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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 46


  
"Sie beschäftigen Schwarzarbeiter!", schon wieder stand jemand vom Amt vor der Tür. Diesmal handelte es sich wohl um das Arbeitsamt.

"Nein, meine Mitarbeiter sind korrekt als Minijobber angemeldet und die Dame, die uns mit Häkelwaren beliefert, betreibt eine Ich-AG."

"Fünf angemeldete Minijobber sind uns bekannt, aber wir wissen von erheblich mehr Mitarbeitern."

"Aber die helfen doch nur ab und zu ein paar Stunden bei der Armenspeisung. Das ist ein Dienst an der Menschheit."

"Schnickschnack. Wenn Sie Leute beschäftigen, müssen Sie sie anstellen, wie jeder andere Arbeitgeber auch."

"Die Leute bauen ihr eigenes Essen an und bekommen überhaupt kein Geld."

"Naturalien sind auch Bezahlung. Sie bekommen in Kürze einen Bescheid von uns für die Nachzahlung der Sozialversicherung und Steuer. Stellen Sie sich außerdem auf ein Verfahren wegen Schwarzarbeit ein."

"Ja, aber...."

"Guten Tag!", der Mann verschwand genauso schnell, wie er erschienen war.

Jens fühlte sich wie erschlagen. Da brauchte man schon alle Kräfte, damit die Armen in der Umgebung nicht verhungerten und der Staat warf einem ständig Knüppel zwischen die Beine. Als ob es nicht schon schwierig genug war.

Johanna stand plötzlich neben ihm und legte ihren Arm und ihn.

"Schon wieder so ein Ämterfritze?"

"Ja, diesmal wegen Schwarzarbeit. Sie wollen haufenweise Geld für unsere Helfer von der Armenspeisung. Dabei haben wir doch extra darauf geachtet, alle, die mehr arbeiten als für das Essen nötig wäre, ordentlich anzustellen. Das sprengt doch sowieso schon fast unseren Finanzrahmen. Diesen Fredel konnte ich auch nicht mit Öl abspeisen. Der droht mir sogar mit dem Gericht."

"Wie ungerecht! Soll der mal lieber helfen, Essen für die Hungernden anzubauen. Ich werde mal meinen Vater anrufen, vielleicht hat der ja eine Idee, denn mit solchen Quälgeistern kennt er sich aus."

Herr Trautmann schlug vor, einen Verein zu gründen, am besten rückwirkend, und sich dann um die Gemeinnützigkeit zu bemühen, die bei einer Armenspeisung bestimmt gewährt werden würde. Dann würden die Helfer plötzlich als Ehrenamtliche gelten und alles wäre in schönster Ordnung.

Also wurde ein Verein gegründet und Jens musste sich wieder einmal mit unzähligen Formularen rumschlagen und bei Ämtern erscheinen, um die Gemeinnützigkeit durchzusetzen. Johanna kontaktierte den Tafelverein, der in allen größeren Städten für die Nahrungsmittelversorgung der Armen kämpfte und auch in Johannas alter Heimat Mitorganisator der Armenspeisung gewesen war. Die Leute von der Tafel gaben Johanna wertvolle Tipps für den Umgang mit Behörden, aber auch für die Bewältigung der großen Aufgabe, in diesen Zeiten Hungernde zu sättigen.

Obwohl der Verein schließlich als gemeinnützig anerkannt wurde, flatterte eines Tages ein Brief vom Arbeitsamt ins Haus mit einer horrenden Geldforderung. Der Betrag schien Jens so hoch, als hätte er die gesamte Kleinstadt zu Managergehältern eingestellt. Der zuständige Beamte residierte anscheinend im Rathaus der Kleinstadt, was Jens dazu bewog, sich sofort auf sein Rad zu schwingen und ins Rathaus zu eilen.

Als er das richtige Zimmer gefunden hatte, stürmte er durch die Tür und knallte dem Beamten die Rechnung auf den Tisch. Anschließend folgte die Bescheinigung, die die Gemeinnützigkeit bestätigte.

"Wo liegt das Problem? Die Gemeinnützigkeit wurde doch erst kürzlich bestätigt. Für die Zeit davor müssen Sie zahlen.", sagte der Beamte mit einem süffisanten Grinsen.

"Ich werde Ihnen sagen, wo das Problem liegt: Wenn ich das zahlen muss, kann ich die Armenspeisung sofort beenden und nicht nur die Armen, sondern auch meine Familie wird im Laufe des Winters verhungern!"

"Dann hätten Sie eben besser wirtschaften müssen."

"Kapieren Sie überhaupt nichts? Wir ernähren haufenweise Menschen, die sonst in den letzten Monaten verhungert wären. Das wäre eigentlich Ihre Aufgabe als Diener des Volkes. Wieviele Arme ernähren Sie denn?"

Der Beamte blieb still.

"Sehen Sie! Jetzt widerrufen Sie diesen Bescheid, sonst schicke ich Ihnen die Hungernden Ihrer kleinen Stadt aufs Rathaus!"

Der Beamte nickte und machte eine Handbewegung, die Jens aufforderte, den Raum zu verlassen. Jens nahm seine Gemeinnützigkeitsbescheinigung wieder an sich und ließ die Rechnung liegen. Erhobenen Hauptes verließ er das Büro und nur ein Spurt bis vor seine Haustür brachte seine Wut wieder zum Abflauen.

Nur kurze Zeit später erzählte sich die ganze Bevölkerung die Geschichte von Jens stürmischem Auftritt im Rathaus. Der Beamte war anscheinend eifriges Mitglied der hiesigen Kirchengemeinde und der Pfarrer hatte ihm wohl ins Gewissen geredet. Ein Aufhebungsbescheid kam zwar nicht, aber auch keine weitere Zahlungsaufforderung.

Eine Folge dieses Abenteuers war, dass sich die Anzahl der täglichen Gäste nochmal deutlich erhöhte. Andererseits kamen aber auch Geld- und Nahrungsmittel-Spenden von Menschen, die noch nicht am Hungertuch nagten.

Unter den Gästen rekrutierte Johanna einige Frauen, die mit ihr zusammen die Wollverarbeitung aufbauten, denn Johanna hatte dem Schäfer im Sommer einen guten Teil seiner Rohwolle abgekauft. Daher war Johanna auch froh, dass Sonja in Andreas' bisheriges Zimmer ziehen konnte und somit das Wollzimmer frei wurde. Ein Teil der Frauen saß dort jetzt täglich, um Wolle zu kämmen, spinnen und zu stricken. Andere Frauen, wie beispielsweise Frau Wiedemann, nahmen die strickbereite Wolle mit nach Hause und arbeiteten dort. Die fertigen Kleidungsstücke wollten sie auf dem Wochenmarkt anbieten, zusammen mit Käse und Brot.

An einem kühlen Novembertag gab es bei der Mittagmahlzeit nur ein Thema: Eine Plündererbande hatte einen Hof nahe Freiburg verwüstet, den Bauern fast totgestochen und die Bäuerin brutal vergewaltigt. Anschließend hatten sie den Hof angezündet und die Bauern waren nur mit größter Mühe den Flammen entkommen.

Plötzlich hatten alle Angst. Es gab viele Mutmaßungen, woher die Plünderer gekommen waren, aber die Nähe zu Freiburg ließ Jens immer wieder an sein Erlebnis mit den städtischen Wegelagerern denken.

Die Geschichte sprach sich herum wie ein Lauffeuer, und schon am Tag danach war Stacheldraht überall ausverkauft. Jeder hatte es eilig, Haus und Hof zu sichern. Auch Jens und Achim überlegten, was zur Sicherung ihres Hofes notwendig wäre.

Weil sie keine ausreichende Menge Stacheldraht bekommen konnten, zerbrachen sie massenhaft Glasflaschen und betonierten die Scherben oben auf den Rand der Mauer, die das ganze Grundstück glücklicherweise umgab. Vor dem soliden Hoftor installierten sie eine Kamera mit Bewegungsmelder, um unerwünschte Ankömmlinge rechtzeitig kommen zu sehen.

Die Absicherung der Biogasanlage war leider erheblich schwieriger, denn dort gab es keine Mauer. Da aber alle Bauern am Erhalt ihrer Anlage Interesse hatten, stiftete jeder soviel Zaunmaterial, wie er entbehren konnte. Ein Teil des Zaunes wurde auch mit Stangenholz aus dem Wald gebaut und das Ganze mit stromführendem Draht und Überwachungskameras zusätzlich abgesichert.

Achim sprach Jens auf Waffen an. Jens wand sich etwas und wollte am liebsten gar nicht näher auf das Thema eingehen.

"Was ist? Bist du etwa ein Waffenhasser?"

"Nicht unbedingt. Beim Bund hätten sie mich sogar am liebsten als Scharfschützen ausgebildet, aber ich wollte lieber zur Hackerbekämpfung. Aber im echten Leben möchte ich ungern jemanden erschießen. Außerdem habe ich keinen Waffenschein und ich kann mir gar nichts Illegales leisten, so wie die mich auf dem Kiecker haben. Demnächst wollen die noch eine Gebühr, wenn ich mir den Hintern abwische."

"Das mit der Illegalität sehe ich ein. Ich habe jedoch mal einen Kurs im Armbrustbauen mitgemacht. Das müsste ich eigentlich wieder hinkriegen. Du willst doch deine Frauen nicht den Plünderern ausliefern, nur weil du zu fein bist, dich zu bewaffnen!"

"Ok, lass uns Armbrüste bauen und dann sehe ich, wie ich damit klarkomme. Vielleicht sollten wir die Frauen im Kampf mit der Bratpfanne ausbilden, damit sie sich auch selbst wehren können."

"Gute Idee, das sollten wir gleich morgen in Angriff nehmen."

Waffen entstanden und die ganze Familie trainierte täglich ihre Selbstverteidigungs-Fähigkeiten. Jens konnte mit der Armbrust bald genauso gut schiessen wie Achim, was er auch nicht anders erwartet hatte. Sogar Heide übte eifrig, mit der Pfanne oder anderen Haushaltsgeräten auf Achim einzudreschen und Sonja erlangte einige Geschicklichkeit mit der Steinschleuder.

"Kinder, Kinder, wenn es nicht so ernst wäre, fände ich das Kampftrainig total lustig", sagte Heide einmal, als sie sich schweißüberströmt ihre Haare aus dem Gesicht strich. "Dass ich nochmal soviel Spaß und Abenteuer haben würde, hätte ich mir nicht träumen lassen."

Achim hatte soviel Freude am Training, dass er ab und zu auch mit den Bauern im Dorf übte. Diese waren teilweise jedoch schon von selber sehr kampfbereit und sei es mit der Mistgabel, sodass Achim hauptsächlich die Feinheiten schulte.

Aus der Nähe von Freiburg wurde von einem weiteren Überfall berichtet, doch bis in ihre ländliche Gegend drangen noch keine Banden vor. Manche witzelten schon, dass es den Junggangstern wohl zu mühsam war, die weite Strecke zu Fuss zu bewältigen. Jens dachte daran, wie oft er schon mit Muskelkraft nach Freiburg gekommen war, aber vielleicht war den Plünderern selbst das zu mühsam. Er hoffte es sehr, denn trotz der Vorbereitungen wollte er die Gewalttäter möglichst weit weg wissen.

"Ich komme vom Gesundheitsamt.", sagte der nächste Beamte, der den Hof stattdessen heimsuchte. "Sie betreiben hier eine soziale Einrichtung, deren Räumlichkeiten ich überprüfen muss."

"Momentan ist das alles noch sehr provisorisch, aber wir wollen im Frühjahr einen extra Gebäudeabschnitt dafür ausbauen."

"Wo sind die Toiletten?"

"Toiletten? Wenn die Gäste mal müssen, dann gehen sie hier auf die Toilette, schauen Sie."

"Ist das die Damen- oder die Herrentoilette?"

"Äh, die Damentoilette. Herren können im Obergeschoss gehen."

"Mitten im Privatbereich? Das geht aber nicht! Jetzt will ich Speiseraum und Küche sehen."

An allem hatte der Beamte etwas zu auszusetzen, und er ließ sich auch nicht davon beschwichtigen, dass sie planten, demnächst zu bauen. Als Jens ihm die Pläne für den Bau zeigte, die er glücklicherweise schon gezeichnet hatte, glaubte der Beamte wenigstens,
dass es ihnen mit dem Umbau ernst war.

"Also gut, in vier Wochen komme ich wieder vorbei und wenn dann alles so ist, wie auf ihren Plänen eingezeichnet, werden wir von einer Konventionalstrafe absehen. Aber wenn nicht, können Sie sich auf ernsthaften Ärger gefasst machen.", mit einem bösen Grinsen zog der Staatsdiener ab.

Wieder wurde Herr Trautmann um Rat gefragt, doch dieses Mal konnte er ihnen nur "baut" empfehlen.

"Dann müssen wohl mal wieder unsere Schwarzarbeiter, ähem, Ehrenamtlichen ran, denn alleine schaffen wir es kaum in der kurzen Zeit", meinte Jens.

"Wenn ich nur an die Trocknungszeiten jetzt im November denke, wird mir schon ganz anders."

"Zuerst sollten wir die Heizrohre legen, dann ist es nicht ganz so kalt."

"Und in den Trocknungpshasen hacken wir das Holz oder gehen in den Wald, denn das steht ohnehin an."

"Ausserdem haben wir im Frühling sowieso zuviel Anderes zu tun."

Tatsächlich schafften sie es mit vereinten Kräften, der Armenspeisung rechtzeitig ein neues Zuhause zu verschaffen, mit dem der Mann vom Gesundheitsamt leidlich zufrieden war und ihnen nur eine erträgliche Strafgebühr für diverse Kleinigkeiten aufbrummte.

Jenseits des Ölgipfels

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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