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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 23


  
Rumschubsen! Liess er sich wirklich rumschubsen? Bei genauer Betrachtung musste Jens Frau Wagner in Gedanken immer wieder rechtgeben, so sehr er auch versuchte, sich vom Gegenteil zu überzeugen. Aber wenn man ständig Sorgen um seine Existenzgrundlage hat, ist es auch nicht so einfach, nur das zu tun, wozu man sich berufen fühlt.

Ausserdem musste er sich eingestehen, dass es ihm ein grosses Anliegen war, es möglichst vielen Leuten recht zu machen. Andere sollten zufrieden mit ihm sein und ihn mögen. Leistung, um geliebt zu werden. Je tiefer er sich damit auseinandersetzte, desto grausiger erschien er sich selbst.

Auf der anderen Seite war es für das Zusammenleben ja auch ganz hilfreich, wenn man aufeinander einging.

Vor lauter Nachdenken drehte sich Jens schon der Kopf.

Am Montagmorgen war er daher wieder einmal froh, als Achim ihn abholte, um sich den wartenden Toten zu widmen. Das war nun wirklich keine Arbeit, die man gerne machte, aber Jens dachte sich, dass sie so wichtig war, dass er sie möglicherweise auch mit weniger oder ohne Bezahlung machen würde, wenn anderweitig für seinen Lebensunterhalt gesorgt wäre.

Der Rhythmus mit den anderen Teams spielte sich wieder ein und abends trafen sich alle in der Kneipe. Jens ertappte sich dabei, dass er sich ausgesprochen wohl fühlte. Vielleicht war er sogar glücklich. Auf jeden Fall ging es ihm hier, in dieser verrauchten Kneipe, unter lauter rauhen Kerlen. Besser, als wenn er an seine Zukunft in einem gutbezahlten Job dachte.

Die Gedanken an die anstehende Entscheidung und das Gespräch mit Frau Wagner durchzogen die ganzen nächsten Tage und ließen ihm nur kurze Ruhepausen. Sogar von den Problemen der Nachgrippezeit wurde er durch seine kreisenden Gedanken abgelenkt. Die langen Schlangen vor den wenigen Supermärkten gehörten inzwischen schon zum gewohnten Stadtbild, genau wie die Tankstellenschlangen.

Beim Anblick einer solchen Schlange fiel Jens plötzlich ein, dass er ja Weihnachtsgeschenke für Familie Trautmann brauchen würde. Bei diesem Gedanken wurde ihm fast übel. Was schenkte man solchen Leuten? Wie sollte er bei all der Arbeit die Geschenke kaufen und was konnte man zur Zeit überhaupt kaufen?

Wichtig schien ihm, dass seine Geschenke nicht zu vielversprechend waren, denn er wusste ja noch gar nicht, wie er zu der Sache stand. Also vielleicht eine Flasche guten Rotwein für Herrn Trautmann und edle Pralinen für die Gattin. Irgendwie schien es Jens pervers, über edle Pralinen nachzudenken, während andere Leute kaum genug zum Sattwerden hatten.

Mittwochabend blieb er nur so lange in der Kneipe, bis er aufgegessen hatte, denn er wollte in seiner Garage nach dem Rechten sehen. Diese Garage war der winzige Teil seines Lebens, der einem Erfinder wohl am nächsten kam und selbst hier standen immer noch ungezählte kaputte Geräte von Herrn Lorenz in den Regalen. Obwohl es kalt war, blieb Jens, bis er fünf der Geräte repariert hatte, denn inzwischen war er wieder gut abgehärtet und die Arbeit brachte seine Lebensgeister in Schwung. Mit einem sehr zufriedenen Gefühl im Bauch ging er anschließend wieder zur Kneipe, um sich von Achim heimfahren zu lassen.

Je näher der Samstag kam, desto mehr grauste Jens vor dem bevorstehenden Einkaufsabenteuer. In der Innenstadt war er schon seit Monaten nicht mehr gewesen. Doch alles Grausen half nichts, viel zu schnell war Samstagmorgen und Jens musste sich in das Weihnachtseinkauf-in-letzer-Minute-Gewühl stürzen.

Unterwegs musste Jens mal wieder eine Tankstellenschlange umfahren, doch diesmal stoppte er, denn er sah Bennie, der gerade mit einem der wartenden Autofahrer am Ende der Schlange verhandelte. In der Hand hielt Bennie eine Flasche mit einer gelblichen Flüssigkeit und neben ihm stand ein Wägelchen, das weitere Flaschen und Kanister enthielt.

"Hallo Bennie. Nett dich mal wieder zu treffen."

"Einen Moment noch, gleich habe ich Zeit für dich." rief Bennie ihm zu und widmete sich wieder seinen Verhandlungen.

Der Mann im Auto nickte nach kurzer Zeit, übergab ein paar Scheine und Bennie ging zum hinteren Ende des Autos und öffnete den Tankdeckel. Anschließend zückte er einen Trichter und goss den Inhalt der Flasche in den Tank. Eine zweite und dritte Flasche folgten. Der Tankdeckel wurde wieder geschlossen und der Autofahrer scherte aus der Schlange aus und nahm Fahrt auf.

"So, jetzt hab ich mir ein Päuschen verdient. Wer was von mir will, kann ja auf mich zukommen.", sagte Bennie, nachdem er sich zu Jens gesellt hatte.

"Was machst du hier eigentlich?"

"Wie siehts denn aus? Benzin verkaufen, natürlich. Bringt zur Zeit deutlich mehr als die Taxifahrerei."

"In Flaschen?"

"Ja, für die Sparsamen. Kostet schließlich auch genug, um es literweise zu verkaufen. Ein guter Wein kostet nix dagegen."

"Echt krass, diese motorisierte Welt. Was bin ich froh, dass ich damit kaum was zu tun hab."

"Da haste wirklich Glück. Aber man muss nur flexibel sein, dann kommt man auch in der heutigen Autowelt einigermaßen durch."

"Erklär doch mal, wie das funktioniert, dein Flaschenbenzin-Geschäft."

"Tanken muss ich ja sowieso für mein Taxi. Unglücklicherweise habe ich einen alten Benziner und nicht so schicke Gas- oder Wasserstoff-Wagen, wie die meisten anderen Taxifahrer. Darum hat mich die Benzinknappheit auch härter getroffen als die anderen. Richtig gut haben es nur die Velotaxis, die mit Pedalkraft betrieben werden. Denn auch die Alternativ-Treibstoffe sind deutlich teurer geworden, aber nicht in dem Maß wie echtes Benzin. Auch die Warteschlangen sind bei denen erheblich kürzer. Dieser Vorteil schwindet aber, weil fast alle Neuwagen mit alternativen Technologien fahren, wodurch deren Treibstoffschlangen wachsen. Jetzt in dem ganzen Grippechaos werden auch kaum noch neue Gas- und Wasserstoff-Zapfstellen eröffnet."

"Ist das Erdgas nicht auch knapp?"

"Jein. In den USA ist es inzwischen sehr knapp, aber wir haben angeblich gute Verträge mit Russland und solange die liefern, kann nur unser erhöhter Bedarf für Engpässe sorgen. Aber genau der macht schon einige Probleme, darum halte ich Erdgas-Autos auch nur für eine vorübergehende Lösung."

"Und was hat es mit den Wasserstoff-Autos auf sich?"

"Man braucht viel Strom, um den Wasserstoff herzustellen. Strom ist ja auch teurer geworden und an den ganzen Stromausfällen sieht man auch, dass es nicht gerade zuviel Strom gibt. Dabei haben sie die Atom- und Kohlekraftwerke nicht mal ausrangiert, wie sie es eigentlich vorhatten. Wenn du mich fragst: Ich glaube nicht, dass jemals wieder soviele Autos rumfahren werden wie noch im letzten Jahr."

"Damit liegst du wohl richtig. Für uns Fahrradfahrer ist das sogar ganz angenehm. Und wie bist du zum Benzinverkaufen gekommen?"

"Mit meinem alten Benziner bin ich kaum noch wettbewerbsfähig, weil ich entweder weniger verdiene oder teurer sein muss als die Konkurrenz. Und trotzdem musste ich dauernd tanken, um wenigstens fahrbereit zu sein. Also stand ich Tag für Tag in diesen elenden Schlangen rum, und habe mitgekriegt, welche Dramen sich da teilweise abgespielt haben. Für Geschäftsleute kann es nämlich sehr tragisch sein, zwei Stunden in einer Schlange warten zu müssen. Die richtigen Bonzen haben natürlich Hilfskräfte, die das für sie übernehmen, aber es gibt genug, die beim Warten fast einen Herzinfarkt bekommen."

"Das kann ich mir gut vorstellen."

"Tja, und dann fiel mir ein Film über Nigeria ein, den ich in meiner Jugend mal gesehen habe. Da haben die ärmeren Leute Benzin in Flaschen verkauft, an Ständen am Straßenrand oder als fliegende Händler. Also hab ich mir einen klappbaren Handwagen und Kanister gekauft und nach dem Tanken in der Nähe geparkt und mit dem Handwagen voller Benzin das hintere Ende der Warteschlange bedient. Kostet natürlich mehr bei mir, schließlich hab ich ja auch den Warteaufwand."

"Deinem Grinsen zufolge, verdienst bei der Tour nicht schlecht."

"So ist es. Etwa dreimal soviel, wie mit dem reinen Taxifahren. Ab und zu kommt sogar mal jemand und will mit dem Taxi gefahren werden. Dann pack ich meinen Handwagen schnell ein und fahre den Kunden."

"Nicht schlecht. Scheint mir zwar ein komischer Job zu sein, Benzin in Flaschen zu verkaufen, aber wenns Geld bringt..."

"Willste nen Job? Zu zweit könnten wir bestimmt dreimal soviel Umsatz machen. Ich warte in der Schlange und du verkaufst das Benzin. Dann bist du deine Geldsorgen los."

"Danke für das großzügige Angebot. Aber Arbeit habe ich eigentlich mehr als genug."

"Was machste denn zur Zeit? Das Bistro hat ja geschlossen, wie ich letzte Woche zu meinem Bedauern feststellen musste."

"Ja, das hat momentan noch zu, aber ich hoffe, Ricardo berappelt sich bald wieder. Schon seit einiger Zeit arbeite ich bei einem Entrümpler: bringt auch gut Knete. Tja, und seit der Grippewelle bring ich Leichen zum Friedhof."

"Graus. Und da wagst du es, meinen Benzinhandel als komisch zu bezeichnen? Leichentransport ist ja wirklich kein Stück besser."

"Stimmt schon. Aber irgend jemand muss die Toten ja aus ihren Wohnungen holen. Dauert bestimmt auch nicht mehr lange. Vielleicht krieg ich demnächst einen Programmierer-Job."

"Du Glückspilz. Wie kommts?"

"Connections. Erinnerst du dich, dass ich bei dieser Armenspeisung geholfen hab? Daher hab ich die Verbindung zu dem Jobanbieter."

"Wenn ich du wäre, würde ich vor lauter Luftsprüngen gar nicht mehr auf den Boden kommen. Aber du siehst gar nicht nach Luftsprüngen aus."

"Die Sache hat einen Haken."

"Dacht ich's mir doch. Und der wäre?"

"Der Arbeitsgeber ist ein Insolvenzverwalter und ich befürchte eine steife Umgebung."

"Wenns weiter nichts ist. Besser als Leichentransport ist das allemal. Und wenn man's genau nimmt: auch besser als Benzinhandel."

"Wahrscheinlich hast du recht. Ich muss weiter, Weihnachtseinkäufe. Man sieht sich."

"Jo, bis denne mal."

Jens fuhr weiter Richtung Innenstadt. In der Fussgängerzone angekommen, stieg er ab und schob sein Fahrrad durch die Menschenmassen, die, wie befürchtet, den Weg verstopften. Fast alle trugen Gesichtsmasken, was die außergewöhnliche Situation deutlich machte. Die meisten Geschäfte waren geschlossen, viele davon dauerhaft, und der Menschenstrom schob sich hastig daran vorbei, um vor den wenigen geöffneten Läden Trauben zu bilden.

Vom einzigen geöffneten Kaufhaus erhoffte sich Jens die beste Einkaufsmöglichkeit, daher parkte er sein Fahrrad in der Nähe und schloss sich der Menschentraube an, die nach drinnen drängte. Nach etwa einer Viertelstunde hatte Jens sich endlich bis zum Eingang vorgearbeitet, aber von den ersten Waren war er noch meterweit entfernt.

Zuerst strebte er in Richtung Delikatessenabteilung, um Wein und Pralinen zu kaufen. Die Preise, die er beim langsamen Vorwärtsschieben zu sehen bekam, erschienen ihm exorbitant. Aber die Leute kauften, als wäre es das letzte, das sie kaufen würden. Auch der Wein, den er schließlich ergatterte, kostete dreimal soviel, wie er es von gutem Wein in Erinnerung hatte. Mit Pralinenpreisen kannte er sich nicht aus, daher wusste er nicht, ob sie auch teurer geworden waren.

Suchend schaute er sich um, ob er in dieser Abteilung auch gleich Geschenke für Sonja und Johanna finden könnte, aber für Johanna war eine Süssigkeit einfach zu popelig, wo sie ihm doch einen ganzen Pullover gestrickt hatte und für Sonja ließ sich bestimmt auch etwas Lustiges in der Spielwarenabteilung finden.

Vor dem Barbiepuppen-Regal blieb er schließlich stehen, entschied sich aber gegen den Kauf einer Barbiepuppe, denn möglicherweise hatte Sonja schon zehn Stück davon. Auch die Rüschenkleider für Barbies ließ er liegen, denn vielleicht hatte Sonja ja auch gar keine solche Langbeinpuppe. Ob es vielleicht besser ein pädagogisch wertvolles Spielzeug sein sollte? Aber davon bekam sie bestimmt schon genug von ihren Eltern.

Sein Blick fiel auf ein sagenhaft kitschiges rosa Pony mit langer Mähne, die man offensichtlich mit dem beiliegenden Kamm striegeln sollte. Ein spitzbübisches Grinsen stahl sich über Jens Gesicht. Wahrscheinlich würde dieses Kitschmonster der kleinen Sonja sehr gut gefallen, und den Eltern würde es deutlich zeigen, dass er wohl kein so geeigneter Schwiegersohn war. Der Gedanke kam ihm albern vor, kaum hatte er ihn gedacht, aber das kleine rosa Pony reizte ihn dennoch. Also arbeitete er sich zur Kasse vor und bezahlte.

Nun kam das Schwierigste: ein Geschenk für Johanna. Egal, was er fand, neben dem Pullover würde es verblassen und wenn das Geschenk zu aufwendig war, würde es einem Versprechen gleichkommen, von dem Jens noch nicht wusste, ob er es geben wollte. Neben den Spielwaren fand er die Buchabteilung, wo er eine Weile durch die Bildbände stöberte. "Licht in dunklen Tagen" stand auf einem drauf, mit wunderbaren Naturbildern, aber sowas konnte man ja eher zu einer Beerdigung verschenken als zu Weihnachten für eine junge Frau.

Nach einer Weile fand er ein Buch mit dem Titel "Wintermärchen", das auch sehr schöne Bilder hatte und voller heiterer Wintergeschichten steckte. So ein Buch war zwar irgendwie banal, aber es gefiel ihm und er wollte mit seinem Geschenk schließlich keine besondere Bedeutung verbinden. Nachdem auch dieses Geschenk bezahlt war, ging er auf dem Weg nach draussen noch in der Weihnachtsabteilung vorbei und erstand Geschenkpapier.

Neben der Kasse standen dicke honigfarbene Kerzen mit einem dezenten Reliefmuster. Es roch schwach nach Bienenwachs und ein Schild versprach "Mit Bienenwachsbeimischung". Reines Bienenwachs war inzwischen wohl unbezahlbar, denn selbst die angebotenen Misch-Kerzen waren schon sehr teuer. Jens wurde aber die Gedanken an Frau Wagner nicht los, als er die Kerzen betrachtete, und er entschied sich, eine zu kaufen.

Vollgepackt mit den ganzen Geschenken kämpfte er sich zum Ausgang durch und war sehr froh, als er endlich sein Fahrrad erreicht hatte. Durch eine schmale Seitenstrasse entfloh er dem Gedränge und fuhr auf dem schnellsten Weg nach Hause.

Dort erwartete ihn ein Anruf von Ricardo.

Jenseits des Ölgipfels

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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