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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 8


  
Bis zum nächsten Morgen hatte Jens noch keine guten Ideen, um seine Geldprobleme zu lösen, und weil er nichts besseres zu tun hatte, ging er mal wieder recht früh zum Helfen bei der Armenspeisung.

Aber selbst dort war die Welt nicht mehr in Ordnung. Johanna saß tränenüberströmt am Küchentisch und es war sofort offensichtlich, dass die Tränen nicht von den Zwiebeln verursacht worden waren. Silke saß neben ihr und hatte den Arm um ihre Schulter gelegt.

Jens setzte sich an den Tisch und wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte, also nahm er sich einfach einen Beutel Zwiebeln und fing an, sie zu schneiden.

Nach einer Weile hatte sich Johanna wieder etwas gefangen und sagte zu Jens: "Mein Vater hat seine Arbeitsstelle verloren. Jetzt geht es mit uns auch den Bach runter. Wahrscheinlich verlieren wir unser Haus und dann sitzen wir auf der Straße". Bei diesen Worten schluckte sie hart und konnte nicht verhindern, dass ihr neue Tränen in die Augen traten, auch wenn sie offensichtlich dagegen ankämpfte.

"Nun, nun, die Suppe wird nicht so heiss gegessen wie gekocht.", beschwichtigte Silke die verzweifelte Johanna. "Wenn ihr eure Hausraten nicht mehr zahlen könnt, wird das Haus irgendwann zur Versteigerung ausgeschrieben. Und wer soll sich heutzutage noch so ein teures Haus ersteigern können? Niemand. Es gibt jetzt schon Häuser in Überfülle, die keinen Käufer mehr finden. Die Bank wird dann froh sein, wenn ihr im Haus wohnen bleibt, denn dann verfällt es nicht so schnell. Natürlich werden sie versuchen, soviel Geld wie möglich aus euch rauszupressen, aber rauswerfen werden sie euch in diesen Zeiten bestimmt nicht."

"Glaubst du wirklich? Ja, du glaubst es wirklich. Leuchtet auch irgendwie ein", sagte Johanna unsicher. "Dann ist es vielleicht gar nicht so schlimm, wie ich dachte. Naja, am besten ich fange mal an mit dem Zwiebel-Schnippeln". Sie gab sich einen Ruck, wischte mit dem Ärmel über ihr Gesicht, ergriff ein Küchenmesser und begann mit der täglichen Arbeit.

Als Jens etwas später den ersten Topf nach draussen trug, hatte er den Eindruck, dass die Flüssigkeit darin mehr schwappte als sonst. Bisher war das Essen immer ein dicker Eintopf gewesen, der wie ein Berg auf dem Teller stand, bevor er langsam von der Schwerkraft platt gedrückt wurde. Was Jens jetzt nach draussen trug, konnte man eindeutig als Suppe bezeichnen, denn sie war richtig flüssig. Beim Abholen des zweiten Topfes sprach er Silke darauf an.

"Ja, die Suppe ist dünner geworden. Du siehst ja, wieviele Töpfe jetzt auf den Herden stehen. Das ist die Hälfte mehr als noch letzten Monat, weil es immer mehr Gäste gibt. Und die Spenden von Restaurants und Supermärkten sind fast vollständig ausgefallen. Wir finanzieren die Suppen jetzt aus eigener Tasche. Und, nun ja, wir wollen das ja noch einige Zeit durchhalten, darum strecken wir die Suppe jetzt etwas. Aber zum Sattwerden reicht es immer noch."

Jens nickte verständnisvoll und trug den Topf nach draussen. Die Menge der Wartenden war in der Tat enorm angeschwollen. Dabei müssten die ganzen Grundsicherungs-Leute ihr Essen jetzt doch eigentlich direkt bekommen. Warum kamen dann immer noch soviele Menschen zur Armenspeisung?

Die Antwort auf diese Frage ließ nicht lange auf sich warten, denn plötzlich stand Andreas vor ihm und wollte Suppe. Jens staunte nicht schlecht, denn er erinnerte sich genau, wie Andreas gesagt hatte, dass er sich zu sehr schämen würde, um zu einer Armenspeisung zu gehen. Inzwischen hatte das Schamgefühl wohl nachgelassen. Jens bat seinen Mithelfer, ihn kurz zu entschuldigen und ging zu Andreas, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln.

"Hi Jens, jetzt bin ich doch bei dieser Armenspeisung gelandet. Von deinen Mahlzeiten her bin ich jetzt wohl warme Mahlzeiten gewöhnt und will sie nicht mehr missen", Andreas grinste Jens schief an.

"Ja, schmeckt doch ganz gut, die Suppe. Ich dachte, ihr bekommt jetzt das ganze Essen per Bezugsschein?"

"Klasse, ja, hab ich auch gedacht. Aber die Supermärkte kriegen das nicht geregelt. Die Sachen, auf die wir Anrecht haben, sind fast immer ausverkauft und was anderes geben sie uns nicht. Und die Automaten, die sie aufstellen wollten, gibt es fast noch gar nicht. Sie labern was von Stahlknappheit, die die Produktion verzögern würde. Dass ich nicht lache, das ist doch bestimmt mal wieder ne faule Ausrede, um uns zu schikanieren. Und die paar Automaten, die schon stehen, sind fast immer leer. Also gibt es nix zu Beissen für Unsereins."

"Das klingt ja wirklich nicht erfreulich."

"Tja, und das Beste kommt erst noch: ab nächsten Monat wollen sie uns in Container sperren, weil sie unsere Mieten nicht mehr zahlen wollen. Wie die mir auf den Sack gehen, diese unfähigen Politiker."

"Ja, die Zeiten sind echt mies. Ich muss mal wieder an die Arbeit gehen. Mein Kollege wartet schon auf mich."

Als er wieder hinter seinem Suppentopf stand und Essen ausgab, ging ihm das Gespräch immer wieder durch den Kopf. Irgendwie konnte er nicht nachempfinden, warum Andreas sein Schicksal so vollständig in die Hände eines darbenden Staates gelegt hatte. Da war keine Spur von "ich unternehme irgendetwas, um meine Situation zu verbessern" gewesen. Jens konnte ihm zwar keine bequemen Alternativen vorschlagen, denn seine eigene mühsame Strampelei war ja wirklich kein gutes Beispiel für eine gelungene Lebensgestaltung, aber es war ihm immer noch lieber, als nichts zu tun, und sich vom Staat abhängig zu machen. Vielleicht waren viele Menschen einfach nicht in der Lage, sich um sich selbst zu kümmern. Ob das ein Mitgrund für die schwierige Situation sein könnte?

Das herzliche Dankeschön einer uralten Frau riss ihn aus seinen Gedanken, nachdem er ihr wie abwesend eine Portion Suppe in die Schale gelöffelt hatte. Obwohl das Gesicht der Frau wie ein Hochgebirge aus Runzeln aussah, leuchteten ihre lebendigen Augen ihn hellwach an und ein Lächeln strahlte über ihr Gesicht. Diese alte Frau hatte bestimmt nicht viele Alternativen zu einer Armenspeisung und weil er hier war und Suppe ausgab, blieb ihr vielleicht das Schicksal der verhungerten Frau aus dem Fernsehen erspart.

"Oh, gern. Ich danke Ihnen für ihre Freundlichkeit", hörte Jens sich sagen, ehe ihm klar wurde, was er eigentlich sagen wollte.

Die Frau zwinkerte ihn an, nickte ihm freundlich zu und humpelte davon. Jens fühlte sich innerlich wie verwandelt. Es war doch nicht alles sinnlos. Es lohnte sich, irgendwas gegen die Not zu tun, auch wenn es nur ein Tropfen auf den heissen Stein war.

Später am Abend saß Jens vor dem Fernseher und ließ sich berieseln, um sich vom täglichen Irrsinn abzulenken. Das Thema Ölknappheit ließ ihn jedoch nicht Ruhe, denn kaum hatte er angeschaltet, kam ein Bericht über die verheerenden weltweiten Folgen des schwindenden Erdöls. In den meisten Ländern der dritten Welt waren Hungersnöte ausgebrochen und die Menschen starben wie die Fliegen. Das lag daran, dass die reichen Ländern keine überschüssigen Nahrungsmittel mehr produzierten und daher auch nichts mehr exportierten. Viele arme Länder hatten sich jedoch an die Entwicklungshilfe gewöhnt und waren von Getreidelieferungen abhängig. Ihre eigene Landwirtschaft war in vielen Gegenden völlig heruntergewirtschaftet, weil es sich für die dortigen Bauern nicht mehr gelohnt hatte, Getreide anzubauen, denn das Importgetreide verdarb ihnen alle Absatzchancen. Die Luxusprodukte, die in vielen Gegenden stattdessen angebaut wurden, nützten ihnen kaum, denn von Kaffee wird man nicht satt.

In Afrika hatten sich Unruhen zu blutigen Kriegen ausgeweitet und in vielen Grossstädten Asiens gab es Aufstände. Gegen die dortigen Verhältnisse war es in Deutschland ja fast noch paradiesisch.

Besonders erschreckende Nachrichten kamen jedoch aus den USA, denn von dort kannte man bisher nur Reichtum und Überfluss. Die Abhängigkeit der USA vom Erdöl war jedoch so ausgeprägt, dass die Verknappung es den Leuten unmöglich machte, zu ihren weit entfernten Arbeitsplätzen zu fahren. Ausserdem war die Landwirtschaft fast vollständig zusammengebrochen. Das lag unter anderem daran, dass die hohen Preise für Dünger und Treibstoff viele Bauern schon im Laufe des letzten Jahres in die Pleite getrieben hatten. Dadurch war nicht nur der Ertrag pro Hektar drastisch gesunken, sondern ein grosser Teil der landwirtschaftlichen Fläche lag brach und konnte nicht mehr bearbeitet werden. Die Transportwege von der Kornkammer der USA zu den Städten waren so weit, dass nur ein Teil der verfügbaren knappen Nahrung den Weg in die Städte schaffte. Die Regierung hatte die Landwirtschaft zwar inzwischen zur Chefsache erklärt, aber vieles deutete darauf hin, dass Massen von Amerikanern im Laufe des Winters verhungern würden.

Dann endlich, als Jens schon versucht war, den Fernseher wieder auszuschalten, weil er genug Hiobsbotschaften für diesen Tag gehört hatte, kam eine positive Meldung.

Der Nachrichtensprecher berichtete, dass den Japanern ein Durchbruch bei der Förderung von Methanhydraten gelungen sei. Ab sofort würden sie die Förderung im grossen Stil in Angriff nehmen, denn die Testphase sei erfolgreich verlaufen. Mit dem Methanhydrat wäre dann ein Ersatzenergieträger für Erdgas verfügbar. Die geschätzten weltweiten Methanhydrat-Vorräte würden angeblich für tausende von Jahren reichen, um die Menscheit mit Energie zu versorgen.

Das war die erste wirklich erfreuliche Nachricht seit Monaten, fand Jens. Die folgende ausführliche Sendung zum Thema Methanhydrat sah er sich deshalb gerne an. Durch den wissenschaftlichen Moderator der Sendung erfuhr er einiges über Methanhydrate.

Methan ist ein Kohlenwasserstoff, der unter anderem ein Hauptbestandteil des normalen Erdgases ist. Es wird gebildet, wenn Kleinstlebewesen im Meer sterben und unter Luftabschluss verwesen. In mittleren Meerestiefen verbindet sich das Methan unter dem hohen Druck und der niedrigen Temperatur, die dort herrschen, mit Wasser, das um die Methan-Moleküle herum gefriert. Dadurch wird das normalerweise gasförmige Methan in fester Form gebunden und komprimiert. Diese eisartige Mischung wird Methanhydrat genannt. Vor allem an den Kontinentalhängen, das sind die Stellen, wo die flachen Schelfmeere nahe der Kontinente in die Tiefsee übergehen, gibt es ganze Gebirge, die zum grossen Teil aus Methanhydrat bestehen. In gewisser Weise wirkt das Methanhydrat wie Kit, der die ganzen lockeren Sedimente des Meeresbodens zusammenhält.

Doch die Förderung des Methanhydrates barg enorme Schwierigkeiten, denn die Arbeit in so großer Tiefe erfordert sehr kostspielige Maschinen. Außerdem löst sich Methanhydrat nahezu explosionsartig auf, sobald es aus der Zone des hohen Drucks und der niedrigen Temperaturen entfernt wird. Das entströmende Methangas nimmt 164 mal soviel Raum ein, wie das ursprüngliche Methanhydrat.

Der Sprecher berichtete, dass manche Methanhydrat-Forscher davor warnten, dass das Entweichen großer Mengen Methan den Treibhauseffekt verstärken könnte, wodurch die globale Erwärmung noch schneller fortschreiten würde. Noch schlimmer war die Gefahr der Destabilisierung des Meeresbodens, dort wo das Methanhydrat abgebaut werden sollte.

In den letzten 20.000 Jahren hatte sich das Methanhydrat vor der Küste Norwegens destabilisiert, wahrscheinlich aufgrund einer Senkung des Meeresspiegels während der Eiszeiten, was den Druck auf dem Meeresboden verringert hatte. Dadurch war es drei Mal zu gigantischen Erdrutschen am Kontinentalhang gekommen, was riesige Tsunamis ausgelöst hatte, die in vorgeschichtlicher Zeit die norwegische, schottische und norddeutsche Küste verwüstet hatten. Diese Rutschungen nannte man Storegga-Rutschung, weil sich die zuerst gefundene Rutschung in der Nähe des norwegischen Ortes Storegga befand.

Die gleiche Gefahr würde jetzt möglicherweise auch vom Methanhydrat-Abbau drohen, warnten die Skeptiker.

Dann wurde noch ausführlicher von den Abbau-Erfolgen der Japaner berichtet. Ebenso wie die USA hatte Japan seit vielen Jahren intensive Forschung für die Methanhydrat-Gewinnung betrieben. Für Japan war Methanhydrat besonders verlockend, weil es grosse Vorkommen östlich ihrer Hauptinsel Honshu gab und sie selbst über keinerlei Erdöl- oder Erdgas-Vorkommen verfügten, sodass sie vollständig auf Importe dieser Triebfedern der technischen Zivilisationen angewiesen waren. Der Abbau mit großen Baggern, die dem hohen Druck gewachsen sein mussten, hatte sich jedoch als kaum durchführbar erwiesen.

Das Hauptproblem dabei war wohl die anhaltende Stahlknappheit und die langsame Arbeitsweise der vorhandenen Testbagger. Daher hatten die Japaner ein spezielles Sprengverfahren entwickelt, bei der das vorsichtig freigesprengte Methan von großen darübergestülpten Glocken aufgefangen und in Pipelines weitergeleitet wurde. Die Amerikaner, die interviewt wurden, um die Erfolge der Japaner zu kommentieren, gaben an, dass sie selbst auch schon in einer fortgeschrittenen Testphase mit dieser neuen Abbaumethode seien. In Kürze würde auch vor Florida Methanhydrat im grossen Stil abgebaut werden. Das Ende der Energieknappheit sei nahe.

Jens glaubte nicht an die Versprechungen im Zusammenhang mit dem Methanhydrat. Er vermutete eher, dass die Erfolgsmeldungen die Menschen beruhigen sollten und hoffte, dass die Europäer nicht auf die Idee kommen würden, auch den Boden der Nordsee systematisch zu sprengen.

Der Methanhydrat-Durchbruch schien sich herumgesprochen zu haben, denn am nächsten Tag konnte man in allen Tageszeitungen auf der Titelseite von den großartigen Erfolgen der Japaner lesen. Selbst in der Küche des Gemeindehauses war Methan das Hauptthema des Tages. Jens war sich zuerst nicht sicher, ob er den Menschen die aufkeimende Hoffnung mit seiner Skepsis vermiesen sollte, aber schließlich entschied er sich für schonungslose Aufklärung und erklärte den anderen Küchenhelfern, was er am Abend zuvor über die Gefahren des Methan-Abbaus erfahren hatte.

Jenseits des Ölgipfels

The Party's Over
von Richard Heinberg

Peakoil Reloaded
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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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