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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 34


  
Am nächsten Tag nahmen Johanna und Jens sich endlich mal Zeit, um ihren Weinberg und den Wald kennenzulernen. Der Weinberg war direkt über ihrem Grundstück und wenn sie bei ihrer warmen Quelle über die Mauer geklettert wären, wären sie direkt davorgestanden.

Von den benachbarten Weinbergen unterschied sich ihr eigener durch das teilweise mannshohe Gestrüpp, das zwischen den Weinreben wucherte. Das Stück war wirklich nicht gross, gerade mal vier Reihen breit und etwa fünfzig Meter lang. Von den anderen Weinbergen war es durch eine Stufe getrennt, sodass verständlich wurde, warum ihre paar Reben ein eigenes Flurstück darstellten. Die Anzahl der Trauben würde aber wohl mehr sein, als sie jemals in einem Jahr essen konnten. Wahrscheinlich war es sinnvoll, Versuche mit eigener Weinherstellung zu starten, wenn es soweit war.

Das Waldstück lag hinter der Hügelkuppe und war etwas grösser als ihr Feld im Tal. Man konnte kaum ins Innere des Waldes vordringen, weil sich das Gebüsch überall breit gemacht hatte. Hier wartete noch viel Arbeit auf Jens. Er dachte auch an ihren Holzstapel über der Molkerei, der inzwischen schon sichtbar geschrumpft war, obwohl gar kein Winter war. Die richtige Zeit um das Holz für den nächsten Winter zu schlagen, hatten sie eigentlich schon verpasst. Ob er das jetzt noch nachholen konnte und sollte? Aber dann würde ihm die Zeit für den Anbau fehlen. Es war einfach vertrackt: egal war man machte, etwas anderes Wichtiges blieb liegen.

Am nächsten Morgen war es endlich soweit: Herr Wiedemann rief an und sagte, dass er erfahren habe, dass die Tankstelle Diesel hätte. Jens packte sofort die Kanister in seinen Anhänger und fuhr los. An der Tankstelle hatte sich schon eine Schlange gebildet, die vorwiegend aus Bauern bestand. Viele waren mit Geländewagen angereist und Jens dachte an die Benzinmengen, die die Autos allein auf der Fahrt zur Tankstelle verfahren haben mussten.
Im Angebot war nur Diesel, von dem maximal fünfzig Liter ausschließlich an Landwirte abgegeben wurde.

Herr Wiedemann war schon kurz vor Jens angekommen und wartete zwei Plätze weiter vorne. Die Wartenden standen teilweise in Gruppen zusammen und unterhielten sich, was Herrn Wiedemann die Gelegenheit gab, Jens mit einigen von ihnen bekanntzumachen. Die meisten waren hauptsächlich Winzer, hatten aber auch Felder im Tal, ähnlich wie Jens. Nur mühsam konnte Jens den dialektreichen Gesprächen folgen, aber das Wesentliche verstand er, teilweise auch, weil Herr Wiedemann schwierige Passagen für ihn dolmetschte.

Für seinen Weinberg wurde Jens mit massenhaft guten Ratschlägen eingedeckt und als er berichtete, was er alles auf seinen drei Hektar Feld anbauen wollte, schüttelten die Bauern den Kopf angesichts der Vielfalt. Auf lumpigen drei Hektar hätten sie bestimmt nur eine einzige Feldfrucht angebaut. Sie verrieten ihm jedoch, dass sie kleinere Mengen Saatgut meistens bei der Raiffeisen-Genossenschaft kaufen würden, einem Markt für Landwirte, von dem Jens bisher noch nichts gewusst hatte.

Insgesamt hatte Jens aber den Eindruck, dass sich die meist älteren Bauern freuten, dass ein junger Mann das Wagnis Landwirtschaft auf sich nahm. Dafür verziehen sie ihm anscheinend sogar sein Hochdeutsch, denn das Wort "g'schwollen", das er hin und wieder von den Umstehenden aufschnappte, die untereinander sprachen, klang nicht unfreundlich, sondern eher wie die Beschreibung einer merkwürdigen Eigenart.

Bevor er hergezogen war, hätte er sich nicht träumen lassen, wie verbreitet ein ausgeprägter Dialekt bei der Landbevölkerung im Süden war. Er hatte immer gedacht, dass Dialekte kurz vor dem Aussterben standen. Aber fast keiner der Leute, die er bisher kennengelernt hatte, sprach hochdeutsch, nur in der Stadt sprachen einige eine Mischung, die er recht gut verstehen konnte. Unter den Bauern fühlte er sich jedoch fast wie ein Ausländer, wenn auch freundlich aufgenommen.

Das allgemeine Gespräch drehte sich um die Dieselrationierung und die damit verbundenen Probleme. Jens hatte den Eindruck, dass die Existenz vieler Bauern dadurch auf dem Spiel stand. Die Felder konnten nicht rechtzeitig bearbeitet werden, sodass Aussaat, Pflege oder Ernte zu spät kamen, was zu Ernteausfällen führte. Gleichzeitig hatten sich die Kosten für den Treibstoff vervielfacht. Eigentlich hatte Jens ja gehofft, dass die Benzinpreise eine Weile nach der Japan-Katastrophe wieder etwas sinken würden. Das war bisher jedoch noch nicht geschehen.

Einer der Bauern sprach Jens auf seinen Fahrradanhänger an und meinte, dass das wohl eine sinvolle Methode sei, um Diesel zu kaufen, denn er selber wüsste nicht, wie er beim nächsten Mal seinen Geländewagen in Bewegung setzen sollte, weil dessen Tank fast leer war. Das Gespräch endete damit, dass der Bauer einen selbstgebauten Anhänger bei Jens bestellte.

In der restlichen Wartezeit kaufte Jens noch vier Plastikkanister, damit er auch Platz für die möglichen fünfzig Liter hatte. Als er endlich dran kam, gab es jedoch Probleme, weil er keinen offiziellen Nachweis erbringen konnte, dass er Landwirt war und dem Tankstellenbesitzer angeblich unbekannt war. Dabei hatte er doch seit Wochen täglich angerufen und war auch oft vorbeigefahren und kannte den Tankstellenbesitzer seinerseits inzwischen recht gut.

Erst als Herr Wiedemann ein gutes Wort für ihn einlegte und auch mehrere andere Bauern sich für ihn einsetzten, durfte er seine Kanister füllen und dem Kassierer ein kleinen Vermögen dafür zahlen.

Auf dem Rückweg fing es an zu regnen und bis Jens zuhause war, schüttete es wie aus Kübeln. Jetzt, wo er endlich genügend Treibstoff für seinen Trecker hatte, machte ihm das Wetter einen Strich durch die Rechnung, denn bei durchweichtem Boden konnte man nicht richtig pflügen und so musste er warten, bis der Boden nach dem Regen wieder getrocknet war.

Völlig durchgeweicht stand Jens schließlich in der Küche und war froh, dass Johanna den Ofen angeworfen hatte und er eine warme Dusche nehmen konnte. Eine Tasse heisse Schokolade wärmte ihn schließlich auch von innen wieder auf. An Regen hatte er irgendwie gar nicht mehr gedacht, denn seit sie hier waren hatte es höchstens mal nachts ein wenig vom Himmel getröpfelt. Sonst hatte immer die Sonne geschienen.

Da hatte er nun soviel zu tun, dass er sich am liebsten in drei geteilt hätte, um alles zu schaffen und nun hielt ihn der Regen im Haus. Wenigstens konnte er mit dem Anhänger-Auftrag anfangen. Das schien ihm wie eine tröstliche Alternative. Also ging Jens in den Keller, um sich das benötigte Material zu holen und widmete sich dann in seiner Werkstatt dem Zusammenbau. Die Räder würde der Kunde selber mitbringen, zusammen mit weiteren defekten Fahrrädern, die Jens anschließend ausschlachten konnte. Auf diese Weise kam Jens zu neuen Materialien. An einem ruhigen Tag würde er auch mal auskundschaften müssen, wo es hier Schrotthändler gab, denn wenn er öfter Aufträge bekommen würde, bräuchte er regelmäßige Materialquellen.

Auch am nächsten Tag regnete es, als hätte sich der Wettergott gegen seine Pflügepläne verschworen. Da der Anhänger inzwischen fertig war, hatte Jens Zeit für ein anderes Projekt, das er zwar aktuell nicht für sehr dringend hielt, ihm aber am Herzen lag. Aus dem Keller holte er ein altes Fenster und mehrere dünne Kupferstangen. Stundenlang beschäftigte er sich damit, die Kupferrohre bei sanfter Hitze zieharmonikaartig zu biegen und zusammenzulöten.

Johanna widmete sich unterdessen ihrer Schafwolle, die sie in einer grossen Wanne wusch und neben dem warmen Ofen zum Trocknen ausbreitete. Als Jens zum Mittagessen ins Haus kam, wehte ihm schon am Eingang der Wollgeruch entgegen und in der Küche hing der feuchtwarme Duft wie Nebel in der Luft. Vom Küchenfenster aus schaute Johanna immer mal wieder nach den Schafen, denen es trotz Regen gut zu gehen schien.

Am Abend erhielt Jens von Bennie eine Email, in der Bennie ihm genau erklärte, wie er seine Akkus vielleicht doch noch reparieren könnte. Um den Kontakt nicht ganz zu verlieren, hatte Jens ab und zu eine Email an Bennie geschrieben und von ihren Erlebnissen berichtet. Dass Bennie ihm mit Tipps bei seiner Hofarbeit helfen könnte, damit hatte Jens jedoch nicht gerechnet. Er bedankte sich herzlich für den Ratschlag und eilte trotz der späten Stunde in den Keller, um sich anzusehen, ob die Akkus so beschaffen waren, wie Bennie beschrieben hatte. Tatsächlich, man konnte die Akkus öffnen und die darin befindlichen Platten herausnehmen. Das wäre eine gute Beschäftigung, wenn es am nächsten Tag nochmal regnen würde.

Zwar schien am nächsten Tag die Sonne, doch die Erde war noch so durchweicht, dass an Pflügen nicht zu denken war. Daher schleppte Jens die Akkus in seine Werkstatt, ließ die Säure durch einen Filter laufen und schliff die korrodierten Platten ab. Währenddessen nutzte Johanna den Sonnenschein, um ihre verdreckten Klamotten von Hand zu waschen und auf dem Hof zu trocknen. Jens hoffte, dass dies das letzte Mal sein würde, dass sie auf Handwäsche angewiesen war. Eine brauchbar aussehende Waschmaschine wartete im Keller nur auf genügend Strom, um tätig zu werden. Diese Gedanken beflügelten ihn bei der Schleifarbeit, die ihm dadurch leichter von der Hand ging.

Sobald der erste Akku fertig war, trug Jens ihn zurück in den Keller und schloss ihn an. Seine Freude war gross, als er sah, dass die Ladeanzeige sich bewegte. Auch der Wechselrichter, mit dem der Strom aus den Akkus in Wechselstrom verwandelt wurde, schien zu funktionieren. Also würde es sich lohnen, auch die anderen Platten abzuschleifen.

Völlig unerwartet stürzte Johanna in die Werkstatt und rief: "Alle kleinen Pflanzen sind weg. Die ganzen Radieschen und der Salat."

Jens nahm die entsetzte Johanna in den Arm und ging mit ihr in den Garten. Tatsächlich, all die kleinen Keimlinge, die ihre Beete geziert hatten, waren verschwunden. Stattdessen konnte man an einigen Stellen glitzernde Schleimspuren sehen.

"Schnecken!", sagte er.

"Oh, wie können sie nur. Die Pflänzchen waren doch noch so klein."

"Das schmeckt den Schnecken bestimmt besonders gut. Tja, dann müssen wir eben was gegen die Schnecken unternehmen."

"Ja, das sollten wir. Ich werde mich gleich mal informieren, was man da tun kann."

Voller Kampfgeist ging Johanna in die Bibliothek, um herauszufinden, wie man den Schnecken zu Leibe rücken konnte und Jens ging zurück in die Werkstatt.

Gegen Abend hatte er alle Akkus angeschlossen und alle schienen zu funktionieren. Wenn nichts dazwischenkam, würde sich über Nacht mehr als genug Strom angesammelt haben, um damit Wäsche waschen zu können.

Am besten wäre es natürlich, wenn man den Strom, der nach voller Aufladung der Batterien noch übrig blieb, nutzen könnte, um noch mehr Wasser aufzuheizen. Im Kopf stellte Jens schon einen Plan zusammen, wie er solch eine Vorrichtung bauen konnte und welche Teile er dafür benötigte.

Aber als nächstes war erstmal das Pflügen des Feldes dran, denn der nächste Tag war wieder sonnig und die Erde schien Jens sehr geeignet zum Pflügen. Erst als er mit seinem Trecker auf die Straße einbog, wurde ihm bewusst, dass er ihn noch gar nicht angemeldet hatte. Er wusste nicht mal, ob es einen Kraftfahrzeugbrief für den Trecker gab.

Diese Erkenntnis fuhr ihm durch alle Glieder und er überlegte kurz, ob er seine Pflügeaktion abbrechen sollte. Aber er entschied sich, das Risiko einzugehen und ohne Nummernschild zu seinem Feld zu fahren. Immerhin war es nur eine kleine Dorfstraße, die er benutzen wollte. Aufatmen konnte er aber erst, als er unbehelligt auf seinem Feld ankam.

Das Pflügen machte wieder genausoviel Spass wie auf dem Gemüsebeet, doch die Strecken waren deutlich länger und als Jens bei der zweiten Hälfte ankam, war der Reiz des Neuen schon verflogen und die Arbeit wurde etwas eintönig. Wie musste es da erst den Bauern gehen, deren Felder zehnmal so gross waren?

Jenseits des Ölgipfels

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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