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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 19


  
"Ich bin ja echt froh, dass du das mit Frau Wagner übernommen hast.", sagte Achim später bei einem Bier. "Ich hätte nicht gewusst, was ich tun soll. Und ich weiss auch nicht, ob ich die Bereitschaft gehabt hätte, wieder hinzugehen und mich drum zu kümmern, bis der Fall gelöst ist."

"Lust hatte ich auch keine, und als ich dort saß und über eine Lösung nachdachte, war ich der Verzweiflung nahe. Am liebsten wäre ich davongerannt, aber dann hätte ich mir nicht mehr in die Augen schauen können."

"Liegengelassen hätte ich sie wohl auch nicht, auch wenns mir gestunken hätte, den Sani spielen zu müssen. Vielleicht hätte ich sie mit raus zum Friedhof genommen, natürlich in Decken gehüllt, statt im Sack. Dort sind schließlich Ärzte."

"Stimmt. Das wäre wahrscheinlich auch gegangen, wenn es auch makaber wirkt. Vielleicht könnte man zukünftige Opfer direkt zum Altersheim fahren, dann spart man Wartezeit."

"Klingt brauchbar. Eigentlich ist es ja ne feine Sache, jemanden den Klauen des Todes entrissen zu haben. Wenn man weiss, was zu tun ist und vor allem, wo man sie hinbringen kann, dann ist das allemal besser, als sie unter die Erde zu bringen, auch wenns mehr Zeit kostet."

Achim lehnte sich zufrieden grinsend zurück und hob sein Glas. Die Kneipe war Tag für Tag voller geworden, denn anscheinend hatte es sich herumgesprochen, dass sie offen hatte und dass das Essen geniessbar war. Viele der Gäste hatte Jens auch schon bei der Entrümplungsfirma oder auf dem Friedhof gesehen.

Nie hätte er erwartet, dass er sich mit Achim so gut anfreunden würde. Am Anfang hatte er mit einer äusserst flüchtigen Eintagsbekanntschaft gerechnet, aber das gemeinsame Bergen von Toten schweisste wohl zusammen.

Das Wochenende hatten sie sich freigekämpft, denn beide mussten mal wieder einkaufen gehen und vor allem ausruhen. Doch als Jens am Samstagmorgen bei seinem Lieblingssupermarkt ankam, war dieser geschlossen. Auch der nächstgelegene Ersatz-Supermarkt hatte zu. Erst beim vierten Versuch fand Jens geöffnete Türen vor. Dies war der Supermarkt, der besonders ausgeprägt auf moderne Technik setzte und auschliesslich vollautomatische Kassen benutzte. Hier sah man selten menschliche Mitarbeiter, wusste sich aber ständig von aufmerksamen Kameras beobachtet.

Die Regale waren zur Hälfte leer, aber Jens fand noch genug, um seine Vorräte aufzustocken. Sein Einkaufswagen war übervoll, als er zur Kasse ging. Der Kassenautomat scannte innerhalb einer Sekunde alle Produkte, die im Wagen lagen. Jens musste nur seine Geldkarte in einen Schlitz stecken, um zu bezahlen. Durch die schnelle Abwicklung gab es hier auch kaum Warteschlangen. Das Beste war jedoch, dass das lästige Förderband wegfiel, auf das man in anderen Supermärkten alle Waren aufreihen und anschließend wieder einpacken musste. Dank Fahrradanhänger war es jetzt auch ein Kinderspiel, den Großeinkauf nach Hause zu transportieren.

Für den Besuch bei Johanna zog Jens sich nach dem Duschen seine besten Klamotten an. Er war schon ganz gespannt auf Johannas Lebensumstände. Die Sonne schien warm vom Himmel, sodass man kaum merkte, dass immer noch Frost herrschte. Von einigen Dächern tropften jedoch schon Eiszapfen. Johanna wohnte in einem Stadtteil, den Jens bisher gar nicht kannte, dabei war er gar nicht soweit weg von Jens' Wohnung, lag aber in einer anderen Richtung als Jens' sonstige Aktivitäten.

Ein Stück des Weges führte an Johannas Viertel vorbei, aber er konnte nichts davon sehen, weil die Straße durch eine massive Betonmauer von den Häusern getrennt war. Als er in Johannas Straße einbiegen wollte, versperrte ihm ein Gittertor den Weg. Hinter dem Tor stand breitbeinig ein kräftig gebauter Mann, der sein Gewehr demonstrativ vor die Brust hielt.

"Hallo, ich wollte zu Johanna. Johanna Trautmann. Dort bin ich eingeladen."

Mit einer unwirschen Bewegung seines Gewehrs deutete der Mann zur Seite, wo Jens ein Pförtnerhäuschen entdeckte.

Jens ging zum Pförtner, der "Passierschein" knurrte, als er Jens bemerkte.

"Ich bin bei Johanna Trautmann eingeladen. Von einem Passierschein weiss ich nichts."

"Kein Passierschein? Dann kommen Sie hier nicht rein."

"Aber ich bin doch eingeladen. Von der ganzen Familie. Sie können gerne nachfragen.", Jens zückte sein Handy und befragte es nach Johannas Nummer. "Hier ist die Telefonnummer.", sagte er und hielt dem Pförtner sein Handy hin. "Sie können gerne nachfragen."

Der Mann knurrte etwas Unverständliches, drückte auf einige Tasten seines Computers, grunzte und nickte dann unwillig. Anschließend griff er nach einem Hörer, drückte auf eine weitere Taste der Tastatur und wartete, mit den Fingern auf den Tisch trommelnd.

"Ja, hier ist der Sicherheitsdienst. Entschuldigen Sie die Störung. Erwarten Sie Besuch?", fragte er in den Hörer.

In Richtung Jens bellte er: "Name?".

"Markert. Jens Markert."

"Ok, können passieren!"

Eine Gittertür schwang auf und Jens schob sein Fahrrad hindurch. Erst zehn Meter hinter dem Tor stieg er wieder auf und fuhr langsam die Straße entlang. Mit so einer scharfen Bewachung hatte er nicht gerechnet. Das war ja schlimmer, als in ein militärisches Gelände hineinzukommen. Zwar hatte er schon von bewachten Wohnanlagen gehört, aber in der Praxis hatte er es noch nie erlebt.

Johanna stand schon in der Tür, als Jens das Haus erreichte.

"Entschuldige bitte, ich hatte völlig vergessen, dass du ja durch die Kontrolle musst.", begrüsste sie ihn.

"Hallo. War nicht so schlimm, sie haben mich ja durchgelassen."

"Tut mir trotzdem leid. Weisst du, die anderen, die mich besuchen kommen, wohnen alle in der Nachbarschaft. Hier kannst du dein Fahrrad abstellen."

Jens stellte sein Fahrrad an die angegebene Stelle und folgte Johanna ins Haus. Sie trug Jeans, die man fast als eng bezeichnen konnte. Ihr flauschiger Pullover verlockte zum Reingreifen. Ein Mädchen im Grundschulalter sprang herbei, baute sich vor Jens auf und streckte ihm die Hand entgegen: "Guten Tag Herr Markert. Wie schön, dass Sie uns besuchen.". Es klang eher wie: "He, du großer Junge, willst du mit mir durch den Garten toben?".

"Sehr erfreut, junge Dame. Mit wem habe ich die Ehre?", mimte Jens den Galanten, als er dem Mädchen die Hand reichte.

"Ich heisse Sonja", sagte sie mit einem unterdrückten Quieken in der Stimme. Strahlend drehte sie sich um und wies auf ihre Eltern, die inzwischen hinzugekommen waren.

Jens schüttelte die angebotenen Hände und stellte sich artig vor. Johannas Mutter bat ihn händeringend um Verzeihung für ihre vorlaute Tochter, was er mit einem "Sie war doch sehr charmant." abwehrte.

Die Mutter war eine Frau, die sich sehr aufrecht hielt. Die vermutlich langen Haare waren straff nach hinten gezogen und bildeten einen Knoten. Sie trug Rock, Bluse und Strickweste in cremeweiss. Den Kopf des Vaters zierte eine ausgeprägte Halbglatze, sein Anzug wirkte sehr perfekt. Für so eine junge Tochter wie Sonja schien Herr Trautmann ziemlich alt.

Höflichkeiten austauschend bewegten sich alle in Richtung Esszimmer. Auf dem Tisch thronte bereits ein verführerisch duftender Apfelkuchen. Eine makellos weisse Tischdecke und das Goldrandgeschirr ließen die ganze Umgebung hochoffiziell wirken. Aber vielleicht gehörte das bei Trautmanns auch zum Alltag, denn auch der Rest des Zimmers war ausgesprochen gepflegt.

Am Kopfende des Tisches wurde Jens ein Platz angeboten, gegenüber von Herrn Trautmann und schräg neben Johanna. Frau Trautmann eilte mit einer dampfenden Kaffeekanne herbei und schenkte zuerst ihm, dann Herrn Trautmann und erst danach sich und Johanna ein. Sonja bekam Kakao. Dann wurde der Kuchen in exakte Stücke geschnitten und in der gleichen Reihenfolge auf die Teller gelegt. Jens wollte gerade zur Kaffeetasse greifen, doch irgendetwas ließ ihn innehalten. Die Familie wartete auf etwas, auch wenn er nicht wusste, auf was.

Diese Frage klärte sich jedoch schnell, denn als Frau Trautmann sich hingesetzt hatte, faltete Herr Trautmann demonstrativ die Hände und der Rest der Familie folgte seinem Beispiel. Jens verstand, faltete auch die Hände und senkte den Kopf. Durch das Gemeindezentrum waren ihm solche Rituale inzwischen vertraut. Herr Trautmann sprach ein kurzes Gebet und dann schauten alle auf Jens.

Jetzt sollte er wohl als Gast mit dem Essen beginnen. Jens hob die silberne Kuchengabel, versicherte sich durch einen kurzen Rundblick, ob dies die erwartete Handlung war und als Johanna ihm fast unmerklich zunickte, stach er in den Kuchen und beförderte den ersten Bissen in seinen Mund. Der Kuchen war noch leckerer als er roch. Zart zerging er auf der Zunge und erfüllte den Mund mit wärmendem Zimtaroma.

Voller Begeisterung konnte Jens ein "Mhm" trotz vollem Mund nicht verhindern. Als er Frau Trautmann anerkennend zunickte, war das wie ein Startsignal für die anderen, in eifrige Betriebsamkeit auszubrechen. Frau Trautmann bot Sahne an, Zucker und Kaffeesahne wurden herumgereicht. Sobald er wieder einen leeren Mund hatte, lobte Jens den Kuchen, was Frau Trautmann ein zufriedenes Lächeln entlockte.

"Haben Sie gut hergefunden, vom Sicherheitsdienst mal abgesehen?", eröffnete Herr Trautmann das Gespräch.

"Ja, die Fahrt war völlig problemlos."

"Und Ihre Grippe haben Sie gut überstanden?"

"Ja, ich arbeite seit einigen Tagen wieder."

"Meine Tochter hat erwähnt, dass Sie Informatiker sind, aber zur Zeit in einem anderen Bereich tätig sind."

"Das ist richtig. Ich habe Informatik studiert."

"Und wie hat Ihnen das gefallen?"

Jens erzählte von seinem Studium und streute auch einige Details ein, denn das unterbrach für einen Moment das Frage-Antwort-Spiel.

"Sehr schön haben Sie es hier", sagte er anschließend, um das Thema von sich abzulenken.

"Ja, in der Tat, ich könnte mir auch kein schöneres Zuhause vorstellen", antwortete Herr Trautmann. "Johanna hat erzählt, dass Sie sich im Gemeindezentrum kennengelernt haben."

"Stimmt. Ich bin da mehr zufällig reingerutscht und dann hat es mir gefallen."

"Wie schön. Heutzutage ist es selten, dass junge Männer von sich aus den Impuls verspüren, anderen zu helfen."

"Wenn ich ehrlich bin, hat mich eher der Gedanke geschreckt, dort als hungriger Gast in der Schlange zu stehen, und dem wollte ich vorgreifen", sagte Jens, um seine damalige Intention nicht zu beschönigen. "Und Johanna ist ja schon länger dabei."

"Ich mache dort mein soziales Jahr, hast du das nicht gewusst?", mischte Johanna sich ein.

"Nein, das war mir bisher entgangen. Ich hatte mich schon mal gefragt, wie du es schaffst, jeden Tag Zeit dafür zu haben, aber dann habe ich nicht weiter darüber nachgedacht."

"Nach dem Abi wollte ich etwas Sinnvolles tun und anschließend werde ich Betriebswirtschaft studieren", erklärte Johanna.

"Die Armenspeisung ist bestimmt eine sinnvolle Aufgabe.", sagte Jens und merkte gar nicht, dass die Eltern beim Wort "Armenspeisung" zusammenzuckten, denn ihm war mit Schrecken bewusst geworden, dass Johanna deutlich älter war, als er vermutet hatte. Sie musste mindestens achtzehn sein oder eher sogar schon neunzehn. Er hatte sie auf sechzehn geschätzt, viel zu jung, um auch nur daran zu denken, mit ihr was anzufangen. Was hatte ihn auf die Idee gebracht, dass sie noch so jung war? Ob es die Zöpfe waren, die bisher immer ihre Mähne gebändigt hatten? Oder war es ihre unschuldige Ausstrahlung?

Plötzlich erschien sein ganzer Besuch bei Johanna in einem anderen Licht. Offensichtlich sah die Familie ihn als potentiellen Freund von Johanna. Aber er hätte die Einladung ja auch kaum ablehnen können, wo Johanna ihn doch so nett besucht hatte.

Das Gespräch wandte sich den schlechten Zeiten im Allgemeinen und der Grippeepidemie im Speziellen zu. Herr Trautmann erzählte von dem Glück, das er bezüglich der Grippe gehabt hatte. Um ein Haar wäre auch ein Mitarbeiter seiner Firma als Delegierter zur WCCC gefahren und das wäre wahrscheinlich er selbst gewesen. Doch in letzter Minute war die Wahl auf ein Konkurrenzunternehmen gefallen, was sie alle vor der Grippe bewahrt hatte.

Mit gegenseitigem Händefassen und einem Minigebet wurde die Kaffeetafel schließlich aufgehoben. Jens durfte sich mit Johanna in ihr Zimmer zurückziehen, während Frau Trautmann und Sonja in der Küche werkelten. Herr Trautmann verschwand in seinem Arbeitszimmer, nachdem er Johanna vielsagend zugenickt hatte.

Johannas Zimmer war ein typisches Jungmädchenzimmer, jedoch ohne das viele Rosa, das Jens sonst mit solchen Zimmern assoziierte. Jens durfte auf dem einzigen Sessel platznehmen und Johanna setzte sich auf ihr zum Sofa umfunktioniertes Bett. Sie streckte sich zum Nachttisch am Kopfende des Bettes und schaltete dort gefühlvolle Musik ein.

"Der Kuchen war wirklich sehr lecker", begann Jens das Gespräch mit einem unverfänglichen Thema.

"Da wird sich meine Mutter freuen. Ihre Kuchen sind ihr ganzer Stolz. Meine Eltern mögen übrigens gar nicht gern das Wort 'Armenspeisung'. 'Suppenküche' ist hingegen eine akzeptierte Bezeichnung. Warum viele so allergisch auf das Wort 'Armenspeisung' reagieren, weiss ich auch nicht. Vielleicht weil es aus dem Mittelalter kommt und nicht als zeitgemäss gilt. Vielleicht will man auch das Wort 'arm' vermeiden."

"Ok, ich versuche, darauf zu achten, es in Zukunft 'Suppenküche' zu nennen. Das mit der 'Armut' leuchtet ein, denn irgendwie will keiner so richtig wahrhaben, dass es in Deutschland arme Leute gibt. 'Grundsicherungsempfänger' ist ja auch so ein Wortungetüm, um das Wort 'Armut' zu umgehen."

"Mein Vater hat übrigens angedeutet, dass er vielleicht eine Arbeitsstelle für dich hat. Sie suchen nämlich dringend flexible Computerspezialisten, die sich schnell in die Computeranlagen der zu betreuenden Firmen einarbeiten können. Sowas kannst du doch, oder?"

"Das kann ich wohl schon. Aber ein Job in der Firma deines Vaters? Der ist doch jetzt in einer Insolvenzverwaltungsfirma. Tote Firmen ausweiden?"

"Was du jetzt machst, ist doch noch viel schlimmer. Verwaiste Wohnungen entrümpeln."

"Um genau zu sein, ist es zur Zeit noch krasser. Ich transportiere Leichen zum Friedhof."

"Du machst was? Tote transportieren? Aber du bist doch kein Bestattungsunternehmen."

"Das habe ich auch am Anfang gedacht. Aber es gibt soviele Tote, die darauf warten unter die Erde zu kommen, dass jeder mit anpacken muss."

"Das leuchtet ein, aber die Vorstellung finde ich sehr gruselig. Zu dem Job nochmal: Was hältst du denn davon? Nach sowas hast du doch eigentlich gesucht, oder?"

"Eigentlich schon."

"Es geht auch nicht nur um das Aufsammeln der Scherben, sondern oft genug gelingt es ja, die insolvente Firma wieder in Schwung zu bringen. Das ist eigentlich sogar das Hauptanliegen der Firma meines Vaters."

"Das Angebot ist zweifellos sehr gut, aber es kommt etwas überraschend. Da muss ich erst ein paar Tage drüber nachdenken."

Man konnte Johanna ansehen, dass sie am liebsten noch weitere Argumente für den Job beim Insolvenzverwalter aufgeführt hätte, aber sie hielt sich zurück. Stattdessen sagte sie: "Wie läuft denn das mit der Bergung der Toten? Magst du davon erzählen?".

Obwohl Leichentsorgung kein erfreuliches Thema war, erzählte Jens davon, wie das so lief in den Wohnungen und auf dem neuen Friedhof. Auch von Frau Wagner erzählte er, was Johanna viele Laute des Erstaunens entlockte. Es sah hinreissend aus, wie sie ihn dabei aus Vollmondaugen ansah.

Danach spielte ein Lied, das Johanna anscheinend besonders mochte, denn sie wies ihn extra darauf hin. Jens nutzte die Gelegenheit, um über das Jobangebot nachzudenken. Eigentlich war es ja genau das, was er jahrelang vergeblich gesucht hatte. Es war genau so, wie viele immer klagten: nur mit Vitamin-B, guten Beziehungen, bekam man heutzutage noch anspruchsvolle Jobs. Aber in einer Insolvenzverwaltungsfirma? Das war aber nicht das eigentliche Problem, denn wie Johanna schon festgestellt hatte, scheute er sich nichtmal davor, zu entrümpeln und sogar Leichen zu entsorgen.

Er hatte das diffuse Gefühl, dass es um mehr ging, als um einen Job. Was wurde ihm hier eigentlich angeboten? Johanna war im heiratsfähigen Alter, was ihm erst seit kurzem bewusst war. Herr Trautmann war schon relativ alt und hatte der Gefahr seines Todes bestimmt mit Schrecken ins Auge blicken müssen, als ihm klar wurde, wie knapp er davongekommen war, sich mit der Grippe anzustecken. Also brauchte er einen Ersatzernährer für den Fall, dass er als Familienernährer ausfallen würde. Und als Sahnehäubchen wurde Jens eine entzückende junge Frau angeboten, die nicht nur hübsch, sondern auch intelligent, charmant und liebevoll war. Sogar schweigen konnte man mit ihr zusammen, was sie ihm gerade bewies.

Aber in dieser Familie würde er sich wohl kaum wohlfühlen können. Es war nicht nur diese begeisterte Ausübung religiöser Rituale, sondern noch mehr die Steifheit eines Patrizierhaushalts, die ihn abschreckten. Er kam zwar selbst aus einer Akademikerfamilie, und hatte auch gelernt, mit Messer und Gabel zu essen, aber bei ihnen zu Hause, war es viel lockerer zugegangen. Eigentlich war es sehr schön mit seinen Eltern gewesen.

Ein Schwung Trauer drohte ihn gerade zu überspülen, als das Lied wechselte und Johanna fragte: "Hat dir das Lied gefallen?".

"Ja, hat es. Es war sehr - gefühlvoll."

Johanna stand auf und ging zum Fenster. "Ich mag gefühlvolle Musik", sagte sie. "Schau mal da draussen, hinter den Bäumen, siehst du, da steht das Gartenhaus, wie wir es nennen, aber es ist ein vollständiges Haus."

Jens stand auf und folgte ihrem zeigenden Finger. Das Haus, von dem sie sprach, stand hinter einer Gruppe Apfelbäume, durch deren winterkahle Äste man Sprossenfenster mit Fensterläden und ein Reeddach erkennen konnte. Die rote Farbe der Wände deutete darauf hin, dass das Haus verklinkert war. Ein romantischer Häusertraum, Realität geworden.

"Wenn ich später mehr Platz brauche, kann ich mir das ausbauen lassen."

"Nicht schlecht. Ich bin beeindruckt", sagte Jens. In ihm rotierte es. Konnte das alles wahr sein, oder hatte er das Ganze missverstanden? Er musste hier raus, um einen klaren Kopf zu bekommen.

"Du siehst nachdenklich aus. Denkst du über das Angebot von meinem Vater nach?"

"Ja, das tu ich. Bei meinen momentanen Jobs könnte ich auch jederzeit wieder aussteigen, aber bei der Art von Arbeitsplatz, die dein Vater anbietet, sollte man sich längerfristig verpflichten und das will gut überlegt sein. Es kann eine Weile dauern, bis ich fertig überlegt habe, denn ich habe zur Zeit auch sehr viel zu tun."

"Das sehe ich ein."

"Ich sollte mich allmählich auf den Heimweg machen, denn ich fahre lieber bei Tageslicht als im Dunkeln."

"Stimmt. Es wird ja bald dunkel. Ich bringe dich noch nach unten."

Jens verabschiedete sich höflich von der restlichen Familie und dann stand er mit Johanna im Windfang und wusste nicht auf welche Weise er sich angemessen von Johanna verabschieden konnte, ohne ungewollt Dinge zu versprechen, die er vielleicht nicht halten konnte, aber auch ohne unhöflich kühl zu wirken.

Nach einer unentschlossenen Sekunde ergriff Johanna die Initiative und drückte ihn kurz umarmend an sich, wie es auch im Gemeindezentrum bei manchen üblich war.

Ihm war fast schwindelig, als er sein Fahrrad aus dem Hauseingang schob und aufstieg. Doch die klirrend kalte Luft fuhr ihm belebend durch die Glieder und er gab sich erstmal dem Spüren des Fahrtwindes hin.

Doch das Angebot der Trautmanns ließ ihn einfach nicht in Ruhe. Hatte er das richtig verstanden? Obwohl es nicht klar ausgesprochen worden war, lag die Richtung, in die das Angebot zielte, auf der Hand. Auch die Art, wie Johanna ihn angesehen hatte, als sie über das Nachdenken sprachen, war eindeutig gewesen.

Und dann sollte er die Dynastie fortführen und brave, betende Erben zeugen?

Noch beim Einschlafen gingen ihm Bilder durch den Kopf, wie er im Anzug morgens zur Arbeit ging, immer im strengen Blickwinkel des Schwiegervaters. Zuhause mischte sich womöglich Frau Trautmann in die angemessene Erziehung der kleinen Erben ein und erstickte jede kleinste Unbefangenheit im Kern.

Im Traum irrte er durch das umfangreich renovierte und erweiterte Gartenhaus und suchte sein Fahrrad.

Jenseits des Ölgipfels

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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