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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 33


  
Zuerst nahm sich Jens die warme Quelle vor, denn es schien ihm unsinnig, immer kalt zu duschen, wenn massenhaft warmes Wasser auf dem Grundstück frei verfügbar war. Heide hatte ihm verraten, dass es eine Umleitungsmöglichkeit für das Quellwasser gab und am Boden des Beckens ein Abflussloch, das das Wasser an den Fuss des Hanges leitete. So konnte man das Becken leeren und reinigen.

Die eingrosteten Mechanismen zur Beckenleerung widersetzten sich hartnäckig seinen Bemühungen, sie zu lockern. Jens brauchte einen halben Tag, bis das Becken endlich entleert war. Dann stieg er hinein und stand bis über die Knie im Schlamm, sodass ihm auch seine Gummistiefel nichts nützten. Gegen Abend war das Tauchbecken endlich sauber genug, um das Wasser wieder zurückkehren zu lassen.

Das anschließende Bad, zu dem er auch Johanna holte, war herrlich und ihre Muskeln lockerten sich spürbar beim Treiben im warmen Wasser. Doch der Rückweg war weit und kalt, sodass sie sich entschieden, Bademäntel für diesen Zweck anzuschaffen.

Für das Haarewaschen war die warme Quelle jedoch keine Lösung, denn Seifenstoffe sollten nicht in ihr klares Quell- und Bachwasser gelangen. Selbst biologisch abbaubare Mittel wollten sie ihrem Bach nicht zumuten.

Eine Leitung von der Quelle zum Haus wäre eine gute Lösung, aber so viele Leitungsrohre lagen nicht einmal in Herrn Wagners Material-Lager. Vielleicht würde Jens irgendwann genügend Leitungen auftreiben, aber für den Anfang schwebte ihm eine andere Lösung vor.

Das bisherige Öl-Zentralheizungssystem wollte er funktionstüchtig lassen, denn möglicherweise würden sie später ja selber Heizöl anbauen. In den grossen Boiler wollte er jedoch vorgewärmtes Wasser laufen lassen, das dann von der vorhandenen Technik im Haus verteilt würde.

Mehrere Ofenrohrstücke schweisste er so zusammen, dass die heisse Abluft des Küchenofens durch vier Röhren aufsteigen konnte. Wie gut, dass Herr Wagner ihm eine fast volle Flasche mit Schweissgas zurückgelassen hatte. Später würde er sich um Nachschub kümmern müssen. Rund um die Ofenrohr-Erweiterung montierte er einen passenden Kessel, der das Wasser zum Aufheizen aufnehmen sollte. Zu- und Abfluss des kalten und warmen Wassers regelte eine Pumpe, die ihre Kraft aus der Hitze des Wassers bezog.

Bis das System so lief wie gewünscht, verging eine ganze Woche wie im Flug. Erschwert wurde die Aufgabe dadurch, dass der Küchenofen nicht die einzige Aufwärmstelle für warmes Wasser bleiben sollte, sondern nur eine von vielen Möglichkeiten.

Als das warme Wasser zum ersten Mal ausreichte, um Johanna die Haare zu waschen, feierten sie ein kleines Fest mit einem von Herrn Wiedemanns leckeren Weinen.

Beim Betrachten der Weinflasche wurde Jens mit einem Schlag bewusst, dass sie ihren Weinberg und den kleinen Wald, der ihnen gehörte, noch gar nicht angeschaut hatten. Auch im Garten waren sie nicht viel weitergekommen und inzwischen drängte die Zeit für die restliche Bearbeitung des Bodens. Die wochenlange Umgraberei von Hand würde auch mit einem Schlag überflüssige Zeitverschwendung werden, sobald sie ihren Trecker einsatzbereit hatten.

Aus der Freude über das warme Wasser wurde Sorge, ob sie in der richtigen Reihenfolge vorgingen und ob sie alles schaffen würden, was wichtig für das Leben als Selbstversorger war.

Am nächsten Tag kaufte Jens daher mit schlechtem Gewissen fünf Liter Pflanzenöl im Supermarkt, um seinen Trecker damit zu betreiben. Eigentlich fand er Öl, das sich zum Essen eignete, viel zu schade, um es in einen Motor zu kippen. Vielleicht würde ihnen genau dieses Öl im Winter zum Kochen fehlen, oder jemand anders. Doch schließlich überwand er seine skeptischen Gedanken mit der Überlegung, dass sie ohne das Öl im Trecker auch nicht in der Lage waren, neue Energieträger anzubauen und dann würde ihnen noch viel mehr fehlen. Um sein Gewissen vollständig zu beruhigen, schwor er sich, zumindest auf einem Teil ihrer drei Hektar Raps und Sonnenblumen anzubauen.

Sorgfältig füllte er das Pflanzenöl in den Tank des Treckers, überprüfte nochmal das Schmieröl, den Reifenluftdruck, den Ladezustand der Batterie und ließ vorsichtig den Motor an. Zuerst jammerte nur die Batterie, ohne dass der Motor sich rührte, doch beim dritten Versuch hörte Jens endlich das erhoffte sonore Knattern. Johanna stand dabei und klatschte vor Begeisterung, als sich der Trecker langsam in Bewegung setzte.

Einen Trecker hatte Jens noch nie gefahren und auch seine letzte Autofahrt lag Jahre zurück, doch er fühlte sich auf Fahrzeugen generell wohl und daher gelang es ihm auch mit Leichtigkeit, den Traktor aus der Scheune zu lenken und eine Testrunde im Hof zu drehen. Anschließend fuhr er ihn zurück in die Scheune, um den Pflug zu befestigen.

Mit dem Pflug hintendran fühlte sich das Fahren gleich etwas anders an. Es schepperte ohrenbetäubend, als er damit den Kiesweg entlangfuhr und zum Gemüsebeet einbog. Dort ließ er den Pflug hinab und fuhr langsam wieder an. Der Unterschied zum vorherigen Fahren war enorm, denn er brauchte eine Menge Fingerspitzengefühl, um die richtige Geschwindigkeit zu treffen, damit der Pflug wirksam seine Arbeit tat.

Als Jens den Bogen endlich raus hatte, war die erste Bahn schon fertig gepflügt und er musste wenden. Wieder am vorderen Ende und bei der begeisterten Johanna angekommen, fühlte sich Jens schon wie ein erfahrener Pflüger. Nach nur einer knappen Stunde war das gesamte Gemüsebeet umgegraben. Weil noch genügend Öl im Tank war, wiederholte Jens die ganze Prozedur mit einer Egge, damit die Erde feinkörniger wurde.

Wenn er nicht solche Skrupel wegen der Verwendung von essbarem Öl gehabt hätte, wäre Jens am liebsten gleich nochmal in den Supermarkt gefahren, um mit grösseren Ölmengen bewaffnet das grosse Feld in Angriff zu nehmen, soviel Spass machte ihm das Pflügen mit dem Trecker. Das Ergebnis war auch wirklich beeindruckend. Das Stück Beet, das sie in wochenlanger Handarbeit freigelegt hatten, erschien wie ein schlechter Witz im Vergleich zu der Fläche, für die er jetzt nur eine gute Stunde gebraucht hatte.

Sehr zufrieden fuhr Jens wieder zurück in die Scheune und reinigte Pflug und Egge. Hoffentlich gab es bald richtigen Diesel in ausreichender Menge für das ganze Feld.

Freude bereitete ihnen auch das kleine Beet, das Johanna gleich am ersten Tag angesät hatte, denn dort spriessten inzwischen kleine Radieschen-Blätter. Auch der Schnittsalat hatte schon seine Keime nach oben geschickt. Im Gewächshaus und in der Küche hatten auch schon einige der Tomaten- und Gurkenpflanzen gekeimt. Die Kresse, die Johanna in einer Schale in der Küche zog, konnte sogar schon geerntet werden.

Der Höhepunkt jeden Tages war zweifellos das Bad in der warmen Quelle. Trotz Johannas Befürchtungen wegen kommender Baumwollknappheit, hatte sie kuschelige Bademäntel in der Stadt gefunden und so zogen sie abends nach der Arbeit in Badeschlappen und Bademantel zu ihrer Quelle, um die schmerzenden Muskeln zu lockern und den Schweiss vom Körper zu waschen. Irgenwie fühlten sie sich dadurch so, als wären sie im Camping-Urlaub. Von der Warmwasser-Vorrichtung machten sie deshalb auch nur ab und zu Gebrauch, aber es war ein gutes Gefühl, auch im Haus warmes Wasser zu haben.

Nach dem Baden gab es jetzt zum Essen immer einen Salat mit Wildkräutern aus dem Garten. Auch Kräuterquark machten sie oft, denn es gab ihnen eine erste Ahnung von Selbstversorgung.

Während Jens den Abend nutzte, um einen Anbauplan für Garten und Feld auszutüfteln, vertiefte sich Johanna in ein Buch über die Schafhaltung. Von Herrn Wiedemann hatte sie nämlich die Telefonnummer des Schäfers bekommen, der in den letzten Jahren hin und wieder mit seiner Schafherde ihr brachliegendes Feld beweidet hatte. Der Schäfer konnte ihr zwar keine Milchschafe anbieten, aber er erklärte ihr, dass auch normale Schafe Milch gäben, wenn sie Lämmer hätten, allerdings nur die Hälfte von Milchschafen.

So hatten sie vereinbart, dass Johanna von ihm ein Mutterschaf samt Lamm kaufen würde und er würde sich umhören, ob es in erreichbarer Nähe Milchschafe gab. Am nächsten Tag wollte der Schäfer mit seinen Schafen erst ihrem unbeackertem Feld einen Besuch abstatten und ihnen anschließend auf dem Weg zu neuen Weidegründen die beiden Schafe vorbeibringen. Vorher mussten Jens und Johanna noch den Zaun reparieren, der die Wiese vom restlichen Garten trennte.

Bei der Zaunreparatur klemmte sich Johanna den Mittelfinger so stark, dass sie ihn anschließend kaum benutzen konnte, sodass sich die Arbeit am Zaun etwas verzögerte. Sie ärgerte sich sehr über die Verletzung, weil sie für alle Tätigkeiten ihre beiden Hände brauchte und nicht ausfallen wollte. Die Vorfreude auf die Schafe ließ sie die Schmerzen jedoch bald wieder vergessen. Von Stunde zu Stunde wurde sie unruhiger und Jens war sehr froh, als der Zaun endlich fertig war, denn er befürchtete, dass sie sich sonst womöglich noch mal verletzen würde. Spätestens für die geplanten Ziegen würde er auch einen Stall bauen müssen, am besten einen transportablen, damit die Tiere mit ihren Ställen die Weide wechseln könnten.

Endlich hörte man von ferne ein mehrstimmiges Blöken, das langsam näherkam. Johanna eilte zum Hofeingang und Jens folgte ihr gemessenen Schrittes. Die ersten Schafe waren schon um die Ecke der Straße gebogen und zogen jetzt am Hof von Familie Wiedemann vorbei. Nur wenige Minuten später erreichten sie Johanna und Jens, die den Schäfer herzlich begrüssten. Der Schäfer verzog sein wettergegerbtes Gesicht zu einem Lächeln, als er sich auf dem Hof umschaute. Anscheinend war er zufrieden damit, eines seiner Schafe bei ihnen zu lassen.

Jens hatte ihn kaum verstanden, aber Johanna schien keine Schwierigkeiten mit seinem ausgeprägten Dialekt zu haben. Seine Sprache klang fast wie schweizerdeutsch und ihr Klang gefiel Jens eigentlich gut. Sie hatte etwas uriges.

Die Schafe drängten sich um den Schäfer und füllten nach und nach den Hof. Eines davon hielt der Schäfer fest, als es an ihm vorbeigehen wollte. Neben ihm stakste ein winzigkleines Lamm tapfer durch die unbekannte Welt.

"Das hier ist Lizzie, Ihr Schaf, wie versprochen mit Lamm. Wenn das Lamm grösser ist, können Sie es ja mal mit Melken versuchen. Letztes Jahr hat Lizzie außer ihren Zwillingen noch ein verwaistes Lamm durchgefüttert. Darum habe ich sie ausgesucht."

Johanna kniete nieder und begrüsste Schaf und Lamm mit Gurrlauten. Das wollige Schaf betrachtete sie aufmerksam und ließ sich nach einer Weile dazu herab, an ihrer ausgestreckten Hand zu schnobern.

"Ich sehe schon, Sie werden sich gut verstehen. Hier habe ich Ihnen noch Wolle vom letzten Jahr mitgebracht, damit Sie schon welche haben. Von der diesjährigen Schur können Sie dann so viel bekommen, wie Sie brauchen."

Der Schäfer übergab Johanna einen voluminösen Sack und Johanna kramte ihre kleine Geldbörse aus der Hosentasche, um die Schafe und die Wolle zu bezahlen. Jens versuchte unterdessen, das Schaf in Richtung Wiese zu manövrieren, was ihm kaum gelang. Erst als der Schäfer einen seiner Hunde anwies, die restliche Herde zurückzuhalten und das verkaufte Schaf energisch zur Wiese dirigierte, setzte es sich langsam in Bewegung. Das Lamm hoppelte fröhlich hinter ihm her. Auf der saftigen Wiese angekommen, begann das Schaf sofort zu grasen. Der Schäfer strich im noch einmal kurz übers Fell und ging dann wieder zu seinen anderen Schafen, während Jens das reparierte Gatter verschloss.

"Wollen Sie noch einen Kaffee?", fragte Johanna den Schäfer.

"Gerne, aber bitte hier draussen, damit ich meine Herde nicht aus dem Blick verliere."

Jens holte einen kleinen Tisch und Klappstühle aus der Molkerei und stellte sie vor der Haustür auf. Der Schäfer nahm Platz und zündete sich eine Pfeife an. Nach kurzer Zeit erschien Johanna mit einem Tablett, auf dem sich außer Kaffee auch Kekse befanden. Von Schafen umwimmelt ließen sie sich den Kaffee schmecken und plauderten über die Schafhaltung und Johannas Pläne zur Kleiderproduktion.

Der ganze Hof war voller Schafe und nochmal soviele drängten sich auf der Straße, die glücklicherweise so wenig befahren war, dass dies kein Problem darstellte. Jens war erstaunt, wie gut die Hunde die Schafe auf einem gewissen Abstand zum Tisch hielten und auch verhinderten, dass sie sich auf der Straße zu weit entfernten. Einen Hund würden sie wahrscheinlich auch bald brauchen, wenn auch nicht um ihre zwei Schäfchen im Zaun zu halten.

Als der Schäfer mit seiner Herde weitergezogen war, gingen Johanna und Jens nochmal zu ihrer Neuerwerbung, um zu sehen, ob es ihnen gut ging. Das Lamm stand zwischen den Beinen der Mutter und schien kräftig zu saugen, während das Muttertier ungerührt weiter graste.

"Wie hast du den Schäfer eigentlich so gut verstanden? Ich habe immer nur das eine oder andere Wort aufgeschnappt.", fragte Jens.

"Alles habe ich auch nicht verstanden, aber ich habe ja bei Frau Wiedemann schon öfters geübt. Dir ist es wohl gar nicht aufgefallen, dass ich letzte Woche mehrmals bei ihr zu Besuch war. Sie ist eine wahre Kennerin des Landlebens und spricht breitestes allemannisch."

"Du warst bei Frau Wiedemann zu Besuch? Das habe ich in der Tat gar nicht mitbekommen, vor lauter Installationsarbeiten."

"Ich habs dir ja auch gar nicht gesagt, weil du so vertieft warst. Aber jetzt, wo wir Schützlinge haben, sollten wir wohl immer verabreden, wer zuständig fürs Aufpassen ist."

"Stimmt. Wir haben jetzt ja Familie."

"Irgendwann möchte ich auch mal Kinder hier aufwachsen sehen."

"Kinder möchte ich auch gerne - später. Jetzt sollten wir erstmal das Landleben kennenlernen."

"Ja, das denke ich auch. Darum habe ich mir ja auch noch eine Jahresration Pille verschreiben lassen, bevor wir abgefahren sind. Jetzt brauchen wir unsere ganze Kraft für den Hof."

Jenseits des Ölgipfels

The Party's Over
von Richard Heinberg

Peakoil Reloaded
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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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