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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 15


  
Am liebsten wäre Jens einfach im Bett liegengeblieben, so gemütlich war es, sich in die Decken einzukuscheln. Im Zimmer war es nur zehn Grad kühl, wie er bei einem Blick auf das Thermometer feststellen musste, nachdem er sich endlich überwunden hatte aufzustehen. Auf einen Kaffee verzichtete er, denn der Kaffee im Gemeindezentrum war einfach wohlschmeckender. Dick vermummt machte er sich auf den Weg durch den Schnee.

Im Gemeindezentrum waren die Leute schon eifrig beim Gemüseschnippeln, als Jens ankam. Er setzte sich dazu und widmete sich den üblichen Zwiebeln. Kaum standen ihm die gewohnten Tränen in den Augen, betrat der Armenspeisungs-Organisator, den Jens bisher nur selten gesehen hatte, die Küche und verkündete, dass Silke sich wegen Grippe entschuldigt hatte.

Silke hatte noch nie gefehlt, seit Jens bei der Armenspeisung mithalf, und sie war immer die Herrin der Kochtöpfe, daher wunderte er sich nicht, dass einige Verwirrung entstand, als das Kochen der Suppe begann. Schließlich übernahm Johanna das Kochkommando und Jens half ihr, die anbratenden Zwiebeln in den Töpfen umzurühren. Es ging ziemlich hektisch zu, bis endlich das Wasser in die Töpfe gegossen wurde und darauf wartete, heiss zu werden.

"Die arme Silke", sagte Johanna in einer Rührpause. "Das kommt bestimmt von den vielen Krankenbesuchen."

"Oder sie hat sich bei ihrem Mann angesteckt, der ist doch gestern auch schon krank gewesen", entgegnete Jens. Und nach einer Weile sagte er: "Du hast dich anscheinend wieder erholt."

"Ja, das war nicht so schlimm. Anfang der Woche hab ich mir ein bisschen Ruhe gegönnt und dann wurds auch schon wieder besser. So eine kleine Erkältung gehört wohl einfach zum Winter dazu."

"Das denk ich auch. Und jetzt, wo das Heizen so schwierig geworden ist, herrschen in vielen Wohnungen auch ungewohnt niedrige Temperaturen."

"Bei uns ist das auch ganz schrecklich. Wir haben ein ziemlich grosses Haus und das ist natürlich schwer zu heizen. Tagsüber sitzen wir jetzt immer alle im Esszimer, weil das kleiner ist, als das Wohnzimmer und nur zum Schlafen benutzen wir die eigenen Zimmer. Und jetzt, wo es so kalt geworden ist, kommt meine kleine Schwester fast jede Nacht angekrochen, weil sie vor Kälte nicht schlafen kann. Dann wärmen wir uns eben gegenseitig."

"Gegen Kälte im Bett habe ich ein tolles Zaubermittel entdeckt. Und zwar habe ich eine Heizdecke, die ich abends ins Bett lege, um es aufzuwärmen. Verbraucht kaum Strom und ist trotzdem wirksam, weil sie direkt vor Ort wirkt."

"Eine Heizdecke? Meine Oma hatte so eine. Und du meinst, das bringt was?"

"Das bringt enorm viel. Zuerst war es mir ja auch fast peinlich, weil ich Heizdecken auch mit Omas assoziiert hatte, aber es ist wunderbar. Und man spart ne Menge Heizkosten, weil man den Raum nicht mehr so stark heizen muss."

"Das werd ich mal meiner Mutter erzählen. Vielleicht kauft sie uns dann welche. Danke für die gute Idee."

"Gern geschehen. Doppelte Decken sind übrigens auch sehr nützlich, denn dann hält die Wärme besser."

"Die Decken nehmen wir sowieso schon doppelt. Ohne wäre es bestimmt kaum auszuhalten. Mich wundert es inzwischen nicht mehr, dass die Leute im Mittelalter immer zu mehreren im Bett lagen. Die hatten ja meistens nicht mal Fensterscheiben."

"Daran kann man sehen, wie gut es uns trotz Krise geht. Wir sind wohl ziemlich verwöhnt."

"Ja, ich glaube auch. Hättest du eigentlich Lust, uns mal zu besuchen?"

"Oh, ja, gerne. Aber glaubst du, dass es deinen Eltern recht ist, wenn du so einen Tagelöhner wie mich einlädst?"

"Du bist lustig. Ja, ich glaube, dass es meinen Eltern recht ist. Schon allein die Tatsache, dass du hier freiwillig mitarbeitest, adelt dich in ihren Augen. Sie mögen nur keine jungen Männer, die den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen. Und du bist ja ständig auf Achse."

"Da hast du recht, manchmal komme ich kaum zum Luftholen."

"Gib mir doch mal deine Telefonnummer. Dann ruf ich dich an, wenn ich mit meinen Eltern besprochen habe, wann es am besten passt."

Sie tauschten ihre Telefonnummern und dann forderte die inzwischen kochende Suppe wieder ihre volle Aufmerksamkeit.

Nachmittags fuhr Jens zu seiner Garage, denn er hatte keine Lust, zuhause die Zeit totzuschlagen. In der Garage war es kalt, daher schloss er das Tor hinter sich und knipste das Licht an. Die Handschuhe stopfte er in seine Manteltaschen, um die Hände freizuhaben, aber Mantel und Mütze behielt er an. Seine Atemluft stieg in Dampfwolken zur Decke, aber davon ließ er sich nicht beirren.

Jedes Gerät, das er sich vornahm, war wie eine neue Rätselaufgabe. Jens schraubte das Gehäuse auf, wie andere ein Geschenk auspacken. Neugierig, welches Bild sich ihm bieten würde. Fast jedes zweite Gerät hatte sofort erkennbare Probleme mit der Stromversorgung. Lockere Kabel lötete oder schraubte Jens zügig wieder an die vorgesehene Stelle und meistens funktionierten die Geräte dann wieder.

Bei einem alten Cassetten-Deck drehten sich die Motoren selbst im Leerlauf so schleppend, dass Jens kaum Hoffnung auf Besserung hatte, zumal kaum noch jemand Cassetten-Decks brauchte. Er entfernte die Kabel und das Netzteil und legte die Teile in ein Regalfach, das er für Ersatzteile vorgesehen hatte.

Immer wenn er mit einem Gerät fertig war, zog ihn ein anderes magisch an und wollte enträtselt werden. So merkte er kaum, wie die Zeit verging. Erst als er keinen Platz mehr auf dem Tisch fand, um die reparierten Geräte zu stapeln, wurde sie ihm wieder bewusst. Es war höchste Zeit, um ins Bistro zu fahren.

Wie ausgekühlt er war, merkte er daran, dass seine Zähne klapperten. Draussen war es nicht nur kälter als in der Garage, sondern ein eisiger Wind pfiff durch die Straßen. Jens schlug den Kragen hoch und stemmte sich gegen den Wind. Der Weg von der Garage zum Bistro kam ihm diesmal ausgesprochen weit vor.

Endlich erreichte er das Bistro. In der Küche schien es ihm geradezu himmlisch warm. Eine grosse Tasse Kaffee ließ die Wärme auch nach innen fließen. Mit beiden Händen umschloss Jens die Tasse und blies in den Kaffee, sodass der warme Dampf seinen Kopf einhüllte.

Kaum hatte Jens sich etwas aufgewärmt, kamen auch schon die ersten Bestellungen. Ricardo kämpfte im Gastraum darum, die Übersicht zu behalten, was ihm sichtlich schwerer fiel als Tina, die das Tag für Tag mit Leichtigkeit schaffte. Um Ricardo zu helfen, brachte Jens einige der Gerichte direkt an die Tische, wenn er wusste für wen das Essen sein sollte.

Das Kochen schien Jens anstrengender als sonst. Nach einer Weile fand er es sogar in der Küche zu kalt, obwohl der Baguetteofen ständig in Betrieb war. Davon ließ er sich jedoch nicht weiter beirren und eilte mit den nächsten Tellern in den Gastraum. Beim Tragen der Teller fiel ihm auf, dass ihm seine Arme und der Rücken wehtaten. Wahrscheinlich war er einfach überarbeitet. Ein dumpfer Druck entstand in seinem Kopf, der sich im Verlauf der nächsten beiden Baguetterunden zu einem heftigen Kopfschmerz zusammenzog.

Glücklicherweise ließen die Bestellungen allmählich nach, daher fing Jens mit dem Putzen an, um bald Feierabend machen zu können. Kurz bevor er fertig geputzt hatte, rief Ricardo ihm noch eine Baguettebestellung zu. Die Zutaten, die Jens jetzt wieder aus dem Kühlschrank holen musste, waren bleischwer, das Messer kämpfte mit jeder einzelnen Scheibe und die Wartezeit, bis der Käse geschmolzen war, verlängerte sich zu gefühlten Stunden. Jens Kopf dröhnte und sein Körper fühlte sich an wie erschlagen. Heute würde er früh ins Bett gehen.

Endlich durfte Jens Feierabend machen. Es fiel ihm sogar schwer, sich in Jacke, Mütze und Handschuhe einzupacken. Erst nach dem dritten Versuch gelang es ihm, das Ärmelloch zu treffen. Draussen bestieg er sein Fahrrad, wobei ihm schwindelig wurde. Also beschloss er, das Fahrrad lieber zu schieben.

Der Wind peitschte um seinen Körper und wollte ihn am liebsten umwerfen. Wie gut, dass er ein Fahrrad hatte, um sich abzustützen. Jens klammerte sich am Lenker fest und ließ sich von seinem Fahrrad nach Hause ziehen. Wie praktisch so ein Fahrrad doch war. Jens war jedesmal froh, wenn sie wieder ein beleuchtetes Stück Gehweg erreichten, denn in den dunklen Abschnitten schien ihn der Wind zu Boden ziehen zu wollen.

An einer Kurve wollte das Fahrrad plötzlich in eine andere Richtung fahren als Jens. Jens verlor den Kampf und fand sich auf dem Boden wieder. Über ihm lag sein Fahrrad. Der Boden war eisig, wie Jens nach einer Weile feststellte. Er sollte wieder aufstehen. Warum lag er überhaupt auf dem Boden? Das war doch sonst nicht seine Art.

Von ganz weit her schob sich die Erinnerung an einen rotwangigen Chinesen in seinen hämmernden Kopf. Jens wunderte sich über diesen Gedanken, der sich zu so unpassender Zeit meldete. Oder hatte der Gedanke vielleicht eine wichtige Bedeutung? Dieser Gedanke war wichtig, er wollte ihm etwas mitteilen, da war Jens ganz sicher.

Grippe! Er hatte vielleicht diese Mördergrippe. Dann musste er schleunigst nach Hause. Doch wie konnte er sich wieder von dem fesselnden Boden befreien? Am liebsten wäre er einfach eingeschlafen. Wenn es nur nicht so kalt wäre. Vielleicht, wenn man sich an die Kälte gewöhnt, ...

Doch er dachte diesen Gedanken nicht fertig, denn plötzlich wurde ihm klar, dass er in Gefahr war. Mit heftig rudernden Bewegungen gelang es ihm, das Fahrrad von sich herunter zu schieben. Mühsam stützte er sich mit den Händen auf und stemmte sich in die Hocke. Schließlich gelang es ihm, sich auf wackeligen Beinen aufzurichten. Jetzt musste er nur noch sein Fahrrad aufrichten. Beim Bücken barst ihm fast der Schädel. Die Reifen wollten immer wieder abrutschen, als wollte auch das Fahrrad lieber liegenbleiben. Endlich stand das Fahrrad und sie hielten sich gegenseitig aufrecht.

Jetzt schnell nach Hause. Fast wäre Jens in seiner Eile wieder ausgerutscht, doch er mahnte sich rechtzeitig zur Vorsicht. Schritt für Schritt kämpfte er sich durch den Wind, bis er endlich in der Ferne seine Haustür erahnte. Die letzten Meter zogen sich wie an einem Gummiband.

Wie im Traum brachte er das Fahrrad in den Keller. Irgendwann fand er sich schlotternd auf seinem Sofa wieder. Mit letzter Kraft entledigte er sich seiner feuchten Klamotten, schaltete seine Heizdecke ein und legte sich unter seine Decken.

In der Nacht suchten ihn chinesiche Fahrräder heim, die ihn zu ersticken drohten. Immer wieder wachte er hustengeschüttelt auf. Dann hatte er seine Decken weggestrampelt und fror bis auf die Knochen. Ein anderes Mal kochte er in der Gluthitze der Decken.

Einmal, als er sich schon fragte, wielange diese Nacht wohl noch dauern würde, grinste ihm sein Wecker eine höhnische 2:17 entgegen. Eine Weile schaute er den Sekunden beim Wechseln zu, aber davon taten ihm die Augen weh. Also schloss er sie wieder, wühlte sich in die Decken und hoffte auf Schlaf. Der überfiel ihn dann auch mit unzähligen Baguettes, an denen er rumschrauben musste, um sie zu reparieren.

Quälend langsam verstrichen die Stunden. So schwer hatte noch nie eine Krankheit Jens heimgesucht. Natürlich hatte er schon öfters fieberhafte Erkältungen gehabt und auch an eine schwere Mandelentzündung in seiner Kindheit konnte er sich erinnern, aber das hier war eine ganz andere Liga. Wie Furien jagten die feurigen Flammen aus Schmerz durch seinen Körper.

Er sehnte das Morgengrauen herbei, doch die Sekunden entschlossen sich nur langsam, sich zu Minuten zu sammeln und die Bewältigung einer Stunde erschien Jens wie Schwerarbeit. Endlich konnte er durch seine zu Schlitzen geöffneten Augen einen grauen Lichtschein hinter dem vorhanglosen Fenster erahnen, was ihn so erleichterte, dass er sich entspannte und in einen traumlosen Schlummer fiel.

Als er das nächste Mal erwachte, schien die Sonne hell ins Zimmer. Auf Puddingbeinen schleppte er sich auf die Toilette. Das Wasser des Waschbeckens zischte fast, als er sich damit sein Gesicht kühlen wollte. Als ihm das Wasser in den Mund rann, merkte er, dass er durstig war und trank den Hahn in grossen Schlucken fast leer. Zwischen den Schlucken japste er nach Luft. Erst als sein Magen schon anfing zu protestieren, hörte er auf zu trinken.

Erschöpft fiel er wieder in sein Bett und ihm war egal, dass es aussah wie nach einer Schlacht. Zitternd wärmte er sich wieder auf, denn sein Ausflug ins Bad hatte ihn ausgekühlt.

An Schlaf war nicht mehr zu denken und es war langweilig, immerzu auf den nächsten Hustenanfall zu warten, der hinter dem Brustbein brannte, als würde er Feuer einatmen. Daher quälte er sich zu seinem Fernseher und schaltete ihn ein, um sich etwas abzulenken.

Gerade wurde irgendein alberner Blödsinn gesendet, aber es reichte, um Jens etwas von seinem Zustand abzulenken. Den schweren Kopf auf ein Kissen gebettet schaute er mit einem Auge dem fröhlichen Treiben auf dem Bildschirm zu.

Zwischendrin fiel ihm ein, dass er bei der Entrümplungsfirma erwartet wurde. Aus seiner immer noch feuchten Jacke, die auf dem Boden vor dem Bett rumlungerte, kramte er sein Handy hervor und drückte die entsprechenden Kurzwahltasten. Als endlich jemand dranging, eigentlich waren es nur drei Klingler gewesen, krächzte Jens Stimme so sehr, dass er sie kaum wieder erkannte. Mit Mühe brachte er seine Krankmeldung heraus. Die Sekretärin am anderen Ende der Leitung zeigte viel Verständnis, klang aber ziemlich verzweifelt, als sie erzählte, dass die Hälfte der Mitarbeiter erkrankt war.

Im Fernsehen kam eine Sondersendung über die Grippe-Epidemie. Die Grippe war inzwischen in allen deutschen Grossstädten ausgebrochen, bundesweit waren alle Krankenhäuser überlastet. Die neuartige Grippe-Variante sollte angeblich besonders oft zu Lungenentzündungen führen. Der Sprecher empfahl allen Erkrankten, genügend zu trinken, am besten einfaches Wasser.

Da Jens schon wieder Durst hatte, nahm er sich diese Empfehlung zu Herzen und wackelte zu seiner Kochnische, wo eine volle und eine leere Flasche mit stillem Mineralwasser auf dem Boden standen. Er nahm die leere Flasche und füllte sie mit Leitungswasser. Dann trank er solange direkt aus dem Hahn, bis sein Magen meldete, dass er genug getrunken hatte. Die beiden Flaschen nahm er mit zu seinem Bett, damit er nicht für jeden Schluck extra aufstehen musste.

Die kleine Aktion hatte ihn schon wieder völlig erschöpft und schweratmend lag er in seinem Bett. Sein Herz schlug schmerzhaft gegen seine Schädeldecke und jeder Atemzug tat weh. Er schloss die Augen, versuchte möglichst vorsichtig zu atmen und sein Herz wieder zu beruhigen. Doch sein Herz richtete sich nicht nach seinen Wünschen und schlug eher schneller als ruhiger. Nach kurzer Zeit merkte Jens, wie ihm der Schweiss ausbrach. Sein gerade erst getrocknetes Bettzeug wurde wieder klitschnass. Unruhig warf er sich von einer Seite auf die andere.

Anscheinend hatte er eine Weile geschlafen, denn irgendwann erwachte er wieder, weil ihm das Atmen so weh tat. Das Brennen hinter dem Brustbein hatte sich über den ganzen Brustkorb ausgebreitet und machte jeden Atemzug zur Qual. Die kleinen Japser, die er sich noch gestattete, gaben ihm das Gefühl, zu ersticken. Erst als er sich aufsetzte, ging das Atmen wieder etwas leichter, doch es strengte enorm an, aufrecht zu sitzen. Am Fussende des Bettes lag noch ein dickes Kissen, das er mühsam zu sich heranzog und am Kopfende aufstellte. So konnte er sich anlehnen und trotzdem fast aufrecht sitzen.

Das Atmen ging dadurch wieder etwas besser, aber dennoch musste sich Jens auf jeden Atemzug konzentrieren. Stunden vergingen, in denen die Luft immer knapper wurde. Inzwischen war Jens bei einem flachen Hecheln angekommen, das er nur selten durch den Versuch eines tiefen Atemzuges unterbrach.

Tränen liefen unbemerkt über seine Wangen und er sehnte sich nach seiner Mutter. Ausgerechnet jetzt musste ihm auch noch seine Mutter einfallen. Seit Monaten war es ihm gelungen, nicht mehr an seine Eltern zu denken, die bei einem Autounfall gestorben waren, als er gerade bei der Bundeswehr angefangen hatte. In der Zeit davor war Jens so wütend auf sie gewesen, weil sie ihn zum Informatik-Studium überredet hatten, dass er jeden Kontakt abgebrochen hatte. Und dann waren sie ihm endgültig entrissen worden. Ohne dass sie nochmal miteinander gesprochen hätten. Vor lauter unausgelebter Wut, Trauer, Schmerz und Schuldgefühl wusste Jens kaum, wie er mit der Situation umgehen sollte und hatte die ganzen Gefühle bei der Beerdigung zusammen mit dem Sand in die Gräber geworfen. Der Drill bei der Bundeswehr hatte ihm anschließend geholfen, den Schmerz weit von sich zu halten.

Aber jetzt vermisste er seine Mutter so sehr wie nie zuvor. Da lag er nun und rang um jedes Quentchen Luft in seinen Lungen, völlig alleingelassen, und der Kummer über den Verlust seiner Eltern überspülte ihn bis zu den Zehenspitzen. Früher wenn er mal krank gewesen war, hatte seine Mutter immer an seinem Bett gesessen und ihm vorgelesen. Wenn er ganz genau hinhörte, konnte er sie zwischen seinen lauten Atemzügen auch jetzt vorlesen hören. Er verstand zwar nicht den Sinn dessen, was sie vorlas, aber das Wichtigste war, sie überhaupt zu hören.

Wenn er jetzt seine Mutter hörte, bedeutete das dann, dass er auch tot war? Nein, denn er spürte jeden Atemzug wie ein Schwert, das ihm bewies, dass er noch am Leben war. Aber das bisschen Luft, das den Weg in seinen Körper fand, reichte nicht aus, um ihn am Leben zu halten. Jens fragte sich, ob man nach dem Sterben tatsächlich seine Angehörigen wieder treffen würde, oder ob dann alles vorbei war. Seine Mutter sang ihm ein beruhigendes Lied.

Jenseits des Ölgipfels

Beyond Oil: The View from Hubbert's Peak
von Kenneth S. Deffeyes

Peakoil Reloaded
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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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