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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 43


  
"Ich will auch hierbleiben.", verkündete Sonja am nächsten Morgen, als sie erfuhr, dass Heide bleiben wollte.

"Aber das wird unseren Eltern nicht recht sein.", wandte Johanna ein.

"Das ist mir egal. Hier gefällt es mir viel besser als in der blöden Stadt."

"Du müsstest hier aber auch in die Schule gehen und die meisten Kinder sprechen hier Dialekt."

"Die Kinder von gestern waren nett und zur Not gehe ich auch hier in die Schule, dann lerne ich noch mehr Kinder kennen."

"Ich werd mal zu Hause anrufen, aber mach dir nicht zuviele Hoffnungen."

"Und jetzt basteln wir wieder mit dem Drip-Dingens?"

"Ja, gerne, wir müssen ja auch allmählich fertig werden."

Von Jens fast unbemerkt hatten Johanna und Sonja im Gemüsegarten eine MicroDrip-Anlage installiert, die auf den Boden neben jeder Pflanze Wasser tröpfelte. Dadurch wurde das Gießen sehr bequem, denn es beschränkte sich auf das Anschalten. Ausserdem konnte man Wasser sparen und verhindern, dass das Unkraut zuviel Feuchtigkeit bekam. Die Installation machte aber viel Arbeit und keiner war dabei so schnell wie Sonja, die sich nicht so tief bücken musste wie die Erwachsenen und reichlich Erfahrung mit dem Zusammenstecken von Legobausteinen hatte, die ihr jetzt zugute kam.

Für das Feld wäre so eine Tröpfelanlage auch eine feine Sache, dachte sich Jens, als er die Fortschritte bewunderte, aber daran war zeitlich gar nicht zu denken, obwohl es viel Zeit sparen würde, wenn sie so etwas hätten. Die Männer waren einen Großteil der Tage mit den Vorbereitungen für die Biogasanlagen beschäftigt und Jens war zum ersten Mal froh über Andreas' Anwesenheit, auch wenn er die Arbeiter morgens nach wie vor alleine ließ.

Neben den Bauarbeiten war auch die Organisation des Transportes der Biogasanlagen sehr aufwendig. Herr Trautmann hatte zwar die Reise per Schiff bis zum Rheinufer angeleiert, aber für die kleine Strecke von dort bis zum Feld musste ein Transportunternehmen aufgetrieben werden. Viele Firmen hätten gerne so einen großen Auftrag ausgeführt, aber allen fehlte der Treibstoff. Die meisten Spediteure, die Jens anrief, waren gar nicht erreichbar und mehrere andere berichteten davon, dass sie gerade ihre Firmen abwickeln würden.

Schließlich fand Jens einen Transportunternehmer, der es wenigstens versuchen wollte. Das Versprechen, dass er später vom Biogas-Öl etwas abhaben konnte, beflügelte seine Bemühungen.

Johanna bereitete nebenher die kommende Armenspeisung vor. In der Garage baute sie mehrere Bierbank-Garnituren auf, damit die Gäste Platz nehmen konnten. Dann brütete sie Abende lang über Rezepten und den dafür benötigten Zutaten.

"Unsere Felder sind zu klein.", sagte sie, als Jens ihr einmal über die Schulter schaute.

"Ja, das sind sie. Für uns Hofbewohner würde es reichen, aber bei der Armenspeisung hört die Selbstversorgung auf."

"Solange wir noch Geld haben und man Nahrungsmittel kaufen kann, geht es ja. Aber für danach sehe ich schwarz und ein Danach gibt es bestimmt."

"Wenn die deutschlandweite Ernte schlecht wird, was man wohl befürchten muss, dann gibt es bestimmt ein fürchterliches Danach. Aber jetzt sollten wir uns um die aktuellen Probleme kümmern, denn wenn wir die nicht in den Griff bekommen, dann wird uns unsere eigene Zukunft gar nicht gefallen."

"Du hast recht. Wir haben schon mit unserer eigenen Ernte genug zu tun. Vielleicht finde ich auch noch Bauern, die uns Zwiebeln und Gemüse verkaufen."

"Das wäre gut. Ich persönlich wäre vor allem froh, wenn wir die Biogasanlage endlich mal da hätten und in Betrieb nehmen könnten. Wenn wir dann Treibstoff liefern können, haben wir viele Trümpfe in der Hand. Gegen Sprit bekommt man bestimmt auch viele Zwiebeln."

"Genau! Drücken wir alle Daumen, dass es gut klappt. Ich wollte sowieso mal meine Eltern anrufen, dann frag ich auch, wie es mit dem Transport aussieht."

Johanna verschwand im Schlafzimmer, denn Telefonate führte sie gerne ungestört. Als sie wieder zurück in die Küche kam, war sie ganz verwirrt.

"Stell dir vor, meine Eltern haben erlaubt, dass Sonja hierbleibt. Ich fasse es nicht. Nicht mal richtig überreden musste ich sie."

"Wie kommt denn das? Klingt eigentlich überhaupt nicht nach deinen Eltern."

"Ich glaube, in der Stadt steht es inzwischen schlimmer als wir ahnen. Vor lauter Unkrautzupfen kriegt man ja auch kaum was mit. Mein Vater hat von gehäuften Einbrüchen in der Nachbarschaft berichtet, und dass sie jetzt alle Fenster im Erdgeschoss vergittert hätten."

"Klingt ja gar nicht gut."

"Find ich auch. Meine Mutter erwähnte zunehmende Gewalt in den Schulen. Das ist wohl ihr Hauptgrund, Sonja zu erlauben, hierzubleiben. Aber sie hat geweint, und wie! Mein Vater wird sie jetzt wohl wochenlang trösten müssen."

"Die Arme. Das ist bestimmt ein großes Opfer, seine kleine Tochter ziehen zu lassen, damit sie es besser hat."

Sonja freute sich hingegen unbändig über die Erlaubnis. Dass sie ihre Eltern vielleicht mal vermissen könnte, kam ihr gar nicht in den Sinn.

Am Sonntag ging Johanna mit einigen Flugblättern in die Kirche der nahen Kleinstadt, denn sie dachte sich, dass der hiesige Pfarrer bestimmt am besten wüsste, wer bedürftig war. Jens hatte sie noch gar nicht zurückerwartet, als sie hechelnd auf den Hof fuhr und in die Küche stürzte.

"Was ist denn mit dir los?", fragte Jens besorgt.

"Ich muss kochen. Ganz schnell.", keuchte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war.

"Dann mach am besten Spaghetti, das geht am schnellsten. Ich helfe dir, wenn du mir verrätst, was passiert ist."

"Bei meinen Überlegungen hatte ich völlig übersehen, dass die Leute ja auch am Sonntag hungrig sind und in schlechten Zeiten Trost in der Kirche suchen. Als ich die Armenspeisung bekannt gab, wurde sofort klar, dass manche schon heute eine Mahlzeit brauchen. Und dann bin ich eben losgeflitzt, um vor ihnen hier zu sein. Sie kommen gerade anmarschiert. Ein gutes Dutzend Leute."

"Ein dutzend Portionen kriegen wir lässig hin. Lass mich einfach machen, denn damit kenn ich mich aus. Du kannst ja schon mal letzte Vorbereitungen im Speisesaal treffen."

Johanna kicherte beim Wort "Speisesaal", gab Jens einen Kuss und eilte nach draussen, immer noch hechelnd. Als die Gäste eintrudelten, eine alte Dame wurde im Rollstuhl geschoben, war das Essen gerade fertig und Jens trug die Wanne mit den Spaghettis nach drüben.

Die Gäste stellten eine bunte Altersmischung dar und kamen anscheinend aus allen Bildungsschichten, wie man an der Sprechweise erkennen konnte. Allen gemeinsam waren die hohlen Wangen und die schlotternden Kleider. Sie waren voll des Lobes für die Idee mit der Armenspeisung.

"Kann ich Ihnen irgendwie helfen, denn ich will gar nicht ohne Gegenleistung verköstigt werden?", fragte einer Anwesenden.

"Eine helfende Hand können wir hier immer gebrauchen, denn wir schaffen es nur mit Mühe. Haben Sie Erfahrung in der Landwirtschaft?", antwortete Jens, der sich zu den Speisenden gesetzt hatte.

"Früher hatte ich einen Garten.", die Bitterkeit in der Stimme des Mannes war nicht zu überhören. Bestimmt verbarg sich hinter dem Verlust des Gartens eine tragische Geschichte, aber Jens beschloss, nicht weiter darauf einzugehen, sondern in die Zukunft zu blicken.

"Wunderbar, etwas Gartenerfahrung hilft schon enorm."

"Ich könnte auch helfen."

"Und ich auch."

"Hoppla, da komme ich ja kaum hinterher. Nach dem Essen können alle freiwilligen Helfer hierbleiben und dann stellen wir in Ruhe eine Liste zusammen."

Jens ging ins Wohnzimmer, um sich etwas zum Schreiben zu besorgen und überlegte, wie er die Freiwilligen optimal einsetzen konnte. Am besten fragte er sie erstmal, was sie konnten. Er erwartete, dass vielleicht vier bis fünf Helfer zusammenkommen würden, doch nach der Mahlzeit verließ niemand den Speisesaal. Alle sahen Jens erwartungsvoll an.

"Sie wollen alle freiwillig mithelfen?"

Ein deutliches "Ja" kam von allen Seiten, selbst die anwesenden Kinder nicken.

"Ok, dann notiere ich mir erstmal ihre Fähigkeiten und morgen sehen wir dann weiter. Die Kinder dürfen jetzt auf dem Hof beim Ballspielen helfen."

Einer nach dem anderen nannte Jens seinen Namen und vorhandene Talente. Am Schluss blieben nur noch ein alter Mann und seine Frau im Rollstuhl übrig.

"Ich kann mich zwar nicht mehr bücken, aber ich könnte überprüfen, ob die jungen Leute alles richtig machen, denn Erfahrung kann ich Ihnen anbieten. Als ich jung war, habe ich selbst noch mit Vierfelderwirtschaft gearbeitet, bevor alles so modern wurde."

"Das ist phantastisch! Ich selbst bin nämlich noch ein totaler Neuling in der Landwirtschaft und muss immer fragen, wenn ich etwas Neues vorhabe, oder ich lese es in Büchern. Aber das ist nicht dasselbe wie praktische Erfahrung."

Der alte Mann nickte wissend, doch seiner Frau lief eine Träne über die Wange.

"Leider bin ich zu gar nichts mehr nütze. Nur Deckchen kann ich noch häkeln, aber die kann keiner gebrauchen."

"Häkeldecken brauchen wir hier auch nicht - aber ich bräuchte dringend ein luftiges Hemd für die Sommerarbeit. Können Sie auch Hemden häkeln?"

"Oh ja, natürlich kann ich Hemden häkeln, das Prinzip bleibt ja das Gleiche. Gerne häkel ich Ihnen eines, dafür wird mein Garn auch noch reichen."

"Falls ihr Garn knapp wird, werden wir sehen, ob wir Ihnen Nachschub besorgen können. Denn vielleicht kann mein Partner auch ein Hemd gebrauchen."

Die Frau nickte, konnte aber nichts mehr sagen, denn plötzlich schossen ihr noch mehr Tränen aus den Augen. Mit Mühe und Not brachte sie ein "Danke" heraus, dann schob ihr Mann sie langsam aus dem Speisesaal. Draußen übernahm einer der jungen Männer die Aufgabe, den Rollstuhl zu schieben.

Am nächsten Tag kamen zwanzig Gäste und ebensoviele Kinder. Das Essen reichte mit Ach und Krach, obwohl Johanna mit Frau Sutters Hilfe einen riesigen Topf voll Linsensuppe gekocht hatte. Jens hatte mit der Freiwilligen-Organisation alle Hände voll zu tun.

Obwohl Jens sich noch nicht richtig im Klaren war, wie er die Helfer beschäftigen sollte, sammelten sich die meisten nach dem Essen auf dem Feld und sorgten mit allen verfügbaren Werkzeugen für Ordnung in den Pflanzenreihen. Herr Hirzler, der erfahrene Vierfelder-Landwirt rief Anweisungen über das Feld, die sofort befolgt wurden, als wäre der zittrige Greis ein Vier-Sterne-General. Seine Frau saß in der Nähe im Schatten und häkelte mit superdünnem Garn an einem Hemd für Jens.

Auf der Biogas-Baustelle halfen mehrere handwerklich geschickte Männer, was die Fertigstellung der Vorbereitungen in erreichbare Nähe für den Abend rückte. Es wurde auch höchste Zeit, denn die Biogasanlagen sollten in zwei Tagen eintreffen. Als Jens sah, dass die Männer auch ohne ihn gut klarkamen, ging er zum Hof, um dort nach dem Rechten zu sehen.

Oben auf dem Hof baute Achim mit Hilfe von drei Freiwilligen an einer Schaukel für die zahlreichen Kinder, die gerade gebannt Heides Erzählung lauschten. Jens fand das Geschehen fast zu idyllisch, um wahr zu sein und suchte nach Johanna.

Johanna saß im Speisesaal und blickte verloren ins Leere. Eigentlich hätte sie doch voller Freude sein müssen über den gelungenen Anfang der Armenspeisung.

"Na, meine Liebste, ganz erschöpft vom großen Erfolg?", neckte Jens seine Frau.

"Du bist süß. Nein, ich mach mir gerade Gedanken über unsere Möglichkeiten. Die vierzig Leute haben uns heute schon fast an die Grenze gebracht und ob wir soviele auf Dauer schaffen, ist mir ein Rätsel. Da draußen warten aber Millionen von Hungrigen. Einerseits bin ich froh, dass die nicht alle zu Fuß herkommen können, aber wer sättigt diese Leute?"

"Gute Frage, aber mal wieder typisch für dich. Bürde dir doch nicht die Last der ganzen Welt auf die Schultern. Du machst schon mehr als die meisten Anderen. Und es ist wie ein kleines Wunder mit unseren Gästen. Das Feld sah noch nie so ordentlich aus, das Fundament ist fast fertig und Achim baut eine Schaukel für die Kinder. Komm einfach mal mit, ich wollte sowieso gleich wieder zum Feld zurück."

Jens half seiner betrübten Frau auf die Beine und führte sie durch den Hof, an den glücklichen Kindern vorbei zum Feld. Dort wies er sie auf all die Fortschritte hin, die der Acker in kurzer Zeit gemacht hatte. Nach und nach besserte sich Johannas Laune wieder und man konnte ihr einen gewissen Stolz ansehen.

Herr Hirzler kam zu Jens und sagte, dass das ganze Feld dringend Wasser benötigte. Dabei hatten sie es morgens noch gegossen, aber Jens erkannte, dass Herr Hirzler Recht hatte. Daher eilte Jens mit Johanna zum Hof zurück und transportierte eine Fuhre Wasser zum Feld. Sicherheitshalber wiederholte er die Prozedur anschließend, aber Herr Hirzler war der Meinung, dass es trotzdem noch zu wenig war. Erst drei Runden später, die Jens mit wechselnden Helfern unternahm, war Herr Hirzler mit der Bewässerung zufrieden.

Jenseits des Ölgipfels

The Party's Over
von Richard Heinberg

Peakoil Reloaded
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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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