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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 44


  
Das Leben auf dem Hof veränderte sich von einem Tag auf den anderen völlig. Ab mittags wuselte es überall, dass es eine Freude war, aber auch ein wenig unheimlich.

Zum großen Transport der Biogasanlage war Jens mit seinem normalen Fahrrad gefahren, denn er wollte die Verladung der Teile überwachen. Anschließend warf er sein Fahrrad auf die Ladefläche und fuhr im kostspielig angeheuerten LKW mit. Die Kosten für die Biogasanlagen hatten sein Vermögen deutlich schrumpfen lassen, wobei der gesamte Transport teurer als die eigentlichen Anlagen gewesen war. Mit etwas Glück konnten sie mit dem Biogas-Öl aber echte Gewinne machen, was man von ihren landwirtschaftlichen Bemühungen kaum erwarten konnte.

Auf dem Feld wartete schon eine ganze Mannschaft von technisch begabten Helfern, die die LKWs in Windeseile ausluden. Anschließend begann der mühsame Aufbau, der mit den vielen Freiwilligen aber nun wohl schneller vonstatten gehen würde, als es vorher möglich gewesen wäre.

Nach einer Woche intensiver Montage konnte die erste Biogasanlage in Betrieb genommen werden. Die Pflanzenreste, die schon eine Weile am Rand des Feldes auf ihren Einsatz warteten, wanderten in den Häcksler und fielen in den großen Fermenter-Behälter, der wie ein Silo aussah.

Herr Wiedemann hatte ihnen Mist von seinen Kühen zugesagt und so fuhren Jens und ein Helfer mit dem Lastrad zum Stall der Wiedemanns. Der Mist wurde in eine abwaschbare Wanne geschaufelt, die gerade eben in das Lastrad passte.

"Das ist durchaus eine angenehme Vorstellung: ich geb euch den Mist und ihr gebt mir dafür Treibstoff. Nicht schlecht."

"Finde ich auch. Hoffentlich klappt alles wie gewünscht."

"Ich drücke die Daumen. Übrigens habe ich gehört, dass jetzt der alte Hirzler bei euch arbeitet."

"Ja stimmt, er beaufsichtigt unseren Freiwilligen-Trupp."

"Da habt ihr eine gute Wahl getroffen. Der Hirzler war schon erfahren, als ich noch ein junger Spund war. Erstaunlich, dass der überhaupt noch auf den Beinen ist."

"Er ist noch ganz munter und die Herausforderung scheint ihm gut zu tun."

"Über mangelnde Herausforderungen brauche ich auch nicht zu klagen. Wäre wirklich schön, wenn das mit dem Sprit klappt, denn gerade in der Erntezeit könnte ich meinen Traktor gut gebrauchen, um das wenige zu retten, das heuer gewachsen ist."

"Sie sind außer uns der Erste, der Biogas-Öl bekommt.", versprach Jens und verabschiedete sich.

Nachdem der Mist auch in Biogasanlage gefüllt war, betrachtete sich Jens das Wunderwerk der Technik noch einmal ausführlich, um dem feierlichen Augenblick gerecht zu werden. Das durch Gärung entstehende Gas wurde aus dem Fermenter durch ein Rohr in den Gastank geleitet, der wie ein dicker Turm in die Landschaft ragte. Unterwegs wurde das Gas gereinigt, denn unbehandelt stank es wie faule Eier.

Das Gas im Tank, das vorwiegend aus Methan bestand, konnte man wie Erdgas benutzen. Die Heizung für den Fermenter nutzte diese Eigenschaft. Man konnte auch einen Strom-Generator mit dem Gas betreiben, wenn man wollte. Diese Möglichkeit wollte Jens nutzen, wenn der Strombedarf mal höher als ihre sonstige Stromproduktion war, was angesichts der Solarzellen zusätzlich zum Wasserrad jedoch eher selten vorkommen würde.

Der Clou dieser speziellen Biogas-Anlagen war jedoch die Maschine, die das Gas in Öl verwandelte, das man in Dieselmotoren verwenden konnte. Diese Möglichkeit sollte Jens und die Bauern der näheren Umgebung von der Treibstoffknappheit für ihre Landmaschinen befreien. Vor zehn Jahren waren solche Maschinen noch hausgroß gewesen, doch die moderneren Geräte waren nur noch so groß wie drei Kühlschränke.

In den nächsten Tagen war Jens mehr als froh über die vielen Nachmittagshelfer, denn die zweite Biogas-Anlage musste noch fertig installiert und die erste vollständig gefüllt werden.

Mit dem ersten produzierten Öl machten alle gemeinsam eine Trecker-Rundfahrt durch das Dorf und luden die Bewohner zu einem Fest ein. Die Frauen hatten gemeinsam für ein üppiges Buffet gesorgt und die Bierbänke auf den Hof gestellt, den sie festlich dekorierten.

Die Dorfbewohner kamen in großer Anzahl, denn alle waren neugierig auf die Entwicklungen auf Jens' Hof. Die meisten hatten auch von der Armenspeisung gehört und betrachteten die jungen Neu-Bauern daher mit Anerkennung. Viele der Helfer waren mit den Dorfbewohnern bekannt, sodass sie sich bald in gutgelaunten Gruppen mischten.

Die Bauern waren jedoch am meisten daran interessiert, ob sie auch, wie die Wiedemanns, Mist und Pflanzenabfälle liefern und Treibstoff beziehen konnten. Vor Jahren hatte es eine ähnliche Möglichkeit schon mal gegeben, aber ohne Umwandlung des Gases in Öl, doch der Großbauer, der die Anlage betrieben hatte, war schon vor längerer Zeit pleite gegangen. Die Bauern hatten die Gelegenheit sehr vermisst, ihre Abfälle zu Geld machen zu können und waren jetzt umso froher, in Zukunft sogar Öl für ihren Mist zu bekommen. Das Kostbarste, das die Welt zu bieten hatte.

Wieder sah sich Jens mit einer umfangreichen Liste konfrontiert, die es zu organisieren galt. Unversehens war er zu einem Manager geworden, was er nie vorgehabt hatte. Aber es diente schließlich einem guten Zweck und die Biogasanlagen waren so groß, dass sie sich für ihren kleinen Hof nie gelohnt hätten. Daher war es naheliegend, dass er sich mit den anderen Bauern zusammentat, um miteinander Öl zu produzieren.

Gemeinsam überlegten Jens und die Bauern, wie man den ersten Biomasse-Transport am besten handhaben könnte, denn noch gab es nicht genug Öl, um alles mit dem Traktor bewältigen zu können. Einer der wenigen jüngeren Bauern meldete sich zu Wort. "Jünger" bedeutete im Kreis der anwesenden Bauern, dass er unter sechzig war.

"Sie haben doch so ein Lastfahrrad, mit dem sie immer zu Ihrem Feld fahren. So eines hätte ich gerne, damit könnte ich auch ohne Sprit Biomasse transportieren."

"Unser Lastrad setzen wir für diesen Zweck bestimmt ein. So haben wir auch unsere eigenen Pflanzenreste transportiert."

"Ich meinte aber, dass ich gerne so eines von Ihnen kaufen würde, denn auch wenn wir bald wieder Sprit haben, sollte man bei leichteren Aufgaben doch sparsam mit dem kostbaren Tröpfchen umgehen."

"Oh, Sie wollen ein Lastrad bestellen? Ja, das können wir gerne machen. Mal sehen, wann wir dazu kommen, vor lauter Biomasse."

Dem Müller hatten sie inzwischen schon zwei Lasträder gebaut und Andreas hatte sie in zwei Fuhren zusammen mit Johanna abgeliefert. Auf dem Rückweg hatten beide auf dem hofeigenen Lastrad weitere Vorräte heimgeschafft. Seitdem hatte sich auch das Verhältnis zwischen Andreas und Johanna deutlich entspannt. Jens hoffte, dass Andreas sich dem neuen Auftrag annehmen würde, denn bei der Arbeit mit Biomasse stellte sich Andreas genauso unbeholfen an, wie mit lebenden Pflanzen, was ihn für andere Aufgaben freigab.

Zu allem Überfluss kamen am nächsten Tag die langerhofften Akkus und eine ganze Ladung nachträglich bestellter Photovoltaik-Zellen, die inzwischen wieder offiziell lieferbar waren. Von Jens' Kapital war dadurch nur noch ein kümmerlicher Rest übrig, den er für ernsthafte Notfälle aufheben wollte. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, soviel Geld auszugeben, doch der Transport der Biogas-Anlagen hatte seine Kalkulation durcheinandergebracht und auf Solarzellen und Akkus wollte Jens nicht verzichten.

Für ihren eigenen Hof brauchten sie sich um Strom keine Sorgen mehr zu machen und falls Bedarf bestand, würden sie sogar noch mehr andere Höfe mit Strom beliefern können. Jens schmunzelte in sich hinein bei dem Gedanken, dass sie dabei waren, sich zu einem kleinen Energiekonzern zu entwickeln.

Das viele ausgegebene Geld machte ihm dennoch Sorgen und er vertraute sich Achim an, denn Johanna wollte er damit lieber nicht zusätzlich belasten.

Achim schlug ihm aufmunternd auf die Schulter und sagte: "Ich finde das richtig, dass du das ganze Geld in sinnvolle Energieproduzenten investiert hast. Was nützt dir eine Zahl auf dem Konto? Jetzt können wir wirklich was bewegen und du wirst sehen: bald produzieren wir genug Öl, um außer den Abgaben an die Bauern noch was verkaufen zu können. Dann wird das Geld schon fließen."

"Hoffen wir, dass du Recht hast."

Eine arbeitsreiche Woche später kam Heide von einem Abendbesuch bei den Wiedemanns nach Hause und setzte sich zu der versammelten Mannschaft in die Küche.

"Haltet euch fest, Kinder", kündigte sie geheimnisvoll an.

"Du machst es aber spannend. Ok, ich halte mich fest", kicherte Johanna.

"Ihr werdets nicht glauben: Ich habe uns den Wiedemann-Hof gekauft."

"Du hast was?", riefen alle wie aus einem Munde.

"Hab ichs nicht gesagt? Ihr werdets nicht glauben! Ich dachte mir halt, wo wir grad so in Stimmung mit teuren Ausgaben sind, dass ich mir auf meine alten Tage auch noch was gönne."

"Nein!"

"Spass beiseite: ihr wusstet wahrscheinlich nicht, dass die Wiedemanns schon länger gegen die Pleite ankämpfen. Seit sie ihre Melkanlage EU-konform modernisieren mussten, ist der Hof wieder verschuldet und sie haben sich davon nie erholt. Jetzt standen sie kurz davor, den Hof zu verlieren und in eines dieser städtischen Altersheime abgeschoben zu werden. Dort sollen die Leute inzwischen sterben wie die Fliegen, weil die Nahrungsmittel-Versorgung so schlecht geworden ist."

Betretenes Schweigen machte sich breit.

"Eigentlich hätten wir es ahnen können, seit wir wussten, dass ihr Strom abgestellt wurde. Wir Idioten! Mit Blindheit geschlagen.", Jens hatte sich zuerst von dem Schrecken erholt und seine Sprache wiedergefunden.

"Nun denn, dass wollte ich ihnen natürlich ersparen. Aber eigentlich waren meine Motive auch sehr eigennützig, denn mit unseren lumpigen drei Hektar Feld kommen wir nicht weit, wenn wir täglich fünfzig Leute und mehr sättigen wollen. Die Felder der Wiedemanns sind dreißig Hektar gross, also zehnmal eure Fläche und dann kommen noch zwei Hektar Weinberg und ein Wald wie eurer hinzu. Das dürfte fürs Erste reichen."

"Du siehst mich fassungslos. Aber es klingt gut, sehr gut sogar. Was wird denn aus den Wiedemanns?"

"Die erhalten natürlich lebenslanges Wohnrecht. Und um ihre sechs Kühe wollen sie sich auch gerne noch kümmern, solange es geht. Aber die Milch können wir haben, denn die Molkerei hat ihnen gekündigt und sie werfen seit einer Weile einen Großteil ihrer Milch weg."

"Oh, Kühe!", Johanna klang begeistert. "Endlich haben wir genug Land für Kühe. Mit der vielen Milch können wir ja auch Käse machen und den Überschuss verkaufen. Nur für das bisschen Käse von den Ziegen hätte sich ein Verkauf auch kaum gelohnt."

"Ihr seid schon eine wahrhaft verrückte Truppe.", mischte Achim sich ein. "Da kommt ihr kaum mit dem eigenen Garten klar und schwingt euch auf zum Großbauern."

"Mich erschreckt unser plötzliches Wachstum auch etwas. Aber es ergibt sich irgendwie fast von selbst.", gestand Jens.

"Vielleicht ist es einfach nötig.", schlug Johanna vor.

"Ja, vielleicht. Wie gut, dass erfahrene Leute wie Herr Wiedemann, Herr Hirzler und natürlich auch Heide unsere Unerfahrenheit etwas ausgleichen und zahllose Helfer beim Ackern mitmachen. Sonst hätten wir wohl keine Chance!"

Jenseits des Ölgipfels

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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