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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 9


  
Jens saß mal wieder in der Küche des Gemeindezentrums und kämpfte mit den Zwiebeln, als ein unbekannter Mann die Küche betrat. Silke begrüsste ihn, als hätte sie ihn erwartet.

"Sie kommen bestimmt, um die Tagesrationen abzuliefern, oder?", fragte sie den Neuankömmling.

"Ja, das ist richtig. Zunächst möchte ich Sie jedoch mit dem System vertraut machen, damit Sie wissen, wie es funktioniert. Drei Leute wären eine sinnvolle Gruppe für diese Einführung.", sagte der Mann und hielt Silke ein technisch aussehendes kleines Gerät entgegen, wohl um zu zeigen, was er vorzustellen hatte.

"Ok, das lässt sich machen. Jens, du kennst dich doch gut mit Technik aus, und Markus, du auch. Wenn ihr bereit seid, kommt mit an den Tisch dort drüben.", schlug Silke vor.

Jens ließ sich das nicht zweimal sagen, denn er war sehr neugierig, worum es ging. Auch Markus war sofort aufgesprungen und strebte in die von Silke angegebene Richtung. Die anderen Helfer reckten die Hälse und murmelten. Verhalten konnte man aus mehreren Ecken "ich auch" hören.

Silke war das nicht entgangen, denn sie sagte an die anderen gerichtet: "Keine Sorge, wir zeigen es euch später in aller Ruhe.", dann ging auch sie zum Nebentisch, an dem der Mann schon platzgenommen hatte.

"Wie Sie wissen,", wandte sich der Mann an Silke, "sind Sie ab sofort auch Ausgabestelle für Grundsicherungs-Nahrung. Dass wir mit der Umrüstung der geplanten Automaten etwas hinterherhinken, haben Sie wahrscheinlich schon gehört. Daher richten wir jetzt an allen geeigneten Stellen automatenfreie Ausgabestellen ein, bis die nötige Anzahl Automaten verfügbar ist. Ihre soziale Einrichtung wurde von uns als geeignet klassifiziert.

Täglich gegen zwölf wird in Zukunft eine Palette Tagesrationen hier angeliefert. Sie geben diese Rationspakete in Eigenregie an Grundsicherungs-Empfänger aus. Zur Abrechnung erhalten Sie zwei Buchungsgeräte, um die Tagesrationen von den Bürger-Karten der Empfänger abzubuchen. Diese Buchungsgeräte müssen Sie täglich mit unseren Auslieferern abgleichen, bevor Sie die nächste Lieferung erhalten.

Mit der Rations-Nahrung darf auf keinen Fall Handel getrieben werden. Zuwiderhandlungen werden strafrechtlich verfolgt. Hier habe ich einen Stapel Infozettel, die Sie an Ihre Kunden verteilen können. Ein paar größere Plakate können Sie aushängen. Haben Sie noch Fragen?", beendete der Mann seine Erklärung.

"Ja,", sagte Jens, "was ist denn da drin, in so einer Tagesration?".

"Gut, dass Sie das fragen, denn hier habe ich zwei Testpakete für Ihre Gruppe. Damit können Sie sich mit dem Angebot etwas vertraut machen. In dieser Broschüre steht alles Wissenswerte. Die Nahrungsmittel sind so zusammengestellt, dass sie ein ausgewogenes Verhältnis von Nährstoffen bieten.

Brot und Riegel sind mit Soja-Proteinen angereichert. In die Riegel werden außerdem alle lebenswichtigen Vitamine und Spurenelemente eingearbeitet, damit es nicht zu Mangelerscheinungen kommt. Passend zu den heutigen Ernährungsgewohnheiten ist das gesamte Angebot Ready-to-Eat, wie es so schön heisst.".

Der Mann holte zwei Pakete aus seinem Koffer und legte sie auf den Tisch. Eines davon nahm er in beide Hände, drehte und wendete es, wie bei einer Verkaufspräsentation. Das Paket sah aus wie eine überdimensionierte Packung Butter, wenn es auch nicht so scharfe Kanten hatte wie Butter.

"Hier sehen Sie die biologisch abbaubare Umverpackung. Vorne steht der enthaltene Typ, dazu kommen wir später noch ausführlicher. Die Umverpackung können Ihre Kunden entweder in den Container werfen, den wir Ihnen hinstellen und täglich auswechseln, oder sie können das Papier auf der Innenseite auch beschriften, dazu ist es ausdrücklich geeignet. Und hier kommen wir zum abwechslungsreichen Inhalt. Zuerst das Soja-Kraftbrot: es enthält reichlich hochwertige Proteine durch die Kombination von Soja- und Getreide-Eiweiss. Eingewickelt ist das Brot, wie auch die Riegel, in diese praktischen Weichtücher. Sehen Sie, die kann man auch als Servietten oder Toilettenpapier verwenden und natürlich sind sie voll biologisch abbaubar.

Nun kommen wir zum Aufstrich. Da haben wir zunächst süße Aufstriche in den Sorten Erdbeer, Aprikose und Schokocreme. Dann gibt es salzige Aufstriche, die den Ausschlag für die Typbezeichnung der Ration geben. Bei Typ A ist Lyoner Wurst enthalten, bei Typ B Geflügel-Pastete und bei Typ C Streichkäse. Typ B und C sind auch für Moslems geeignet, Typ C sogar für Vegetarier. In jeder Tagesration findet man je einen süßen und einen salzigen Aufstrich, natürlich in biologisch abbaubaren Behältern, die wir in den Containern einsammeln.

Und hier kommt der Clou: Damit man die Aufstriche auf die Brote streichen kann, sind zwei essbare Messer beigelegt. Sie sind stabil genug, um damit je zwei Brotscheiben zu beschmieren; danach werden sie weicher. Wenn man hineinbeisst, brechen sie knusprig auseinander. Durch ihre milde Würzung stellen sie durchaus eine Leckerei dar.

Ah, ich sehe schon, Sie wollen sie mal ausprobieren. Hier habe ich einen Satz für Sie alle mitgebracht.", er kramte in seinem Koffer und zauberte ein Bündel beigefarbener Gegenstände in Messerform daraus hervor. Diese Messer verteilte er nicht nur an die drei offiziellen Teilnehmer der Einweisung, sondern auch an die anderen Helfer, die längst neugierig nähergekommen waren, sofern ihre Aufgabe das zuließ.

Jens schmunzelte darüber, wie begeistert der Mann diese Tagesrationen vorführte. Als wollte er ihnen einen teuren Staubsauger verkaufen. Aber er wollte ihnen diese Rationen ja tatsächlich in gewisser Weise verkaufen, denn sie sollten in Zukunft Tag für Tag diese Pakete ausliefern, ohne dafür bezahlt zu werden. Und um sich dieser kostenlosen Arbeitskraft zu versichern, machten sie den Helfern das Produkt eben möglichst schmackhaft.

Inzwischen hörte man einige Ohs, Ahs und verhaltenes Kichern, als die Helfer nach und nach in die Messer bissen. Jens betrachtete sein Messer ausgiebig, bevor er hineinbiss. Es sah aus wie ein gewöhnliches Plastikmesser, auch Elastizität und Härte waren ähnlich. Und da sollte er jetzt reinbeissen? Er riskierte es und tatsächlich stachen ihm keine harten Plastikstücke in den Gaumen, wie er fast befürchtet hatte, sondern es war ähnlich wie beim Abbeissen von Kartoffelchips. Auch der Geschmack ähnelte Kartoffelchips, wenn er auch milder war.

"Schmeckt wie Butterkeks.", ließ einer der Helfer hören.

"Oh, meins schmeckt wie Salzkräcker."

"Und meins wie Kartoffelchips.".

"Ich hab eins mit Schokogeschmack."

"Gut, Sie haben die Messer jetzt kennen- und schätzengelernt.", ergriff der Mann wieder das Wort. "Lassen Sie uns fortfahren. Denn wir haben hier noch die Riegel, drei Sorten je Tagesration und wie das Brot in Mehrzweckpapier eingepackt. Zum einen haben wir hier die Fruchtriegel, immer zwei handliche Stücke je Packung.", dabei begann er, die Fruchtriegelstücke in handliche Happen zu zerbrechen und zu verteilen. "Zum anderen gibt es Schokoriegel, kraftspendend und anregend. Und hier der Knüller, der Pizzariegel. Pizza in handlicher Riegelform, mit dem vollen Pizza-Aroma. In Paketen des Types A mit Salamistückchen, Typ B mit Sardellen und Typ C mit Zwiebelstücken.

Jede Tagesration enthält alle Nährstoffe, die ein Erwachsener oder Heranwachsender am Tag braucht. Für Kleinkinder gibt es spezielle Kleinkinderpakete, die sogenannten "Mini-Packs", die etwas kleiner und geschmacklich kindgerecht abgerundet sind. Alternativ für Kleinstkinder die Flaschenmischung, die nur mit Wasser angerührt werden muss. Stillende Mütter können stattdessen auf ihre Kinder-Bürgerkarte eine Kleinkinderpackung zusätzlich zu ihrer Ration bekommen. Grundschulkinder bekommen ein "Junior-Pack", das zwischen den "Mini-Packs" und den erwachsenen Rationen liegt. Diese "Junior-Packs" werden vorwiegend an den Schulen ausgegeben, außer an schulfreien Tagen. Und die Mini- und Junior-Bürgerkarten sind nicht übertragbar, auch nicht an die Eltern; die Kinder müssen bei der Ausgabe der Rationen anwesend sein. Damit wird sichergestellt, dass die Kinder ihre Rationen auch tatsächlich bekommen. So, jetzt zeige ich Ihnen noch die Funktion der Abrechnungsgeräte und dann können wir Ihre heutige Palette entladen.".

Er zeigte Silke, Markus und Jens, wie man die schlichten Geräte benutzte. Im Prinzip mussten die Leute nur ihre Karte in einen Schlitz stecken und der jeweilige Helfer musste auf einen "Ok"-Knopf drücken, das war das ganze Geheimnis.

Anschließend begleiteten die Drei den Mann nach draussen, wo ein LKW auf dem Hof des Gemeindezentrums parkte. Um die vielen Neugierigen abzuhalten, hielt ein Mann Wache, der gelangweilt an einer Zigarette nuckelte. Als der Mann sah, dass sein Kollege den Hof betreten hatte, setzte er sich in Bewegung und öffnete die Ladeluke des LKWs. Eine vollbeladene Palette fuhr wir von Geisterhand auf die Ladeluke und wurde runtergelassen. Ein weiterer Mechanismus beförderte die Palette sanft auf den Hof.

"So, jetzt sollten Sie die Rationen nicht mehr aus den Augen lassen. Am besten fangen Sie gleich mit der Ausgabe an, bei sovielen Leuten, die hier schon warten. Mein Kollege, Herr Martens, wird dann ab morgen allein kommen, um Ihnen die Palette zu liefern und abzurechnen. Viel Erfolg und auf Wiedersehen.", sagte der wortgewandte Präsentator und verschwand im Innern des Führerhauses, woraufhin sich der LKW vorsichtig in Bewegung setzte. Die wartende Menschenmenge machte ihm zögernd Platz.

Sofort brach der reinste Tumult aus. Alle wollten nicht nur wissen, was da auf den Paletten lag, sondern wollten es auch haben.

Silke rief mit ihrer kräftigen Stimme: "Hier gibt es jetzt Grundsicherungs-Rationen. Inhaber von Bürger-Karten können sich hier anstellen. Aber ordentlich, wenn ich bitten darf, sonst gibt es nichts.". Sie setzte ihren strengen Blick auf, der seine Wirkung nicht verfehlte. "Jeder bekommt einen Infozettel und später können auch Fragen gestellt werden. Bitte ordentlich anstellen. Erst wenn wir hier zwei saubere Schlangen haben, fangen wir mit der Ausgabe an. Nur Inhaber von Bürger-Karten anstellen, bitte.". Silke bedeutete Jens und Markus, sich mit den Geräten bereitzuhalten. Jens stellte sich auf die eine Seite der Palette und Markus auf die andere.

Überraschend zügig ordneten sich auch die Gäste zu zwei Schlangen, sodass Silke bald das Startsignal für die Ausgabe gab. Das Verteilen der Pakete verlief reibungslos, denn sie hatten genau die richtige Größe, um bequem mit einer Hand gegriffen werden zu können und das Abrechnugsgerät passte in die andere Hand und ließ sich mit dem Daumen drücken. Als die Gäste merkten, dass es unterschiedliche Sorten gab, wurde es etwas schwieriger, denn plötzlich wollte jeder einen bestimmten Typ haben. Das kostete jedoch zuviel Zeit, sodass Jens den Leuten zurief, dass sie ihre Rationen ja untereinander austauschen könnten. Nur bei islamisch aussehenden Gästen achtete Jens darauf, ihnen nicht Typ A zu geben.

Nach einer guten Stunde waren alle Rationen verteilt, aber noch eine Menge Leute warteten auf Essen. Silke rief der hungrigen Menge zu: "In einer Viertelstunde kommt die Suppe für alle, die noch hungrig sind. Auch beim Bürgeramt im Bekleidungs-Center werden Tagesrationen ausgegeben. Wir werden versuchen, ab morgen doppelt soviele Rationen verfügbar zu haben.".

Die Menschen beruhigten sich etwas, manche gingen in Richtung Bürgeramt davon und andere stellten sich in die gewohnte Suppenschlange. Diejenigen, die eine Ration ergattert hatten, blieben teilweise auf dem Platz und packten ihre Pakete aus. Den Geräuschen nach zu urteilen, kamen die Rationen sehr gut an. Vor allem die Messer riefen Entzücken hervor, aber auch die Pizzariegel waren, wie angekündigt, der reinste Knüller.

Jens sah den knabbernden Menschen zu und dachte sich seinen Teil. Durch seine eigenen Billig-Kochaktionen hatte er sich ausreichend mit der Materie beschäftigt, um zu wissen, dass die Zutaten für diese Rationen sehr billig waren, zumal in den großen Mengen, in denen der Staat sie abnehmen würde. Im Vergleich zu der Geldauszahlung, die die Grundsicherungs-Empfänger bisher bekommen hatten, kostete die neue Versorgungsart nur einen Bruchteil.

Außerdem war sichergestellt, dass die Zuwendungen für die Ernährung benutzt und nicht für unnötigen Luxus, wie Zigaretten, ausgegeben wurden, oft zu Lasten hungriger Kinder. Als Material für die Riegel und Aufstriche konnte man fast alles verwenden, was sich zu Nahrung verarbeiten ließ, das konnten auch synthetische Stoffe sein. Mit den Aromen, die offensichtlich auf den Geschmack der Bevölkerung abgestimmt waren, hielt man die Menschen bei Laune. Solange sie die Rationen mochten, würden sie nicht so schnell revoltieren. Sehr schlau ausgeklügelt. So einen genialen Schachzug hätte Jens der Regierung gar nicht zugetraut.

Die Verteilung der Tagesrationen war anscheinend bundesweit im grossen Stil angelaufen, nachdem es anfänglich ja große Engpässe gegeben hatte. Als Jens abends seinen Fernseher einschaltete, sah er Schulkinder, die interviewt wurden und sich alle begeistert über die "Junior-Packs" äusserten. Auch in verschiedenen Städten war die Ausgabe der Rationen und die Reaktionen der Grundsicherungs-Empfänger gefilmt worden. Sogar der Bundeskanzler hielt eine kleine Ansprache und sagte zu, dass ab nächster Woche alle Grundsicherungs-Empfänger regelmäßig mit Tagesrationen versorgt werden würden. Dann wurden Anpreisungen gesendet, die der Produktpräsentation im Gemeindezentrum glichen.

Skeptische Worte fielen nicht an diesem Abend, was Jens etwas verwunderte, denn ihm war durchaus klar, dass jede ausgegebene Tagesration einen Sargnagel für Einzelhandel und Gastronomie bedeutete. Aber anders war es wohl nicht möglich, die ganzen Erwerbslosen zu sättigen. Der Staat konnte nicht auch noch die Supermärkte und Restaurants durchfüttern.

Jenseits des Ölgipfels

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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