Home
Romane
Vita
Projekte
News
Impressum

Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 32


  
Johanna humpelte ihm schon entgegen, als Jens in Richtung Haus ging.

"Hast du dich verletzt?", fragte er schon von weitem.

"Verletzt nicht, aber ich bin wohl ziemlich verweichlicht. Mir tut jeder Knochen weh, vor allem am Rücken."

"Ich fands auch ziemlich anstrengend, aber jetzt läuft der Generator."

"Prima, ich habe mich schon gefragt, ob du es heute noch schaffst."

"Und du, bist du zufrieden, mit dem was du geschafft hast."

"Ja, komm doch grad mit, dann zeig ich es dir. Wir können dann hinten bei der Küche reingehen."

"Ok."

"Guck, hier hinter dem vermeintlichen Kräuterbeet habe ich umgegraben und gesät. Man sieht natürlich noch nichts wachsen. Aber da sollen bald Radieschen, Möhren und dicke Bohnen spriessen. Die umgegrabene Ecke ist leider winzig im Vergleich zum ganzen Garten."

"Das macht doch nichts. Immerhin kann da jetzt schon mal Gemüse wachsen. Und Platz, dass der Trecker reinfahren kann, ohne dein Beet zu zerstören, hast du auch gelassen. Morgen versuche ich, Sprit zu bekommen, dann geht das bestimmt ruckzuck."

Um das Innere des Sicherungskastens genau sehen zu können, brauchte Jens eine Kerze, so dunkel war es inzwischen geworden. Die Sicherungen waren jedoch schnell aktiviert und Johanna schaltete testweise das Licht in der Küche ein. Es leuchtete. An seinem tiefen Seufzen erkannte Jens, unter welcher Anspannung er gestanden hatte. Zwar war er sich sicher, dass er ein Stromsystem zum Laufen bringen konnte, auch wenn es Probleme gab, aber im ungünstigen Fall hätte es ihn wochenlang beschäftigen können. Immerhin war das Haus zehn Jahre lang unbenutzt gewesen.

Ganz erleichtert übernahm er freiwillig das Kochen, denn Johanna wirkte sehr angeschlagen. Sie verschwand im Bad, um sich eine kalte Dusche zu gönnen. Aus ihrem Kreischen schloss Jens, dass sie sich tatsächlich unters kalte Wasser getraut hatte. Schaudernd und mit einem Handtuch um den Kopf gewickelt erschien sie zehn Minuten später in der Küche.

Jens konnte sie vor lauter Zähneklappern kaum verstehen, als sie sagte: "Das mit dem Haarewaschen war wohl ein Fehler. Ich habe den Schaum kaum rausgekriegt. Für den Körper allein war das Wasser in Ordnung."

"Du Arme! Der Ofen wird bestimmt bald warm. Das Problem mit den Haaren werde ich wohl weniger haben, weil meine so kurz sind."

"Geh du ruhig auch duschen. Ich übernehme den Herd."

Jens gewann neuen Respekt vor seiner Gefährtin, als ihn der kalte Strahl der Dusche traf. Vor allem auf der Kopfhaut hatte die Kälte eine fast erschlagende Wirkung. Selber auch zähneklappernd betrat er nach kurzer Zeit wieder die Küche, wo inzwischen die Spaghettis auf dem Tisch standen.

"Warmes Wasser sollten wir auch bald in Angriff nehmen. Aber ich fürchte, das wird was Längeres."

"Wenn wir eine Zwischenlösung für die Haare finden, halte ich das kalte Duschen auch ne Weile aus. Es wird ja bestimmt auch bald wärmer."

"Stimmt, jetzt kommt bald der Sommer. Warmes Wasser für die Haare können wir dir ja zur Not erstmal auf dem Ofen kochen."

"Auch für die Wäsche brauchen wir bald eine Lösung. Wir haben ja kaum Klamotten dabei. Wieviel Strom haben wir jetzt eigentlich?"

"Zur Zeit sind es knapp zwei Kilowatt. Das reicht für Stromsparlampen, den Kühlschrank und ab und zu mein Notebook. Für eine Waschmaschine reicht das nicht andeutungsweise. Aber irgendwo müsste es grosse Akkus geben, die Strom zwischenspeichern. Wenn ich die zum Laufen bringe, müsste es auch ab und zu für eine Waschmaschine reichen."

"Wir bräuchten auch dringend Frühkartoffeln zum Stecken, und am besten Mist oder schwarze Folie. Für die Frühkartoffeln ist es schon ziemlich spät laut Buch."

"Morgen vormittag will ich mal in der Stadt nach Treibstoff suchen. Da halte ich dann auch die Augen offen, ob ich Kartoffeln zum Stecken finde."

Nach dem Essen telefonierten sie lange mit Heide, die nach dem gestrigen kurzen Anruf schon ganz neugierig war, wie es ihnen am ersten Tag ergangen war. Über das funktionierende Wasserrad freute sie sich sehr und sie hatte auch viele Tipps zu den Akkus, dem Garten und der Beschaffung der benötigten Dinge.

Am nächsten Morgen erwachten Jens und Johanna ausgeruht aber muskelkatergeplagt. Nach einem kurzen Frühstück verschwand Johanna im Gewächshaus und Jens nahm sich den Trecker vor, der, trotz seines hohen Alters, einen sehr gepflegten Eindruck machte. Wahrscheinlich würde es sich lohnen, Treibstoff für ihn zu besorgen. Leider waren keine Treibstoffreste mehr im Tank. Herr Wagner hatte wohl sichergehen wollen und daher nichts leicht Entzündliches in seiner Scheune zurückgelassen.

An jeder Ecke begegnete ihm Herr Wagner in seinen Hinterlassenschaften und allmählich begann Jens, ihn liebzugewinnen, obwohl er ihn gar nicht gekannt hatte. Welch ein Jammer, dass er gestorben war! Sie hätten bestimmt wunderbar fachsimpeln können und Herr Wagner hätte wohl lauter Antworten auf Jens mannigfaltige Fragen gehabt.

Unterwegs hielt Jens kurz vor der Bundesstraße für einen Moment an, denn ihm war klar geworden, dass sie schon mehrmals an ihrem Feld vorbeigekommen waren, ohne es zu beachten. Im Vergleich zu den meisten anderen Feldern wirkten ihre drei Hektar sehr klein und inmitten der Buschumrandung sah es aus wie ein vergessenes Stückchen Land. Als Jens sich jedoch vorstellte, wieviel man umgraben müsste, um dem Feld Herr zu werden, erschien es ihm plötzlich riesengross. Er fragte sich, wie die Bauern mit den grossen Feldern es wohl schafften, all ihre Felder rechtzeitig zu pflügen, wo es doch kaum Diesel gab. Das würde er Herrn Wiedemann fragen müssen.

An der schon bekannten Tankstelle gab es wieder kein Diesel, die nächste Tankstelle hatte geschlossen und eine dritte Tankstelle war kaum noch als solche zu erkennen. Im nächsten Städtchen, ganz in der Nähe, fand Jens auch keinen Treibstoff für seinen Trecker. Jetzt konnte er nachempfinden, wie es den Autofahrern in seiner Stadt immer gegangen war. Immerhin hatte er für die Fortbewegung sein Fahrrad.

In einer Postfiliale, die auf dem Weg lag, besorgte sich Jens Telefonbücher von der Umgebung, um leichter herausfinden zu können, wo sie die tausend Dinge bekommen könnten, die ihnen für einen echten Selbstversorgerhof noch fehlten.

Saatkartoffeln fand Jens trotz intensiver Suche nicht. Selbst in der umfangreichen Gartenabteilung eines Baumarktes gab es keine, aber immerhin ergatterte er dort eine stabile schwarze Folie zu einem horrenden Preis und drei Benzinkanister aus Metall. Um nicht ganz ohne Kartoffeln heimzukommen, eilte er noch einmal in den Supermarkt und kaufte zwei Säckchen dünnschalige Kartoffeln, die zwar aussahen wie Frühkartoffeln, aber bestimmt keine waren, denn sonst hätte es wohl draufgestanden. Bei der Auswahl der Beutel achtete er darauf, dass die Kartoffeln schon etwas eingeschrumpelt und eher klein waren.

Zurück zu Hause traf er Johanna im Gewächshaus an. Vor ihr standen etliche frisch gefüllte Blumentöpfe. Als er sah, wie zügig Johanna arbeitete, schien ihm die Anzahl der Töpfe jedoch gering für die lange Zeit, die er fort gewesen war. Das Rätsel löste sich jedoch schnell, denn Johanna erzählte, dass sie bei den Wiedemanns gewesen war.

"Dort habe ich endlich auch Frau Wiedemann kennengelernt. Sie kann nicht mehr gut laufen und benutzt eine Gehhilfe, darum hat sie uns wohl auch noch nicht besucht. Aber sie ist sehr nett und hat mich ordentlich mit Ratschlägen eingedeckt. Ausserdem hat sie mir ein paar Frühkartoffeln für die Aussaat gegeben, die sie aus alter Gewohnheit im Keller überwintert hatte, obwohl sie gar keine Kartoffeln mehr anbaut. Viele sinds nicht, aber für uns könnte es reichen."

"Ich hab in meiner Verzweiflung noch Kartoffeln aus dem Supermarkt geholt, aber ich glaube, das sind keine Frühkartoffeln."

"Vielleicht ist das ganz praktisch. Dann sind zuerst die Frühkartoffeln reif und etwas später die anderen. Aber den Hauptanbau der Kartoffeln sollten wir professioneller anpacken."

Nach einem kurzen Imbiss widmete sich Jens dem Umgraben des Gemüsebeetes, damit nicht alles an Johanna hängenblieb. Die vielen zarten Löwenzahnblätter waren ihm fast zu schade zum Umgraben, daher schnitt er eine Schüssel voll Rosetten dicht am Boden ab. Das würde einen leckeren Abendsalat geben und stellte zugleich die erste Ernte aus dem eigenen Garten dar. Dann grub er, bis sein Rücken anfing zu schmerzen. Die steinig-sandige Erde ließ sich zwar gut umgraben, aber es war mühsam, die Pflanzen mit ihrem Wurzelgeflecht zu entfernen. Vor allem die kleinen Brennesseln zeichneten sich durch lange Wurzeln aus.

Anschließend suchte er im Telefonbuch nach Solarfirmen, denn er wollte sich möglichst zügig auf die Suche nach einer geeigneten Solaranlage machen. Er war überrascht, wieviele Solaranbieter er in der Gegend fand. Hier war wohl ein Zentrum der Solartechnologie. Kein Wunder bei der vielen Sonne, die dem Südwesten nachgesagt wurde.

"Leider können wir zur Zeit nichts liefern und wir wissen auch nicht, wann es wieder möglich sein wird.", bekam Jens bei der ersten Firma zu hören, die er anrief. Die Absagen der anderen Firmen klangen ähnlich. Auch seine Anfragen nach Sonnenkollektoren zur Warmwasserbereitung wurden ablehnend beantwortet.

Zuletzt versuchte er es bei einer richtigen Solarfabrik in Freiburg, bei denen zwar extra vermerkt war, dass sie nicht an Endabnehmer verkauften, aber er wollte wissen, warum es nirgendwo Solaranlagen zu kaufen gab.

"Momentan geht unsere gesamte Produktion gezwungenermaßen in Regierungsprojekte. Wir dürfen die Privatwirtschaft zur Zeit nicht beliefern."

"Wird sich das bald wieder ändern?"

"Hoffentlich, denn wir warten ungeduldig darauf, dass die Herstellung der modernen dünnen Zellen endlich in die Massenproduktion geht. Dann kostet eine Zelle nur noch ein Zehntel der Energie und wird auch entsprechend billiger. Wenn es soweit ist, müssten wir innerhalb von einigen Monaten wieder lieferfähig sein. An der Umstellung der Produktion wird mit Hochdruck gearbeitet, wurde uns gesagt."

"Vielen Dank, jetzt weiss ich wenigstens, woran ich bin."

Jens war ziemlich frustriert, dass sich die Beschaffung einer Solaranlage als so schwierig erwies. Er hatte sich schon darauf gefreut, sich mit lauter eigenen Energiequellen selbst versorgen zu können. Dabei hatte er sogar genug Geld für die gewünschten Anschaffungen. Wer war schon in so einer glücklichen Lage?

Der Garten rief und so grub sich Jens den Ärger vom Leib. Als es dunkelte, hatte er genug Beetfläche erobert, um nicht nur die Frühkartoffeln stecken, sondern auch noch Pastinaken, Schnittsalat und Erbsen säen zu können. Johanna hatte inzwischen ihre Topfaussaat beendet und einige der Töpfe in die Küche getragen. Dort empfing sie Jens mit einem warmen Essen und einem Löwenzahnsalat.

Abgesehen von den Beschaffungsproblemen waren sie eigentlich recht zufrieden, mit dem was sie in den ersten beiden Tagen schon geschafft hatten. Immerhin war der Startschuss für das Gemüsewachstum schon vollbracht.

Im Laufe der nächsten Tage machte Jens sich mit dem Wassersystem des Hofes vertraut, das zuverlässig von der kalten Quelle bis ins Haus sprudelte. Die Akkus im Keller schienen irreparabel, also würden sie Ersatz brauchen. Aber auch hier klagten alle Anbieter über Lieferprobleme. Immerhin fand er im Keller ein Lager mit Baumaterial aller Art. Für Wasserinstallationen gab es Kupfer- und Plastikrohre, verschieden breite Holzbretter waren sorgfältig aufgestapelt, Dämmplatten aus Styropor standen an der Wand, fast wie in einem kleinen Baumarkt.

Aus Stahlstangen, Blechen, Brettern und zwei Fahrrad-Vorderrädern, die in dem kleinen Stall an der Wand hingen, baute er einen Fahrradanhänger für Johanna, die sich sehr darüber freute. Zusammen konnten sie jetzt mehr transportieren als in einem Auto-Kofferraum.

Jeden Tag rief Jens bei der Tankstelle an, ob es inzwischen wieder Diesel gab, aber er wurde Tag für Tag vertröstet. Das von Hand umgegrabene Stück Garten wuchs zwar täglich, aber im Vergleich zur unbearbeiteten Fläche war es immernoch winzig. Tag für Tag schmerzten ihm und Johanna die Rücken und sie fielen abends todmüde ins Bett.

Eines Abends überlegten sie, ob sie sich vielleicht ein Arbeitspferd anschaffen sollten, wenn die Treibstoffbeschaffung so schwierig war. Schnell wurde ihnen jedoch klar, dass sie wohl zwei Pferde brauchen würden, bei allem, was es zu tun gab und als sie lasen, wieviel Anbaufläche man brauchte, um ein Pferd zu sättigen, entschieden sie sich lieber gegen Arbeitspferde.

Als Jens mal wieder die umständliche Prozedur in Angriff nahm, Johanna die Haare mit ofengewärmtem Wasser zu waschen, reifte in ihm eine Idee, wie er wenigstens das Warmwasserproblem in den Griff bekommen könnte.

Jenseits des Ölgipfels

Peak Oil
von Jeremy Leggett

Peakoil Reloaded
< <   > >

1  2  3  4  5  6  7  8  9  10  11  12  13  14  15  16  17  18  19  20  21  22  23  24  25  26  27  28  29  30  31  32  33  34  35  36  37  38  39  40  41  42  43  44  45  46  47  48  49  50 

Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

Bestellen...