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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 7


  
Natürlich verlängerte Ricardo die Testphase für die billigen Mahlzeiten im Bistro und Jens hatte vor lauter Arbeit kaum noch Zeit, bei der Armenspeisung mitzuhelfen. Dreimal in der Woche nahm er sich jedoch die Zeit, wenigstens bei der Essensausgabe mitzuhelfen. Auf diese Weise war er fast von früh bis spät mit dem Thema Essen beschäftigt und das in einer Zeit, in der auch schon die Medien immer wieder über Versorgungsengpässe bei der Nahrungsmittelversorgung berichteten.

Die Versorgungsengpässe bekam Jens beim Einkaufen sehr deutlich zu spüren. In einem der Supermärkte wurde er bald an der Kasse zurückgeschickt, wenn er mit grossen Mengen der gleichen Artikel ankam. Also musste er das meiste wieder in die Regale legen. Um trotzdem seine Bestände aufstocken zu können, deckte er sich mit kleinen Mengen aller Artikel ein, die er im Lauf einer Woche benötigen würde. Und kurz bevor sein Dienst anfing, ging er einfach nochmal hin, um an einer anderen Kasse ein zweites Mal einzukaufen. Bei den anderen Supermärkten wurde er zwar nicht weggeschickt, aber die billigen Nahrungsmittel wurden gar nicht so schnell nachgeliefert, wie er sie wegkaufte. Es schien Jens, als wäre er den ganzen Tag mit Nahrungsmittelbeschaffung beschäftigt.

Als Ricardo sah, welche Mengen Jens mit seinem Fahrrad anschleppte, endschied er sich, den Großteil der Zutaten bei seinem Großhändler zu besorgen. Dort waren die Produkte der unteren Preisklasse zwar eher teurer als beim Discount-Supermarkt, aber durch die grossen Verpackungseinheiten lief es etwa auf den gleichen Preis hinaus. Vor allem war der Großhändler an grosse Mengen gewöhnt.

Eines Tages gab es jedoch keine billigen Spaghettis mehr beim Großhändler. Er bot Ricardo die teurere Preisklasse an, die mit ihrem dreimal so hohen Preis jedoch die ganze Kalkulation durcheinander gebracht hätten. Die billigen Spaghettis würde es in absehbarer Zeit nicht mehr geben, weil es Lieferschwierigkeiten damit gab. Also kam Ricardo ohne Spaghettis zurück ins Bistro, was alle Anwesenden in Entsetzen versetzte, denn Spaghettis waren das Lieblingsgericht der meisten Gäste.

Jens setzte sich also mal wieder auf sein Fahrrad und suchte die Supermärkte heim. Im ersten Laden standen gerade noch zwei Kisten Spaghetti an der Stelle, an der früher immer ein ganzer Turm gestanden hatte. Viel mehr als eine Kiste Spaghetti konnte er sowieso nicht transportieren, also ließ er die andere Kiste für andere Käufer stehen. Nachdem er die Nudeln ins Bistro gebracht hatte, fuhr er noch in einen weiteren Supermarkt, wo er nicht mal mehr soviel Spaghetti wie im anderen Landen vorfand. Auch hier ließ er ein paar Einzelpackungen liegen und kaufte soviel wie er sich traute. Für etwa drei Mahlzeiten würden die mühsam zusammengekauften Nudeln reichen. Aber was wäre dann? Nun ja, es gab ja noch andere Gerichte und vielleicht würde es ja bald wieder neue Spaghetti zu kaufen geben.

In der Zwischenzeit war der Herbst schon so weit fortgeschritten, dass auch Jens es in seiner Wohnung zu kalt fand. Er verstopfte alle Ritzen, die er entdecken konnte, wie geplant mit zusammengerollten Zeitungen, was vor allem an windigen Tagen eine spürbare Erleichterung brachte. Außerdem zog er jetzt meistens dicke Wollsocken und eine Strickjacke an, wenn er sich in seiner Wohnung aufhielt.

Beim ersten Frost klingelte der Hausverwalter bei ihm, und kündigte an, dass er die Heizung jetzt anstellen würde, wenn Jens bereit wäre, die doppelte Heizkostenpauschale im Voraus zu zahlen. Da Jens vor lauter Frösteln schon ganz verspannt war, willigte er ein, obwohl ihn der zusätzliche Betrag schon wieder an den Rand der Geldlosigkeit brachte.

Dabei war es in letzter Zeit eigentlich ganz gut gelaufen. Die Kochaktionen hatten ihn davor bewahrt, wieder auf Kurzarbeit gesetzt zu werden, einer der Webdesign-Kunden hatte inzwischen bezahlt, die anderen beiden waren pleite gegangen. Zudem hatte Jens vor lauter Arbeit kaum Zeit gehabt, sein weniges Geld auszugeben. Außerdem hatte er ja jeden Tag mindestens eine kostenlose warme Mahlzeit.

Der Strom fiel jetzt fast zweimal in der Woche aus, aber meistens floss er nach wenigen Stunden wieder. In der Stadt waren wochenlang alle Kerzen und Taschenlampen ausverkauft. Doch irgendwann fand auch Jens eine bezahlbare Solar-Taschenlampe, die er fortan immer dabei hatte. Kerzen kaufte er immer, wenn er bei einem seiner zahllosen Supermarktbesuche welche sah. Meistens waren die Kerzenregale jedoch wie leergefegt. Nur ein paar einzelne teure Kitschkerzen staubten noch einsam vor sich hin. Nach einer Weile sah man aber auch keine Kitschkerzen mehr im Angebot. Als endlich neue Kerzen auf den Markt kamen, kosteten sie viermal so viel wie früher. Es hieß, dass die enorme Preissteigerung an den hohen Erdölpreisen liegen würde.

Und dann kam der Tag, an dem Jens' ganzes schönes Überlebenskonstrukt in sich zusammenbrach. Erst wunderte er sich nur, dass nur halb soviele Gäste wie sonst zum Essen gekommen waren. Dann sah er bei einem rätselnden Blick in den Gastraum, wie Thomas das Bistro betrat. Er sah sehr niedergeschlagen aus. Auf direktem Weg ging er zum Tresen, nicht wie sonst, wenn er sich an einen der Fensterplätze lümmelte.

"Nein, ich will heut nichts. Heute ist mein schwarzer Tag und wohl nicht nur meiner. Diese blöden Typen vom Bürgeramt zahlen uns jetzt kein Geld mehr, sondern es gibt Nahrungsmittel-Bezugsscheine. Die können wir in Supermärkten einlösen oder uns das Essen aus Automaten holen. Und das alles mit so einer bescheuerten Chipkarte. Damit können die mich auf Schritt und Tritt überwachen. An Geld gibts nur noch Taschengeld. Und zwar wenig, sehr wenig. Das reicht nichtmal für ein Bierchen. Und das Ganze nennen sie jetzt Grundsicherung III, als hätten sie etwas Tolles geleistet.", erzählte Thomas traurig.

Jens lud Thomas in die Küche ein, und gab ihm heimlich einen Teller Suppe, denn er hatte sowieso mehr gekocht, als wahrscheinlich bestellt werden würde, wenn das so weiter ging. Dass die heimliche Suppe eine Ausnahme war, wussten beide ohne darüber zu sprechen.

Die nächsten Tage zeigten, dass sich die Folgen der Änderung bei der Grundsicherungs-Auszahlung massiv auf das Geschäft des Bistros auswirkten. Von den warmen Mahlzeiten wurde nur noch ein Bruchteil der vorigen Mengen verkauft und auch der Getränkeabsatz ging drastisch zurück. Jens konnte sich kaum vorstellen, dass all die Leute, die sonst jedesmal zum Essen gekommen waren, von der Grundsicherung lebten.

Bennie gab Jens schließlich unwissentlich einen Hinweis, was es mit dem massiven Umsatzeinbruch auf sich haben könnte, denn er erzählte bei einem seiner selten gewordenen Besuche: "Seit die Grundsicherungsleute kein Geld mehr bekommen, fährt fast niemand mehr Taxi. Dabei habe ich normalerweise gar keine Kunden, die von Grundsicherung leben. Aber anscheinend leben meine bisherigen Kunden zum großen Teil von staatlich unterstützten Leuten. Und jetzt wo die kein Geld mehr haben, gibt es die reinste Kettenreaktion. Also fährt kaum noch jemand Taxi, ich bin so gut wie arbeitslos. Kriegt ihr die Folgen der Grundsicherungsänderung nicht zu spüren?".

"Doch, doch, hier sieht es auch ganz schlecht aus. Guck dich doch mal um. Kaum noch Gäste da. Ich hatte mich nur gewundert, dass soviele Leute von Grundsicherung leben, aber so wie du das schilderst, macht es durchaus Sinn. Wir sind hier ja selbst Opfer der Kettenreaktion", antwortete Jens.

"Ich mach mir echt Sorgen, wie das weitergehen soll.", sagte Bennie. "Jeden Tag schau ich mich schon nach einen anderen Job um, denn das mit dem Taxi-Fahren kann ich wohl bald aufgeben".

"Das sollte ich vielleicht auch mal tun. Wer weiß, wielange es mit dem Bistro noch weitergeht", überlegte Jens.

Als hätte er es heraufbeschworen, kam Ricardo noch am gleichen Abend und sagte zu Jens: "Du siehst ja selbst, was hier los ist, nämlich gar nichts. Das mit den Billigmahlzeiten kann man wohl getrost als gescheitert bezeichnen. Natürlich ist das nicht deine Schuld, du hast dich ja wirklich ordentlich eingesetzt, aber es ist nunmal Tatsache, dass kaum noch jemand kommt, um die Mahlzeiten zu kaufen. Wir lassen das also ab sofort bleiben. Vielleicht können wir noch einen kleinen Topf Spaghettis anbieten, aber dann zum höheren Preis, damit es sich auch rechnet. Die ganze Zutatenbeschaffung wird ja schließlich immer schwieriger und teurer. Und bei der geringen Menge lohnt sich das nicht zum Billigpreis. Ach ja, und mittags kann ich mir deine Anwesenheit nicht mehr leisten. Ab sofort also nur noch abends".

Jens sass da wie vom Donner gerührt, aber er sagte sich, dass er ja eigentlich damit gerechnet hatte. Das half aber kaum, den Schock zu dämpfen.

"He, Kopf hoch Junge. Du hast wirklich gut gearbeitet in letzter Zeit und wenn ich es mir leisten könnte, würde ich dich sogar ganztags einstellen, aber mir sind leider die Hände gebunden", sagte Ricardo noch, bevor er in seinem Büro verschwand.

Tina nahm Jens kurz tröstend in den Arm, als dieser wie ein begossener Pudel an ihr vorbei in die Küche schlurfte.

In der Küche angekommen, fing Jens an zu putzen, denn er erwartete keine Essensgäste mehr und irgendwas musste er tun, um seinen inneren Aufruhr zu besänftigen. Das Geld, das er ohne Mittagsschichten verdienen würde, reichte gerade so eben für die Miete, aber ohne Strom. Für alles andere blieb nicht das Geringste übrig. Zudem war das Webdesign-Geschäft vollständig zusammengebrochen. Bei seinem letzten Anruf bei der Werbeagentur hatte ihm die Sekretärin nur die Ohren vollgejammert, wie miserabel die Auftragslage sei.

Jens musste sich wirklich was einfallen lassen. Am besten etwas, das länger funktionieren würde, als seine Idee mit den Billigmahlzeiten.

Jenseits des Ölgipfels

Peak Oil
von Jeremy Leggett

Peakoil Reloaded
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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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