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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 45


  
Allmählich spielte sich das turbulente Leben ein. Die Biogasanlagen begannen, im erhofften Umfang Öl zu produzieren und die Ernte war im vollen Gange. Die Bauern der Nachbardörfer wollten auch unbedingt Biomasse liefern, um Öl zu erhalten, doch die Kapazitäten beider Anlagen waren inzwischen schon ausgefüllt. Jens hätte fünf Anlagen betreiben können, so groß war die Nachfrage. Er überlegte, ob er im nächsten Frühjahr die Ersatzteile zu einer zusätzlichen Biogasanlage aufbauen sollte.

Die Bauern in einem der Nachbardörfer legten ihr Geld zusammen, um sich auch eine Biogasanlage kaufen zu können. Herr Trautmann in der Ferne trieb tatsächlich noch eine auf, sodass auch das Nachbardorf hoffen konnte. Bis dahin verkaufte Jens die Ölüberschüsse preisgünstig vorzugsweise an die Bauern, denn Jens war der Überzeugung, dass die Landwirtschaft Treibstoff jetzt besonders nötig hatte. Der beste Kunde wurde jedoch der Tankstellenpächter, der alles Öl kaufte, das nach dem Bedarf der Bauern noch übrig war.

Die Ernte konnte jetzt zwar eingebracht werden, doch alle Bauern klagten, dass sie geradezu winzig ausgefallen war. Die Felder, die bearbeitet worden waren, erbrachten nur ein Viertel der gewohnten Mengen, aber der größte Teil der Felder hatte sowieso mangels Treibstoff brach gelegen.

In Nord- und Ostdeutschland sollte die Lage noch erheblich schlimmer sein, berichteten Bauern, die dort Freunde hatten. Vor allem die vielen Großbauernpleiten hatten die Landwirtschaft wie befürchtet lahmgelegt. Die vorhandenen spärlichen Ernten verrotteten jetzt teilweise auf den Feldern, weil niemand in der Lage war, die Ernte einzufahren.

Kurzerhand wurden zwar Arbeitslose auf die Felder geschickt, um wenigstens einen Teil zu retten, aber die abgstellten Helfer wirkten wie eine Handvoll Ameisen auf einem Fussballfeld. Auf eine Angabe über die dortigen Erntemengen ließ sich niemand ein, vermutlich weil die Menge so klein war, dass allen Verantwortlichen Angst und Bange war.

Jens Ernte war zwar auch nur etwa ein Viertel so groß wie erhofft, und sie würden erhebliche Mengen zukaufen müssen, aber angesichts der Zustände woanders war er fast noch zufrieden. Herr Hirzler war der Überzeugung, dass das Problem auf Jens Feld vorwiegend am Wassermangel lag, denn der fehlende Kunstdünger spielte dank der jahrelangen Brache der Felder nur eine untergeordnete Rolle. Im nächsten Jahr würden sie jedoch fleissig mit dem Düngerschlamm aus der Biogasanlage düngen müssen, um auch nur die gleichen Mengen ernten zu können, wie dieses Jahr.

Glücklicherweise rissen sich die meisten Bauern darum, Teile ihrer Ernte gegen Öl einzutauschen, sodass Jens und Johanna bald ausreichend Vorräte für ihre vielen hungrigen Mäuler zusammenhatten.

An einem sonnigen Septembertag brachte Johanna Sonja das erste Mal in die Schule der Kleinstadt. Später sollte Sonja alleine mit ihrem Fahrrad dorthin fahren, denn Johanna hatte nicht die Zeit, jeden Tag zweimal in die Stadt zu radeln. Sonja gefiel es in der Schule gut, vor allem weil sie schon vier ihrer Klassenkameraden von der Armenspeisung kannte, fand den Stoff aber schwieriger als im Norden. Johanna erinnerte sich, dass Baden-Württemberg in dem Ruf stand, besonders anspruchsvoll zu unterrichten, aber da Sonja nicht auf den Kopf gefallen war, machte sie sich deshalb keine Sorgen.

Die Erwachsenen saßen gerade bei einem zweiten Frühstück in der Küche, als es kräftig an der Haustür klopfte. Ein Unbekannter mit Aktentasche stand vor der Tür und starrte Jens unfreundlich an.

"Mein Name ist Storzig, ich komme vom Bauamt. Uns ist zu Ohren gekommen, dass Sie eine illegale Biogasanlage betreiben."

"Was heisst hier illegal? Ich habe einen Bauantrag gestellt und die Gebühr pünktlich überwiesen."

"Sie haben aber noch keine Genehmigung erhalten. Die Anlage muss umgehend wieder abgerissen werden."

"Jetzt hören Sie aber mal zu: ohne das Öl aus dieser Anlage wäre die Ernte auf den Feldern verfault und die Menschen hier in der Gegend würden im Winter ernsthaft hungern müssen. Wenn wir auf Ihre Genehmigung gewartet hätten, wäre das eine Katastrophe für die ganze Region geworden."

"Trotzdem: Vorschrift ist Vorschrift! Und Vorschriften sind dazu da, beachtet zu werden."

"Würden Sie sich nicht auch freuen, preiswertes Öl kaufen zu können? Da ließe sich bestimmt etwas einrichten."

"So, so, ich könnte also preiswertes Öl kaufen. Nun ja, Sie haben den Bauantrag schließlich frühzeitig gestellt, ich werde mal sehen, was sich da machen lässt. Eine Probe Ihres Öles müsste ich jedoch entnehmen, um zu überprüfen, was Sie da überhaupt produzieren."

"Gerne, das lässt sich machen. Wenn Sie wollen, können wir gleich mit einem Kanister zur Anlage gehen."

Mit einem gut gefüllten Ölkanister trollte sich Herr Storzig schließlich wieder in Richtung Stadt. Jens atmete auf. Was wäre geschehen, wenn sie die Anlage wirklich hätten abreissen müssen? Das wäre wohl ihr Ruin gewesen, aber es war ja noch mal gut gegangen.

Als Jens zurück in die Küche kam, sah er den Schrecken in Johannas Gesicht geschrieben. Anscheinend hatten alle mitbekommen, was abgelaufen war. Heide schien den Vorgang jedoch mit Fassung zu tragen.

"Ja ja, das Bauamt. Die versuchen immer, einen zu ärgern, wo es nur geht. Davon kann ich auch noch ein Liedchen singen."

"Da haben wir ja nochmal Glück gehabt! Mit Öl kann man heutzutage eine Menge erreichen.", grinste Jens.

Nach der Ernte wurde es höchste Zeit für die Aussaat des Wintergetreides. Wie das kleine Feld wurden auch die neuen großen Felder in Vierergruppen-Parzellen unterteilt, um der Vierfelderwirtschaft treu zu bleiben.

Zusammen mit Achim, Herrn Hirzler und Herrn Wiedemann unternahm Jens eines Abends die genaue Anbauplanung. Allen Feldern sinnvolle Feldfrüchte zuzuordnen, war gar nicht so einfach, denn sie wollten möglichst viel Nahrung erwirtschaften, gleichzeitig aber auch die Tiere durchbringen und viel Biomasse für die Ölerzeugung produzieren. Glücklicherweise gab es etliche Pflanzen, die für Menschen und Tiere essbar waren und gleichzeitig Biomasse abwarfen, wie beispielsweise Raps, Rüben, Mais, Kartoffeln und Mangold. Auf den Brachflächen konnten im Sommer die Tiere weiden oder man verarbeitete die gemähte Biomasse und gab den Düngeschlamm zurück aufs Feld.

Die neuen Parzellen waren natürlich erheblich größer als die alten, und so machte es auch viel mehr Arbeit, das Getreide anzusäen. Für leichte Tätigkeiten, wie die Aussaat, wollte niemand das kostbare Öl verwenden, aber Jens musste erkennen, dass der menschlichen Arbeitskraft deutliche Grenzen gesetzt waren, je größer die Anbaufläche wurde. Ohne die zahlreichen Helfer wäre er aufgeschmissen gewesen und dabei waren die dreissig Hektar noch sehr überschaubar. An das viele Hacken im nächsten Jahr dachte Jens mit Grausen, denn das würde sogar seine Freiwilligen-Armee nicht bewältigen.

Für den gewohnten Vielgebrauch von Landwirtschafts-Maschinen reichte das Biomasse-Öl jedoch bei weitem nicht aus und würde wohl auch nie ausreichen. Die Landwirtschaft würde sich also vollständig umstellen müssen und Jens sah noch keinen Ausweg, wie das gehen könnte, vor allem bei wirklich großen Flächen.

Andreas erhielt einen Brief vom Bürgeramt, der ihn aufforderte, sich wegen seines Antrags in Freiburg auf dem Bürgeramt zu melden. Also unterbrach Andreas seine Arbeiten an einem weiteren Lastrad und machte sich auf den Weg.

Am späten Abend, als sich alle schon Sorgen machten, rief Andreas an und teilte Jens mit, dass er in Freiburg bleiben würde.

"Ja, aber warum willst du denn in Freiburg bleiben? Du hast dich doch in letzter Zeit ganz gut eingelebt."

"Schon, es ist etwas lustiger geworden, aber insgesamt doch sehr öde. Ich bin einfach nicht fürs Landleben geschaffen."

"Aber wie willst du denn in Freiburg durchkommen?"

"Ich hab zufällig eine scharfe Blondine kennengelernt, die nicht nur ein warmes Bettchen für mich hat, sondern auch einen Aushilfsjob in der Kneipe, wo sie Barfrau ist."

"Na gut, mit einer scharfen Blondine kann ich natürlich nicht dienen."

"Das dachte ich mir doch. Sag mal, kannst du mir vielleicht meine Tasche schicken?"

"Mit der Post? Das dauert heutzutage bestimmt Monate. Vielleicht komme ich einfach selbst nach Freiburg und bringe sie dir, denn wahrscheinlich muss ich sowieso aufs Amt, um dich offiziell abzumelden."

"Ok, tu das.", Andreas gab Jens noch die Adresse der Kneipe, dann verabschiedeten sie sich.

"Tja, Andreas ist weg.", verkündete Jens seiner staunenden Familie.

"Dabei hatte ich gerade angefangen, mich an ihn zu gewöhnen.", seufzte Johanna.

"Wahrscheinlich ist es das Beste so, wenn er denn in der Stadt was Gutes gefunden hat.", fand Heide.

Gleich am nächsten Tag fuhr Jens nach Freiburg, denn er wollte es hinter sich bringen. Das Laub der Bäume schillerte inzwischen in vielerlei Goldtönen, aber es war noch angenehm warm.
Wie wohl der Winter werden würde?

Irgendwo in einem Vorort war Jens anscheinend falsch abgebogen, denn er fuhr durch einen Stadtteil Freiburgs, den er noch nie gesehen hatte. Direkt vor ihm lag eine Hochhaussiedlung. Ob er dort nach dem Weg fragen konnte?

"Halt! Stehenbleiben und Geld her!", herrschte ihn ein junger Mann mit Baseballkappe an, sprang Jens vor das Rad und ließ ein Messer aufspringen. Drei Kollegen sprangen herbei und hielten das Fahrrad fest, sodass Jens nicht davonfahren konnte.

"Wieso Geld her? Ich will hier nur kurz durchfahren."

"Genau! Gut erkannt Mann! Das kostet aber Maut, das Durchfahren.", der Bursche packte Jens an der Jacke und zerrte an ihm.

"Wieviel wollt ihr denn?", Jens dachte sich, dass er lieber zahlte, als sich massakrieren zu lassen.

"Her mit dem Geldbeutel!"

Jens war froh, dass er nur wenig Geld auf die Fahrt mitgenommen hatte und händigte sein Portemonnaie aus. Die Wegelagerer zogen die Scheine heraus und ließen ihm das Münzgeld.

"Also denn, gute Fahrt allerseits. Firma dankt."

So schnell er konnte, fuhr Jens davon und hoffte, dass er nicht auf weitere Mautstationen dieser Art stoßen würde. Diesen Stadtteil würde er in Zukunft besser meiden. Im Augenwinkel sah er verlumpte Kinder auf einem maroden Spielplatz toben, doch er widmete ihnen kaum Aufmerksamkeit, denn er wollte nur fort von hier.

Endlich sah Jens ein Schild mit der Aufschrift "Stadtmitte" und war froh, wieder auf dem richtigen Weg zu sein. Die Kneipe war leicht zu finden, verdiente aber aus Jens' Sicht eher die Bezeichnung "Spelunke".

Die rassige Blondine allerdings hielt das Versprechen, das Andreas' Tonfall bei ihrer Erwähnung gegeben hatte. Jetzt wunderte sich Jens nicht mehr darüber, dass Andreas das Stadtleben vorzog.

Jens bestellte sich ein Bier, das er nach dem Schrecken bitter nötig hatte und bezahlte mit seinem Münzgeld. Andreas servierte ihm das Bier und setzte sich dann zu ihm.

Als Jens Andreas von dem Überfall erzählte und sich über die Zustände in dem durchfahrenen Stadtteil wunderte, rief Andreas seine neue Freundin herbei.

"Lucy, du weisst doch bestimmt, was dort los ist, wo Jens überfallen wurde."

"Du meinst bestimmt Weingarten. Tja, dort herrschen inzwischen die Gangs wie in Amerika oder den Entwicklungsländern. Dort geht kein vernünftiger Mensch mehr hin und die Anwohner der Nachbarstadtteile zittern jede Nacht vor Überfällen."

"Und wovon leben die dort alle?"

"Wovon wohl? Von Grundsicherung, und das bedeutet inzwischen, dass du dir zweimal in der Woche ein paar Riegel abholen darfst, die grad mal einen Tag sattmachen. Darum sind die Jüngeren ja auch auf andere Einnahmequellen umgestiegen. Die Älteren hungern wohl einfach traurig vor sich hin."

Jens war froh, dass er einigen der Armen in seiner Gegend wenigstens eine gewisse Grundlage bieten konnte und fuhr nach Erledigung der Ämterpflichten nachdenklich nach Hause.

Jenseits des Ölgipfels

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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