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Jenseits des Ölgipfels

Kapitel 3


  
Das Thema "Aussterben" ließ Jens keine Ruhe mehr. In den nächsten Tagen dachte er viel darüber nach und las große Teile der englischsprachigen Internetseite dieoff.com, auf der die verschiedensten Wissenschaftler zu Wort kamen.

Besonders erschreckte ihn das Beispiel mit den Bakterien, denn wenn man Bakterien in eine Schale mit Nährmedium setzt, dann vermehren sie sich immer schneller, bis die Nährstoffe verbraucht sind. Dann bricht die "Bevölkerung" schlagartig auf ein Zehntel zusammen und die Bakterien fangen an, einander aufzufressen, bis alle tot sind.

Nun gut, Menschen sind keine Bakterien, dachte sich Jens, aber das gleiche Prinzip hatte man überall beobachtet, wo Lebewesen in einem begrenzten Raum mit endlichen Ressourcen leben. Die "Einwohner" vermehren sich ungebremst, Ressourcen werden ohne Zurückhaltung verbraucht bis sie eines Tages knapp werden und sich die Bevölkerung rapide verringert, meistens auf höchstens ein Zehntel der vorherigen Maximalbevölkerung. Auch viele Tierarten waren auch auf diese Weise ausgestorben. Sogar bei Menschen war sowas schon vorgekommen, wie die Geschichte der Osterinsel zeigt.

Ein Teil von Jens hätte sich am liebsten unter der Bettdecke verkrochen und wäre nie wieder hervorgekommen, aber ein anderer Teil weigerte sich, zu akzeptieren, dass ein Aussterben der Menschheit möglich sei. Selbst Milliarden von Toten passten einfach nicht in seinen Kopf, der fast zu platzen drohte. Daher wunderte sich Jens auch nicht über die leichten Kopfschmerzen, die ihn tagelang begleiteten.

Immer wieder ging ihm durch den Kopf, was er in dem Gespräch mit Tina gesagt hatte: "Wir sollten das verhindern". Wenn Jens "wir" sagte, dann meinte er damit auch sich selbst. Er, Jens Markert, würde nicht zulassen, dass die Menschheit einfach so ausstarb. Aber was konnte er tun, wenn nicht mal das Heer von Politikern, Wissenschaftlern und Wirtschaftsfachleuten in der Lage war, die Katastrophe aufzuhalten. Er hatte es ja nicht mal geschafft, sein eigenes Leben auf solide Beine zu stellen.

Jens beschloss, sich erstmal ausgiebig zu informieren, um sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage machen zu können. Ausserdem wurde ihm klar, dass er zunächst sich selbst vor dem Aussterben bewahren sollte, denn gute Karten hatte er in keinster Weise. Auch das war schon eine enorme Aufgabe.

Die erste Massnahme war wohl sparen. Sparen in jeder Hinsicht, aber vor allem beim Energieverbrauch. Wieder einmal war er froh, dass er kein eigenes Auto hatte, aber auch der Stromverbrauch war von den Problemen betroffen. Weil das Öl so teuer war, wurde Strom inzwischen viel für den Verkehr benutzt und auch die Fabriken hatten teilweise ihre Energieversorgung von Öl auf Strom umgestellt. Die Folgen davon hatte er ja schon am eigenen Leib zu spüren bekommen.

Bei seinen ausgeschalteten Geräten zog er jetzt immer den Stecker, der Computer wurde nachts runtergefahren und Pizza wurde ebenso wie alle anderen Gerichte, die einen Backofen brauchten, vom Speisezettel gestrichen. Sobald er wieder Geld hatte, wollte er sich Energiespar-Glühbirnen kaufen, denn selbst auf solche Kleinigkeiten hatte er vorher nicht geachtet. Aber das alles wäre nur ein Tropfen auf den heissen Stein.

Jens rief bei der Werbeagentur an, für die er öfter Kundenaufträge erledigte und fragte, wie die Auftragslage sei. Die war erwartungsgemäss schlecht, aber einer der Kunden hatte Interesse an einem Online-Shop gezeigt, den er vielleicht bestellen würde, wenn er ein verlockendes Angebot bekäme. Ein Programm für Online-Shops hatte Jens glücklicherweise schon früher geschrieben, damit er das Rad nicht für jeden Kunden neu erfinden musste. In letzter Zeit konnte man sich sowieso schon freuen, wenn man einen angemessenen Betrag für die individuelle Anpassung und Installation der Programme bekam, die Konkurrenz beherrschte den Markt mit gnadenlosen Dumpingpreisen. Mit dem Angebot für den potentiellen Kunden gab er sich besonders viel Mühe. Bisher war ihm das Schreiben von Angeboten immer lästig gewesen, aber jetzt schien es ihm wie ein Strohhalm zum daran festklammern.

Jedes Mal, wenn Jens zur Mittagszeit unterwegs war, sah er jetzt die Armenspeisung, bei der sich von Tag zu Tag mehr hungrige Menschen einfanden. Diese Armenspeisung wurde für Jens immer mehr zu einem Symbol des Niedergangs. Hier konnte er in der Realität sehen, was er sonst eher über die Medien mitbekam. Die wachsende Menschenmenge beunruhigte ihn enorm. Was würden diese Leute machen, wenn es keine Armenspeisung gäbe? Würden sie verhungern? Wahrscheinlich nicht so schnell, denn bis man verhungert, dauert es eine Weile und ab und zu würde wahrscheinlich jeder noch etwas zu Essen auftreiben. Aber bestimmt würden viele der Leute öfter mal hungrig ins Bett gehen müssen.

Nach ein paar Tagen hielt er es nicht mehr aus, immer an der Armenspeisung vorbei zu fahren, als würde sie ihn nichts angehen, denn in gewisser Weise ging sie ihn ja etwas an, weil er ständig daran denken musste. Also ging er an der Schlange vorbei zur Ausgabestelle, wobei ihm etliche Wartende zuriefen, er solle sich am Ende der Schlange anstellen, wie alle anderen auch. Jens murmelte etwas von "Ich will doch nur was fragen." und ging unbeirrt weiter. An der Ausgabestelle angekommen, sagte ihm auch der erste Helfer, der ihn bemerkte, dass er sich hinten anstellen solle.

"Ich wollte eigentlich nur fragen, ob ich mithelfen kann. Gegessen habe ich schon", sagte Jens zu dem Helfer.

"Ach so, das ist was anderes. Wir haben aber keine Suppenkellen mehr. Ansonsten können wir jede Hilfe gebrauchen."

"Eine Suppenkelle könnte ich holen, ich wohne nicht weit. Soll ich gleich damit wiederkommen?"

Der Helfer nickte und Jens machte sich auf den Weg nach Hause, um eine seiner Suppenkellen zu holen. Mit der Kelle in der Hand erntete er bei den Schlangestehenden keine Aufforderungen mehr, sich hinten anzustellen. Einer der Helfer forderte Jens auf, sich den grossen Topf mit ihm zu teilen, aus dem er die Suppe schöpfte. Insgesamt waren fünf grosse Töpfe nebeneinander aufgebaut, von denen auch schon einige durch ein Doppelteam geleert wurden.

Da stand Jens nun, in der rechten Hand die Kelle, mit der er anständige Portionen auf die Teller oder Schalen schöpfte und in der Linken immer wieder eine neue Scheibe Brot, für jeden der Hungrigen eine. Viele der Leute hatte eigene Teller mitgebracht; die anderen bekamen eine Suppenschale aus Plastik und wurden aufgefordert, sie wieder zurückzubringen. Etwa die Hälfte der Menschen waren Kinder, die kleineren unter ihnen konnten kaum ihre Schale über den Topfrand heben. Auch viele alte Menschen waren unter der Gästen. Die meisten waren sorgfältig gekleidet, sodass man ihnen die Armut normalerweise kaum ansehen würde. Nur bei genauem Hinsehen konnte man erkennen, dass ein Großteil der Kleider schon ziemlich abgenutzt war.

Manche Gäste bedankten sich für das Essen und sahen ihm dabei in die Augen. Bei den meisten hatte Jens jedoch den Eindruck, dass sie sich dafür schämten, gespendetes Essen anzunehmen. Nur die kleinen Kinder gingen völlig unbefangen damit um. Jens wurde im Laufe der Stunden klar, dass die Armut viele Gesichter hat.

Während die Menschen an ihm vorbeizogen, fragte sich Jens, was ihn überhaupt dazu bewogen hatte, so spontan bei dieser Armenspeisung mitzuhelfen. Bisher hatte er sich noch nie um eine ehrenamtliche Tätigkeit gerissen. Wahrscheinlich hing sein Engagement damit zusammen, dass er durch das Mithelfen wenigstens schon mal ein kleines bisschen gegen das Aussterben unternahm. Aber Jens wurde auch den Verdacht nicht los, dass er einfach lieber hinter dem Tresen der Armenspeisung stand, als davor.

Irgendwann erreichte Jens mit seiner Kelle den Topfboden, und so überließ er den Topf seinem Kollegen, um bei einem der Töpfe mit nur einem Helfer mitzumachen. Nach einer Weile war auch dieser Topf leer und die Gäste verliefen sich allmählich. Hungrig war keiner geblieben, denn die letzten Portionen waren fast alle Nachschlag für die besonders hungrigen Leute gewesen.

Die Töpfe wurden in das Gemeindezentrum getragen, wo sich eine freundliche Dame mittleren Alters ihrer Reinigung annahm. Ausserdem galt es, alle Suppenschalen einzusammeln, die zur Suppenküche gehörten. Als endlich alles aufgeräumt war, lud einer der Helfer Jens zum Essen im Gemeindezentrum ein. Dort wartete noch ein mittelgrosser Topf Suppe auf die fleissigen Helfer. Da Jens inzwischen schon wieder ziemlich hungrig war, nahm er das Angebot gerne an.

"Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, bei uns mitzumachen?", fragte ihn sein Sitznachbar. "Bisher habe ich dich weder bei unserer Tafel noch im Gemeindezentrum je gesehen."

"Das kam ganz spontan über mich, als ich an der Warteschlange vorbeifuhr. In den letzten Tagen bin ich oft bei euch vorbeigekommen und irgendwie hat es mich beschäftigt und ging mir nicht mehr aus dem Kopf."

"Und hat es dir Spass gemacht?"

"Ja, es war gut. Auf jeden Fall besser, als vor sich hinzufrusten. Soll ich morgen wiederkommen?"

"Gerne, wenn du willst. Willst du denn?"

"Ja, ich denke schon. Bis zum Monatsende hab ich mittags frei und danach hätte ich dreimal in der Woche frei."

"Das ist ja praktisch, denn im letzten Monatsdrittel ist immer besonders viel los und danach wird es ein paar Tage lang wieder weniger. Aber im Vergleich zu früher ist jetzt immer Hochbetrieb. Übrigens, ich heisse Matthias. Wie darf ich dich nennen?"

"Mein Name ist Jens. Wie wird das hier eigentlich organisiert? Wo kommt das Essen her?", wollte Jens endlich mehr über die Veranstalter der Armenspeisung wissen.

"Für dieses tägliche Mittagessen haben wir vom Tafel-Verein uns mit dem ökumenischen Gemeindezentrum zusammengetan. Das Gemeindezentrum stellt die Küche und den Platz und wir organisieren die Lebensmittel. Die Helfer sind bunt gemischt. Die Lebensmittel werden vorwiegend von Supermärkten und Hotels gespendet, aber das wird leider immer weniger in letzter Zeit. Und das gerade jetzt, wo es mehr denn je gebraucht wird. Wir bekommen aber auch Geldspenden und davon kaufen wir billige Zutaten für unsere Eintöpfe ein. Hoffentlich wird uns dieser Geldhahn nicht abgedreht."

Nach dem Essen bat der verantwortliche Organisator der Armenspeisung Jens noch zu einem kurzen Gespräch, in dessen Verlauf Jens seine Adresse hinterließ und sich einverstanden erklärte, am nächsten Tag um zwölf wieder zu kommen.

Als er wieder zuhause war, informierte Jens sich erstmal im Internet über diesen Tafel-Verein, bei dem er jetzt nahezu formlos Mitglied geworden war. Das Prinzip der Tafel-Vereine gefiel ihm gut und irgendwie war es ein gutes Gefühl, wenigstens schon mal ein kleines bisschen gegen die Armut zu unternehmen. Aber dieser Einsatz würde natürlich bei weitem nicht ausreichen, um alle Probleme zu lösen.

Jenseits des Ölgipfels

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Jenseits des Ölgipfels
Jenseits des Ölgipfels

268 Seiten
ISBN 3-933634-18-0

Preis: 16.90 Euro

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