aufgetaucht und brachte den Gerichtsvollzieher mit seinem sonoren Bass sichtlich außer Fassung, denn dieser zog unverrichteter Dinge wieder ab.

Doch kaum zwei Stunden später kam derselbe Gerichtsvollzieher wieder, diesmal in Begleitung eines Polizisten.

"Sie zahlen jetzt sofort! Lassen Sie uns eintreten!", polterte der Gerichtsvollzieher.

Johanna stellte sich plötzlich neben Jens und warf dem Polizisten zornige Blicke zu.

"Schämen Sie sich! Bei so einer Plünderei mitzumachen! Glauben Sie etwa, dass Gott sowas von Ihnen will?"

Der Polizist schwieg und starrte Johanna an. Johanna starrte zurück, und starrte, und starrte und siegte. Der Polizist senkte den Blick.

"Ich glaube, ich werde mich besser auf die Jagd nach echten Verbrechern begeben", sagte er und man konnte ihm seine Zerknirschung deutlich ansehen.

Gesenkten Hauptes verließ er den Hof. Der Gerichtsvollzieher blickte erst eine Weile verwirrt von Johanna zu dem davontrottenden Polizisten, dann folgte er diesem. Nach diesem Vorfall kehrte wohl Ruhe ein im Dorf, aber bei den Ängstlichen hatte der Gerichtsvollzieher vorher schon sämtliches Bargeld und alle Wertgegenstände einkassiert.

"Den Polizisten kenne ich aus der Kirche", vertraute Johanna Jens an, als die Heimsuchung außer Sicht war.

"Die haben sich einfach eine Lizenz zum Plündern ausgestellt, denn egal wieviel man zahlt, man bleibt ihnen immer etwas schuldig", wetterte Heide und alle Anwesenden stimmten ihr zu.

Als Johanna später ihre Eltern anrief, erfuhr sie, dass diese Opfer einer Sonderabgabe auf ungenutztes Vermögen geworden waren. Diese Abgabe bedeutete, ähnlich wie bei den Bauern, das die Trautmanns völlig mittellos dastanden, wenn sie die Abgabe bezahlten. Mehr noch: hochverschuldet, denn ihr Vermögen war in den letzten Monaten ja schon dahingeschmolzen. Die Abgabe war nämlich so hochgerechnet, als wäre das Vermögen während der Inflation automatisch mit angestiegen.

Es wurde ein langes Gespräch, in dessen Verlauf auch Jens hinzugezogen wurde. Am Ende beschlossen sie, dass die Trautmanns zu ihnen in den Süden ziehen würden, denn auf dem Land hatte man wenigstens einen direkten Zugang zu Nahrungsmitteln und in der Stadt zog sich die Schlinge von Tag zu Tag enger.

Selbst die krisensichere Insolvenzfirma hatte aufgegeben und wurde nur noch abgewickelt, weil insolvente Firmen inzwischen einfach starben, ohne dass jemand hinter ihnen die Scherben zusammenkehrte. Diese Katastrophe hatte Herr Trautmann Johanna bisher verschwiegen, um sie nicht zu ängstigen, aber jetzt kam es ans Tageslicht.

Bis die Trautmanns kommen konnten, würde es jedoch Wochen dauern, denn Zugfahrten mussten immer noch lange im Voraus gebucht werden.

Jens war dies ganz recht, denn es gab ihm Zeit, sich innerlich auf die Trautmanns vorzubereiten. Ob sie ihm verziehen hatten, dass er ihnen nicht nur eine, sondern sogar beide Töchter entführt hatte? Immerhin war es dadurch möglich geworden, allen eine Lebensgrundlage zu bieten, die das vermeintlich sichere Umfeld der Trautmann-Eltern inzwischen nicht mehr bot.

"Trautmann"; an diesen Namen hatte er sich nie gewöhnen können, obwohl er schon so lange sein eigener war. Immer mal wieder, wenn ihn jemand "Herr Trautmann" nannte, schaute Jens kurz zur Seite, ob Herr Trautmann plötzlich erschienen war. Jetzt, wo es langsam besser damit wurde, und die Nachbarn seinen Hof oft "Trautmann-Hof" nannten, würde er sich daran gewöhnen müssen, dass es außer ihm noch einen anderen Herrn Trautmann gab.

"Du sinnierst bestimmt über die Ankunft meiner Eltern.", Johanna hatte leise den Raum betreten und Jens einen Kuss gegeben.

"Wie kommst du darauf?"

"Du siehst so aus."

"Hm."

"Ich habe nämlich eine Idee, wo sie wohnen könnten, denn hier bei uns ist es ihnen bestimmt zu trubelig und wir wollen gerne möglichst ungezwungen leben."

"Schiess los."

"Sie ziehen einfach in das Haus der Wiedemanns, denn dort ist noch mehr als genug Platz für eine ganze Familie."

"Genial! Das ist die Lösung!"

Jens schnappte sich seine Frau und wirbelte sie voller Erleichterung durch den Raum. Johanna nutzte die seltene Gelegenheit, um ihn aufs Bett zu werfen und ihm ihre Zuneigung zu beweisen.

Doch noch bevor die Trautmann-Eltern kamen, näherte sich Jens' und Johannas Hochzeitstag und der Jahrestag des Einzugs. Trotz all der Arbeit auf den Feldern und im Garten nahmen sie sich den Abend des Hochzeitstages frei für ein Tête-à-tête bei einem Sekt aus dem eigenen Weinberg. Ein befreundeter Winzer hatte den Sekt für sie gekeltert, nachdem sie im Herbst die Ernte abgeliefert hatten. Der Sekt war einfach köstlich, und zu wissen, wo er gereift war, und das trotz schlechter Pflege, trieb den Genuss auf die Spitze.

Die eigentliche Überraschung hatte sich Jens jedoch für den nächsten Morgen aufgehoben, denn dafür brauchte er Tageslicht und Freiluft.

Johanna war ob Jens Geheimnistuerei schon sehr neugierig und konnte es kaum abwarten, als Jens sie zu einem bereitstehenden Stuhl auf der Terasse dirigierte. Die anderen Hausbewohner durften auch an der Vorstellung teilnehmen, aber Jens Aufmerksamkeit galt Johanna.

"Jetzt stell dir mal vor, wie es vor einem Jahr war, als das Unkraut spriesste. Und später, als die Schnecken wüteten und dich in die Verzweiflung trieben."

Entsetzt schaute Johanna Jens an. Ihr stand ins Gesicht geschrieben, dass sie sich fragte, welcher Teufel Jens wohl ritt, sie ausgerechnet heute an ihren Zusammenbruch zu erinnern. Doch nachdem sie Jens eine Weile fragend betrachtet hatte, nickte sie.

"Ok, das tut bestimmt weh, sich daran zu erinnern, aber um so mehr wirst du schätzen können, was ich dir jetzt zeigen werde, damit du nie wieder an deinem Garten verzweifeln musst."

Jens ging kurz ins Haus und brachte ein vierbeiniges Gerät mit drolligem Handykopf zum Vorschein. Auf dem Rücken des Roboters, der an einen Hund erinnerte, waren Behälter montiert, die wie Satteltaschen aussahen. Statt Satteldecke glänzten Solarzellen in der Frühlingssonne und gaben dem kleinen Kerl ein futuristisches Aussehen.

"Darf ich vorstellen: Das ist Agri-Bot, der Landwirtschaftsroboter."

Mitten auf dem Gartenweg setzte Jens den Agri-Bot ab und gesellte sich zu Johanna auf die Terasse.

"Jetzt müssen wir einen Moment warten, denn Agri-Bot führt zur Zeit keinerlei Treibstoff mit sich. Er ist quasi völlig ausgehungert. Die Solarzellen werden ihn aber bald zum Leben erwecken."

Spannung machte sich breit und die Sekunden zerrannen zäh, als wären es Minuten.

Agri-Bot hob langsam, wie in Zeitlupe, seine Solarzelle und richtete sie gemächlich nach der Sonne aus. Dann verharrte er eine Weile, aber irgendwann drehte sich das Handy im Kreis und schließlich setzte sich die Maschine in Bewegung. Zielstrebig watschelte Agri-Bot auf eine kleine Gruppe Brennesseln zu, streckte einen seiner tentakelartigen Greifer aus und riss an der ersten Brennesselpflanze.

"Zuerst versucht er, das Unkraut auszureißen, wenn das nicht geht, schneidet er es ab."

Die Wurzel der angegriffenen Brennessel war wohl noch schwach, denn Agri-Bot gelang es, die Pflanze auszureissen und das Kraut in seine Satteltasche zu schieben. Ein leises Raspelgeräusch drang an die Ohren der Zuschauer.

"Das Geräusch beim Häkseln wollen wir noch minimieren. Agri-Bot ist ja nur ein Protoyp."

Nachdem er die ganze Brennesselgruppe verspeist hatte, drehte sich Agri-Bot um und strebte mit seinem drolligen Torkelgang einer rötlichen langestreckten Masse zu.

"Das ist eine Kunstschnecke, weil es für die echten ja noch zu früh ist."

Dieses neue Opfer verspeiste Agri-Bot nicht, sondern benutzte einen anderen Tentakel, um dem Bösewicht eine Spritze zu geben.

"Die Schnecken wären zu schleimig, um sie einzusammeln, dann müsste man Agri-Bot ständig putzen. Daher tötet er sie schmerzlos mit einem biologisch abbaubaren Mittel und dann zerfallen sie schnell und geben ihre Nährstoffe an den Boden zurück."

Johanna schauderte etwas beim Anblick der Hinrichtung an der künstlichen Schnecke. Agri-Bot ließ jedoch keine Zeit für lange Grübeleien, denn er hatte schon wieder die Richtung gewechselt. Diesmal war eine Biogas-Flasche sein Ziel, die extra für die Vorführung im Garten stand.

"Auf dem Feld geht er natürlich direkt zur Biogas-Anlage, aber für den Garten reichen auch Flaschen."

Agri-Bot leerte seine Pflanzenbeute in eine bereitstehende Schale und stöpselte sich selbstständig an das Gasventil an. Es zischte einen Moment, dann ließ Agri-Bot das Ventil wieder los und lief mit stark erhöhter Geschwindigkeit auf eine weitere Brennesselgruppe zu, die er scheinbar genussvoll verschlang.

"Großartig! Und wird er Unkraut von Nutzpflanzen unterscheiden können?", Johanna war sichtlich begeistert.

"Ja, dafür habe ich extra ein Programm geschrieben, das es recht einfach macht, ihm immer neue Pflanzen und Tiere beizubringen. Im jetzigen Garten müsste Agri-Bot schon klarkommen, ohne Schaden anzurichten. Er tötet auch nur Schnecken in den Beeten. Die drumherum lässt er in Ruhe."

"Davon müsste man tausende haben."

"Denke ich auch. Zwei weitere sind bald fertig und Achim hat kürzlich noch ein Dutzend Bausätze gekauft, als er nach Freiburg musste."

"Ob die für den Garten ausreichen?"

"Für den Garten reichen wahrscheinlich schon drei Roboter. Die sind schließlich den ganzen Tag unterwegs und selbst nachts können sie auf Schneckenjagd gehen, wenn sie Methan getankt haben."

"Schade, dass es für den Rest der Welt nicht genug gibt."

"Für die schnelle Verbreitung der Agri-Bots habe ich gesorgt. Ins Internet habe ich eine Bauanleitung und das Betriebsystem gestellt, zum kostenlos runterladen. Die häufigsten Pflanzen und Schädlinge gibt es auch kostenlos."

"Das gefällt mir. Und woran verdienen wir bei der Angelegenheit?"

"Wenn die Benutzer spezielle Pflanzenarten oder Schädlinge erkennen lassen wollen und nicht die Geduld haben, ihren Roboter selbst mit Informationen und Bildern zu füttern, dann können sie gegen eine Gebühr diese Infos bei uns runterladen. Aber das soll so billig sein, dass es sich jeder leisten kann. Ausserdem werde ich selber Agri-Bots herstellen und an Bauern verkaufen, die kein Talent haben, so einen Roboter zusammenzubauen."

"Wunderbar! Dann sollten wir den Agri-Bot in Ruhe arbeiten lassen und uns dem Jahresfest widmen."

Jenseits des Ölgipfels

Peak Oil
von Jeremy Leggett

Peakoil Reloaded
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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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