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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 47


  
Der nächste Beamte, der bei ihnen klopfte, war höflicher als die bisherigen Staatsdiener. Er stellte sich als Mitarbeiter des Landes-Vermögensamtes vor und wollte den Wert des gesamten Hofes schätzen. An der Liste, die er mitführte, konnte Jens erkennen, dass er auch die ganzen Nachbarn heimgesucht hatte. Nach einer Runde über das Grundstück verschwand der Beamte wieder mit einem freundlichen Gruß.

Lästiger war das nächste Schreiben, das Jens vom Freiburger Bürgeramt erhielt. Sie wollten nicht nur Andreas' Taschengeld und Reisekosten zurückhaben, sondern auch noch eine gesalzene Bearbeitungsgebühr. Jens fand das zwar reichlich unverschämt, aber ihm fiel kein Weg ein, sich vor der Zahlung zu drücken und auch Herr Trautmann wusste keinen Rat. Also zahlte Jens zähneknirschend und hoffte, dass sie das fehlende Geld verkraften würden.

Eines Tages brachten die meisten der Armenspeisungs-Gäste relativ große Spenden zur täglichen Mahlzeit mit. Johanna freute sich darüber und rief Jens herbei, damit auch er Anlass zur Freude hatte.

"Woher haben Sie denn plötzlich alle Geld?", fragte er die großzügigen Spender.

"Das Bürgeramt hat seinen Auszahlungsmodus geändert. Wir bekommen jetzt wieder Geld anstelle von Nahrung, was ja sowieso ein Witz war, weil von denen nix Essbares bei uns angekommen ist. Aber jetzt hat die Regierung anscheinend allen offiziellen Grundsicherungsempfängern Geld überwiesen. Einen Teil davon wollten wir Ihnen abgeben, denn jetzt können wir ja für unser Essen bezahlen."

"Das ist sehr großzügig von Ihnen, vielen Dank. Merkwürdig, dass der Staat plötzlich wieder Geld hat. Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut."

"Die haben das Geld bestimmt gedruckt.", sagte Herr Hirzler. "Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie das damals war. Gebt euer Geld am besten schleunigst aus, sonst ist es nichts mehr wert."

"Ich war damals zwar noch recht klein, aber die Millionen, die man für einen Laib Brot zahlen musste, habe ich noch in schauriger Erinnerung. Das fühlt sich gar nicht gut an, was da läuft", ergänzte Heide Herrn Hirzlers Bemerkung.

Jens nahm die Warnung ernst und fuhr mit Achim zum Baumarkt, um sich vom letzten Geld mit Kupferrohren und anderen Baumaterialien einzudecken. Seit ihrem letzten Einkauf war der Preis für die Kupferrohre schon deutlich gestiegen, was aber auch an der Rohstoffknappheit liegen konnte.

Als sie in den Supermarkt fuhren, um noch einmal gründlich Gewürze zu kaufen, sahen Sie das eigentliche Ausmaß des Problems. Die Regale des Supermarktes waren wie leergefegt. Ein einzelner verfaulter Apfel lag noch in der Gemüseabteilung, im Putzregal stand eine einsame Flasche mit Möbelpolitur, doch das Gewürzregal bot noch einige Auswahl. Jens musste jedoch doppelt soviel dafür zahlen wie sonst.

Am nächsten Tag stand es in allen Zeitungen: Inflation!

Heide riet, nur noch Sachspenden anzunehmen, außer wenn sofort etwas gekauft werden werden sollte und Herr Hirzler gab wertvolle Tipps zum Leben in Inflationszeiten. Wie gut, dass sie Freunde hatten, die sich mit solchen Problemen auskannten.

In den nächsten Tagen war die Armenspeisung deutlich schwächer besucht als sonst, aber nach einer Woche waren alle wieder da und neue Gäste hinzugekommen.

Die Preise fürs Öl und die Marktprodukte mussten jetzt ständig nach oben korrigiert werden und man musste höllisch aufpassen, dass man die Preissteigerung rechtzeitig erkannte, denn wenn man einen Tag lang zu billig war, waren die Einnahmen fast nichts mehr wert.

"Wie gut, dass wir schon vorher unsere ganzen Vermögen ausgegeben haben.", sagte Jens und zwinkerte Heide dabei zu. "Und ich war so besorgt deswegen. Aber jetzt würde ich für den Preis einer Biogasanlage nur noch einen Kanister Öl bekommen."

Das Geschäft mit dem Öl war inzwischen leider weniger lukrativ geworden, denn der Staat erhob seit neuestem auf Biogas-Öl eine spezielle Energiesteuer, zusätzlich zur Mehrwert- und Einkommensteuer. Dennoch blieb die Biogas-Anlage die wichtigste Einnahmequelle und viel Öl floss auch gegen Naturalien.

"Nehmen wir eigentlich auch Regio-Franken?", fragte Johanna, als sie eines mittags vom Markt heimkam. Sie zeigte Jens ein bunt bedrucktes Stück Papier.

"Von Regio-Franken habe ich noch nie gehört. Was ist denn das?"

"Das ist anscheinend eine regionale Währung, die stabil sein soll. Sie gilt in der gesamten Region. Auch in Freiburg und Basel soll es Läden geben, die Regio-Franken annehmen. Und wenn man will, kann man sie im Regio-Servicecenter in echtes Geld umtauschen. Eine Frau kam und bot mir so einen Schein an, und weil sie kein anderes Geld oder Sachwerte hatte, habe ich ihn mal testweise angenommen."

"Kingt nach einer guten Idee. Ich werde mich mal informieren, ob das ein seriöses Angebot ist. Und wenn ja, sollten wir diese Regio-Franken auch offiziell annehmen."

Jens recherchierte im Internet, machte einen Besuch beim hiesigen Servicecenter und beschloss, dass der Regio-Franken eine gute Möglichkeit für ihre Geschäfte war.

Der Winter brach an und es wurde mal wieder Zeit für Weihnachtseinkäufe. Diesmal fuhr er mit Johanna zusammen nach Freiburg, denn sie hatten jetzt eine große Familie zu beschenken. Ausserdem hatten sie Listen von Heide und Achim dabei, auf denen die Geschenke standen, die diese verschenken wollten. Selbst bei bester Einkaufssituation würde das ein stressiger Tag werden und die Einkaufssituation war bestimmt nicht gut.

Im Weihnachtstrubel hatten sich die Preise wieder emporgeschraubt, aber Jens und Johanna hatten inzwischen ausreichend Regio-Franken, um halbwegs verlustfrei einkaufen zu können. Die meisten preiswerten und nützlichen Produkte waren ausverkauft, aber an Luxusprodukten herrschte kaum Mangel. Die Leute konnten sich anscheinend nur noch dringend benötigte Sachen leisten.

Auf der Suche nach einem Geschenk für Sonja entdeckte Jens in der Spielwaren-Abteilung einen Roboter-Bausatz. So einen hatte sich Jens schon immer erträumt, aber die Zeit war noch nicht reif dafür gewesen. Und jetzt lag dort ein Stapel Bausätze, kaum angetastet, im Preis sogar herabgesetzt. Kurzentschlossen kaufte Jens drei solcher Kästen, einen für Achim und zwei für sich, denn in ihm keimte eine Idee, für die selbst drei Roboter auf Dauer zuwenig waren.

Bei einer kleinen Pause in einem Café am Münsterplatz fiel Johanna auf, dass keine Tauben mehr umherflogen. Ein Sitznachbar, der sie gehört hatte, drehte sich zu ihnen um und erklärte das Fehlen der Tauben.

"Die jungen Leute kommen nachts, jagen die Tauben und verarbeiten sie zu Grillhähnchen. Das soll angeblich nicht mal schlecht schmecken."

"Soweit ist es also schon gekommen?"

"Wenns denn nur die Tauben wären, aber manche schlachten schon ihre Haustiere, weil sie sie nicht mehr füttern können und selber was zum Beißen haben wollen. Hier kursiert schon der Spruch über Katzen: Kopf ab, Schwanz ab - Has."

"Das klingt ja gar nicht gut! Dabei hat der Winter gerade erst angefangen."

"Mir will das auch nicht gefallen."

"Warum ziehen die Leute nicht aufs Land? Nicht etwa, dass wir sie gebrauchen könnten, aber ich fände das logisch."

"Keine Ahnung. Aber ich würde auch nicht aufs Land ziehen. Was will ich dort? In der Stadt kenne ich mich wenigstens aus, habe meine Freunde und ein Dach über dem Kopf."

"Das leuchtet ein. Für uns Landbewohner ist es sogar wünschenswert, wenn es nicht allzu voll wird."

Sie verabschiedeten sich von dem freundlichen Mann und versuchten soviel wie möglich von den aufgelisteten Geschenken zu ergattern. Dann fuhren sie durch das dunkle Rheintal nach Hause und waren froh, auf dem Land zu leben.

Weihnachten wurde ein sehr herzliches Fest, obwohl oder gerade weil die Geschenke nicht perfekt, sondern teilweise ziemlich improvisiert waren. Nachmittags feierten sie mit den Armen und Teilzeit-Mitarbeitern und abends ging es in familiärer Runde weiter. Achim war begeistert von dem Roboter-Bausatz, sodass er und Jens es kaum abwarten konnten, daraus funktionierende Roboter zusammenzubauen.

Frau Trautmann war untröstlich, weil ihr Paket nicht rechtzeitig angekommen war und Sonja deshalb ohne Geschenk von ihren eigenen Eltern dasaß. Sonja fand das weit weniger schlimm als ihre Mutter und freute sich schon darauf, dass sie nochmal Weihnachten feiern könnten, wenn das Paket ankommen würde. Jens konnte Frau Trautmanns Kummer durchaus nachvollziehen, obwohl er noch keine eigenen Kinder hatte, aber er war sich ziemlich sicher, dass es Sonja hier insgesamt besser ging, als es in diesen Zeiten in der Stadt gewesen wäre.

Die nächsten Wochen standen zwar voll im Zeichen der Waldarbeit, aber da es früh dunkelte, fanden Jens und Achim viel Zeit für ihre Roboter-Bausätze.

"Willst du wissen, warum ich die Bausätze gekauft habe? Ich habe die nämlich nicht nur als Männerspielzeug gedacht.", begann Jens mit geheimnisvoller Miene.

"Sprich!"

"Dass wir genug Öl für wichtige Treckeraufgaben haben, ist dir ja bekannt, und auch, dass das Öl nicht ausreicht, um alles maschinell zu machen, was früher mit Maschinen erledigt wurde. Bei vielen Tätigkeiten ist es auch Verschwendung, so ein schweres Gerät über das Feld zu bewegen."

"Klar."

"Die helfenden Menschen sind zwar wunderbar bei kleinen Feldern, aber wenn es um den Anbau von größeren Mengen geht, sind der Menschenkraft Grenzen gesetzt. Außerdem haben heutige Menschen kaum noch das Durchhaltevermögen, um von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu schuften."

"Geht mir eigentlich genauso, zumindest hacke ich auch nicht gerne den lieben langen Tag."

"Siehste! Das Konstruieren eines Lastrades macht mir auch mehr Spass, als immer wieder gegen neues Unkraut anzukämpfen. Und schau dir Andreas an: der hat doch meistens schon nach zwei Stunden schlappgemacht, selbst wenn er sich Mühe gegeben hat."

"Und was willst du mit den Bausätzen dagegen unternehmen? Wart! Ich habs: Landwirtschafts-Roboter."

"Genau!"

"Du hast Ideen!"

"Versuche mit solchen Robotern habe ich schon vor Jahren im Netz gesehen, aber dank reichlich Öl ist das nicht in dem Maße verfolgt worden, wie wohl nützlich gewesen wäre."

"Und wie willst du die bauen?"

"Ich dachte mir: zur Fortbewegung diese Bausätze und vielleicht Handys als Gehirn und Sinnesorgane. Dann braucht man noch verschiedene Greifarme, um Unkraut zu zupfen, Schnecken einzusammeln, Wasser zu versprühen und dergleichen mehr."

"Was willst du als Antrieb nehmen?"

"Die Bausätze hier arbeiten mit Methan-Brennstoffzellen. Das ist natürlich praktisch, weil wir ja massenhaft Methan produzieren. Die können direkt an der Biogasanlage aufgeladen werden. Zusätzlich dachte ich an Solarzellen auf dem Rücken, mit kleinen Akkus, um auch bei leerem Tank mobil zu sein."

"Klingt gut! Und dann willst du ihnen Denkkraft verleihen?"

"Ja, denn das ist schließlich mein eigentlicher Beruf. Die Handys sind heutzutage so leistungsfähig, dass man darin gute Programme laufen lassen kann. Ich denke da an ein Betriebssystem für Landwirtschafts-Roboter. Damit kann man die Basis flexibel erweitern."

"Dann lass uns an die Arbeit gehen!"


Jenseits des Ölgipfels

The Party's Over
von Richard Heinberg

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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