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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 4


  
Am nächsten Tag stand Jens pünktlich um zwölf vor dem Gemeindezentrum, mit seiner Suppenkelle in der Hand. Die Dame, die gestern den Abwasch organisiert hatte, öffnete ihm die Tür und sagte: "Schön, dass du wiedergekommen bist. Ich bin übrigens die Silke".

"Ja, ich finds auch schön, Silke. Ich heisse Jens", antwortete Jens.

"Komm mit, wir treffen uns noch kurz in der Halle, bevor das Mahl losgeht", forderte Silke Jens auf.

Jens folgte Silke in einen grossen Raum, von dem viele Türen abgingen. Ausser den Helfern von gestern sah er auch noch etliche andere, vor allem Frauen, die von einem Duft nach Eintopf umweht wurden. Ob das die Köchinnen der Eintöpfe waren?

Sobald Jens und Silke den Raum betreten hatten, stellten sich alle in einem Kreis auf und der Organisator, mit dem Jens am Tag zuvor ein kurzes Gespräch geführt hatte, stimmte ein Gebet an. Anschließend wurde ein Lied gesungen.

Jens fühlte sich ziemlich unbehaglich. Er war nun wirklich kein grosser Kirchgänger, ganz im Gegenteil. Seine Taufe war wohl das letzte Mal gewesen, dass er eine Kirche von innen gesehen hatte. Wo war er da nur reingeraten? Das gemeinsame Aufsagen besinnlicher Worte und der anschließende Gesang hatte aber eine angenehme Wirkung auf ihn. Irgendwie fühlte er sich anschließend verbundener mit den anderen Helfern und sein Gefühl war angefüllt mit der Gewissheit, dass er im Begriff war, das Richtige zu tun.

Die zuversichtliche Stimmung hielt auch an, als sie die Tische und Töpfe nach draussen trugen und anfingen, das Essen zu verteilen. Manche Gesichter erkannte Jens wieder, denn sie waren auch am Tag zuvor dagewesen. Einige Stunden später ging er wieder nach Hause, satt und zufrieden mit dem was er geleistet hatte, wenn es auch nur eine Kleinigkeit war.

Abends hatte er wieder Dienst im Bistro, das genauso leer war, wie der Platz bei der Armenspeisung voll gewesen war. Ricardo lief missmutig durch den Gastraum und warf einen argwöhnischen Blick in die Küche, ob Jens auch fleissig arbeitete. Jens konnte ihm die schlechte Stimmung nachfühlen, denn es war ein Leichtes auszurechnen, was die wenigen Gäste für Ricardo finanziell bedeuteten. Wahrscheinlich steckte das Bistro in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten. Daher beendete Jens seine Putzrunde möglichst schnell, weil er es Ricardo nicht unnötig schwer machen wollte, ihn zu beschäftigen.

Mit einem Glas Wasser in der Hand setzte er sich zu drei Bekannten, die schon seit einer Stunde im Bistro saßen und immernoch beim ersten Bier waren. Jens vermutete, dass dieses eine Bier möglicherweise auch das einzige bleiben würde.

Die drei jungen Männer kannte er aus dem Studium und auch sie hatten keinen Arbeitsplatz gefunden, der ihrer Qualifikation entsprach. Andreas und Thomas lebten von Grundsicherung II, wie die Versorgung der Erwerbslosen jetzt hiess, und Bennie schlug sich mit Taxifahren durch.

"Du bist heute aber früh fertig", begrüsste Bennie Jens.

"Ja, Arbeitszeitverkürzung wegen Monatsende. Guck dich doch mal um, hier will doch kaum noch jemand was essen", antwortete Jens.

"Tja, alles geht den Bach runter. Mein Taxi steht auch immer mehr rum, statt dass ich damit Kunden durch die Stadt kutschiere. Die Leute haben einfach kein Geld mehr", sagte Bennie.

"Mir gehts genauso, wem nicht?", warf Andreas ein.

"Ich helfe seit gestern bei einer Armenspeisung mit, da sieht man so richtig deutlich, wieviel Arme es inzwischen schon gibt. Die strömen da jeden Tag in Scharen herbei, um einen Teller Erbsensuppe zu kriegen", erzählte Jens.

"Du machst was? Bei einer Armenspeisung helfen? Du bist ja wohl verückt geworden oder hast du schon länger eine soziale Ader?", frotzelte Thomas.

Jens zuckte mit den Achseln und entgegnete: "Naja, ich dachte mir, besser ich steh bei der Armenspeisung hinter dem Tresen als davor. Und die Suppe schmeckt eigentlich ziemlich lecker. Spart mir jedes Mal ein bisschen Knete".

"Na gut, das macht Sinn, wenn die Suppe gut schmeckt. Aber ich selbst würd mich da als armer Schlucker kaum hintrauen. Sowas ist doch superpeinlich, wenn man da in der Schlange der Hungerleider steht und jeder kann einen sehen.", sagte Thomas.

"Mir wäre das wohl auch peinlich.", gestand Andreas. "Aber ne ordentliche Suppe wäre auch mal wieder was Feines. Ich leb eigentlich hauptsächlich von Toastbrot und Erdnussbutter. Mit Kochen hab ichs nicht so.".

"Peinlich wär mir das auch, darum bin ich ja zu den Helfern gegangen, denn das ist überhaupt nicht peinlich.", grinste Jens.

Bennie schaute sinnierend in die Luft und atmete hörbar ein, als röche er einen Wohlgeruch: "Bei einer leckeren Suppe würde ich auch nicht nein sagen. Aber für den Armentrip gehts mir noch nicht schlecht genug und auf den Helfertrip hab ich auch keinen Bock. Schade, dass es hier keine billigen Eintöpfe gibt. So ein Baguette, wie ihr es hier anbietet, würde ich noch selbst hinkriegen, aber was richtiges Warmes zu essen, das man sich leisten könnte, wäre ne feine Sache.".

"Hm, das klingt nach ner guten Idee! Da werd ich mal drüber nachdenken.", freute sich Jens. Vielleicht ließe sich da wirklich was draus machen. "Würdet ihr anderen sowas auch mögen?", fragte er an die anderen beiden gewandt.

Andreas nickte: "Ja, schon, wenns nicht zu teuer ist.".

"Gilt auch für mich.", beschied Thomas.

Bennie sagte: "Ich frag mich wirklich, ob alle gerade am Verarmen sind. Ich kenne niemanden, der keine Geldsorgen hat."

Thomas runzelte die Stirn und sagte: "Es gibt bestimmt noch ein paar reiche Säcke. Irgendwer muss das Geld ja schließlich haben.".

Jens warf sein neues Wissen in die Diskussion: "Die Energie wird einfach auch zu teuer. Das liegt am knapp werdenden Öl. Und da alles, was wir machen, mit viel Energieverbrauch verbunden ist, wird alles mit in den Abgrund gerissen. Ich bin schon gespannt auf den nächsten Winter. Da brauchen wir bestimmt dicke Socken.".

"Du meinst im Ernst, dass das ganze Elend mit dem blöden Erdöl zu tun hat?", stellte Thomas Jens' Idee in Frage.

"Ja, zumindest ein grosser Teil. Man blickt es nur nicht so einfach, weil man normalerweise gar nicht weiss, wo das Öl überall mitmischt. Es steckt im Transport, in der Landwirtschaft, in der Stahlproduktion, im Plastik, einfach für alles wird direkt oder indirekt Erdöl gebraucht.", entgegnete Jens.

Sie unterhielten sich noch eine Weile über das Erdöl und die Folgen seiner Verknappung, bis Tina das Bistro schließen wollte, weil sie nach Hause zu ihrer kleinen Tochter wollte, und sonst keiner mehr im Bistro saß.

Zuhause ließ Jens sich noch eine Weile vom Fernseher berieseln, weil er auf andere Gedanken kommen wollte. Doch die Anregung von Bennie ging ihm nicht aus dem Kopf. Ob es sich wohl rechnete, wenn er ganz schlichte Mahlzeiten aus billigen Zutaten im Bistro anbieten würde. Wie weit könnte man wohl mit dem Preis runtergehen, damit genügend für Zutaten, seinen Lohn und das Bistro übrig bleibt? Ohne es geplant zu haben, kritzelte er ihm bekannte Lebensmittelpreise auf ein rumliegendes Stück Papier. Doch schon bald wurde ihm klar, dass er die Idee gründlich durchkalkulieren müsste, um herauszufinden, ob es ein gutes Geschäft werden könnte. Vom Prinzip her schien es zwar einfach, aber der Erfolg hing stark davon ab, wieviele Gäste die Mahlzeiten bestellen würden, wieviel Reste übrig bleiben würden und wie sich die Nahrungsmittel-Preise entwickeln würden. Vor allem die Sache mit den steigenden Preisen war ein unkalkulierbares Risiko. Auf der anderen Seite bestand aber Bedarf an preiswerten warmen Mahlzeiten und irgendetwas wollte Jens unternehmen, um die Sicherheit seines Jobs zu fördern.

Im Fernsehen lief inzwischen eine Sendung über Ölknappheit und alternative Energien. Auch früher hatte es schon oft solche Sendungen gegeben, aber bisher hatte Jens sich nicht dafür interessiert, weil ihm nicht klar gewesen war, dass das Öl auch ihn persönlich betraf. Jetzt verfolgte er die Sendung jedoch voller Aufmerksamkeit.

Besonders interessant fand er den Bericht über solare Energie. Am Anfang des Jahrtausends hatte die Solarenergie in Deutschland noch keine grosse Rolle gespielt, weil die Produktionskosten der Solarpanele so hoch gewesen waren und zudem die Windenergie massiv gefördert wurde. Als sich die Proteste wegen der Verspargelung der Landschaft durch Windkraftwerke jedoch häuften, wurde die Photovoltaik verstärkt gefördert. Vor allem im sonnigen Süden brach der reinste Solarboom aus, bei dem hunderttausende von Häusern mit Solarpanelen ausgestattet wurden. Für diese Leistung klopfte sich die Regierung gerne immer wieder selbst auf die Schultern, denn es war einer der wenigen halbwegs gelungenen Versuche, eine Änderung in die richtige Richtung zu bewirken.

Natürlich reichte die Versorgung durch Solaranlagen bei weitem nicht aus, um ernsthaft zur gesamtdeutschen Energieversorgung beizutragen, und inzwischen wurden die Solarzellen auch wieder teurer, sodass sich kaum jemand eine neue Anlage leisten konnte. Deshalb diskutierte die Regierung über ein zusätzliches staatlich gefördertes Kreditprogramm, damit Hausbesitzer neue Solaranlagen finanzieren konnten. Die Diskussion zog sich aber schon seit Monaten hin, denn bisher wusste keiner, woher das Geld für dieses Kreditprogramm kommen sollte.

Das war mal wieder typisch für die Regierung. Seit Jahren drehte sie sich im Kreis, klebte hier ein kleines Pflaster auf ein grosses Problem, versprach dort Geld und hatte selber keins, redete von Senkung der Lohnnebenkosten und verabschiedete Gesetze, die zur Folge hatten, dass die Lohnnebenkosten noch mehr anstiegen. Inzwischen verfielen Schulen und Universitäten, Schwimmbäder wurden geschlossen, Bibliotheken waren kostenpflichtig geworden, Straßen bekamen immer mehr Schlaglöcher, kurzum: die gesamte Infrastruktur litt. Immer mehr Arbeitslose bekamen immer weniger Geld vom Staat und die übrig gebliebenen Firmen gingen reihenweise pleite.

Jens fragte sich, wie lange Ricardo noch mit dem Bistro durchhalten würde. Ob Jens Idee mit den billigen Mahlzeiten wohl etwas bringen würde? Das musste er unbedingt mal durchrechnen. Ausserdem brauchte er noch zusätzliche Rezeptideen in der Superbillig-Klasse, denn spontan fielen ihm nur Linsensuppe, Erbsensuppe, Kartoffeln mit Quark und Spaghetti mit Tomatensauce ein. Das ließe sich aber bestimmt noch stark erweitern, schließlich waren Karotten, Zwiebeln und Kohl immer noch recht billig.

Aber selbst wenn es Jens gelingen würde, erfolgreich Billigmahlzeiten an den Mann zu bringen, würde das Bistro dadurch bestimmt nicht saniert werden.



Jenseits des Ölgipfels

The Party's Over
von Richard Heinberg

Peakoil Reloaded
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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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